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Inland
Reflexionen einer desillusionierten Wessi: DDR als Negativschablone
Für „unsere“ Politik und Medien
Von Dr. Sabine Schiffer
Zunächst: „Wir sind das Volk!“, dann: „Wir
sind ein Volk!“, heute: „Wir waren das Volk“
Quelle: www.ostblog.de
Als ich kürzlich durch Berlin-Marzahn spazierte, sprang ein Jugendlicher plötzlich wild gestikulierend aus einer Gruppe 15-Jähriger heraus und rief „Hau ab, Du blöde Wespe!“ Nachdem er das Tier vertrieben hatte und sich zu den Kameraden drehte, meinte einer: „Nix Wespe, Ospe!“ Diese Szene will ich nicht überbewerten. Aber wenn man so manchen Leserbrief, der das tief empfundene Trennungsgefühl, zwischen Ost und West zum Ausdruck bringt, mit einbezieht, dann muss man an dieser Stelle die Frage stellen, ob das
Verhalten dieser Jugendlichen, die jünger sind als Deutschland und hier lediglich einen Witz machten, genau dieses trennende Lebensgefühl zum Ausdruck bringt.
Dies ist nur dann verwunderlich, wenn man die Diskurse, die sich nach der Wende etabliert haben, nicht als Konstruktion einer eher trennenden als verbindenden Geschichtsschreibung auffasst – denn es gibt offensichtlich erlaubte und nicht erlaubte Sichtweisen, opportune Äußerungen über die DDR und die BRD und nicht opportune, statt allen Facetten ihren jeweiligen Platz einzuräumen. Die Realität der Teilung wird mit jedem Jahr der
Feierlichkeiten zur „Deutschen Einheit“ fortgeschrieben, wenn wichtige Fakten weiterhin im Mainstream ignoriert werden.
Gewinner Metro – Verlierer „das Ossi“
Der Gewinner der deutschen Einheit ist der Metro-Konzern. Der Verlierer „das Ossi“. Schlimmer dran noch ist das weibliche Ossi. Für Frauen gibt es entsprechend dem Rollenmodell des Westens vor allem Arbeitslosigkeit und Depression. Auf die fehlende Anerkennung ihrer Lebensleistung waren die Ost-Frauen ebenso wenig vorbereitet wie die Ostmänner. Und darauf, dass ihre Geschichte benutzt wird, um den Westen zu rehabilitieren, auch nicht. Dazu Hans Fricke aus Rostock: „Je mehr wir uns dem 20. Jahrestag der Einverleibung der DDR durch die BRD, als „Tag der deutschen Einheit“ ausgegeben, nähern, umso zahlreicher werden Konferenzen, Symposien, Wanderausstellungen, Fernsehproduktionen, Festakte und dergleichen, die die Bevölkerung davon überzeugen sollen, dass dem 3. Oktober 1990 eine Revolution vorausgegangen sei, auch wenn der soziale Inhalt des Geschehens die Anwendung dieses Begriffes ausschließt. Denn eine Revolution hat stets gesellschaftlichen Fortschritt im Interesse des Volkes zur Voraussetzung und nicht Rückkehr zu einer historisch überlebten, auf gnadenlose Ausbeutung der Mehrheit des Volkes durch eine parasitäre Minderheit beruhenden Gesellschaftsordnung, der nachweislich Kriege und Krisen wesenseigen sind. Die stabsmäßig geplante umfassende Vorbereitung der Jubiläen in diesem und im nächsten Jahr lassen keinen Zweifel daran, dass man weder Kosten noch Mühen scheuen wird, um eine perfekte Gehirnwäsche zu erreichen.“
„Verwahrlosung“ der Ostdeutschen
Statt „blühender Landschaften“ herrscht Enttäuschung. Auch die Nachricht, dass nun im Osten mehr Autos als im Westen fahren, mag nicht trösten. Und schon gar nicht die, dass in den Auslandseinsätzen der Bundeswehr überproportional viele junge Leute aus Ostdeutschland eingesetzt sind und sterben. Dabei werden die durch das kürzlich eingeweihte Bundeswehrdenkmal in Berlin immerhin mit geehrt, im Gegensatz zu den
NVA-Soldaten, deren Geschichte offensichtlich keine Rolle spielen darf. Der Theologe Friedrich Schorlemmer beklagte den „Kampf um die Deutungshoheit über die DDR“, der einer „Verschleierungs- und Verschiebungsdebatte“ führe, in einem Interview mit der Ostsee-Zeitung. Das hätte Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm besser gelesen, anstatt sich im Berliner Tagesspiegel zu der Forderung zu versteigen, der „Verwahrlosung“ der Ostdeutschen mit dem christlichen Glauben begegnen zu wollen. Vielleicht würde es ein bisschen Anerkennung schon tun, Arroganz jedoch polarisiert nur noch mehr.
Gerade jetzt, wo klar wird, dass auch der Kapitalismus gescheitert ist, braucht man den Verweis auf den „Unrechtsstaat DDR“ umso mehr. Darum gibt die Bundesrepublik auch viel Geld aus, um die Erinnerung daran lebendig zu halten. Neben der Bundesstiftung zur „Aufarbeitung der SED-Diktatur“, die sorgfältig prüft, welche Forschung sie fördert und welche nicht, richtet unter anderem auch Ministerpräsident Roland Koch über seine Landeszentrale für politische Bildung eine Stelle für eben diese Aufarbeitung ein. Welchem Zweck dient diese Fokussierung der DDR-Geschichte in Hessen? Wozu benötigt man den Verweis auf die Missstände anderswo?
