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Literatur
Der Fortsetzungsroman in der NRhZ - Folge 15
"Zwielicht"
von Erasmus Schöfer
Vor der Demonstration gegen die geplante Schließung des Mannesmann-Röhrenwerks in Düsseldorf-Reisholz sammeln sich Aktivisten vor dem Werkstor.
Sie entdeckten Manfred Anklam, er trug seinen weißen Schutzhelm, den Blaumann, ging noch am Stock, wirkte ernst, angespannt, wie kostümiert für die, die ihn nur mit der schwarzen Lederjacke kannten. Er winkte kurz rüber. Und noch immer blieb das große Tor geschlossen. Nur durch die Tür an der Pförtnerloge konnte man in die Durchfahrt sehn. Dort warteten einige Arbeiter, unschlüssig wie es schien. Das waren nicht viele. Als Musch feststellen musste, daß kein Gedrängel, kein Geschiebe in dem Gang zu erkennen war, spürte er plötzlich seinen Herzschlag, eine dumpfe Angst, dass der Druck und die Drohungen der Chefs, das Zögern und Hinschleppen der gewählten Vertreter die Kollegen doch weich gekocht hatten. Aber die IG Metall war doch sichtbar vor Ort! Mehrere rote Fahnen mit dem IGMZeichen! Und die Solidarität der andren Betriebe öffentlich und abzulesen:
Gerresheim erklärt sich solidarisch mit SRW
Mannesmann-Lierenfeld an der Seite der Reisholzer Kollegen
Betriebsrat und Vertrauenskörper von Mannesmann-Rath für Erhalt der Reisholzer Arbeitsplätze
- mindestens ein Dutzend Gruppen, auch von ganz fremden MetallBetrieben, Jagenberg, DüWag, Pierburg. Die Normaluhr am Eingang zeigte zehn. -
Verabredung? Deutsche Pünktlichkeit? Zwei grüne Ledermänner sperrten mit ihren Motorrädern eine Fahrbahn der Henkelstraße, stoppten den Verkehr. Zugleich wurde das Tor geöffnet. Die ersten Arbeiter, fast wie Zeitlupe, geräuschlos, zögernd, schoben sich aus dem Gang, oder wurden geschoben, schauten rechts und links auf die Straße, fremdes Gelände, begrüßten Draußenstehende mit Blicken, verschämten Handbewegungen, schweigend und ernst. Musch fielen Kirchgänger ein, eine Prozession, wenn nicht die blauen Anzüge und die Helme gewesen wären. Wenige halblaute Zurufe, langsam drängten sie durch die wartende Menge über den Bürgersteig auf die Straße, begannen den Demonstrationszug Richtung Henkelwerk zu bilden. Manfred Anklam und Kurt Kemperdiek übernahmen die Spitze zusammen mit dem MetallerChef Eupers, verharrten aber noch, blickten immer wieder zum Tor, aus dem der Männerstrom kein Ende nahm und sie in den Marsch schob, auch die Wartenden reihten sich ein, die roten Fahnen begannen zu wandern, aus der Menge wurde der Zug.
Peter wollte los, aber Musch sagte Wart noch! drückte sich durch bis zum Tor, den Peter mit dem Transparent hinter sich her ziehend, spähte über die Köpfe und sah jetzt, was er erst nicht glauben wollte und doch glauben musste und ja auch unbedingt glauben wollte - dass dort im Hof eine einzige Menge von Schutzhelmen wogte, eine langsame Bewegung von gelben blauen braunen und ein paar weißen Töpfen - Mensch Wahnsinn Peter! Seine tiefe Stimme wurde kicksig vor Aufregung - kuck doch! Die kommen alle vom Hof! Die haben sich auf dem Hof versammelt und jetzt stoßen sie durch!
Tatsächlich riss der Strom noch lange nicht ab, sie wollten das Ende nicht abwarten. Als Musch sich, mitlaufend, umschaute, war ihm der Blick von Transparenten und Schildern versperrt. Er gab Armin seine Latte zu halten, trat seitwärts aus dem Zug, da war das Ende der Kolonne nicht zu sehn und auch nicht die Spitze. Die lange Henkelstraße war von der breiten Säule der dichtgedrängt marschierenden Arbeiter und Bürger über die halbe Fahrbahn hin ausgefüllt. Und die weißbekittelten Henkelaner drückten sich an den Glaswänden ihrer Labors die Nasen platt.
