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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Globales
Kriege, Krisen und Revolten entlang der historischen Seidenstraße (Teil II)
Twittern für die Uiguren
Von Wolfgang Effenberger

Nachdem die Vertreter der westlichen "freien und demokratischen Presse" die “grüne Revolution“ im Iran zugunsten des bewusst falsch als Reformer vorgestellen Mirhossein Mussawi vergeblich hochzujubeln versuchten, unterstützen sie nun - gemeinsam mit dem türkischen Ministerpräsidenten und NATO-Partner Recep Tayyip Erdogan, der von „einer Art Völkermord“ spricht - einen neuen “Aufstand“. Diesmal den der Uiguren im Westen Chinas. Unser Autor versucht, in diesem zweiteiligen Beitrag hinter die Kulissen zu schauen.- Die Redaktion
 

Vorsitzende des WUC und Stimme der 
Uiguren – Rebiya Kadeer
Quelle: http://blog.roodo.com/algerie
Nach Ansicht des Gouverneurs von Xinjiang, Nur Bekri, sind für die Unruhen in der Provinz Verbände der Exil-Uiguren verantwortlich – voran die in den USA beheimateten Organisationen wie "Uygur American Association" (UAA) sowie der "World Uyghur Congress" (WUC). Die Vorsitzende des WUC und Stimme der Uiguren – Rebiya Kadeer – lebt in Washington, während ihr Stellvertreter Asgar Can seit 1979 in München wirkt. Dorthin war er seinem älteren Bruder gefolgt, der in München als Mitarbeiter des amerikanischen Senders "Radio Free Europe" US-Propaganda machte. 1990 rief Asgar Can in München, inzwischen die weltgrößte uigurische Exil-Gemeinde, die Auslandsvertretung der Exil-Uiguren ins Leben. Als selbsternannter Vertreter des uigurischen Volkes muss sich Can – der seine Heimat nur aus Erzählungen kennt – "auf Berichte von Augenzeugen verlassen, die ihn oft über mehrere Zwischenstationen erreichen... "(1) Neben seiner beruflichen Tätigkeit im Sozialbürgerhaus des Münchener Stadtteils Milbertshofen führt Can ein Informationszentrum über die Situation der Uiguren.
 
Von Condoleezza Rice in die USA geholt
 
Als eine der reichsten Frauen Chinas – ihr Vermögen wird auf 28 Millionen Euro geschätzt – saß die Exil-Uigurin bis Ende der neunziger Jahre im chinesischen Volkskongress (2) und wurde dann zur "Staatsfeindin Nummer eins". Der Vorwurf, Unruhen in Xinjiang angezettelt zu haben, brachten ihr acht Jahren Isolationshaft ein. 2005 machte die damalige US-Außenministerin Condoleezza Rice ihre Peking-Reise von der Freilassung Kadeers abhängig. Von diesem Zeitpunkt an sah die Bush-Administration ihre 22 uigurischen Guantanamo-Gefangenen mit anderen Augen.
 
Frau Kadeer fand mit fünf ihrer Kinder Asyl in den USA, wo ihr Mann bereits im Exil lebte. Ein Jahr später wurde sie in München zur Präsidentin des Uigurischen Weltkongresses ernannt. Dieser Kongress nimmt für sich in Anspruch, für alle Uiguren Xinjiangs zu sprechen.(3) Doch unter den Uiguren Xinjiangs gibt es deutliche Interessenunterschiede zwischen den uigurischen Intellektuellen, den Bauern und Händlern und den ärmeren Bauern in der Region um Kasghar, wo es auch zu Übergriffen gekommen sein soll. Während die mittellosen Bauern im konservativen Islam ihr Heil suchen,(4) sind die Intellektuellen sowohl gegen den Islam als auch gegen die Han-Chinesen eingestellt und orientieren sich eher an panturkischen Vorstellungen. Vor diesem Hintergrund erscheint ein EU-Beitritt der Türkei in einem völlig neuen Licht. Die Bauern und Händler der Mittelschicht haben dagegen von den Wirtschaftsreformen profitiert und dürften schwer zu instrumentalisieren sein.


