NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 30. April 2024  

Fenster schließen

Krieg und Frieden
Zivil und ungehorsam – Vortrag von Hans Lammerant in Köln, Teil 2
60 Jahre NATO: Zeit zum Ausstieg
Von Timothi Maywood und Christian Heinrici

Unter diesem Motto hatten Linker Dialog, das Kölner Friedensforum und die Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW, zur Diskussion geladen. Rund 40 Besucherinnen und Besucher folgten am 9.3. in der Alten Feuerwache in Köln interessiert dem Vortrag von Hans Lammerant, zivil-couragierter Friedensaktivist der belgischen „Vredesactie“: zum Thema NATO und dem was das „Bündnis“ momentan und zukünftig vorhat anzurichten. Hier der zweite Teil des Artikels, die Redaktion.

Fortsetzung des Artikels aus der vorherigen Ausgabe der NRhZ.

NATO – Krieg heute

Hans Lammerant in Büchel Foto: Christian Heinrici
Hans Lammerant in Büchel (s.u.)
Foto: Christian Heinrici
Was bedeutet die NATO für uns heute? Das fragen sich nicht ganz unberechtigt Tausende in diese Tagen, anlässlich des „Geburtstages“ der unheiligen Allianz – und so auch der belgische Friedensaktivist Hans Lammerant: „Nun, dank der NATO sind wir im Krieg. Die Bomben fallen nicht in Europa, sondern tausende Kilometer entfernt im Irak und in Afghanistan. Aber der Krieg wird von Europa aus geführt. Dank der NATO haben einige europäische Staaten noch immer Atomwaffen auf ihrem Territorium stationiert. Und sämtlich alle Mitgliedsstaaten sind in diese Nuklearpolitik eingebunden. Durch die fortgesetzte Expansion der NATO in Richtung Ukraine und Georgien wird zudem die Konfrontation mit Russland erneuert.“ erklärte er.

Durch ihre Mitgliedschaft in dem Militärbündnis sind die europäischen NATO-Staaten seit 2003 umfassend im Afghanistankrieg engagiert. In der ISAF-Truppe, die am Hindukusch operiert und die gerne als „Friedensmission“ dargestellt wird, tatsächlich aber ein Unternehmen zur Bekämpfung von Aufständen ist, stellt Europa 26.000 von 50.000 Soldaten. Noch in diesem Jahr plant das Pentagon eine Aufstockung um 20.000 weitere Soldaten und verlangt von Europa eine entsprechende Beteiligung.

„Diese angeblichen Friedensmissionen sind nicht einmal besonders erfolgreich! Im Gegenteil, die ‚Aufstände’ nehmen zu und breiten sich im ganzen Land aus...“ kritisierte Lammerant, und weiter: „Seit Anfang der 90er Jahre sind diese angeblichen Friedensmissionen zum Hauptanliegen der westlichen Militärs geworden...“ Sie orientierten sich dabei an dem Modell der britischen Militär- und Kolonialdoktrin mit ihren „Erfahrungen“ in Asien, Afrika und Nordirland, sowie der französischen im Algerienkrieg und der US-amerikanischen in Vietnam und im Irak.

aktueller Oberbefehlshaber der NATO und ehemaliger Guantanamo-Lager Kommandant Bantz J. Craddock
Aktueller obsterer „Warlord“ der NATO und   
ehemaliger Guantanamo-Lager
Kommandant Bantz J. Craddock [1]
Und diese Kriege gehen im wahrsten Sinne des Wortes von Europa aus: „54.000 US-Soldaten wurden 2003 direkt von Europa in den Irak versetzt, davon 26.000 allein aus Deutschland und Italien. Bomberangriffe wurden direkt aus Großbritannien und von der 6. Mittelmeerflotte geflogen. Guantanamohäftlinge wurden in Europa ‚verladen’, 75 Prozent der Rüstungslieferungen werden über Europa abgewickelt!“ erklärte der Sprecher der „Vredesactie“.[1]

Nukleares Vermächtnis und „Starwars“


Als Überbleibsel des Kalten Krieges lagern etwa 150-240 US-amerikanische Atombomben in Europa [2]: in den Niederlanden, in Belgien, der Türkei, darunter unter äußerst fragwürdigen Sicherheitsbedingungen im italienischen Aviano und in Büchel in der Eifel. „Das ist ein klarer Bruch des Atomwaffensperrvertrages!“ kritisierte Lammerant, denn im Kriegsfall würden sie beispielsweise auch von der Bundeswehr eingesetzt werden dürfen. Die Atomwaffen stellten zwar nur einen geringen Teil des gesamten US-Arsenals dar und hätten keine aktuelle militärische Bedeutung, doch sei es eines der Hauptmotive der USA, die Europäer zu Komplizen ihrer Atomwaffenpolitik zu machen.

