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Aktueller Online-Flyer vom 23. April 2024  

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Lokales
Planungsdesaster in Mülheim an der Ruhr - mal mit, mal ohne -bania:
Reif für's Guinness-Buch der Rekorde!
Von Lothar Reinhard

"Tief im Westen..." würde Grönemeyer singen, da liegt nicht nur Bochum, sondern auch eine kleine Großstadt, die hat es echt in sich. Alle arbeiten dort daran, diese Perle des westlichen Reviers im Gerede zu halten und zur Guinnes-Rekordstadt werden zu lassen. Dazu eine Glosse des MBI-Fraktionsvorsitzenden im Mülheimer Stadtrat, zu dem, was sich in der Kommunalpolitik in den letzten 14 Tagen abgespielt hat. – Die Redaktion.

Teil des Planungstrümmerfelds – das alte Rathaus wird abgerissen
Quelle: MBI-Archiv
 
Der Kämmerer sammelt fleißigst Schulden, die Planungsdezernentin plant eifrigst die Stadt von Fiasko zu Fiasko, der Rechtsdezernent erfindet immer neue Ausreden, um Vergaberecht oder Bürgerentscheide nicht zum Tragen kommen zu lassen, der Sport- und Sozialdezernent verfolgt ein Stadion-Karussel-Modell für den VfB Speldorf, dessen Finanzierung unrealistisch, demnächst sogar verboten ist und vor allem den ersatzlosen Verkauf des Schulsportplatzes zweier Grundschulen beinhaltet, wogegen der Schuldezernent nicht opponiert. Er hat genügend mit der Umsetzung einer sogenannten "Zukunftsschule" zu tun, für die nicht einmal die Schulform geklärt werden konnte, die aber 43 Millionen kosten soll. Und die OB Dagmar Mühlenfeld mit dem Motto "Ohne Bagger keine Zukunft" sieht ihre Stadt auf dem bestem Weg, weil alles abgerissen wird, ohne zu wissen wofür - im Moment das Rathaus.
 
Die “Ausgegrenzten“
 
Dann sind da noch die vermeintlich - bzw. von den "Wichtigen" unserer Stadt sogar richtig - Geächteten wie MBI oder “Pro Altstadt“, ein Verein zur Förderung und Belebung der Mülheimer Altstadt, der aber nicht nur aus Geschäftsleuten besteht, sondern hauptsächlich aus Bürgern, Künstlern, Gastwirten etc. Und die feierten am Wochenende 23./24. Mai in und mit unserer schönen Altstadt ein tolles, bestens besuchtes Fest. “Pro Altstadt“ schaffte sogar den Weltrekord einer Erdbeerherztorte, so dass alle guter Hoffnung sind, damit ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen zu werden. Also: Die von SPD, CDU, FDP, der Mülheimer Stadtmarketing und Tourismus GmbH, eine 100%ige städtische Tochter, der OB und selbst den Grünen Gescholtenen und Ausgegrenzten machten aus "Ein Herz für Mülheim“ “ein Herz für die Altstadt" - etwas Herzerfrischendes - und alles auf Spendenbasis.
 
Die "Eingegrenzten"
 
Und dann gibt es da die Bataillone der richtig wichtigen Leute unserer Stadt. Nennen wir sie im Gegensatz zu den Aus- die "Eingegrenzten". Die dürfen öffentliche Gelder ausgeben, eigentlich, um das Wohl der Stadt zu mehren. Doch egal. Auch diese "Eingegrenzten" haben mal wieder eine Glanzwoche hingelegt. Ihr zurzeit liebstes Spielfeld heißt FH-Standort, nachdem sie zuvor mit riesigen Baumattrappen als Innenstadtbelebung und mit dem Aushub für einen sensationellen Wasserwanderrastplatz im zerstörten Gartendenkmal alle Aufmerksamkeit von Rumbach bis zur Emscher auf sich ziehen konnten.
 
Am Donnerstag, 21. Mai, wurde nämlich das Siemens-Gelände als Interimslösung für die Fachhochschule aus dem Hut gezaubert, an der gleichen "Kranbahnallee", an der der Regierungspräsident im fernen D`dorf am gleichen Tag die "Errichtung und Betrieb einer Anlage zur Oberflächenbehandlung von Metallen" für die Firmen MTV und GNS öffentlich genehmigte. GNS, die Gesellschaft für Nuklearservice mbH aus Essen, ist u.a. Betreiber der atomaren Zwischenlager in Gorleben und Ahaus. MTV, die Metallveredelung GmbH & Co.KG aus Solingen, ein Galvanikbetrieb, beschichtet u.a. Castoren. Wahrscheinlich sind ihre Metalle winzige Riesen-Castorbehälter, die neben der Zwischenlösungs-FH für die Zwischenlager galvanisiert werden. Doch egal. Das FH-Interim beginnt auch nur noch mit 40 statt wie geplant mit 200 Studenten.
 
FH-Standort mal hier mal dort
 
Am Samstag, 23.Mai, kam dann die FH-Standort-Synopse der Verwaltung, die de facto einzig und alleine das Gelände des städtebaulichen Prestigeprojektes Ruhrbania als geeignet definierte. Doch bereits Dienstag, den 26. Mai, war auch das wieder Schnee von gestern. Ein Gutachten zu elektromagnetischen Belastungendurch die Straßenbahn und Hochspannungskabel nah an den geplanten FH-Gebäuden schließt Ruhrbania eigentlich aus! Und jetzt am Freitag, 29.Mai, steht plötzlich auch die Interimslösung im Siemens Techno-Park wieder völlig in den Sternen, so dass die 40 FH-Starter ihr Studium nun im September an der Brunshofstraße am Flughafenrand beginnen sollen.
 

