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Literatur
Der Fortsetzungsroman in der NRhZ - Folge 16
"Zwielicht"
von Erasmus Schöfer

Armin Kolenda, Journalist und Hauptfigur in Schöfers Roman "Zwielicht", nähert sich düster gestimmt dem Ort Waltrop im nördlichen Ruhrgebiet. Seine Mutter ist dort zuhause.

Die Unheimat

Spätherbstlich vergoldet die Ränder der Autobahn in einem Ruhrgebiet, das von Kohle und Stahl unberührt blieb, auch ein paar Felder und Wiesen mit Huftieren auf mildrunde Hügel gebreitet, niederbergisches Land noch, Fachwerkhäuser in Eichenhainen, genießerisch und entspannt am Steuer von Wuppertal Richtung Nord, versuchte Verdrängung des Düsseldorfer Schlamassels durch Entfernung und Fahrrausch, kaum Konkurrenz um die Fahrbahnen, Freiflüge der Gedanken zwischen Kaiserstuhl und Köln und Waltrop und Düsseldorf, zwischen der Liebe unvergangen der Arbeit täglich der Herkunft im Dunkel dem nagenden Zorn im Bauch. Kindlos das braune Mädchen Salli Biechele im sechsten Semester Landwirtschaft, vielleicht treffen sich unsre Gedanken ohne uns (nie weiß einer das) auf dem Limberg wo die Schreckböller aus den Wingerten knallten unsre ersten Küsse feierten, oder in meiner Kammer beim Belz als mein Laken rot wurde von der Liebe, oder doch eher in meiner kalten Bude in Bayenthal beim blutigen Abschied. Verfolgung der Bilder. Nie mehr in Neuss hat der Spätburgunder den verzaubernden Duft entfaltet wie in den Kaiserstuhldörfern, vielleicht wars der Geschmack einer Heimat die mir nicht gehörn kann, die mir niemand schenkt, geliehn war sie, ein Darlehn, das ich zurückzahl mit den Zinsen meiner Erinnerungsschmerzen. Heimatloser Püttbastard. Der Stadtplan zwischen Lippe und Emscher fast auswendig im Kopf, aber ohne Zuneigung, ohne Vertraun. Hier wenn mans schafft kann man sich einrichten, Auskommen finden - Aufatmen kann man nicht. Hier wird sichs gemütlich gemacht in der Entfremdung. Unbehaust im Revier. Eine Kohlenhalde war mein Berg, ein Hochspannungsmast mein Baum, die Zeche mein Tiergarten. Sonntagsausflug zum Fußballstadion.

In Waltrop gabs noch Natur. Jenseits der Lippe begannen die Bauern. Dahin gehörten wir nicht. Wir gehörten alle der Nacht unterm Tag, in den künstlichen Därmen der Erde, Verdammte der Kohle. Ich bin ihr entkommen. Jetzt fahr ich wohin ich niemals zurück will. Die Unheimat.

erasmus schoeferVielleicht ist ne Mutter ja doch was andres als Heimat. Andre Kategorie von Vergangenheit. Obwohl symbiotisch, normalerweise. Heimat ohne Mutter kaum denkbar, Mutter ohne Heimat schon eher. Bin gespannt wie sie mich jetzt erkennt, wo die Wahrheit zum Vorschein gekommen ist. Zwischen uns steht. Bei der Beerdigung weißichnoch zum erstenmal der Gedanke: warum hat sie mich nicht besser verteidigt gegen den Alten. War die halbe Kolonie versammelt. Scheinheilige Trauergemeinde. Mutter hat nicht getrauert, hat die Lippen gekniffen gegen die Beileidsworte des Pastors. Immer hat sie der Konvention gehorcht, damals. Obwohl sie was andres wusste. Mein Beileid galt der Charlotte Kolenda, die den Mann so lange ausgehalten hat als ihr Schicksal. Hat sie geseufzt nur. Jetzt in dem Brief hat sies geschrieben, dass sie Angst hatte. Klar. Kann man Angst verurteilen? Gottseidank bin ich kein Preuße.