20 Jahre Mauerfall
Was war geschehen? Das Ende der DDR zeugt von der Erkenntnis, was passieren kann, wenn eine grunddemokratische Bewegung, die ihr Land reformieren will, überrollt wird von „kapitalen“ Interessen – westlichen Wirtschaftsinteressen. Nicht nur Helmut Kohl war Ende der 80er Jahre politisch am Ende – manche erinnern sich noch an sein dilettantisches
Herumeiern um die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl – auch der Kapitalismus als System zeigte erste Risse, denn krebszellenartiges Wachstum verlangt stets nach mehr Konsum und Konsumenten.
Dämonisierung der DDR…
Welch ein Geschenk hat den beiden Hungrigen also die Bürgerbewegung der DDR gemacht, die montagabendlich für Veränderungen auf die Straße ging?! Dass die um echte Demokratie kämpften, war dem „demokratieverwöhnten“ Westen eher Schnuppe. Zu viele waren in der BRD daran gewöhnt, dass echte Mitsprache gegen Konsumkraft eingetauscht worden war.
Man hätte Deutschland und durchaus das Volk vereinigen können, wenn man nicht von Anfang an die Strategie verfolgt hätte, die DDR zu dämonisieren – weit über die kritikwürdigen Fakten hinaus. So konnte man das eigene Tun verschleiern oder gegebenenfalls gar idealisieren: Die Einführung der D-Mark wurde als humanitärer Akt verkauft und nicht als Beginn der Übernahme und des Ausverkaufs der DDR, die immerhin eine Währung besaß, deren Wert mittels Gold weitestgehend gedeckt war.
…und ihre Abwicklung
Der Mord an Treuhandchef Rohwedder muss in diesem Kontext gesehen werden. Wolfgang Schorlau scheint in seinem Kriminalroman „Blaue Liste“ die möglichen Hintergründe realistischer zu beschreiben, als die damalige Berichterstattung – sein Schicksal gehört sowieso nicht zu den Aufarbeitungsprogrammen der DDR-Abwicklung. Kredite gab es nach der Wende vornehmlich für Wessis. So konnte etwa der Kreisbaubetrieb Altenburg nur einen solchen erhalten, indem man einen Wessi mit der Geschäftsführung beauftragte. Damit war klar, wem die Ostbetriebe, das gesamte als „Volkseigentum“ bezeichnete Staatseigentum und auch der Löwenanteil des Solidarzuschlags zufallen würden. Heute sind 85 Prozent des sog. Volkseigentums der DDR in Besitz bundesdeutscher Unternehmen, 10 Prozent in der Hand ausländischer Unternehmen und ganze fünf Prozent sind Eigentum Ostdeutscher.
Cartoon: Kostas Koufogiorgos
Die meisten Ostdeutschen können ihren Kindern also weder etwas Materielles noch etwas Ideelles vererben, allenfalls das Gefühl „Bürger zweiter Klasse“ zu sein und ohne erwähnenswerte Geschichte. Edgar Most, Vizepräsident der DDR-Staatsbank und heute der Deutschen Bank zugehörig, entlarvt die Mär vom Staatsbankrott der DDR und verweist auf den aktiven Abwicklungsprozess der DDR-Wirtschaft nach dem Mord an Treuhandchef Rohwedder. Während Most zunächst dachte, das Ruinieren der DDR-Wirtschaft, die sich 1989 noch auf dem Niveau von Italien, England und Griechenland befand, sei aus Dummheit geschehen, ist er auf Grund seiner Erfahrungen der letzten Jahrzehnte zur Einsicht gekommen, dass alles nach Plan geschah. Heute kann man derlei Informationen in der Jungen Welt, dem ehemaligen FDJ-Blatt finden. Aber wer glaubt im Westen einer
solchen Zeitung schon, die wie das „SED-Zentralorgan“ Neues Deutschland auch 20 Jahre nach der sog. Einheit noch diskreditiert wird. Wer sie liest, weiß auch warum.
Herrschaftsdiskurs
Mit dem Verschweigen wichtiger Informationen, konnte man – zumindest im Westen – den Mythos von der Solidarität mittels Solidarzuschlag als netten Bonus für die „armen Ossis“ aufrecht erhalten. Dieser bewirkt bis heute, dass viele Menschen im Westen wenig Verständnis für die Desillusionierten im Osten aufbringen können. Dem Unterlegenen hört man folglich auch nicht zu, was er zu berichten hat – man etikettiert ihn als „Ostalgiker“, den man nicht ernst nehmen müsse. Damit bleibt der Stachel immerwährender Teilung, der ein Gefühl der Gleichwertigkeit nicht nur politisch ausschließt.
Direkt nach der Grenzöffnung setzte die Interpretation durch unsere Medien das fort, was sie gewohnt waren: den stets negativen Blick nach Osten, wo es genügend negative Funde gab – nicht nur die Stasi. Durch dieses Framing konnte man die anderen Funde leicht ignorieren, weil man sie nicht gewohnt war zur Kenntnis zu nehmen. Das „menschenverachtende System der DDR“ wurde uns mittels ausgewählter Bilder aus dem Osten plausibel gemacht: da wurden uns schreckliche Bilder von Bitterfeld gezeigt und suggeriert, dass das „die“ DDR ausgemacht hätte.
