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Lokales
Gespräch mit dem neuen Kölner DGB-Vorsitzenden Andreas Kossiski
„Ich gehe meinen eigenen Weg“
Von Anneliese Fikentscher

Der neue Kölner DGB-Vorsitzende Andreas Kossiski, Nachfolger von Wolfgang Uellenberg van Dawen, sieht eine "akute Lebensgefahr für unsere sozialen Sicherungssysteme". Die DGB-Veranstaltung zum 1. Mai war Gelegenheit für ein Gespräch mit ihm.

Andreas Kossiski am 1. Mai 2009 vor dem  
Starttransparent "Arbeit für Alle bei fairem 
Lohn! – 60 Jahre DGB“
Foto: arbeiterfotografie.com


Anneliese Fikentschner: Sie sind DGB-Vorsitzender seit?

 
Andreas Kossiski (März 2009)
 
Wie fühlen Sie sich als DGB-Vorsitzender?
 
Sehr gut. Vor allen Dingen heute, weil wir hier heute mit Gewerkschaftern demonstrieren. Das zeigt, dass die Solidargemeinschaft DGB funktioniert.
 
Sie sind Nachfolger eines prägnanten Vorgängers: Wolfgang Uellenberg van Dawen. Lasten da besondere Ansprüche auf Ihnen?
 
Das unterstütze ich voll. Er war ein prägnanter und sehr prägender DGB-Vorsitzender. Und auch in seinem neuen Amt hat er schon entsprechende Zeichen gesetzt. Für mich ist das keine Belastung. Denn ich habe mich entschieden: ich gehe meinen eigenen Weg. Ich werde versuchen, eigene Fußspuren zu hinterlassen und nicht Wolfgang Uellenberg zu kopieren.
 
Wie werden diese Fußspuren aussehen?
 
Erst mal bin ich sehr mit der Organisation des Bündnisses "Köln stellt sich quer" beschäftigt, des Programms zur Veranstaltung am 9. Mai [gegen den so genannten Anti-Islamisierungskongress von Pro Köln]. Wir haben diese Mai-Demonstration vorbereitet. Wir bereiten eine große Demonstration am 16. Mai in Berlin vor [Gewerkschaftsdemonstration für ein soziales Europa]. Und wir kümmern uns mit unseren Einzelgewerkschaften um die Wirtschaftskrise. Das ist ein volles Programm. Und damit haben wir zu tun.
 
Wie sieht das konkret aus: "sich um die Wirtschaftskrise kümmern"?
 
Dass wir zum Beispiel diesen Tag heute nutzen, um der Bevölkerung und auch unseren Kollegen klar zu machen, wie wichtig jetzt entscheidende Schritte sind. Wir fordern von Politik und Wirtschaft weitere Schritte. Die ersten wichtigen Schritte sind die Konjunkturprogramme gewesen. Aber jetzt bei der Prognose von minus fünf oder sechs Prozent Wirtschaftswachstum und über sechs Millionen Arbeitslosen: das ist akute Lebensgefahr für unsere sozialen Sicherungssysteme.


Kossitzki hinter dem Transparent der Humboldt Wedag
Foto: arbeiterfotografie.com
 
Wie lassen sich diese Forderungen durchsetzen?
 
Vor allen Dingen dort, wo wir direkt an den Problemen dran sind: in den Betrieben, wo unsere Einzelgewerkschaften, die IG-Metall, die Industriegewerkschaften kompetente Gesprächspartner und Ratgeber sind - auch für die Unternehmensführung. Wir unterstützen das Konzept der Kurzarbeit. Auf der anderen Seite sagen wir: Es gibt eine Zeit danach. Da müssen die Aufträge wieder reinkommen. Wir wissen, dass wir das nicht alleine wuchten können, aber wir sind als Gewerkschafter Gesprächspartner, wir geben Ratschläge, und wir haben auch Konzepte, die helfen können.
 
Was gibt es an weiteren politischen Durchsetzungsmöglichkeiten?
 
Wir haben einige Wahlen vor uns. Wir haben entsprechend kommunalpolitische Wahlbausteine aufgestellt. Auch für die Bundestagswahl hat der DGB Forderungen formuliert, die dann veröffentlicht werden, mit dem Versuch, diese in den politischen Gremien umzusetzen. Das ist ein Spiel, was in den letzten Jahren immer wieder so gelaufen ist.
 
Nun sieht es in der Gesellschaft an vielen Punkten schon etwas brenzlig aus - und das nicht erst seit heute. Kinderarmut ist nur ein Schlagwort. Bildungsnotstand, die Bezahlbarkeit der Bildung... Jetzt sagen Sie: Wenn es der Gesellschaft schlecht geht, fischen Parteien wie Pro Köln in diesem trüben Wasser.
 
Ich hoffe, dass keine Chancen für Pro Köln bestehen. Aber es ist so, dass diese rechtsextremen Organisationen die sozialen Probleme als Nährboden benutzen und dass viele Menschen auf deren falsche Antworten hereinfallen. Im Bereich der Bildung muss die Bundesrepublik Deutschland etwas tun. Wir müssen mindestens 30 Milliarden Euro mehr für Bildung ausgeben, um einen Mindeststandard, den Skandinavien schon lange hat, im europäischen Vergleich erreichen zu können. Wir müssen viel in diesen Bereich investieren, aber nicht nur in Gebäude sondern wirklich auch in Bildung.
 