Webseite des Uigurischen Weltkongresses
Quelle: www.uyghurcongress.org/de
 
Im April 2008 brachte Frau Kadeer vor der Jahreshauptversammlung der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte ihr Anliegen auf den Punkt:
".. seitdem China unser weites, ressourcenreiches Heimatland annektiert und in die Volksrepublik eingegliedert hat, werden die Menschenrechte der Uiguren systematisch, tiefgehend und unerhört verletzt."(5) Sollen hier die Menschenrechte für andere, weitergehende Interessen instrumentalisiert werden? In diesem Zusammenhang sei an einen Artikel von Franziska Augstein "Als die Menschenrechte schießen lernten" in der SZ erinnert. (6) 
 
Den Vorwurf der chinesischen Behörden, Rebiya Kadeer habe die Ausschreitungen über Anrufe und Internetseiten "orchestriert", wies Erkin Zunun, Sprecher des Weltkongresses in Deutschland, als "Lüge der Chinesen" zurück und fragte: "Wie hätten wir aus dem Exil einen Aufstand organisieren können, an dem sich 3.000 Menschen beteiligen?"(7) Es lohnt sich in diesem Zusammenhang, die Internet-Seiten von Exil-Uiguren-Organisationen (8) etwas näher anzusehen. Natürlich wird weltweit zu Aktionen aufgerufen. Schon im Juni 2003 wies das amerikanische "Center for Strategic and International Studies" auf 50 untereinander vernetzte Webseiten von uigurisch-turkestanischen Gruppen in Europa, Nordamerika, dem Nahen Osten, Asien, und Australien hin. Als aggressivste tat sich dabei die Seite "Fatima Wangba" hervor.(9) Hier wurden die Benutzer mit einer Karte der brennenden Provinz Xinjiang eingestimmt. Und im Zeitalter von Twitter lassen sich in kürzester Frist Menschenmassen mobilisieren. Die Kurznachrichten über Twitter lassen kaum Rückschlüsse auf den Absender zu. Man weiß nicht, ob sie von Augenzeugen der Demonstrationen oder von Agenten der CIA in Langley gesendet wurden. Im Iran hat diese Methode zur Destabilisierungsprozess bekanntlich auch funktioniert.(10) 
 

 
Angesichts der orchestrierten Ereignisse im Iran und in der Provinz Xinjiang lohnt es sich, die Rolle der angeblich "unabhängigen" amerikanischen Nicht-Regierungsorganisationen etwas genauer zu hinterfragen. Haben im Iran nachweislich staatliche wie nicht- oder halbstaatliche Organisationen ihre Hände im Spiel, so erkennt William F. Engdahl Anzeichen, dass die US-Regierung durch ihre demokratiefördernde Stiftung "National Endowment for Democracy" (NED) massiv auf die innere Politik Chinas Einfluss nimmt. (11) Nach veröffentlichten Berichten des NED wird der "World Uyghur Congress" jährlich mit 215.000 US-Dollar unterstützt. Daneben erhält auch die in Washington beheimatete "Uyghur America Association" über die US-Regierung via NED bedeutende Mittel. Aktive Unterstützung ließ die "demokratiefördernde Stiftung" NED im März 2008 auch der "Purpurroten Revolution" in Lhasa, im August 2007 der "Safran-Revolution" in Birma/Myanmar sowie allen anderen Regimeänderungsversuchen in Osteuropa seit Ende des Kalten Krieges zukommen: von Serbien über die Ukraine nach Georgien, von Moldawien über Kirgistan nach Teheran. Bei diesem Register waren die Gründe für Washingtons Eingreifen in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten weniger von den Sorgen um Menschenrechtsverletzungen geleitet, als vielmehr von US-strategischen Zielen diktiert. In der strategisch und geopolitisch für China wichtigen Provinz Xinjiang – sie durchqueren Chinas wichtigste Öl- und Gasrohrleitungen aus Kasachstan – dürfte das nicht anders sein.
 
Hier lohnt sich ein Rückblick auf eine Lageanalyse des italienischen Generals Fabio Mini aus dem Jahr 1999. Er stellte in Xinjiang eine außerordentliche Entwicklung fest: Peking investiere ungeheuer in den Ausbau der dortigen Infrastruktur. Parallel zur ökonomischen Entwicklung würde die Anerkennung der Autonomie einhergehen. Obwohl sich die lokale Polizei zum Großteil aus Uiguren rekrutiere, machte der General schon damals eine separatistische Agitation aus, "die zum Teil von islamischen Extremisten, wie den afghanischen Taliban" finanziert werde. Diese Bewegung würde sich mit der gewöhnlichen Kriminalität mischen und Attentate auf "tolerante" Uiguren oder "Kollaborateure" verüben. "Sollten die Einwohner Xinjiangs heute [1999] zu einer Volksbefragung über die Unabhängigkeit einberufen werden", so resümiert der mit den Separatisten sympathisierende General, "würden sie wahrscheinlich in der Mehrheit dagegen stimmen ".(12) Der uigurischen Separationsbewegung dürfte aber angesichts der multikulturellen Gegebenheiten und der Bedeutung der Region für Peking auch heute kaum Erfolg beschieden sein. Solange eine halbwegs handlungsfähige chinesische Regierung noch über eine einsatzfähige Armee verfügt, werden derartige Wünsche Luftschlösser bleiben.(13)
 
