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Aktueller Online-Flyer vom 23. April 2024  

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Inland
Ehemalige Attac-Bundesgeschäftsführerin auf Platz 1 für DIE LINKE in Hessen
Interview mit Sabine Leidig
Von Manfred Giebenhain

Die Partei Die Linke hat ein neues prominentes Gesicht. Sabine Leidig (48), bisher Bundesgeschäftsführerin von Attac Deutschland, kandidiert auf dem ersten Listenplatz der Genossen in Hessen. Der Einzug in den Bundestag gilt damit als relativ sicher. Unser Hessen-Korrespondent Manfred Giebenhain hat sich mit der gelernten Biologielaborantin und früheren Regionalvorsitzenden des DGB Mittelbaden über ihre politische Vergangenheit, Ziele und Pläne unterhalten.

Nach 30 Jahren außerparlamentarische
Arbeit jetzt in den Bundestag
Foto: Manfr5ed Giebenhain
Manfred Giebenhain: Nach mehr als 30 Jahren außerparlamentarische politische Arbeit wollen Sie jetzt in den Bundestag wechseln, warum?
 
Sabine Leidig: Weil ich gefragt und gebeten worden bin. Wichtiger war, dass gerade in der Weltwirtschaftskrise die parlamentarische Politik wieder in die Offensive kommen kann. In den nächsten Jahren muss die Politik wieder über die Wirtschaft bestimmen. Außerdem finde ich das auch für mich persönlich einen spannenden Entwicklungsschritt.
 
Lässt sich im Parlament mehr bewegen als draußen?
 
Das würde ich so nicht sagen. Die außerparlamentarischen Kräfte und Aktionen sind entscheidend dafür, was im Parlament umgesetzt werden kann. Ich kandidiere, weil ich will, dass im Bundestag viel davon ankommt; dass sich die Richtung ändert, dass dieses „Tigerreiten“ (wir flankieren ein bisschen den entfesselten Kapitalismus und schauen, wer ihn noch mehr auf Trab bringt) der letzten 20 Jahren durchbrochen wird.
 
Sie sind erst kürzlich den Linken beigetreten. Haben Sie vorher schon einmal einer Partei angehört?
 
Ich war von 1982 bis 1991 Mitglied der DKP. Seither bin ich parteilos gewesen bis vor wenigen Wochen.
 
Was hat Sie bewogen, aus der DKP auszutreten?
 
Der ganze Blick auf den real existierenden Sozialismus ist nach Tschernobyl und dem Mauerfall 1989 ein anderer geworden. Beides hat zu Enttäuschungen und Ernüchterung geführt. Die Partei hat sich ebenfalls verändert - auch weil viele gegangen sind.
 
Wie kommt man auf Listenplatz 1 der Linken in Hessen?
 
Es gab zwar keine Einigkeit und deshalb keine Empfehlung vom Landesvorstand, aber ich bin mit klarer Mehrheit bei der Landesdelegiertenkonferenz gewählt worden. Auf einem hinteren Listenplatz hätte ich nicht kandidiert. Ich wollte das politische Signal: Die Linke gibt der Attac-Geschäftsführerin den ersten Platz.
 
Haben Sie bei Attac gekündigt?
 
Nein. Aber ich bin nicht mehr Geschäftsführerin und werde nicht mehr bezahlt, wenn ich in den Bundestag komme. Aber ich könnte theoretisch zurückkommen. Das ist üblich nach den demokratischen Spielregeln.
 
Werden Sie dennoch weiter für Attac tätig sein?
 
Ich werde ehrenamtlich bei Attac mitmachen und die vielen Kontakte und Verbindungen fortsetzen. Darüber hinaus möchte ich gemeinsame Projekte voranbringen, wie es zum Beispiel mit der Bahnkampagne gelungen ist, in der Attac, der BUND, Gewerkschaften Experten u.a. zusammen gearbeitet haben.
 
Und Sie haben keine Bedenken, dass die Linken prominente Kämpfer wie Sie aus der außerparlamentarischen Arbeit vor ihren Karren spannen?
 
Das ist kein funktionelles Verhältnis. Es war schließlich meine freie Entscheidung, zu kandidieren. Im Gegenteil, es gibt große Überschneidungen. Im Bereich Wirtschaft und Finanzen sind alle relevanten Forderungen, die Attac entwickelt hat, im Programm wieder zu finden.
 
Ist die Linke im Kommen?
 
Aber ja. Die ist Partei noch sehr jung und geprägt von unterschiedlichen Kulturen. Es stoßen viele neue (und oft politisch unerfahrene) Menschen dazu. Da ist ein großes Potenzial. Und dass in einer so jungen Partei auch Leute sind, die ihr eigenes Süppchen kochen wollen, dürfte normal sein. Auch bei Attac hat es ein paar Jahre gedauert, bis klar war, dass nicht jeder Selbstdarsteller da sein Podium findet. Derzeit muss sich vieles in der gemeinsamen Arbeit noch entwickeln, aber ich bin sicher, dass die Linke in zwei, drei Jahren schon viel „runder läuft“.
 