Lammerant verwies in diesem Zusammenhang auch auf die Bedeutung des sogenannten Lissabon-Vertrages der EU. Sollte der in Kraft treten, könnten sich die EU-Staaten auf eine ganz ähnliche Solidaritätsklausel berufen, wie durch die „gegenseitige Beistandspflicht“ in Artikel 5 des NATO-Vertrages – was nicht nur eine „eigenständige EU-Sicherheitsstrategie“, sondern eben auch den Gebrauch von Atomwaffen ermögliche.

„Peacekeeper“ Missiles
Starwars 2010: Abfangraketen mit dem
schönfärberischen Namen „Peacekeeper“      
„Das neueste Spielzeug der USA in Europa ist das ‚Missile Defense System“ fuhr der belgische Kriegsgegner fort. Dazu soll laut Plänen der vorherigen und momentanen US-Regierung eine Basis mit „Abfangraketen“ an der polnischen Ostseeküste und das entsprechende Radarsystem in der tschechischen Region Brdy bei Pilsen stationiert werden (siehe auch „Regierung und Radar gekippt“ in dieser Ausgabe der NRhZ) – um so das Netz schon bestehender Anlagen in Fylingdales (GB), Grönland und Norwegen zu komplettieren. Letztes Jahr auf der NATO-Konferenz in Bukarest erklärten die „Verteidigungsminister“ das System zum integralen Bestandteil der NATO-Strategie.[3]

Abgesehen von seiner Unzuverlässigkeit und den immensen Kosten, würde die „Raketenabwehr“ das noch bestehende europäische nukleare Gleichgewicht aushebeln. Das Raketenschild wäre nicht in der Lage, einen russischen Großangriff zu stoppen, aber es würde Russland seiner Zweitschlagsfähigkeit berauben. Und so habe das vorgebliche Verteidigungssystem in Kombination mit atomaren Angriffswaffen einen äußerst aggressiven Charakter, erklärte Lammerant. Schon in der Planungsphase hatte das Projekt zu erheblichen Irritationen mit Russland geführt sowie eine Neuauflage des Kalten Kriegs in Aussicht gestellt.

„Partner für den Frieden“ und NATO global

„Vorwärtsverteidigung“ heißt das Motto der US-Strategen, was sich noch klarer bei den „Partnern für den Frieden“ in Osteuropa und im Kaukasus zeigt. In der Ukraine allerdings ist die Mehrheit der Bevölkerung gegen eine NATO-Mitgliedschaft – das politisch instabile Land ist quasi gespalten und beheimatet eine beachtliche russische Minderheit. Nichts desto trotz verfolgt die NATO hier die Strategie zur Schaffung von Klientelstaaten, wie auch in Georgien, wo laut Lammerant sowohl die NATO als auch Russland die „ethnischen Spannungen“ schürten und für ihre Zwecke ausnutzten.

Georgische Heckenschützen in Südossetien Foto: Jonathan Alpeyrie
Georgische Heckenschützen in Südossetien | Foto: Jonathan Alpeyrie

In den USA verfolgen sowohl Demokraten als auch Republikaner das Projekt einer weltweiten NATO, einer globalen „Allianz der Willigen“, die die UNO komplett in die Bedeutungslosigkeit entlassen würde. Ivo Daalder, Obama-Berater und bekennender Anhänger des neokonservativen Thinktanks mit dem bezeichnenden Namen „Project for the New American Century“ befürwortet eine „Allianz der Demokratien“, genauso wie der erzkonservative spanische Ex-Premier Aznar oder Medienzar und Bush-Förderer Rupert Murdoch. Als mögliche Partner werden Australien, Neuseeland, Japan, Süd-Korea, zuweilen auch Israel und Indien genannt.

