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Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

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Krieg und Frieden
Historischer Rückblick – 60 Jahre NATO:
Nur ein Überbleibsel des Kalten Krieges?
Von Kevin Gudd

Ob das ehemalige „Verteidigungsbündnis“ immer noch eine Berechtigung hat, fragen sich dieser Tage vermehrt viele Menschen – berechtigt. Anlässlich des 60jährigen Geburtstages der NATO lobte die NRhZ gemeinsam mit dem studentischen Portal „born-to-be-reporter.de“ einen Kreativwettbewerb zu den Themen „NATO“ und „Militarismus“ aus. Den ersten Preis, der in der Veröffentlichung in der NRhZ bestand, erhielten Kevin Gudd für den folgenden Artikel und Clemens Steinhauser für eine Karikatur außer Konkurrenz – die Redaktion.

Historischer Abriss


Als grundlegend verantwortlich für den Bruch der Anti-Hitler-Koalition zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion werden die bekannten ideologisch verwurzelten Systemunterschiede im politischen („demokratischer Freiheitsstaat“ gegen „kommunistische Rätedemokratie“), wirtschaftlichen („freie liberale Marktwirtschaft“ versus „Planwirtschaft“) und sozialen Bereich („hoch entwickelte Industriegesellschaft“ gegen „landwirtschaftlich geprägte Arbeiter- und Bauerngesellschaft“) gemacht.

Beitritte zur NATO und zum Warschauer Pakt bis 1982 | Grafik: Electionworld
Beitritte zur NATO und zum Warschauer Pakt bis 1982 | Grafik: Electionworld

Die bei der Potsdamer Konferenz 1945 erstmals ersichtlichen Meinungsverschiedenheiten in der Frage der Gestaltung Europas nach dem Krieg führten zu beidseitiger Ausweitung der Einflusszonen, den Machtblöcken. Der Brüsseler Vertrag vom März 1948 zwischen den fünf westeuropäischen Staaten (Großbritannien, Frankreich, Niederlande, Belgien und Luxemburg) wird als Grundstein des Nordatlantikpakts gesehen, derjenigen internationalen Organisation, die die Sicherheitsinteressen der westlichen Welt nach den UN-Richtlinien gegenüber dem Ostblock – „notfalls auch militärisch“ – geltend machen wollte.

Nachdem sich die Lage zwischen 1947 und 1949 aufgrund einer Reihe politischer Ereignisse (wie dem Einmarsch der Sowjets in die Tschechoslowakei und der Blockade Berlins) zugespitzt hatte, führten die Verhandlungen der Brüsseler Vertragspartner mit fünf weiteren europäischen Staaten, den Vereinigten Staaten und Kanada zur Unterzeichnung des Vertrags von Washington im April 1949.

Und auf welcher Grundlage?!


Die NATO machte es sich zum Auftrag, den Frieden und die Freiheit all ihrer Mitglieder zu gewährleisten, wobei theoretisch immer ein UN-Mandat Voraussetzung für einen NATO-Einsatz war (im Kosovo-Konflikt 1998/99 griff die NATO ohne offizielles UN-Mandat ein). Der NATO-Sicherheitsrat war mit der Vorstellung einer allseitigen Konsensfindung eingerichtet worden, jede Abstimmung musste einstimmig erfolgen.

NATO-Gipfel 1999 in Washington
NATO-Gipfel 1999 in Washington: die NATO beschließt ein „Interventionsbündnis“ zu werden...

Die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten untereinander zu umfassender Zusammenarbeit und Solidarität funktionierte aufgrund gleicher Interessen in Anbetracht der sowjetischen Bedrohung bis zum Ende des Kalten Krieges problemlos, da der Bündnisfall offiziell nie eintrat. Die US-Interventionen, vom Korea-Krieg (1950) bis zur Invasion Panamas (1989), wurden alle unter dem Deckmantel der internationalen Friedenssicherung und der Bekämpfung des Sowjetkommunismus im Nachhinein als NATO-Missionen legitimiert. Zum ersten Mal wurde der NATO-Bündnisfall 2001 in Zusammenhang mit den Terroranschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon ausgerufen.

