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Aktueller Online-Flyer vom 19. August 2025  

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Lokales
Kölner Appell zur jüngsten Anti-Nazi-Demo
"Gute Deutsche" und "Andersartige"
Von Peter Dippoldsmann und Regine Wittram

Der Kölner Appell gegen Rassismus arbeitet gegen rassistische, antisemitische und nationalistische Ausgrenzung von Menschen. Deshalb hatte er zu einer Demonstration am 4. März gegen den Aufmarsch von Neo-Nazis und anderen Rechtsextremen aufgerufen. Wir dokumentieren die Rede zur Demo. Die Redaktion

Letztes Jahr war der 60. Jahrestag der Befreiung vom Naziregime. Es ist wichtig, sich klar zu machen, wie es zum Faschismus kommen konnte, wenn wir aus der Geschichte lernen wollen, dass so etwas nie wieder geschieht. Ein wichtiger Punkt aus den Erfahrungen des Nazi-Regimes ist:

Wir müssen uns dagegen wehren, dass Menschen

o rechtlos gemacht werden,

o ihnen grundlegende Rechte wie z.B. die Religionsfreiheit und gleiche Lebensmöglichkeiten aberkannt werden,

o dass sie in Menschen erster und zweiter Klasse,

o in Herren- und - Untermenschen

o in gute Deutsche und angeblich Andersartige,

o in nützliche und unnütze Menschen eingeteilt werden.

Wir müssen uns heute gegen solche Entwicklungen wehren, um nicht - wie unsere Eltern oder Großeltern - zu Mittätern zu werden.

Was ist rassistische und antisemitische Ausgrenzung, Entrechtlichung und Entwürdigung von Menschen?

1) In der Sömmeringstr. hier in Ehrenfeld wurde ein Friseur von Nazis ermordet. Das war 1938 in der Reichspogromnacht. Die Synagogen wurden abgebrannt und Menschen jüdischen Glau-bens wurden ermordet. Lange bevor der Friseur ermordet wurde, war der individuelle Mensch, der hier in Ehrenfeld seinen Lebensunterhalt als Friseur verdiente, durch den schrittweisen Entzug von Bürgerrechten rechtlos gemacht worden. Und das Individuum Friseur war von der Deutschen Volksgemeinschaft zum - das übermächtige Böse darstellenden - abstrakten Juden gemacht worden. Der Jude war für vogelfrei erklärt worden. Das endete mit der industriellen Ermordung der Juden in den Vernichtungslagern.

Eine Konsequenz, nach der Befreiung vom Nazi-Regime war u.a. das grundgesetzliche Verbot von Nazi-Organisationen und das Verbot, Menschen wegen ihres Geschlechts, ihrer Abstam-mung, ihrer Sprache, ihrer Heimat und Herkunft, ihres Glaubens, ihrer religiösen oder politi-schen Anschauungen oder ihrer Behinderung abzuwerten oder zu verfolgen.

Die Politik der Entrechtlichung und Sortierung

o in gute Deutsche und angeblich Andersartige,

o in Herren- und Untermenschen

wird von den Neonazis oder auch von Pro Köln weiter betrieben - wie Pro Köln auf Flugblät-tern hier in Ehrenfeld verbreitet hat.

2) Das zweite Beispiel ist der Karikaturenstreit.

In der öffentlichen Debatte ist in unerträglicher Weise das Hohelied auf die gute westliche Zi-vilisation gegenüber dem bösen, unzivilisierten Islam gesungen worden: Hier aufgeklärte Mei-nungs- und Pressefreiheit, dort dumpfes Mittelalter.

Ebenso unerträglich ist, wenn in der islamischen Welt politisch-fundamentalistische Kräfte und Herrschaftscliquen die Karikaturen für gewalttätige Auseinandersetzungen ebenfalls instru-mentalisieren.

Ein friedvolles Zusammenleben der Vielfalt menschlicher Lebenswelten braucht

o Verzicht auf Gewalt gegeneinander,

o die Toleranz, d.h. die Anerkennung des unterschiedlichen Anderen,

o die Wahrung der Rechte anderer,

o die Akzeptanz der Gleichheit als Menschen,

o die Achtung des Andersgläubigen.