Schnitzmühlensanderfeldmeier 
überreichen den Ruhrbania-Kuchen
Quelle: MBI-Archiv
Der Unternehmer Lindgens ließ derweil über renommierte Gutachter einigen Unfug richtig stellen, der u.a. in der FH-Synopse gegen sein Gelände der früheren Lederwarenfabrik in die Welt gesetzt worden war. Nun waren Schnitzmühlensanderfeldmeier (1) am Zuge. Bereits am Samstag, 30. Mai, präsentierten sie über die Presse die FH-Ruhrbania-Variante "mit Brückenschlag" zur Drahtseilerei Kocks auf der anderen Ruhrseite. Kocks soll dafür seine Produktionshalle abgeben wollen. Jeden Tag was Neues, denn diese Variante war in der Synopse der 8 Standorte vom Samstag davor noch nicht dabei! Da waren noch der Stadthallenparkplatz und der Müga-Gelände-Teil von der ehemaligen Mülheimer Gartenschau 1993/94 neben der Stadthalle als "Brückenschlag über die Ruhr, Einbeziehung von Grundstücken am Westufer - Ruhr-Campus" angedacht.
 
Denen fällt da bestimmt noch was ein gegen das Lindgens-Gelände. Richtig: Eisvögel in der geschützten Saarner Aue und das Jahrtausendhochwasser, das auch bereits die Bananiabeach hinweg gerafft haben soll. Denn Eisvögel mögen Studenten überhaupt nicht, anders als Lederindustrie, da sie sich ohnehin ein ganzes Stück entfernt von Lindgens befinden. Einem Eisvogel ist die FH am liebsten gleich und ganz auf dem Flughafengelände. Nur: die Vögel fragt sonst ja auch keiner, am wenigstens die Jäger oder Hundebesitzer.
 
Planungstrümmerfeld
 
Doch Scherz beiseite: Diese absolute Spitzenleistung an Dilettantismus und Halbwertzeiten von Wasserstandsmeldungen zur geplanten FH Ruhr-West sollte unbedingt ebenfalls beim Guinnessbuch angemeldet werden! Damit nämlich die "Eingegrenzten"  nicht schlechter dastehen als die “Ausgegrenzten“. Und in Kürze werden die "Eingegrenzten" mit dem größten Planungstrümmerfeld aufwarten können, das eine Innenstadt ohne Krieg je sah - Ruhrbania:

Für Millionen eine neue zentrale ÖPNV-Haltestelle vor dem Kaufhof, der demnächst dicht macht. Ein abgerissenes Rathaus für ein Hotel, das niemand mehr bauen will. Ein zu Luxuswohnungen umgebautes Stadtbad mit Parkplätzen über die Straße, für die vielen Kapitalanleger schwer vermietbar und im architektonisch unpässlichen Anbau mit seinen Nordbalkonen auch kaum noch verkäuflich. Ein zerstörtes Gartendenkmal für ein sauteures Hafenbecken mit Blick auf leere Nordbalkone, den leeren Kaufhofkomplex und die Mondlandschaften des Abrisses und der Zerstörung. Demnächst die abgerissene Bücherei, wo dann Geschosswohnungsbau entstehen soll. Nur von wem für wen? Ein leer gezogener Rathausaltbau mit dem Marktplatz davor, vom Wochenmarkt befreit, demnächst voll nur noch mit Baumaterialien u.ä., bis dahin reiner Parkplatz. Und dann die Krönung: die Ruhrpromenade vom Umweg um das Hafenbecken bis zur Eisenbahnbrücke - keine 100 m Flaniermeile demnächst mit Cafés in Pavillons, weil kein Investor dort fünfstöckige Klötze mit Wohnungen und Büros hinsetzen will!?
 
Kaum zu toppen!
 
Und ab der Eisenbahnbrücke entweder FH - d.h. dann aber keine Promenade! - oder keine FH - und dann ist Hängen im Schacht. Doch davor sollen für 16 Millionen noch schnell die beiden overflies von der Nordbrücke abgerissen werden, so dass danach das Gesundheitshaus niedergelegt, AOK und ex-Arbeitsamt aufgekauft und danach auch niedergelegt werden können, um die Flaniermeile um weniger als 100 m verlängern zu können, wenn nicht doch die FH dort hinkommt. Und dazu ein völlig unausgegorenes Verkehrskonzept für den Autoverkehr, das viele Millionen verschlang und als jahrelange Großbaustelle viele alteingesessene Innenstadtkaufleute zur Aufgabe zwang.
 
In einer hyperverschuldeten Stadt derart viel Geld zu verbrennen für die Zerstörung bestehender Strukturen, Gebäude und Infrastruktur, ohne große Aussichten auf das Neue zu haben, ist mehr als abenteuerlich, bereits ohne die Wirtschaftskrise, die weitere große Löcher in den Stadtsäckel reißen wird!
 
Auch das alles gehört dann ins Guinness-Buch der Rekorde! So viel auf so kleinem Raum mit derart desaströsen Folgen zu zerstören, das ist wirklich kaum zu toppen! (PK)
 
(1) Gemeint sind mit dieser Verballhornung der Wirtschaftsförderer Schnitzmeier, die Planungsdezernentin Sander (Grüne) und OB Mühlenfeld (SPD) 

Online-Flyer Nr. 200  vom 03.06.2009

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