Mit Fakten lügen
Ein anschauliches Beispiel, wie man mit Fakten lügen kann: für einen Wessi, der aus einem Braunkohleabbaugebiet kommt, dessen Tagebau vielen Dörfern und alten Menschen das Leben gekostet hat, der die Chemiekonzerne in Leverkusen und Ludwigshafen kennt, waren die Bilder aus Bitterfeld wenig überzeugend, weil zu wenig exklusiv. Gerade die Ökobilanz von Ost und West hätte einen Blick gelohnt, denn wenn die Entwicklung des superenergiesparenden Kühlschranks der A-Klasse bedeutet, dass man binnen 40 Jahren mindestens drei Geräte entsorgen musste, dann kam der Westen hier im Vergleich zur DDR gar nicht so gut weg. Auch das Sammeln von Sekundärrohstoffen (Plastik, Papier etc.) und das Flaschenpfandsystem für Milchprodukte (mit lediglich unterschiedlichen Deckelfarben für Milch, Joghurt und Sahne) wären aus ökologischer Sicht eine Revision wert – aber natürlich nicht in einem Land, wo das Müllgeschäft zu einem Wirtschaftsfaktor mit Wachstums“erfolgen“ geworden ist und Wachstum völlig wertfrei vom Inhalt positiv verbucht wird.
Aber wer war und ist schon an ehrlichen Vergleichen interessiert. Wer etwa heute die Manipulationen durch Medienberichterstattung kritisch verfolgt, wird sich bewusst, dass mit dem Verweis auf das „Staatsfernsehen“ der DDR vielleicht sogar ein Vorteil beschrieben wird. Die Erwartung, dass unsere Medien frei und unabhängig wären, hat schon so manchen dazu verleitet, die Inhalte ungeprüft zu glauben. Walter van Rossums Büchlein „Die Tagesshow“ legt aber gnadenlos offen, dass unsere Nachrichtensendungen offensichtlich eher den Zweck erfüllen, uns zu sagen, woNACH wir uns RICHTEN sollen und so ganz nebenbei noch staatskonforme Sprachregelungen einführen. Die Dichotomie „DIE machen Propaganda, WIR informieren“ ging noch nie und geht auch heute nicht auf.
Herrschaftspolitik
Dass zudem KEINE politische Klasse an echter Demokratie interessiert ist, sieht man an der fehlenden Bereitschaft, die vorhandenen direktdemokratischen Elemente der deutschen Verfassung auch umzusetzen. Denn in dieser ist die Aufforderung enthalten, die politische Kultur zu befördern – das Gegenteil also, von dem was geschieht und was man als „Politikverdrossenheit“ gerne dem Bürger alleine anlastet. Warum die politische Klasse direkte Abstimmungen nicht befördern mag, kann man an einigen Beispielthemen gut nachvollziehen: Die Mehrheit im vereinigten Deutschland will die Militarisierung und die Kriege nicht. Da aber der Konsum über dem Recht steht, sind diese eben inklusiv. Sie sichern Ressourcen und wirtschaftliche Einflusssphären. Ohne Soldaten wird bald kein Ausrauben der Meere und fremder Länder mehr möglich sein, denn die Menschen dort
beginnen sich zu wehren. Um sie weiterhin zu unterdrücken, brauchen wir kein kommunistisches Regime und auch keine sonstige Diktatur zu sein. Nur eine wirkliche Demokratie können wir uns auf dieser Grundlage eben auch nicht leisten – so will es der wirtschaftlich-politische Komplex, der uns beherrscht. Und der installiert ganz neue Kontrollsysteme mit neuester Technik, die einer Stasi noch gar nicht zur Verfügung stand – wie dies Ilja Trojanow und Juli Zeh in ihrem Buch „Angriff auf die Freiheit“ beschreiben.
Von eigenen Fehlentwicklungen ablenken
Da immer mehr Menschen durchschauen, dass unsere Politik zusehends unglaubwürdiger wird, ist es gut, dass es die DDR gab. Denn die braucht man, um von den eigenen Fehlentwicklungen abzulenken. Die Exporte der rechtsradikalen Köpfe aus dem Westen in den Osten und der dort geschaffene Nährboden für radikales Gedankengut angesichts des Raubs von Land, Ressourcen, Geschichte und einem eigenen Wertgefühl wird gerne
ignoriert. Stattdessen wird die wachsende rechte Szene im Osten als ein direkt aus der DDR resultierendes Problem ausgemacht – wie so viele andere Probleme auch. Als kürzlich in einem Dresdner Gerichtssaal eine ägyptische Zeugin von einem russlanddeutschen Moslemhasser ermordet wurde, war man schnell zur Stelle, den Islamhass als Problem nach Russland oder aber mindestens nach Ostdeutschland zu verlagern – eine beliebte westdeutsche Übung, die etwa auch im Zusammenhang mit der Ermordung von Kleinkindern einmal den Weg in die Medien fand. Dieser selbstidealisierende Reflex zeugt nicht nur davon, dass man sich nicht als Ganzes empfindet, sondern mental Deutschland stets in Ost und West einteilt – er hilft, dass
Probleme „verortet“, aber nicht angegangen werden.