Zu dieser Achtung des Andersgläubigen gehört auch,

o die durch das Grundgesetz garantierte Trennung von Religion und Staat, die Wertneutralität des Staates in religiösen Fragen,

o die Anerkennung, dass religiöse Tabus wie z.B. das Bilderverbot, das es ja in allen drei Of-fenbarungsreligionen, der jüdischen, der christlichen und der islamischen Religion gibt, nur Gültigkeit für die jeweils Gläubigen und nicht für die Anders- oder Nichtgläubigen hat und

o dass Religionen im Rahmen der Meinungs- und Pressefreiheit mit öffentlicher Kritik, Aus-einandersetzung und Infragestellung leben müssen.

Meinungs- und Pressefreiheit sind aber keine uneingeschränkten Freiheiten. Beleidigung und üble Nachrede können strafrechtlich verfolgt werden; die "Auschwitzlüge" ist unter Strafe ge-stellt, ebenso die Volksverhetzung.

Warum sind diese Karikaturen entstanden?

Die dänische Zeitung Jyllands-Posten ist dem äußerst rechten Spektrum zuzurechnen. Diese Schreibtischtäter haben mit Bedacht und Bosheit die Karikaturen in die Welt gesetzt. Sie zielten auf die rassistische Herabsetzung einer ganzen Bevölkerungsgruppe, um die anti-moslemische Polarisierung in Dänemark voranzubringen.

Die Herstellung rassistischer oder antisemitischer Vorurteile bedient sich des immer gleichen Schemas:

Unterschiedliche Menschen werden zu einer einzigen Person zusammengefasst - aus Iren wird der Ire, aus Italienern der Italiener, aus Juden, zu denen der Ehrenfelder Friseur gehörte, der Jude, aus den Menschen muslimischen Glaubens der Moslem.

Die auf ein einziges Individuum reduzierte Vielheit unterschiedlicher Menschen erhält dann noch eine Eigenschaft verpasst, und dann hat man das Klischee vom versoffenen Iren, mafiosen Italie-ner, geldgierigen Juden, und nun vom gefährlichen Moslem.

Dieser Rassismus, der sich inzwischen in vielen Köpfen festgesetzt hat, ist genau das Feuer, auf dem Neo-Nazis und Rechtsextreme aller Couleur und Nationalität ihr braunes Süppchen kochen. Dazu gehört die Forderung der Neo-Nazi, den Moscheebau zu stoppen, also unseren MitbürgerIn-nen muslimischen Glaubens, das Recht auf Ausübung ihrer Religion in einem angemessenen Rahmen abzusprechen, wie es den Christen fraglos zugestanden ist.

Die andere Forderung der Neo-Nazis ist Multi-Kulti stoppen, d.h. Deutschland den Deutschen. Dies bedeutet die Hackordnung entlang von Blut und Boden, von Volk und Nation festzulegen.

Schon jetzt gibt es in der BRD die Stufenleiter

o von verwertbaren und nicht verwertbaren Deutschen,

o über nützliche und unnütze MigrantInnen,

o zu den AsylbewerberInnen

o bis hin zu den Papierlosen oder sog. Illegalen ganz unten.

Rassistische Ausgrenzung ist ein vieles mehr an sozialer Ausgrenzung, als jeder Bundesdeutsche erfahren kann. Rassistische Ausgrenzung heißt, Menschen wegen ihrer Herkunft aus anderen Ländern als Menschen zweiter Klasse zu behandeln, nur weil sie nicht aus der reichen westlichen Welt kommen und möglicherweise etwas anders als die Eingeborenen der Bundesrepublik ausse-hen.

o Sie dürfen nicht wählen und viele dürfen nicht arbeiten.

o Viele erhalten noch nicht einmal das, was für Bundesdeutsche als Existenzminimum gilt und erhalten nur eine mindere oder gar keine medizinische Versorgung.

o Viele erhalten keinen gesicherten Aufenthaltsstatus und müssen von Monat zu Monat in Angst leben, was mit ihnen weiter passiert. Zunehmend weniger Menschen erhalten Asyl.

o Zunehmend mehr MigrantInnen werden in menschenunwürdigen Lagern wie in Bramsche in Westfalen untergebracht, isoliert, fern ab von Ortschaften im Wald, bewacht, ohne richtige Er-nährung und Gesundheitsversorgung, ohne Möglichkeiten am normalen Leben teilzunehmen oder auch nur ihre Kinder zur Schule schicken zu können.

