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Lokales
Ein Stück aus dem Mülheimer Tollhaus nun vor dem EU-Gerichtshof
„Ruhrbania“ und das Vergaberecht
Von Peter Kleinert

Vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg beginnt am 23. September um 9 Uhr die öffentliche Verhandlung "EU-Vergabekommission vs. Stadt Mülheim". Dabei geht es zunächst um den vergaberechtswidrigen Verkauf des Ruhrbania-Baufeldes 1 an die niederländische Investmentgesellschaft Reggeborgh, worüber sich die Wählergemeinschaft Mülheimer BürgerInitiativen (MBI) im April 2007 bei der EU-Wettbewerbskommission mit Erfolg beschwert hatte.

SPD-OB Dagmar Mühlenfeld
Quelle: www.ruhrbania.de
Zur Erinnerung: Ruhrbania, über das die NRhZ immer mal wieder berichten musste, ist das windige Prestigeprojekt von Mülheims SPD-Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld, das auch laut kritikloser Darstellung der lokalen Presse „steigende Lebensqualität in unserer Stadt am Fluss“ verspricht. WAZ-Überschrift im Mai 2004: „Mülheim mit Mut an der Ruhr“. Es geht dabei um ein teures "neues Stadtquartier" am Fluss mit Ruhrpromenade und Hafenbecken (einer Art Mini-Marina), Luxuswohnungen, Cafés, Büros, Geschäfte etc.
 
„Reggeborgh kassiert nur“
 
Die ursprüngliche MBI-Beschwerde „Wettbewerbs- und vergaberechtliche Bedenken beim EU-weiten Vergabeverfahren zur Übertragung von Gesellschaftsanteilen der „Ruhrbania-Projektentwicklungsgesellschaft mbH“ (RPG) Mülheim a.d. Ruhr“ vom 7. April 2007 bezog sich nur auf die Beteiligung der Firma Reggeborgh (inzwischen auch Condor Wessels) an der RPG. Lothar Reinhard, MBI-Fraktionsvorsitzender: „Dabei war etwas völlig anderes vereinbart worden als in der EU-Ausschreibung für die RPG-Beteiligung angegeben. Reggeborgh finanziert nämlich nichts vor, haftet auch für nichts und kassiert nur für angebliches Projektmanagement. Im Gegenzug für diese Großzügigkeit der Stadt verpflichtete sich der Investor, das Baufeld 1 irgendwie zu füllen, um Ruhrbania beginnen zu lassen. Von alldem war in der Ausschreibung keine Rede gewesen!“
 

Lothar Reinhard: „Ein dreistes Stück!“
NRhZ-Archiv
Laut MBI ergänzte die EU-Kommission in einem Schreiben vom 28. Februar 2008 noch den Punkt "Verkauf des Baufeldes 1 mit Bauverpflichtung", bei dem ebenfalls massive vergaberechtliche Bedenken bestehen. Reinhard: „Es war auch ein dreistes Stück, wie sich die Stadt Mülheim dabei im Herbst 2007 mit voller Absicht über bekannte Urteile des EuGH und des Oberlandesgerichts hinwegsetzte. Warum diese Gesetzlosigkeit?“
 
Baufeld 1 umfasst das inzwischen zerstörte Gartendenkmal der Ostruhranlagen (s. NRhZ 168 http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=13001) inclusive einiger ehemaliger Naturdenkmäler, ein Stück der damals noch im Verkehr befindlichen Ruhrstraße, einer Landesstraße als Hauptverkehrsstraße und den inzwischen abgerissenen Rathausneubau, in dem damals in der sogenannten "Teppichetage" außer Oberbürgermeisterin Mühlenfeld auch  alle Dezernenten der Stadt residierten.


Vergeblicher Bürgerprotest gegen Zerstörung des Gartendenkmals
NRhZ-Archiv
 
Lothar Reinhard: „All das musste zerstört werden, damit ein albernes Hafenbecken, Fachterminus “Wasserwanderrastplatz“, ein 5- oder 6-stöckiger Häuserblock - Art der Nutzung bis heute nicht wirklich geklärt - und das erste Stück "Ruhrpromenade" von weniger als 100 Metern Länge umgesetzt werden könnte. Man sieht also: Für relativ wenig musste sehr viel bestehende Infrastruktur erst einmal zerstört werden.“
 
Wäre das Baufeld 1 EU-weit ausgeschrieben worden, hätte man in der Ausschreibung auch konkreter angeben müssen, was auf dem Baufeld gebaut werden soll. Doch das wusste im Mülheimer Rathaus keine/r so richtig. Und: Investor Reggeborgh hätte womöglich den Zuschlag nicht bekommen. Dann wäre die gesamte RPG-Konstruktion hinfällig gewesen. Reinhard: „Man hatte also höllische Angst um die Realisierbarkeit von Ruhrbania, wie es eingestielt war! Der Stadt und ihren Bürgern hätte eine Ausschreibung womöglich aber sehr viel Geld und Trümmer erspart! Doch egal: Die MBI stellen fest: 
 