Er bat Armin um fünf Minuten Geduld, lief vor zur Spitze des Zugs, registrierte die vielen ausländischen Arbeiter, besonders die Türken mit ihren nationalen Schnurrbärten und grimmigen Augenbrauen, Frauen mit kleinen Kindern, trotz des einsetzenden Nieselregens, vorn bei den Vertrauensleuten Hans Wiedemann, neben ihm seine Frau, er hatte seinen Sohn auf die Schultern genommen, zeigte ihn gern in die Runde. Die Stimmung schien gelöster hier, die Kehlen und Zungen lockerten sich, erste Sprechchöre, von den Jungarbeitern und wenigen Studenten ad hoc erfunden. Die älteren Kollegen machten dabei kaum mit. Dafür erzählten sie Witze.
In der ersten Reihe nun auch der DGBKreisvorsitzende Raumann, deutlich von den Arbeitern unterschieden durch Schlips und weißen Kragen. An fast jeder Kreuzung hielt der Zug an, bereitwillig ließen die Funktionäre Manfred Anklam das Handmikrofon des Lautsprechers, den ein andrer Kollege über die Köpfe hielt. Anklam informierte die Fußgänger und die gestoppten Autofahrer über die Ursache ihrer Demonstration. Offenbar konnte das keiner wie er.
Die Polizei zeigte Respekt, regelte den Verkehr. Bis zum Werstener Kreuz marschierten dreitausend Mann und Frau durch Reisholz und Holthausen, acht Kilometer hin und zurück, drei Stunden aktiver Streik. Die Innenstadt, der Weg zum Rheinufer, war dem Betriebsrat aus verkehrstechnischen Gründen nicht genehmigt worden.
Statt dessen zum Abschluss, vor dem Werktor, die große Kundgebung, Vollsperrung der Henkelstraße, auf dem Pritschenlaster Raumann, mit starken Forderungen an die Regierung zur Eindämmung der Stahlkrise, Schorsch Eupers über den bedrohten Standort Düsseldorf, ein türkischer Kollege in seiner Sprache, der Sprecher der Metalljugend forderte knallhart die Überführung der Stahlindustrie in Gemeineigentum, und dann Manfred Anklam mit den wahren Gründen für die beabsichtigte Schließung dieses voll funktionsfähigen und rentablen Betriebs mit seinen achtzehnhundert Arbeitsplätzen, deren kompromisslose Verteidigung die Aufgabe einer breiten Koalition von Arbeitern und Bürgern, von demokratischen Parteien und Düsseldorfer Behörden sei. Er erntete den heftigsten Beifall.
Abends saßen Musch und Kolenda, von Spix verstärkt, in der überfüllten Kneipe von Manni Schäfer. Angesagt die konstituierende Sitzung einer neuen Bürgerinitiative zur Unterstützung der kämpfenden Belegschaft der StahlundRöhrenWerke. Der diensthabende Informant der Romanschreiber notierte in seine Kladde: Initiative zur Gründung ging aus vom SPD Ortsverein Hassels/Reisholz und Jusos. Vertreten sind Teile des VK, SPD und DKP Genossen, die MIG, Unorganisierte, ein Pfarrer, mehrere Lehrer, Spartakisten. Machtvolle Protestveranstaltung geplant, Eugen Loderer Hauptredner. Öffentliches Tribunal über Investitionspolitik von Mannesmann. Informationsstände auch in der Innenstadt, mit Unterschriftensammlung.
Viele Biere flossen. Der Wirt hatte den Umsatz des Jahres. Lasst euch bloß nicht von der Polizei erwischen, sagte Musch an Kolendas Lada zu den beiden von der Neusser Rheinseite, wir brauchen jetzt alle Kräfte für unsern Roman! Keine Sorge Musch, grinste Spix: wir fahrn kollektiv. Armin lenkt und ich bedien die Bremsen.