o Es wird brutal abgeschoben. Die nach dem Grundgesetz angeblich besonders geschützten Familien werden rücksichtslos auseinander gerissen. Kinder werden von ihren Eltern getrennt.

o Es wird in Kauf genommen, dass die Abgeschobenen in ihren Heimatländern gefoltert und schlimmstenfalls auch ermordet werden.

o Tausende von Toten sind das Ergebnis der Todesgrenzen der EU im Mittelmeer oder an der Ostgrenze.

o Durch Lager außerhalb der EU-Grenzen, z.B. in Lybien oder Marokko, sollen die Mauern der Festung Europa undurchdringlich gemacht werden. Die MigrantInnen werden dort rechtlos gehalten. Es ist geplant, dass sie bestenfalls kurzfristig als Manövriermasse für europäische Wirtschaftsinteressen angefordert werden können. Nach ihrer Verwertung sollen sie dann so-fort wieder abgeschoben werden.

o Die von einigen Bundesländern entwickelten Fragebögen verbinden die Erlangung der Staats-bürgerschaft mit Gesinnungsschnüffelei und entwürdigenden rassistischen Unterstellungen.

Bei vielen Menschen hat sich die rassistische Parole, Multi-Kulti stoppen, also "Deutsche zuerst" im Kopf festgesetzt.

Arbeitslosigkeit oder erst gar keinen Arbeitsplatz zu bekommen, krank zu werden und das zum Leben notwendige Geld nicht mehr zu verdienen, als überflüssig deklariert zu werden - macht Angst, verunsichert und verursacht Ärger im Bauch. Mann und Frau fühlen sich ungerecht behan-delt und fragen sich, wie das geändert werden kann.

Die wahren Verursacher von Arbeitslosigkeit und Existenzangst sind die, wie der Chef der Deut-schen Bank, die mit einem bürokratischen Federstrich 16.000 Menschen die Arbeit nehmen, damit die Börsenkurse boomen. Oder die Politiker, die z.B. mit Arbeitszeitverlängerung, Rente mit 67, Sozialabbau und Privatisierungen tausende ArbeitnehmerInnen weiter arbeitslos und überflüssig machen wollen.

Jeder Mensch fühlt, dass es ungerecht und nicht in Ordnung ist, wenn der Stärkere den Schwäche-ren fertig macht. Das passiert aber, wenn der ganze Ärger im Bauch nicht gegen die Verantwortli-chen in Politik und Wirtschaft gerichtet wird, sondern gegen unsere MitbürgerInnen ausländischer Herkunft, seien es MigrantInnen oder Flüchtlinge, weil sie die Schwächeren sind.

Solidarisch sein heißt, ihre Probleme auch als die eigenen zu begreifen, sich nicht nach Herkunft, Geschlecht oder Religion, nach Blut und Boden, Volk oder Nation auseinanderdividieren zu lassen.

Rechtsextreme und Neonazis, deutschtümelnde und rassistische Politik à la "Multi-Kulti stoppen" oder "Arbeit nur für Deutsche" bedeutet auch nichts weiter als die Fortsetzung der Verwertung der Arbeitskräfte, dann eben nur der deutschen Arbeitskräfte, im Profitinteresse und auf immer niedrigerem Niveau. Existenzsichernde und menschenwürdige Arbeitsplätze und Lebensperspek-tiven entstehen dadurch nicht.

Rechtsradikale Lösungsansätze sind das Gegenteil einer menschenwürdigen Perspektive für alle Menschen. Neo-Nazis und Rechtsextreme verstoßen gegen jede Grundregel menschlichen Zu-sammenlebens - nämlich dem anderen nichts anzutun, was man selbst nicht angetan bekommen möchte.

Während der Nazizeit gab es in Ehrenfeld Straßen, durch die die Nazis nicht zu marschieren wagten. Dies wollen wir mit demokratischen Mitteln auch heute erreichen.

Zum Schluss noch ein aktueller Hinweis:

Pro Köln, die dieselben Parolen verbreiten, wie die Neo-Nazis heute in Köln verbreiten wollen, will in den nächsten Wochen in großem Stil Flugblätter vor den Schulen verteilen, um gezielt junge Menschen für ihre braune Ideologie anzusprechen.

Auch dagegen müssen wir aktiv werden.

Online-Flyer Nr. 36  vom 21.03.2006

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