Ich muss mal den Gedanken denken, dass ich nicht geflohn wär aus dem Pütt mit Sonja, wenn Mutter mich mutiger geliebt und verteidigt hätte gegen den Alten - dann wohnte ich noch in der Delbrückstraße! Käm schwarz aus dem Schacht. Oder bisschen saubrer als Steiger in der Sydowstraße. Der Alte hat mich in die Freiheit vertrieben.

Genau genommen sind unsre Konten ziemlich ausgeglichen. Ich hab sie allein gelassen mit dem Mann, bin weg als ich ihr hätte beistehn können, hab gedacht ist ihr Problem mit wem sie verheiratet ist, scheiße war das. War so sprachlos wie sie. Alles Schicksal. Sagt die Norne. Alles Schuld. Sagt der Pfarrer. Spät wächst dem Menschen die Einsicht.

Dortmund-Mengede mussich raus!

Ich fürchte, ohne den Krach in der Werkstatt führ ich immer noch nicht auf dieser Straße. So was von fertig gemacht! Darf nicht dran denken! Diese zwei Briefe. Arrogant bist du, Armin Kolenda. Eingebildet. Unsolidarisch.

Gleich wieder das Zittern, guck dir die Hand an. Halts Maul Herz, hör auf zu flattern! Es ist doch einfach nur lächerlich. Neid schreibt so. Missgunst. Bin ich denn ein andrer, weil ich vom Schreiben lebe? Weil ich was abgeb von dem was ich gelernt hab? Zum Verzweifeln.

Das müssen die Schornsteine der Zeche sein. Drei, genau. Das sind sie. Der eine qualmt. Da wird noch gearbeitet.

Doch ne Art Heimkehr scheints. Wiedersehn mit dem vergessnen Leben, längst stillgelegt. Museumsbesuch, auf dem Gelände sind meine frühen Jahre aufbewahrt, eins über Tage zwei vor Kohle. Sydowstraße. Der tausendmal beschrittne Weg zur Pforte, am eisernen Gitter um die Energiefabrik. Zweieinhalb tausend Mann warn wir damals, Ende der Fünfziger. Während der Schicht siehst du fast nichts von denen. Wie beim Ameisenhaufen. Alles unterirdisch. Zeche Waltrop. Heißt ausnahmsweise mal nicht nach einem Fürsten oder Minister. Auf der hab ich gelernt, wie man das Wirtschaftswunder aus dem Berg haut. Die dreckigste Zeit meines Lebens, mal abgesehn von den zwei Jahren Landesverteidigung in Munsterlager. Woher jetzt die Patina auf den Ziergiebeln? Milde Nachmittagssonne wie bestellt.

Norddeutsche Backsteingotik für die Maschinenhalle. Nicht nur für die, alle Technik verziert, versteckt vor der Umwelt. Ist mir damals nicht aufgefalln. Nur die Fördertürme, die sind der pure ungeschmückte Stahl. Der spricht zur Ware Arbeitskraft: An meinen Stangen Rädern Seilen fahrt ihr mit dreißig Stundenkilometer sicher sauber in die Nacht und dreckig wieder rauf ans Licht. Wenn der Berggeist mitgespielt hat. Die Seilscheiben drehn sich noch immer, aber Exhauer Armin Kolenda hängt nicht drin im Korb. Der ist euch entkommen, hat umgelernt von Preßlufthammer auf Schreibmaschine, von Waschkaue auf Duschkabine.

Unsre Kaue war ne Zinkwanne in der Küche, da hast du dein uneheliches Früchtchen mit Wasser übergossen scheppchenweis an jedem Samstag und abgerubbelt den jungen Körper und dir dein Teil gedacht, wenn der mit einem kleinen Ständer aus dem Handtuch vorkam der Sohn des blonden Schleusenknechts. Vermut ich mal.

Ich sollt den Wagen stehn lassen, zu Fuß den Kilometer pilgern zur Delbrückstraße, was da noch übrig ist an Gedächtnismarken meiner begrabnen Jugend. Oder morgen, mal sehn.

Erasmus Schöfers "Die Kinder des Sisyfos", Bd.1 "Ein Frühling irrer Hoffnung", Bd.2 "Zwielicht" und Bd. 3 "Sonnenflucht", Dittrich Verlag Köln, ISBN 3-920862-58-9

Externe Links:
www.dittrich-verlag.de


Online-Flyer Nr. 35  vom 14.03.2006

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