Da es also faktisch nie zum offenen Krieg der USA und ihrer NATO-Partner mit der Sowjetunion und den Mitgliedsstaaten des Warschauer Paktes kam, wurde auch der „NATO-Beistandsartikel 5“ nicht häufig gebraucht. Die Tatsache, dass darin jedem Mitglied zwar formal das Recht auf kollektive und individuelle Verteidigung zugesprochen wird, aber keine konkrete automatische Verpflichtung zum unbedingten militärischen Beistand existierte, blieb bis zum Fall des Eisernen Vorhangs folgenlos.

Heute und die Zukunft

Die NATO befindet sich seit den frühen 1990er Jahren in einer Transformationsphase, in der sie sich an die neue weltpolitische Lage anpassen will. Es stellt sich auf der einen Seite die existenzielle Frage nach der Notwendigkeit einer solchen staatenübergreifenden Organisation, nachdem die Vereinigten Staaten als einzige Supermacht verblieben sind und zum anderen die danach, wie mit neuen innerstaatlichen Konflikten (ethnisch bedingten Bürgerkriegen in vielen „Entwicklungsländern“) und internationalem Terror umgegangen werden soll.

Sind aber Diskussionen über „Krisenprävention“ und „Post-Konflikt-Management” nicht gerade Faktoren, aufgrund derer die USA und die NATO-Verbündeten in den betroffenen Regionen nicht eben als Heilsbringer gefeiert werden?! Haben nicht die zahlreichen Versuche der Verbreitung von Demokratie und Frieden eher nur zur Vergrößerung des Kapitals auf der Seite des Westens geführt?! Künstliche und meist gewalttätige Eingriffe in die politische, wirtschaftliche, religiöse, kulturelle, ökologische und soziale Entwicklung von Gesellschaften können auf Dauer kein politisches Mittel einer Verteidigungsorganisation sein, die sich einer friedlichen Weltordnung verschrieben hat.

Durch NATO-Luftangriffe zerbombtes Haus in Belgrad (2002) | Foto: Orlovic
Durch NATO-Luftangriffe zerbombtes Haus in Belgrad (2002) | Foto: Orlovic

Zehn Jahre nach dem NATO-Luftwaffeneinsatz im Kosovo ist dort jedenfalls noch immer keine dauerhafte Stabilisierung gelungen. Die Parole „Frieden und Freiheit für alle“ ist vor dem Hintergrund der europäischen Kolonialgeschichte im frühen 20. Jahrhundert, dem – von den USA „tolerierten“ Putsch gegen den demokratisch gewählten chilenischen Staatschef Allende 1973 oder den US-Invasionen in Grenada 1983 und Panama 1989 längst nicht mehr glaubhaft.

Die große Bevölkerungsgruppen beherrschende Angst vor einem Atomkrieg ist nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wieder der Realität gewichen, wie sie die Menschheit schon sehr lange beherrscht. Es ist eine Welt, in der Frieden auch durch „ökonomischen Wohlstand und Freiheit für die einen“ beziehungsweise „keinen Wohlstand und keine Freiheit für die anderen“ ersetzt werden kann.

Vom Reich Alexanders des Großen über das Römische Imperium hinein in die finstere Zeit des Mittelalters und des Absolutismus waren die großen Nationen immer darin bestrebt, sich schwächer entwickelte Staaten kriegerisch einzuverleiben und deren Gesellschaft eine neue Lebensweise aufzudrängen. Just vor etwa 15 Jahren, als die Menschheit einem atomaren Gau und ihrer völligen Vernichtung nur knapp entrann, schienen alle Erinnerungen an die Fehler der Vergangenheit wie weggeblasen, und die evolutionstheoretischen Worte Darwins führten in ein neues Zeitalter, in dem weiterhin „das Recht des Stärkeren” gilt. Nach Afghanistan, in den Irak führten sie bereits und nach Nordkorea oder in den Iran könnten sie in Zukunft führen. (CH)


 

















2. Erster Preis:
Bon Anniversaire“
Karikatur von
Clemens Steinhauer











Online-Flyer Nr. 193  vom 15.04.2009

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