Die Linke, eher ein Sammelbecken der Unzufriedenen?
 
Natürlich sind Leute darunter, die unzufrieden mit den Verhältnissen sind oder die in der SPD keine Heimat mehr haben. Ich sehe darin eine Triebkraft, die zu Veränderungen führt. Für mich ist Unzufriedenheit mit schlechten Verhältnissen etwas Positives.
 
Was müsste passieren, dass Sie wieder austreten?
 
Da kann ich mir viele Gründe vorstellen. Inhaltliche, wenn sich Orientierungen etablieren würden, die sich von der Kritik des Kapitalismus weg bewegen würden. Da sehe ich aber derzeit keine Gefahr. Wichtig sind auch die Fragen der politischen Kultur: Wie gehen wir miteinander um und mit den Menschen, mit denen wir zu tun haben? Man kann nicht Politik für Menschen machen, wenn man sich selbst unmenschlich verhält.
 
Wie kommen Sie mit dem Führungsstiel von Oskar Lafontaine klar?
 
Oskar Lafontaine hat natürlich eine bestimmte politische Kultur. Die kommt mir aus den Gewerkschaften bekannt vor und ich bin zuversichtlich, dass wir uns miteinander arrangieren.
 
Die Linke ist in einem Punkt mit der SPD einig: Vorerst keine Koalition auf Bundesebene. Warum?
 
Da ist der Bundewehreinsatz in Afghanistan, der unvereinbar ist mit der Position der Linken. Dann natürlich Hartz IV und noch einige andere Dinge, die zurzeit nicht zusammenpassen. Im Kern fehlt bei der SPD die kritische Aufarbeitung der Agenda 2010-Politik.
 
Stichwort Aufarbeitung: Hat die Linke, die einige Umbenennungen zurückgerechnet, ihre Wurzeln in der SED hat, sich damit ausreichend und glaubwürdig auseinander gesetzt?
 
Ich kenne keine Partei, die so intensiv Vergangenheitsbewältigung betrieben hat wie die PDS. Es gibt eine ganz klare Abkehr von der stalinistischen Prägung des Sozialismus.
 
Nehmen die Bürger Ihnen dies ab?
 
Sehen Sie, ich erlebe, wenn auf Veranstaltungen CDU-Vertreter versuchen, mich in eine kommunistische Ecke zu stellen, verdrehen viele im Publikum die Augen. Das zieht nicht mehr. Es ist kein Zufall, dass Roland Koch empfohlen hat, dieses Mal auf die Rote-Socken-Kampagne zu verzichten. Die Leute haben mehrheitlich festgestellt, dass es sich dabei um ein Ablenkungsmanöver von den Sachthemen handelt.
 
Wie könnte die Regierungsbildung außer Schwarz-Gelb denn noch aussehen?
 
Ich fürchte, dass die SPD wieder auf die Große Koalition zusteuert. Auch in Gewerkschaftskreisen hofft man, dass es dann nicht so schlimm wird mit dem Sozialabbau.
 
Haben Sie eine andere Empfehlung?
 
Meine Taktik wäre, in Kauf zu nehmen, dass die SPD in die Opposition geht. Damit würden wir vier Jahre später wahrscheinlich ein starkes linkes Lager haben, das einen echten Politikwechsel zustande bringt. Bis dahin könnte unter diesen Bedingungen so viel außerparlamentarischer Druck entfaltet werden (vor allem mit den Gewerkschaften), dass auch Schwarz-Gelb vieles nicht durchziehen könnte, was sie in den Schubladen haben.
 
Wie viel Prozent muss die Linke einfahren, dass dieses Gegengewicht entstehen kann?
 
Je mehr desto besser. Je stärker die Linke wird, desto größer werden die „Beißhemmungen“ der Regierung sein, soziale Verhältnisse zu verschlechtern. Und desto mehr wird die gesellschaftliche Linke als Ganzes gestärkt, die ja vielfältiger ist, als die Partei.
 
Wo werden Sie ihren Arbeitsschwerpunkt im Parlament setzen?
 
Ich will mich um politische Ökonomie kümmern und kann mir gut vorstellen, in die Verkehrspolitik einzusteigen. Am Beispiel Ausbau von öffentlichem Schienenverkehr und Rückbau von Straßenverkehr, könnten zentrale Weichenstellungen konkretisiert werden: industriepolitische Alternativen, ökologischer Umbau und demokratische Gestaltung eines wichtigen Sektors, nah am Alltagsleben...
 
Und welchem Ziel werden Sie sich als erstes widmen?
 
Zum oben genannten Themenfeld engagierte Leute zusammen bringen und an verschiedenen Stellen „Funken schlagen“. (PK)

Online-Flyer Nr. 216  vom 23.09.2009

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