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Medien
Deutsche Medien zum 90. Jahrestag des Versailler Friedensvertrags:
Unerträglich hart und ungerecht
Von Hans Georg

Deutsche Medien kritisieren den Versailler Friedensvertrag, mit dessen Unterzeichnung Ende Juni 1919 der Erste Weltkrieg beendet wurde. Das von den Siegermächten USA, Großbritannien und Frankreich auf der einen und Deutschland auf der anderen Seite ratifizierte Abkommen habe gegen das "Selbstbestimmungsrecht der Völker" verstoßen, heißt es; in völkerrechtswidriger Weise sei der von "Millionen Österreichern und Sudetendeutschen" gewünschte "Anschluss" an das Deutsche Reich verhindert worden. Gleichzeitig hätten die für die deutsche Seite "demütigenden" und "harten" Vertragsbedingungen zwangsläufig zu Revisionsforderungen geführt, weshalb "auf den Ersten Weltkrieg ein zweiter folgen musste".

 

Historische Postkarte gegen den Vertrag 
von Versaille - Armes Deutschland!
Quelle: www.wissen-digital.de 
Mit diesen Aussagen unterstützt die deutsche Publizistik – mit einer Titelgeschichte aktuell in vorderster Front der Spiegel – die von den sogenannten Vertriebenenverbänden seit Jahrzehnten erhobenen Ansprüche gegenüber den östlichen Nachbarstaaten und schiebt gleichzeitig sie die politische Verantwortung für den nationalsozialistischen Ausbeutungs-, Raub- und Vernichtungskrieg den Alliierten des Ersten Weltkriegs zu.
 
Gedemütigt
 
Wie das Hamburger Nachrichtenmagazin in seiner Ausgabe vom 6. Juni schreibt, war der Versailler Friedensvertrag ursächlich dafür, dass "auf den Ersten Weltkrieg ein zweiter folgen musste". Insbesondere Frankreich, heißt es, habe sich "keine Gelegenheit" entgehen lassen, "die Deutschen öffentlich zu demütigen". Das Abkommen selbst wiederum sei nur aufgrund des militärischen Drucks der Alliierten des Ersten Weltkriegs zustande gekommen: "Der alliierte Oberbefehlshaber Ferdinand Foch, ein Franzose, plante bereits den Vormarsch entlang der Main-Linie und wollte die politische Spaltung Deutschlands in einen Nord- und einen Südteil. Die Einheit stand auf dem Spiel."[1] 
 

Spiegel-Leser wissen mehr!
Spiegel-Titel vom 6.07.09
Größer werden
 
Im nächsten Schritt denunziert der Spiegel das Abkommen selbst als völkerrechtswidrig. Grundlage des Friedensschlusses, heißt es, sei das vom damaligen US-Präsidenten Woodrow Wilson verkündete Prinzip des "Selbstbestimmungsrechts der Völker" gewesen, das in Deutschland "enorme Erwartungen" hervorgerufen habe. Diese allerdings seien bitter enttäuscht worden, da Wilson es an einer "konsequente(n) Anwendung seiner Prämisse" habe fehlen lassen. Nach Auffassung des Spiegel hätte das Deutsche Reich "größer und nicht kleiner werden" müssen - weil nach dem Zerfall Österreich-Ungarns "Millionen Österreicher und Sudetendeutsche einen Anschluss an die Weimarer Republik erstrebten".[2]
 
Ohne Identität
 
Ähnlich äußert sich auch die Tageszeitung Die Welt. Das "Prinzip des Selbstbestimmungsrechtes der Völker" sei durch den Versailler Vertrag und die mit ihm einhergehenden Friedensabkommen "ad absurdum" geführt worden, heißt es hier. So habe beispielsweise der Vertrag von St. Germain der ersten österreichischen Republik "kein Glück" gebracht: "Eine eigene Identität bildeten die Österreicher mehrheitlich nicht aus."[3] Der 1938 vom NS-Regime unter Androhung militärischer Gewalt vorgenommene "Anschluss" Österreichs an Deutschland erscheint als zwangsläufig und politisch opportun: "Die Nazis betrieben eine Revisionspolitik des Ersten Weltkriegs, was ihnen riesige Zustimmung in der deutschen Bevölkerung einbrachte", meint etwa die "Süddeutsche Zeitung".[4]
 