„Verdiente Kronzeugen“
Der heruntergewirtschaftete Osten von Kreditnehmern aus dem Westen scheint die ideale Projektionsfläche für alle möglichen Probleme zu bilden. Als hätte es die 20 Jahre gemeinsame Geschichte und die Polarisierungen seither nicht gegeben. Um die Mythen zu festigen gibt es zudem „verdiente Kronzeugen“ wie Vera Lengsfeld, Freya Klier, Heidi Bohley und Angela Merkel. Die Köpfe der demokratischen Bewegung, die Gründer des
Demokratischen Aufbruch, des Forums 22 u.a. leben heute im fernen Ausland: Chile, Griechenland, Australien und Bärbel Bohley in Kroatien. Wenige Aufrichtige sind geblieben und ertragen die Umdeutungen oder versuchen gar, etwas dagegen zu stellen – mit mäßigem Erfolg. Dabei wäre es dringend an der Zeit, die Geflohenen zu fragen, warum sie dem angeblich angestrebten Zustand den Rücken gekehrt haben. Natürlich galten sie unter ihren Landsleuten zunächst als Verräter. Aber ist es wirklich unmöglich, glaubhaft zu machen, dass man die DDR reformieren und nicht abschaffen wollte? Nun, sie hätten es nicht leicht, wenn demgegenüber mit viel Geld und Aufwand Ausstellungen auf dem Alexanderplatz in Berlin realisiert werden, die jeder Friedenstaube in der DDR den Impetus der „Regimegegnerschaft“ verleihen. Auch die heutige Friedensbewegung könnte einmal so umgedeutet werden, dabei trifft auf sie das gleiche zu, wie auf die Reformer in der DDR – man beruft sich auf die eigenen Grundsätze und will sie verwirklicht sehen.
Rettung des Grundgesetzes
Auch darum ist es wichtig, eine ehrliche Aufarbeitung der Geschichte anzustreben: Zu einer ehrlichen Erinnerungs- und Gedenkkultur würde es auch gehören, die berühmt gewordenen Worte des damaligen Vorsitzenden der KPD, Max Reimann, nicht verschämt unter den Teppich der Geschichte der Bundesrepublik kehren. zu wollen: „Wir unterschreiben nicht! Es wird jedoch der Tag kommen, wo die Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben.“ (Hans Fricke)
„Unser Grundgesetz ist grob beschädigt“, schreibt Jörg Becker in seiner Bestandsaufnahme nach 60 Jahren. Nicht nur, dass man es zur Wendezeit nicht gemäß Art. 146 unter Beteiligung des ganzen Volkes angenommen oder gar in Richtung mehr Demokratie verändert hätte – Vorschläge zur Verankerung von mehr sozialen Grundrechten lagen auf dem Runden Tisch, wie Karin Nungeßer in der aktuellen Ausgabe vom „FrauenRat“ anmerkt. Bereits vor dem „Anschluss“ der DDR hat eine sukzessive Stärkung staatlicher Gewalt und die Schwächung der demokratischen Mitsprache des Einzelnen stattgefunden, obwohl Möglichkeiten zu Volksentscheiden nach wie vor enthalten sind. Wie in Krisenzeiten Kontrollgesetzgebungen entstehen, die nachher nicht mehr zurückgebaut werden, dafür stehen die Notstandsgesetze der 68er exemplarisch. Und während heute die Implementierung von Kriegsrecht, eines Feindstrafrechts sowie weiterer Elemente in Richtung Überwachungsstaat unser Grundgesetz bedrohen, will und sollte man es gegenüber einem noch viel undemokratischeren Lissabon-Vertrag verteidigen, so Jörg Becker. Denn dieser gibt bereits in Bezug auf die Wirtschaftsweise eine klare neoliberale Ordnung vor, wohingegen das Grundgesetz, bei allen Angriffen und Mängeln auf Grund seiner Missbrauchsgeschichte, es wert wäre, umgesetzt zu werden. Auch seine Unterordnung unters Völkerrecht gilt es wieder herzustellen.
In diesem Kontext wird ganz deutlich, wie der Verweis auf den „Unrechtsstaat DDR“ hilft, die unsoziale, neoliberale und auch militaristische Entwicklung des heutigen Deutschland zu verschleiern. Die riesige Baustelle für den neuen Bundesnachrichtendienst, wie unser Geheimdienst heißt, in Berlin Mitte spricht Bände – die Pläne des Innenministeriums zur Ausweitung der Kompetenzbereiche des Verfassungsschutzes auch. Man hätte so manche weitsichtige Aussage damaliger Zeitzeugen beim „Grenzdurchbruch“ (Film von 1989) ernster nehmen sollen.