Bedeutet das auch, weniger gute Entwicklungen wieder zurückzufahren? Zum Beispiel in Bezug auf die Bezahlbarkeit von Bildung durch die Abschaffung der Studiengebühren?
 
Im Moment stehen alle Fragen der Politik auf dem Prüfstand. Wir müssen möglicherweise wieder eine ganz andere Form von Politik entwickeln - alle gemeinsam. Für uns ist das die soziale Marktwirtschaft. Marktwirtschaft für Menschen: das ist unser Leitbild. Und das müssen wir versuchen, in die politische Diskussion hineinzubringen und auch umzusetzen.
 
Wir steht es mit dem Kräfteverhältnis. Binden die Vorbereitungen zur Gegenveranstaltung zu Pro Köln auch Kräfte, die an anderer Stelle fehlen?
 
Zum Glück sind die Einzelgewerkschaften sehr stark aufgestellt. Insbesondere in Köln sind in Konfliktfragen die Kollegen der Einzelgewerkschaften tätig und entsprechend gibt es keine Anzeichen, dass wir Kräfteverschleiß haben.
 
Ein Mobilisierungsaufruf zur Gegenveranstaltung beinhaltet die Blockierung der Pro-Köln-Aktionen. Wie stehen Sie dazu?
 
Wir blockieren nicht. Das Bündnis "Köln stellt sich quer" hat nicht zu Blockaden aufgerufen.
 
Sie sind Polizeioberrat. Ist das ein Status, der Ihnen erhalten bleibt?
 
Ich bin beurlaubter Polizeibeamter. Ich glaube schon, dass ich Polizeibeamter bleibe. Aber unser Bündnis aus der Stadtgesellschaft, von Kirchen, Politik und Gewerkschaften hat zu einem demokratischen und friedlichen Protest aufgerufen. Wir rufen nicht zu Blockaden auf. Es gibt andere Bündnisse, es gibt andere Organisationen, die das tun. Wir machen's nicht.
 
Was war ihre Aufgabe als Polizeioberrat?
 
Ich bin 34 Jahre Polizeibeamter. Ich habe viele Aufgaben gehabt. Ich könnte stundenlang davon erzählen. Meine letzte Aufgabe beim Polizeipräsidium Köln war die Personalverantwortung für 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bereich der Verkehrsinspektion 2, die das schwere Feld von tödlichen und schweren Verkehrsunfällen und Ermittlungstätigkeiten in diesem Bereich hatte. Das war ein sehr anspruchsvoller, aber auch sehr interessanter Job.
 
Als Polizeibeamter sind Sie bestimmt auch mit sozialen Konfliktfeldern konfrontiert worden?
 
Das hat mich in diesen über 30 Jahren ständig begleitet. Und das hat mich auch geprägt. Als Polizeibeamtin und Polizeibeamter kommen Sie in viele Bereiche hinein, die tief in das menschliche Miteinander gehen, und das lässt einen nicht kalt.
 
Wie ist Ihre persönliche Sozialisation verlaufen - Kindheit, Schule, Ausbildung... Ist das alles reibungslos verlaufen?
 
Ich habe 1974 bei der Polizei in Schleswig-Holstein als 16jähriger Realschüler angefangen. Ich habe in den 70er Jahren den Anti-Atom-Kampf mitgemacht. Ich muss sagen: auf beiden Seiten. In Brokdorf in Schleswig-Holstein habe ich eine Bürgerinitiative gegründet. Ich habe die Situation aber auch als Polizeibeamter miterlebt. Ich habe viele Einflüsse aus diesen 70er Jahren mitgenommen, die mich heute auch noch beschäftigen. Den Demokratisierungsprozess, den die Polizei in Deutschland in den 70er Jahren durchgemacht hat, habe ich sehr positiv begleitet, auch aktiv als Gewerkschafter und auch in anderen Ämtern. Das ist eine interessante Zeit gewesen - für viele, die in dieser Zeit groß geworden sind.
 
Sie hatten keine Probleme, eine Ausbildung und einen Job zu finden?
 
Ich habe mich damals einmal beworben und hatte das Glück, zur Polizei zu kommen. Ich sage ganz bewusst Glück, weil ich die Zeit nicht bereue.
 
Wie stehen Sie - in besonderen Fällen - zur Konfrontation zwischen Polizei und Bürgern. Ein Beispiel aus den 80er Jahren ist die Startbahn West. Ist das immer verhältnismäßig, wie die Polizei den Bürgern gegenübertritt?
 
Polizei macht das ja nicht von alleine. Polizei ist das ausführende Organ. Wir haben ja zum Glück eine Gewaltenteilung. Und solche Entscheidungen werden vorher in der Politik getroffen. Man muss fragen, ob diese politischen Entscheidungen, wenn man sie heute im Nachhinein sieht, überhaupt alle richtig waren - und teilweise auch die Einsätze an Atomkraftwerken. Heute würden Politiker so etwas nicht mehr machen. Aber ich wehre mich dagegen, das den Polizeibeamten zuzuschieben. Das sind politische Entscheidungen. Polizeibeamte haben demokratische Entscheidungen durchzusetzen. Das tun sie auch. Und das tun sie nach meinem Dafürhalten in fast allen Fällen sehr gut. (PK)  

Online-Flyer Nr. 196  vom 06.05.2009

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