Besetztes Gebiet
 
Mit Aussagen wie diesen schließt die deutsche Presse direkt an die Argumentation der "Vertriebenenverbände" an, die seit Jahrzehnten Ansprüche an die östlichen Nachbarstaaten stellen und dabei immer wieder den Versailler Vertrag kritisieren. "Entgegen dem Selbstbestimmungsrecht der Völker wurde den Deutschen in Österreich und dem Deutschen Reich die Vereinigung verboten", schreibt etwa die "Preußische Allgemeine Zeitung", das Organ der "Landsmannschaft Ostpreußen".[5] Auch "sudetendeutsche" Organisationen argumentieren entsprechend. So heißt es in einer aktuellen Ausstellung der "Sudetendeutschen Landsmannschaft", das "Sudetenland" sei nach dem Ersten Weltkrieg "besetzt" worden und habe "nie legitim zur CSR gehört". Insofern könne das Münchner Diktat vom September 1938, in dem Nazideutschland unter Androhung militärischer Gewalt die Annexion großer Teile der Tschechoslowakei durchgesetzt hatte, als völkerrechtlich korrekt gelten (siehe german-foreign-policy.com[6]). Die Bundesrepublik hat das Münchner Diktat bis heute nicht für "von Anfang an null und nichtig" erklärt.
 
Angriff auf deutsches Leben
 
Der äußersten Rechten ermöglicht diese mediale Diskussion über den Versailler Vertrag natürlich das Anknüpfen an Argumentationsmuster der NS-Propaganda. Das Friedensabkommen habe "den von Prag und Warschau aus gesteuerten Generalangriff auf deutsches Leben in den abgetretenen Gebieten" ermöglicht und "Deutschlands Gegner zum beliebigen militärischen Zugriff auf das Staatsgebiet" ermächtigt, schreibt die nationalistisch-konservative Junge Freiheit.[7] Die Zeitung geht damit noch über die Aussagen der anderen Blätter hinaus: Der Zweite Weltkrieg erscheint nicht nur als folgerichtige Konsequenz der in Versailles begründeten Friedensordnung, sondern als legitimer Verteidigungskampf.
 
Undurchführbar
 
Von der deutschen Linken werden solche Positionen zwar nicht geteilt; einige ihrer Inhalte gelten jedoch offenbar als historisches Allgemeingut. So spricht auch die Zeitung Neues Deutschland, die der Partei "Die Linke" nahe steht, von "harten Gebietsabtretungen" und "hohen Wiedergutmachungsleistungen", die den Deutschen durch den Versailler Vertrag auferlegt worden seien. Das Friedensabkommen selbst bezeichnet die "sozialistische Tageszeitung" deshalb als "undurchführbar".[8]
 
[1], [2] Klaus Wiegrefe: Der Unfriede von Versailles; Der Spiegel 06.07.2009
[3] Sven Felix Kellerhoff: Ein nur gut gemeinter Frieden; Die Welt 26.06.2009
[4] Gerd Krumeich: "Deutschland hat durch den Krieg seine Leidenschaft für die Tyrannei befriedigen wollen."; Süddeutsche Zeitung 27.06.2009
[5] Manuel Ruoff: Diktat statt Verständigung; Preußische Allgemeine Zeitung 27.06.2009
[6] siehe dazu Ein Lernort
[7] Stefan Scheil: Versailles als Beispiel: Deutschlands Elitenversagen; Junge Freiheit 19.06.2009
[8] Erwin Könnemann: Das Diktat von Versailles... und wie das Völkergemetzel 1919 beendet wurde; Neues Deutschland 27.06.2009

 
Mehr: www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57573 

Online-Flyer Nr. 206  vom 15.07.2009

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