Weltweite Verteilung der Uiguren aus Guantanamo
 
Der durch die Medien bekannt gewordene Gesinnungswandel der US-Regierung bei der Behandlung der 22 uigurischen Gefangenen in Guantanamo wird damit begründet, dass man sich bei deren Inhaftierung auf Material aus China bezogen habe. Dort gehörten die Festgenommenen der Islamischen Bewegung Ostturkestan (ETIM) an, die von Peking als terroristische Vereinigung eingestuft wurde. Keine Rede mehr davon in den Medien, dass ETIM auch von der UNO und den USA auf die Liste internationaler Terrororganisationen gesetzt worden war. Vergessen auch, dass die Uiguren nach dem 11. September überwiegend kämpfend oder in den Ausbildungslagern Afghanistans oder Pakistans aufgegriffen worden waren. In Deutschland kann der Besuch terroristischer Ausbildungslager mit bis zu zehn Jahren bestraft werden! Selbst die Absicht ist strafbar! So wundert es einerseits nicht, dass die USA sie nicht haben wollen. Mit einer Auslieferung an China würden andererseits die uigurischen Exil-Organisationen aufgebracht, denn 1997 hatte Pakistan zwölf uigurische Extremisten aus Afghanistan an den chinesischen Geheimdienst ausgeliefert, und dort wurden sie gehängt.
 
Fünf der 22 Uiguren aus Guantanamo fanden inzwischen Asyl in Albanien (14), und es begannen Verhandlungen darüber, einige von ihnen in Deutschland aufzunehmen.(15). Der Inselstaat Palau erklärte sich bereit, Uiguren aufzunehmen, nachdem US-Außenminister Hillary Clinton sich mit einer formellen Bitte an dessen Regierung gewandt hatte. Dabei versprach sie, dass durch die Aufnahme „die bereits starken und besonderen Beziehungen noch vertieft werden“ könnten. Aus US-Regierungskreisen verlautete, Washington werde Palau für die Aufnahme der Uiguren bis zu 200 Millionen Dollar Auslandshilfe zukommen lassen.(16) Vier Uiguren wurden am 11. Juni 2009 an die britische Kronkolonie Bermuda überstellt.(17) Als sich eine Woche vorher die deutsche Innenministerkonferenz mit dem Aufnahmewunsch der US-Administration befasste, erklärte Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU): "Die Uiguren aus Guantánamo, die wir aufnehmen sollen, waren alle in Terrorcamps", und deshalb sei eine Aufnahme von Guantánamo-Gefangenen ein hohes Sicherheitsrisiko: "Wer in Terrorcamps aufgegriffen worden ist, kann nicht als ungefährlich gelten."(18) Weiter folgte ein Hinweis auf die dauernde Observation von bundesweit 70 islamistischen Gefährdern. Also wäre die Aufnahme weiterer gefährlicher Uiguren schlicht unverantwortlich, so Schünemann. Auch schließen die deutschen Sicherheitsbehörden nicht aus, dass die Gefangenen während ihrer Haft auf Guantanamo eine "weitere Radikalisierung" erfahren haben und künftig in Deutschland als "Identifikationsfiguren" für radikal-islamische Gruppierungen dienen könnten.
 
Aus welchen Gründen lehnen also die so nachdrücklich für die Menschenrechte eintretenden USA eine Aufnahme ab? "…dass wir als Bundesrepublik oder Europäische Union bereit sein sollen, Leute aufzunehmen, die Washington nicht haben will", machte Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann (SPD) jedenfalls einige Schwierigkeiten. Auch findet er es "ausgesprochen merkwürdig, dass ein Land von der Größe der USA nicht in der Lage sein soll, ein paar Dutzend Personen sicher aufzunehmen".(19) Wenn Berlin Obama diesen Wunsch heute erfüllt, könnte das Beispiel Schule machen, wenn der Präsident vor der Kongresswahl 2010 Ärger mit Linksliberalen wegen des US-Verhörlagers Bagram in Afghanistan bekommen sollte. (PK)
 