Erasmus Schöfers "Die Kinder des Sisyfos", Bd.1 "Ein Frühling irrer Hoffnung", Bd.2 "Zwielicht" und Bd. 3 "Sonnenflucht", Dittrich Verlag Köln, ISBN 3-920862-58-9
Externe Links:
www.dittrich-verlag.de
Online-Flyer Nr. 34 vom 07.03.2006
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Der Fortsetzungsroman in der NRhZ - Folge 15
"Zwielicht"
von Erasmus Schöfer
Vor der Demonstration gegen die geplante Schließung des Mannesmann-Röhrenwerks in Düsseldorf-Reisholz sammeln sich Aktivisten vor dem Werkstor.
Sie entdeckten Manfred Anklam, er trug seinen weißen Schutzhelm, den Blaumann, ging noch am Stock, wirkte ernst, angespannt, wie kostümiert für die, die ihn nur mit der schwarzen Lederjacke kannten. Er winkte kurz rüber. Und noch immer blieb das große Tor geschlossen. Nur durch die Tür an der Pförtnerloge konnte man in die Durchfahrt sehn. Dort warteten einige Arbeiter, unschlüssig wie es schien. Das waren nicht viele. Als Musch feststellen musste, daß kein Gedrängel, kein Geschiebe in dem Gang zu erkennen war, spürte er plötzlich seinen Herzschlag, eine dumpfe Angst, dass der Druck und die Drohungen der Chefs, das Zögern und Hinschleppen der gewählten Vertreter die Kollegen doch weich gekocht hatten. Aber die IG Metall war doch sichtbar vor Ort! Mehrere rote Fahnen mit dem IGMZeichen! Und die Solidarität der andren Betriebe öffentlich und abzulesen:
Gerresheim erklärt sich solidarisch mit SRW
Mannesmann-Lierenfeld an der Seite der Reisholzer Kollegen
Betriebsrat und Vertrauenskörper von Mannesmann-Rath für Erhalt der Reisholzer Arbeitsplätze
- mindestens ein Dutzend Gruppen, auch von ganz fremden MetallBetrieben, Jagenberg, DüWag, Pierburg. Die Normaluhr am Eingang zeigte zehn. -
Verabredung? Deutsche Pünktlichkeit? Zwei grüne Ledermänner sperrten mit ihren Motorrädern eine Fahrbahn der Henkelstraße, stoppten den Verkehr. Zugleich wurde das Tor geöffnet. Die ersten Arbeiter, fast wie Zeitlupe, geräuschlos, zögernd, schoben sich aus dem Gang, oder wurden geschoben, schauten rechts und links auf die Straße, fremdes Gelände, begrüßten Draußenstehende mit Blicken, verschämten Handbewegungen, schweigend und ernst. Musch fielen Kirchgänger ein, eine Prozession, wenn nicht die blauen Anzüge und die Helme gewesen wären. Wenige halblaute Zurufe, langsam drängten sie durch die wartende Menge über den Bürgersteig auf die Straße, begannen den Demonstrationszug Richtung Henkelwerk zu bilden. Manfred Anklam und Kurt Kemperdiek übernahmen die Spitze zusammen mit dem MetallerChef Eupers, verharrten aber noch, blickten immer wieder zum Tor, aus dem der Männerstrom kein Ende nahm und sie in den Marsch schob, auch die Wartenden reihten sich ein, die roten Fahnen begannen zu wandern, aus der Menge wurde der Zug.
Peter wollte los, aber Musch sagte Wart noch! drückte sich durch bis zum Tor, den Peter mit dem Transparent hinter sich her ziehend, spähte über die Köpfe und sah jetzt, was er erst nicht glauben wollte und doch glauben musste und ja auch unbedingt glauben wollte - dass dort im Hof eine einzige Menge von Schutzhelmen wogte, eine langsame Bewegung von gelben blauen braunen und ein paar weißen Töpfen - Mensch Wahnsinn Peter! Seine tiefe Stimme wurde kicksig vor Aufregung - kuck doch! Die kommen alle vom Hof! Die haben sich auf dem Hof versammelt und jetzt stoßen sie durch!