Dass in Berlin ein Denkmal ausschließlich für Soldaten und nicht etwa für THW- und Rot-Kreuz-Mitarbeiter, Polizisten oder die Feuerwehr eingeweiht wurde, zeigt mehr als deutlich, wohin die Reise heute gehen soll. Es ist ein Mahnmal für uns alle und schreit förmlich nach Widerstand – aller! (PK)
Dr. Sabine Schiffer ist Gründerin und Leiterin des Instituts für Medienverantwortung, Goethestr. 6, 91054 Erlangen -
www.medienverantwortung.de
Hans Fricke ist Autor des im August 2008 im Berliner Verlag am Park erschienenen Buches „Politische Justiz, Sozialabbau, Sicherheitswahn und Krieg!“, 383 Seiten, Preis 19,90 Euro, ISBN 978-3-89793-155-8
Online-Flyer Nr. 219 vom 14.10.2009
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Inland
Reflexionen einer desillusionierten Wessi: DDR als Negativschablone
Für „unsere“ Politik und Medien
Von Dr. Sabine Schiffer
Zunächst: „Wir sind das Volk!“, dann: „Wir
sind ein Volk!“, heute: „Wir waren das Volk“
Quelle: www.ostblog.de
Verhalten dieser Jugendlichen, die jünger sind als Deutschland und hier lediglich einen Witz machten, genau dieses trennende Lebensgefühl zum Ausdruck bringt.
Dies ist nur dann verwunderlich, wenn man die Diskurse, die sich nach der Wende etabliert haben, nicht als Konstruktion einer eher trennenden als verbindenden Geschichtsschreibung auffasst – denn es gibt offensichtlich erlaubte und nicht erlaubte Sichtweisen, opportune Äußerungen über die DDR und die BRD und nicht opportune, statt allen Facetten ihren jeweiligen Platz einzuräumen. Die Realität der Teilung wird mit jedem Jahr der
Feierlichkeiten zur „Deutschen Einheit“ fortgeschrieben, wenn wichtige Fakten weiterhin im Mainstream ignoriert werden.
Gewinner Metro – Verlierer „das Ossi“
Der Gewinner der deutschen Einheit ist der Metro-Konzern. Der Verlierer „das Ossi“. Schlimmer dran noch ist das weibliche Ossi. Für Frauen gibt es entsprechend dem Rollenmodell des Westens vor allem Arbeitslosigkeit und Depression. Auf die fehlende Anerkennung ihrer Lebensleistung waren die Ost-Frauen ebenso wenig vorbereitet wie die Ostmänner. Und darauf, dass ihre Geschichte benutzt wird, um den Westen zu rehabilitieren, auch nicht. Dazu Hans Fricke aus Rostock: „Je mehr wir uns dem 20. Jahrestag der Einverleibung der DDR durch die BRD, als „Tag der deutschen Einheit“ ausgegeben, nähern, umso zahlreicher werden Konferenzen, Symposien, Wanderausstellungen, Fernsehproduktionen, Festakte und dergleichen, die die Bevölkerung davon überzeugen sollen, dass dem 3. Oktober 1990 eine Revolution vorausgegangen sei, auch wenn der soziale Inhalt des Geschehens die Anwendung dieses Begriffes ausschließt. Denn eine Revolution hat stets gesellschaftlichen Fortschritt im Interesse des Volkes zur Voraussetzung und nicht Rückkehr zu einer historisch überlebten, auf gnadenlose Ausbeutung der Mehrheit des Volkes durch eine parasitäre Minderheit beruhenden Gesellschaftsordnung, der nachweislich Kriege und Krisen wesenseigen sind. Die stabsmäßig geplante umfassende Vorbereitung der Jubiläen in diesem und im nächsten Jahr lassen keinen Zweifel daran, dass man weder Kosten noch Mühen scheuen wird, um eine perfekte Gehirnwäsche zu erreichen.“
„Verwahrlosung“ der Ostdeutschen
Statt „blühender Landschaften“ herrscht Enttäuschung. Auch die Nachricht, dass nun im Osten mehr Autos als im Westen fahren, mag nicht trösten. Und schon gar nicht die, dass in den Auslandseinsätzen der Bundeswehr überproportional viele junge Leute aus Ostdeutschland eingesetzt sind und sterben. Dabei werden die durch das kürzlich eingeweihte Bundeswehrdenkmal in Berlin immerhin mit geehrt, im Gegensatz zu den
NVA-Soldaten, deren Geschichte offensichtlich keine Rolle spielen darf. Der Theologe Friedrich Schorlemmer beklagte den „Kampf um die Deutungshoheit über die DDR“, der einer „Verschleierungs- und Verschiebungsdebatte“ führe, in einem Interview mit der Ostsee-Zeitung. Das hätte Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm besser gelesen, anstatt sich im Berliner Tagesspiegel zu der Forderung zu versteigen, der „Verwahrlosung“ der Ostdeutschen mit dem christlichen Glauben begegnen zu wollen. Vielleicht würde es ein bisschen Anerkennung schon tun, Arroganz jedoch polarisiert nur noch mehr.
Gerade jetzt, wo klar wird, dass auch der Kapitalismus gescheitert ist, braucht man den Verweis auf den „Unrechtsstaat DDR“ umso mehr. Darum gibt die Bundesrepublik auch viel Geld aus, um die Erinnerung daran lebendig zu halten. Neben der Bundesstiftung zur „Aufarbeitung der SED-Diktatur“, die sorgfältig prüft, welche Forschung sie fördert und welche nicht, richtet unter anderem auch Ministerpräsident Roland Koch über seine Landeszentrale für politische Bildung eine Stelle für eben diese Aufarbeitung ein. Welchem Zweck dient diese Fokussierung der DDR-Geschichte in Hessen? Wozu benötigt man den Verweis auf die Missstände anderswo?