Anmerkungen
 
(1) Maier-Albang, Monika: Stimme für ein unbekanntes Land. Asgar Can vertritt das Volk der Uiguren, in SZ vom 10. Juli 2009, S. 39
(2) 1995 nahm Rebiya Kadeer als chinesische Delegierte an der Weltfrauenkonferenz der UN in Peking teil.
(3) Die Unabhängigkeit Xinjiangs wird von den Exil-Uiguren als Anliegen des gesamten uigurischen Volkes dargestellt. 1992 wurde in der kirgisischen Hauptstadt Bishkek die „Partei für ein unabhängiges Uiguristan“ mit dem Ziel eines separaten uigurischen Staates gegründet. Siehe dazu auch die Untersuchung von Takashi Sugimoto: The Political Stability of Ethnic Regions in China. A Methodological Study, Tokyo: International Institute for Global Peace, April 1993 sowie Die Heterogenität des Islam in China - Bedrohungsperzeption und ethnische Konfliktmuster, in: Klaus H. Schreiner, Hrsg., Islam in Asien, Bad Honnef 2001, S. 196-231.
(4) Siehe Justin Jon Rudelson: "The Uighurs in the Future of Central Asia", S.297
(5) Rebiya Kadeer, Präsidentin des Uigurischen Weltkongresses, bei der Jahreshauptversammlung der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte in Bonn am 19. April 2008
(6) Augstein, Franziska: Als die Menschenrechte schießen lernten. Kosovo-Krieg 1999, in SZ vom 19. Mai 2009, S. 13
(7) Zitiert aus Teevs, Christian/ Walker, Juliane: EXIL-UIGURIN REBIYA KADEER. Chinas Staatsfeindin Nummer eins vom 6. Juli 2009 unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,634583,00.html, 
(8) http://www.uyghuramerican.org/ oder http://www.uyghurcongress.org/De/AboutWUC.asp?mid=1095738888 oder http://eastturkistangovernmentinexile.us/etnfc.html
(9) Vgl. Gladney, Dru C.: “China’s Xinjiang Problem” Center for Strategic and International Studies,  Washington, DC vom 5. Juni 2003
(10) Meyssan, Thierry: Von Mossadegh bis Ahmadinejad. Die angelsächsischen Geheimdienste und das iranische Laboratorium, in Zeit-Fragen Nr. 27 vom 6. Juli 2009
(11) Engdahl, William F.:Washington is Playing a Deeper Game with China, in Global Research vom 12. Juli 2009 unter http://www.globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=14327
(12) Mini, Fabio: Rivista italiana di geopolitica, in Limes 1/1999 zitiert aus Losordo, Domenico: Was passiert in Xinjiang? Die Berichterstattung über die Unruhen im Westen Chinas steht in einer langen Reihe antikommunistischer Agitation. junge welt vom 13. 07. 2009, unter http://www.jungewelt.de/2009/07-13/022.php Losurdo ist Professor für Philosophie und lehrt an der italienischen Universität Urbino
(13) Zu demselben Ergebnis kommt June Teufel Dreyer: "However, the province's complete and explicit de jure separation from China seems unlikely except in the even more unlikely event of a collapse of the central government." ("The PLA and Regionalism in Xinjiang", S.53)
(14) Einer von ihnen zog inzwischen nach Schweden weiter.
(15) Maier-Albang, M.: Seltene Einigkeit im Stadtrat. Uigurische Guantanamo-Häftlinge, in der SZ vom 6. Februar 2009.
(16) Siehe Welt-online vom 10. Juni 2009: Inselstaat Palau. 200 Millionen Dollar für 17 Guantánamo-Uiguren, unter
http://www.welt.de/politik/article3896609/200-Millionen-Dollar-fuer-17-Guantanamo-Uiguren.html Palau ist einer der wenigen Staaten, die die Volksrepublik China nicht anerkennen und diplomatische Beziehungen mit Taiwan unterhalten.
(17) SPIEGEL-online vom 11. Juni 2009: US-Behörden schicken vier Uiguren auf die Bermudas, unter http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,druck-629963,00.html
(18) Lutz, Martin: Uiguren – Aus dem Terrorcamp nach Deutschland?in WELT-online vom 2. Juni 2009 unter http://www.welt.de/politik/article3847854/Uiguren-Aus-dem-Terrorcamp-nach-Deutschland.html
(19) Bundesländer wollen Guantanamo-Häftlinge nicht, in DerWesten vom 5. Mai 2009 unter http://www.derwesten.de/nachrichten/nachrichten/politik/2009/5/5/news-118957130/detail.html

Online-Flyer Nr. 207  vom 22.07.2009

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