Sogar die grüne Umweltdezernentin Helga
Sander warb für “Ruhrbania“
Quelle:
www.ruhrbania.de
Um Ruhrbania unbedingt umzusetzen, hat die Stadt mit Brachialgewalt nicht nur alle Regeln seriöser Finanzierung und zeitgemäßen Umweltschutz außer Acht gelassen, sie hat sich auch noch sehr eigenmächtig über Recht und Gesetz gestellt nach dem Motto: "Der Zweck heiligt die Mittel". Selbst wenn die MBI den Zweck (die Ruhrpromenade) als sinnvoll ansähen (was die MBI von Beginn an nicht taten), könnten wir eine derartige Missachtung gesetzlicher Vorgaben nur aufs Schärfste ablehnen. Wenn ein privater Bauherr sich so verhalten würde, dann würde die Stadt ihn sanktionieren, ob mit Geldbuße oder Auflagen oder Abriss gesetzeswidriger Gebäudeteile! Und eine Kommune darf ihren Bürgern solche Gesetzlosigkeiten grundsätzlich nicht auch noch vormachen!“
 
„Rathaussanierung ebenfalls vergaberechtswidrig“
 
Möglicherweise könnte die EU-Vergabekommission am 23. September in den Prozess vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg noch ein weiteres Geschäft im Ruhrbania-Kontext einbringen, das nach Auffassung der MBI ebenfalls „eindeutig vergaberechtswidrig“ abgelaufen ist: die Sanierung des denkmalgeschützten Rathausaltbaus. Um die gesamten Vermarktungschancen von Ruhrbania Baufeld 1 und Baufeld 2 (die städtische Bücherei, die jetzt ebenfalls abgerissen wird) zu verbessern, wurde 2008 beschlossen, den Rathaus-Altbau im direkten Anschluss an die beiden Baufelder vollständig zu sanieren und umzugestalten. Kosten ca. 35 Millionen Euro. (s. NRhZ 203 http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=13924).
 

Historisches Rathaus – 40 Millionen 
nichtöffentlich durchgepeitscht
Quelle: www.muelheim-ruhr.de
Hätte die Stadt dies selbst gemacht, wäre alleine dadurch der Haushalt 2009 der Stadt Mülheim selbst auf dem Papier nicht mehr als ausgeglichen darzustellen gewesen. Bei dem dazu gehörenden Nothaushalt hätte die Aufsichtbehörde Investitionen insbesondere auch für Ruhrbania nicht mehr erlauben dürfen. Deshalb machte man eine Umwegfinanzierung, bei der die Stadt ihr Rathaus der Wohnungsbaugesellschaft SWB auf Erbbaurechtsbasis übertrug. SWB führt die Sanierung durch und kassiert 50 Jahre lang Miete, in der die Sanierungskosten enthalten sind. Diese Transaktion wurde als angebliches "inhouse"-Geschäft ohne Ausschreibung getätigt. Die MBI haben dieses Vorgehen in Frage gestellt, weil der SWB zu 50,1% Tochter der medl (Mülheimer EnergieDienstleistungs GmbH) ist, die ihrerseits zu 49% nichtstädtisch ist, weil sie RWE-Rhenag gehört. Das Rechtsamt behauptete, SWB sei wie eine 100%ige Tochter anzusehen, weil dort  nur die Stadt das Sagen habe und fast alle Ratsfraktionen nickten die Gesetzlosigkeit ab.
 
Als nun plötzlich in der letzten Mülheimer Stadtratssitzung vor den Kommunalwahlen neben der langfristigen "Miete" für das eigene Rathaus auch noch eine Bürgschaft von 40 Millionen Euro für die Rathaussanierung per Dringlichkeitsbeschluss nichtöffentlich durchgepeitscht wurde, schlugen die MBI Alarm und schrieben eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen ihre Oberbürgermeisterin (s. NRhZ 203 http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=13924).

Inwieweit die Rathausübertragung an die SWB, die nach Auffassung der MBI das EU-Vergaberecht ebenfalls eindeutig bricht, in das oben erwähnte Vergabeverfahren gegen die Stadt eingebracht werden wird, wird sich zeigen.
 
Die Firma Condor-Wessels alias Reggeborgh stellte übrigens vor 14 Tagen ihre neuen Pläne für Baufeld 1 vor: Man wolle jetzt dort kein Hotel mehr bauen, sondern ein Ärztehaus. Das bereits existierende und gut funktionierende Ärztehaus ein paar Meter weiter im Anbau des ehemaligen Stadtbades wurde dafür zwangsweise dort ausquartiert, um den nicht denkmalgeschützten Anbau abreißen zu können. (PK) 

Online-Flyer Nr. 209  vom 05.08.2009



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