20 Jahre Mauerfall
Was war geschehen? Das Ende der DDR zeugt von der Erkenntnis, was passieren kann, wenn eine grunddemokratische Bewegung, die ihr Land reformieren will, überrollt wird von „kapitalen“ Interessen – westlichen Wirtschaftsinteressen. Nicht nur Helmut Kohl war Ende der 80er Jahre politisch am Ende – manche erinnern sich noch an sein dilettantisches
Herumeiern um die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl – auch der Kapitalismus als System zeigte erste Risse, denn krebszellenartiges Wachstum verlangt stets nach mehr Konsum und Konsumenten.
Dämonisierung der DDR…
Welch ein Geschenk hat den beiden Hungrigen also die Bürgerbewegung der DDR gemacht, die montagabendlich für Veränderungen auf die Straße ging?! Dass die um echte Demokratie kämpften, war dem „demokratieverwöhnten“ Westen eher Schnuppe. Zu viele waren in der BRD daran gewöhnt, dass echte Mitsprache gegen Konsumkraft eingetauscht worden war.
Man hätte Deutschland und durchaus das Volk vereinigen können, wenn man nicht von Anfang an die Strategie verfolgt hätte, die DDR zu dämonisieren – weit über die kritikwürdigen Fakten hinaus. So konnte man das eigene Tun verschleiern oder gegebenenfalls gar idealisieren: Die Einführung der D-Mark wurde als humanitärer Akt verkauft und nicht als Beginn der Übernahme und des Ausverkaufs der DDR, die immerhin eine Währung besaß, deren Wert mittels Gold weitestgehend gedeckt war.
…und ihre Abwicklung
Der Mord an Treuhandchef Rohwedder muss in diesem Kontext gesehen werden. Wolfgang Schorlau scheint in seinem Kriminalroman „Blaue Liste“ die möglichen Hintergründe realistischer zu beschreiben, als die damalige Berichterstattung – sein Schicksal gehört sowieso nicht zu den Aufarbeitungsprogrammen der DDR-Abwicklung. Kredite gab es nach der Wende vornehmlich für Wessis. So konnte etwa der Kreisbaubetrieb Altenburg nur einen solchen erhalten, indem man einen Wessi mit der Geschäftsführung beauftragte. Damit war klar, wem die Ostbetriebe, das gesamte als „Volkseigentum“ bezeichnete Staatseigentum und auch der Löwenanteil des Solidarzuschlags zufallen würden. Heute sind 85 Prozent des sog. Volkseigentums der DDR in Besitz bundesdeutscher Unternehmen, 10 Prozent in der Hand ausländischer Unternehmen und ganze fünf Prozent sind Eigentum Ostdeutscher.
Cartoon: Kostas Koufogiorgos
Die meisten Ostdeutschen können ihren Kindern also weder etwas Materielles noch etwas Ideelles vererben, allenfalls das Gefühl „Bürger zweiter Klasse“ zu sein und ohne erwähnenswerte Geschichte. Edgar Most, Vizepräsident der DDR-Staatsbank und heute der Deutschen Bank zugehörig, entlarvt die Mär vom Staatsbankrott der DDR und verweist auf den aktiven Abwicklungsprozess der DDR-Wirtschaft nach dem Mord an Treuhandchef Rohwedder. Während Most zunächst dachte, das Ruinieren der DDR-Wirtschaft, die sich 1989 noch auf dem Niveau von Italien, England und Griechenland befand, sei aus Dummheit geschehen, ist er auf Grund seiner Erfahrungen der letzten Jahrzehnte zur Einsicht gekommen, dass alles nach Plan geschah. Heute kann man derlei Informationen in der Jungen Welt, dem ehemaligen FDJ-Blatt finden. Aber wer glaubt im Westen einer
solchen Zeitung schon, die wie das „SED-Zentralorgan“ Neues Deutschland auch 20 Jahre nach der sog. Einheit noch diskreditiert wird. Wer sie liest, weiß auch warum.
Herrschaftsdiskurs
Mit dem Verschweigen wichtiger Informationen, konnte man – zumindest im Westen – den Mythos von der Solidarität mittels Solidarzuschlag als netten Bonus für die „armen Ossis“ aufrecht erhalten. Dieser bewirkt bis heute, dass viele Menschen im Westen wenig Verständnis für die Desillusionierten im Osten aufbringen können. Dem Unterlegenen hört man folglich auch nicht zu, was er zu berichten hat – man etikettiert ihn als „Ostalgiker“, den man nicht ernst nehmen müsse. Damit bleibt der Stachel immerwährender Teilung, der ein Gefühl der Gleichwertigkeit nicht nur politisch ausschließt.
Direkt nach der Grenzöffnung setzte die Interpretation durch unsere Medien das fort, was sie gewohnt waren: den stets negativen Blick nach Osten, wo es genügend negative Funde gab – nicht nur die Stasi. Durch dieses Framing konnte man die anderen Funde leicht ignorieren, weil man sie nicht gewohnt war zur Kenntnis zu nehmen. Das „menschenverachtende System der DDR“ wurde uns mittels ausgewählter Bilder aus dem Osten plausibel gemacht: da wurden uns schreckliche Bilder von Bitterfeld gezeigt und suggeriert, dass das „die“ DDR ausgemacht hätte.