Tatsächlich riss der Strom noch lange nicht ab, sie wollten das Ende nicht abwarten. Als Musch sich, mitlaufend, umschaute, war ihm der Blick von Transparenten und Schildern versperrt. Er gab Armin seine Latte zu halten, trat seitwärts aus dem Zug, da war das Ende der Kolonne nicht zu sehn und auch nicht die Spitze. Die lange Henkelstraße war von der breiten Säule der dichtgedrängt marschierenden Arbeiter und Bürger über die halbe Fahrbahn hin ausgefüllt. Und die weißbekittelten Henkelaner drückten sich an den Glaswänden ihrer Labors die Nasen platt.
Er bat Armin um fünf Minuten Geduld, lief vor zur Spitze des Zugs, registrierte die vielen ausländischen Arbeiter, besonders die Türken mit ihren nationalen Schnurrbärten und grimmigen Augenbrauen, Frauen mit kleinen Kindern, trotz des einsetzenden Nieselregens, vorn bei den Vertrauensleuten Hans Wiedemann, neben ihm seine Frau, er hatte seinen Sohn auf die Schultern genommen, zeigte ihn gern in die Runde. Die Stimmung schien gelöster hier, die Kehlen und Zungen lockerten sich, erste Sprechchöre, von den Jungarbeitern und wenigen Studenten ad hoc erfunden. Die älteren Kollegen machten dabei kaum mit. Dafür erzählten sie Witze.

Die Polizei zeigte Respekt, regelte den Verkehr. Bis zum Werstener Kreuz marschierten dreitausend Mann und Frau durch Reisholz und Holthausen, acht Kilometer hin und zurück, drei Stunden aktiver Streik. Die Innenstadt, der Weg zum Rheinufer, war dem Betriebsrat aus verkehrstechnischen Gründen nicht genehmigt worden.
Statt dessen zum Abschluss, vor dem Werktor, die große Kundgebung, Vollsperrung der Henkelstraße, auf dem Pritschenlaster Raumann, mit starken Forderungen an die Regierung zur Eindämmung der Stahlkrise, Schorsch Eupers über den bedrohten Standort Düsseldorf, ein türkischer Kollege in seiner Sprache, der Sprecher der Metalljugend forderte knallhart die Überführung der Stahlindustrie in Gemeineigentum, und dann Manfred Anklam mit den wahren Gründen für die beabsichtigte Schließung dieses voll funktionsfähigen und rentablen Betriebs mit seinen achtzehnhundert Arbeitsplätzen, deren kompromisslose Verteidigung die Aufgabe einer breiten Koalition von Arbeitern und Bürgern, von demokratischen Parteien und Düsseldorfer Behörden sei. Er erntete den heftigsten Beifall.
Abends saßen Musch und Kolenda, von Spix verstärkt, in der überfüllten Kneipe von Manni Schäfer. Angesagt die konstituierende Sitzung einer neuen Bürgerinitiative zur Unterstützung der kämpfenden Belegschaft der StahlundRöhrenWerke. Der diensthabende Informant der Romanschreiber notierte in seine Kladde: Initiative zur Gründung ging aus vom SPD Ortsverein Hassels/Reisholz und Jusos. Vertreten sind Teile des VK, SPD und DKP Genossen, die MIG, Unorganisierte, ein Pfarrer, mehrere Lehrer, Spartakisten. Machtvolle Protestveranstaltung geplant, Eugen Loderer Hauptredner. Öffentliches Tribunal über Investitionspolitik von Mannesmann. Informationsstände auch in der Innenstadt, mit Unterschriftensammlung.
Viele Biere flossen. Der Wirt hatte den Umsatz des Jahres. Lasst euch bloß nicht von der Polizei erwischen, sagte Musch an Kolendas Lada zu den beiden von der Neusser Rheinseite, wir brauchen jetzt alle Kräfte für unsern Roman! Keine Sorge Musch, grinste Spix: wir fahrn kollektiv. Armin lenkt und ich bedien die Bremsen.
Erasmus Schöfers "Die Kinder des Sisyfos", Bd.1 "Ein Frühling irrer Hoffnung", Bd.2 "Zwielicht" und Bd. 3 "Sonnenflucht", Dittrich Verlag Köln, ISBN 3-920862-58-9
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