Emblem der NATO totenschädel Grafik: Christian Heinrici
Grafik: Christian Heinrici                        
Mit dem Eintritt der asiatischen Staaten und Australien würde das Bündnis eine mächtige „Osterweiterung“ erfahren, und China müsste diese Drohgebärde ernstnehmen. „Bei einem Konflikt im Pazifik, wäre Europa automatisch mitbeteiligt, und der Erste Weltkrieg hat gezeigt, wie sich bei gegebenen Bündnisstrukturen ein ganz lokaler Konflikt zu einem Weltkrieg ausweiten kann... Aus US-amerikanischen Militärkreisen wird regelmäßig verlautet, dass sich der nächste ‚große Konflikt’ mit China anbahnen würde. Wollen wir da wirklich mitmachen?! Und was bedeutet das, für Staaten, die nicht Teil dieser neuen globalen Allianz sind und als ‚Sicherheitsrisiko’ ausgemacht werden könnten? Natürlich werden sie wohl wiederum auf diese Entwicklung militärisch reagieren. Das Ergebnis wäre ein neues Wettrüsten und die Militarisierung internationaler Beziehungen.“, schloss Hans Lammerant gedankenvoll – nicht ohne darauf hinzuweisen, wie wichtig es sei, die NATO zu ihrem „60. Geburtstag“ in Rente zu schicken – natürlich vorzeitig und unbezahlt (siehe grauer Infokasten unten). (CH)

Übersetzung: Timothi Maywood und Christian Heinrici
Weitere Informationen unter anderem auf
www.vredesactie.be (englisch, französisch, niederländisch)
www.natozu.de (deutsch, englisch, französisch, spanisch)


Fußnoten:
[1] Mit der Übernahme des Kommandos über das „US Southern Command“ war der aktuelle Oberbefehlshaber der NATO, Bantz John Craddock, auch verantwortlich für die Vorgänge im Gefangenenlager Guantánamo. Er rechtfertigte die dort angewandten Foltermethoden und machte öffentlich Witze über die Zwangsernährung von hungerstreikenden Internierten.
[2] Anm. der Red.: Die 348 französischen, rund 160 britischen und zehntausende russische Atomwaffen sind hier nicht mit aufgezählt.
[3] So auch Franz-Josef Jung (siehe Webseite), nicht nur oberster Herr der Bundeswehr und „Sympathieträger“, sondern offensichtlich auch schlecht beraten.


Lesen Sie auch in der vorherigen Ausgabe der NRhZ den ersten Teil von Timothi Maywoods Artikel. Bis dahin bleibt uns, auf folgende Veranstaltung aufmerksam zu machen: Die NATO feiert ihren 60jährigen Geburtstag, doch viele Menschen finden berechtigt, dass es für sie Zeit ist, in Rente zu gehen – unbezahlt bitte!


Graphik: Christian Henrici Foto: Gabi Hamann, pixelio.de
Grafik: Christian Henrici                                        
Foto: Gabi Hamann, pixelio.de
Der kommende NATO-Gipfel in Straßburg, Kehl und Baden-Baden vom 1. bis zum 4. April 2009 wird Ausgangspunkt einer Diskussion über ihre Militärstrategie der nächsten zehn Jahre sein. Auf der Tagesordnung stehen viele Punkte, die Lammerant in seinem Vortrag angesprochen hatte, sowie die zukünftige Rolle von Atomwaffen, die „Sicherung des Zugangs“ zu Öl und Gas, das weltweite „Agieren des Bündnisses“ und im Lichte des „Lissabon-Vertrags“ das Verhältnis zwischen EU und NATO.

Jeder klar denkende Mensch stellt sich natürlich die Frage: Wollen und brauchen wir eine solche NATO?! Unzählige Friedensaktivisten und Organisationen haben mittlerweile dazu aufgerufen, den Geburtstag der Kriegskoalition mit gewaltfreien aber lautstark vernehmbaren Protesten zu begehen. Dazu finden am 4. April eine Großdemonstration in Straßburg sowie an den vorangegangenen und folgenden Tagen zahlreiche Kundgebungen, Camps, Workshops, Foren und Konferenzen dort, sowie in Kehl und Baden-Baden.

Preiswerte Anreisemöglichkeiten nach Straßburg findet man über die „Busbörse“ von attac oder über „anreise“ auf www.NATOzu.de


Online-Flyer Nr. 190  vom 25.03.2009



Startseite           nach oben