Mit Fakten lügen
Ein anschauliches Beispiel, wie man mit Fakten lügen kann: für einen Wessi, der aus einem Braunkohleabbaugebiet kommt, dessen Tagebau vielen Dörfern und alten Menschen das Leben gekostet hat, der die Chemiekonzerne in Leverkusen und Ludwigshafen kennt, waren die Bilder aus Bitterfeld wenig überzeugend, weil zu wenig exklusiv. Gerade die Ökobilanz von Ost und West hätte einen Blick gelohnt, denn wenn die Entwicklung des superenergiesparenden Kühlschranks der A-Klasse bedeutet, dass man binnen 40 Jahren mindestens drei Geräte entsorgen musste, dann kam der Westen hier im Vergleich zur DDR gar nicht so gut weg. Auch das Sammeln von Sekundärrohstoffen (Plastik, Papier etc.) und das Flaschenpfandsystem für Milchprodukte (mit lediglich unterschiedlichen Deckelfarben für Milch, Joghurt und Sahne) wären aus ökologischer Sicht eine Revision wert – aber natürlich nicht in einem Land, wo das Müllgeschäft zu einem Wirtschaftsfaktor mit Wachstums“erfolgen“ geworden ist und Wachstum völlig wertfrei vom Inhalt positiv verbucht wird.
Aber wer war und ist schon an ehrlichen Vergleichen interessiert. Wer etwa heute die Manipulationen durch Medienberichterstattung kritisch verfolgt, wird sich bewusst, dass mit dem Verweis auf das „Staatsfernsehen“ der DDR vielleicht sogar ein Vorteil beschrieben wird. Die Erwartung, dass unsere Medien frei und unabhängig wären, hat schon so manchen dazu verleitet, die Inhalte ungeprüft zu glauben. Walter van Rossums Büchlein „Die Tagesshow“ legt aber gnadenlos offen, dass unsere Nachrichtensendungen offensichtlich eher den Zweck erfüllen, uns zu sagen, woNACH wir uns RICHTEN sollen und so ganz nebenbei noch staatskonforme Sprachregelungen einführen. Die Dichotomie „DIE machen Propaganda, WIR informieren“ ging noch nie und geht auch heute nicht auf.
Herrschaftspolitik
Dass zudem KEINE politische Klasse an echter Demokratie interessiert ist, sieht man an der fehlenden Bereitschaft, die vorhandenen direktdemokratischen Elemente der deutschen Verfassung auch umzusetzen. Denn in dieser ist die Aufforderung enthalten, die politische Kultur zu befördern – das Gegenteil also, von dem was geschieht und was man als „Politikverdrossenheit“ gerne dem Bürger alleine anlastet. Warum die politische Klasse direkte Abstimmungen nicht befördern mag, kann man an einigen Beispielthemen gut nachvollziehen: Die Mehrheit im vereinigten Deutschland will die Militarisierung und die Kriege nicht. Da aber der Konsum über dem Recht steht, sind diese eben inklusiv. Sie sichern Ressourcen und wirtschaftliche Einflusssphären. Ohne Soldaten wird bald kein Ausrauben der Meere und fremder Länder mehr möglich sein, denn die Menschen dort
beginnen sich zu wehren. Um sie weiterhin zu unterdrücken, brauchen wir kein kommunistisches Regime und auch keine sonstige Diktatur zu sein. Nur eine wirkliche Demokratie können wir uns auf dieser Grundlage eben auch nicht leisten – so will es der wirtschaftlich-politische Komplex, der uns beherrscht. Und der installiert ganz neue Kontrollsysteme mit neuester Technik, die einer Stasi noch gar nicht zur Verfügung stand – wie dies Ilja Trojanow und Juli Zeh in ihrem Buch „Angriff auf die Freiheit“ beschreiben.
Von eigenen Fehlentwicklungen ablenken
Da immer mehr Menschen durchschauen, dass unsere Politik zusehends unglaubwürdiger wird, ist es gut, dass es die DDR gab. Denn die braucht man, um von den eigenen Fehlentwicklungen abzulenken. Die Exporte der rechtsradikalen Köpfe aus dem Westen in den Osten und der dort geschaffene Nährboden für radikales Gedankengut angesichts des Raubs von Land, Ressourcen, Geschichte und einem eigenen Wertgefühl wird gerne
ignoriert. Stattdessen wird die wachsende rechte Szene im Osten als ein direkt aus der DDR resultierendes Problem ausgemacht – wie so viele andere Probleme auch. Als kürzlich in einem Dresdner Gerichtssaal eine ägyptische Zeugin von einem russlanddeutschen Moslemhasser ermordet wurde, war man schnell zur Stelle, den Islamhass als Problem nach Russland oder aber mindestens nach Ostdeutschland zu verlagern – eine beliebte westdeutsche Übung, die etwa auch im Zusammenhang mit der Ermordung von Kleinkindern einmal den Weg in die Medien fand. Dieser selbstidealisierende Reflex zeugt nicht nur davon, dass man sich nicht als Ganzes empfindet, sondern mental Deutschland stets in Ost und West einteilt – er hilft, dass
Probleme „verortet“, aber nicht angegangen werden.
„Verdiente Kronzeugen“
Der heruntergewirtschaftete Osten von Kreditnehmern aus dem Westen scheint die ideale Projektionsfläche für alle möglichen Probleme zu bilden. Als hätte es die 20 Jahre gemeinsame Geschichte und die Polarisierungen seither nicht gegeben. Um die Mythen zu festigen gibt es zudem „verdiente Kronzeugen“ wie Vera Lengsfeld, Freya Klier, Heidi Bohley und Angela Merkel. Die Köpfe der demokratischen Bewegung, die Gründer des
Demokratischen Aufbruch, des Forums 22 u.a. leben heute im fernen Ausland: Chile, Griechenland, Australien und Bärbel Bohley in Kroatien. Wenige Aufrichtige sind geblieben und ertragen die Umdeutungen oder versuchen gar, etwas dagegen zu stellen – mit mäßigem Erfolg. Dabei wäre es dringend an der Zeit, die Geflohenen zu fragen, warum sie dem angeblich angestrebten Zustand den Rücken gekehrt haben. Natürlich galten sie unter ihren Landsleuten zunächst als Verräter. Aber ist es wirklich unmöglich, glaubhaft zu machen, dass man die DDR reformieren und nicht abschaffen wollte? Nun, sie hätten es nicht leicht, wenn demgegenüber mit viel Geld und Aufwand Ausstellungen auf dem Alexanderplatz in Berlin realisiert werden, die jeder Friedenstaube in der DDR den Impetus der „Regimegegnerschaft“ verleihen. Auch die heutige Friedensbewegung könnte einmal so umgedeutet werden, dabei trifft auf sie das gleiche zu, wie auf die Reformer in der DDR – man beruft sich auf die eigenen Grundsätze und will sie verwirklicht sehen.
Rettung des Grundgesetzes
Auch darum ist es wichtig, eine ehrliche Aufarbeitung der Geschichte anzustreben: Zu einer ehrlichen Erinnerungs- und Gedenkkultur würde es auch gehören, die berühmt gewordenen Worte des damaligen Vorsitzenden der KPD, Max Reimann, nicht verschämt unter den Teppich der Geschichte der Bundesrepublik kehren. zu wollen: „Wir unterschreiben nicht! Es wird jedoch der Tag kommen, wo die Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben.“ (Hans Fricke)
„Unser Grundgesetz ist grob beschädigt“, schreibt Jörg Becker in seiner Bestandsaufnahme nach 60 Jahren. Nicht nur, dass man es zur Wendezeit nicht gemäß Art. 146 unter Beteiligung des ganzen Volkes angenommen oder gar in Richtung mehr Demokratie verändert hätte – Vorschläge zur Verankerung von mehr sozialen Grundrechten lagen auf dem Runden Tisch, wie Karin Nungeßer in der aktuellen Ausgabe vom „FrauenRat“ anmerkt. Bereits vor dem „Anschluss“ der DDR hat eine sukzessive Stärkung staatlicher Gewalt und die Schwächung der demokratischen Mitsprache des Einzelnen stattgefunden, obwohl Möglichkeiten zu Volksentscheiden nach wie vor enthalten sind. Wie in Krisenzeiten Kontrollgesetzgebungen entstehen, die nachher nicht mehr zurückgebaut werden, dafür stehen die Notstandsgesetze der 68er exemplarisch. Und während heute die Implementierung von Kriegsrecht, eines Feindstrafrechts sowie weiterer Elemente in Richtung Überwachungsstaat unser Grundgesetz bedrohen, will und sollte man es gegenüber einem noch viel undemokratischeren Lissabon-Vertrag verteidigen, so Jörg Becker. Denn dieser gibt bereits in Bezug auf die Wirtschaftsweise eine klare neoliberale Ordnung vor, wohingegen das Grundgesetz, bei allen Angriffen und Mängeln auf Grund seiner Missbrauchsgeschichte, es wert wäre, umgesetzt zu werden. Auch seine Unterordnung unters Völkerrecht gilt es wieder herzustellen.
In diesem Kontext wird ganz deutlich, wie der Verweis auf den „Unrechtsstaat DDR“ hilft, die unsoziale, neoliberale und auch militaristische Entwicklung des heutigen Deutschland zu verschleiern. Die riesige Baustelle für den neuen Bundesnachrichtendienst, wie unser Geheimdienst heißt, in Berlin Mitte spricht Bände – die Pläne des Innenministeriums zur Ausweitung der Kompetenzbereiche des Verfassungsschutzes auch. Man hätte so manche weitsichtige Aussage damaliger Zeitzeugen beim „Grenzdurchbruch“ (Film von 1989) ernster nehmen sollen.
Dass in Berlin ein Denkmal ausschließlich für Soldaten und nicht etwa für THW- und Rot-Kreuz-Mitarbeiter, Polizisten oder die Feuerwehr eingeweiht wurde, zeigt mehr als deutlich, wohin die Reise heute gehen soll. Es ist ein Mahnmal für uns alle und schreit förmlich nach Widerstand – aller! (PK)
Dr. Sabine Schiffer ist Gründerin und Leiterin des Instituts für Medienverantwortung, Goethestr. 6, 91054 Erlangen -
www.medienverantwortung.de
Hans Fricke ist Autor des im August 2008 im Berliner Verlag am Park erschienenen Buches „Politische Justiz, Sozialabbau, Sicherheitswahn und Krieg!“, 383 Seiten, Preis 19,90 Euro, ISBN 978-3-89793-155-8
Online-Flyer Nr. 219 vom 14.10.2009
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