NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

zurück  
Druckversion

Globales
Gespräch mit der Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi
Eiszeit im iranischen Frühling
Von Ali Safaei-Rad

Der Westen interessiert sich nur für die iranische Kernenergie, aber nicht für Menschen- und insbesondere Frauenrechte im Iran. Das kritisiert die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi (61) in einem Gespräch mit Ali Safaei-Rad in Teheran, das nur unter erschwerten Bedingungen zu führen war. Denn die Rechtsanwältin steht unter dauernder Beobachtung der iranischen Behörden. – Die Redaktion.

Shirin Ebadi – “Verrat“ durch 
Menschenrechtsengagement

Quelle:
www.nobelpreis.org
Der Staat der Mullahs, die Regierung Ahmadinedschad zumal, ist nicht etwa stolz auf die weltberühmte Friedens- und Menschenrechtsaktivistin, deren Verdienste 2004 mit dem Friedensnobelpreis gewürdigt wurden. Vielmehr reagiert der offizielle Iran allergisch auf das Engagement der unermüdlichen Anwältin für Menschen- und insbesondere Frauenrechte. Und das Imperium schlägt zurück, gegen Ebadi und den von ihr geleiteten Verband zur Verteidigung der Menschenrechte, die 1975 eine der ersten Frauen im Iran zur Richterin des Teheraner Gerichts berufen, nach der Islamischen Revolution aber 1979 von diesem Amt enthoben und deshalb Rechtsanwältin und Dozentin an der Universität in Teheran wurde.
 
Zwei Jahre Haft auf Bewährung und Berufsverbot

Im Jahre 1994 gründete Shirin Ebadi die Vereinigung zum Schutze der Rechte der Kinder im Iran. 1996 wurde sie mit der Medaille der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch geehrt. 1997 beteiligte sie sich an einer Kampagne, die zum Sieg des reformorientierten Mohammed Khatami bei der Präsidentschaftswahl führte. Im Jahre 2000 vertrat sie die Interessen der Angehörigen von Opfern eines Serienmordfalls und wurde wegen "Störung der öffentlichen Meinung" zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und einem Berufsverbot verurteilt. Shirin Ebadi berichtet über die Situation im Iran heute:

 
„Zu Beginn der israelischen Angriffe auf Gaza haben wir Solidaritätserklärungen veröffentlicht, in denen wir die Tötung der unschuldigen palästinensischen Kinder und Frauen verurteilt haben. Drei Tage nach der Veröffentlichung dieser Erklärung, die unsere Friedensinitiative und Unterstützung der palästinensischen Bevölkerung dokumentierte, sind einige Angreifer in mein Haus und mein Büro gestürmt und haben mich als Handlangerin (Israels und Amerikas) bezeichnet…. Alle wissen, auch die Angreifer, dass es nicht darum ging, dass wir nicht unsolidarisch zur palästinensischen Bevölkerung waren, sondern ihnen ging es um etwas anderes.“
 
In Oslo: Nobelpreis – in Teheran: Büroschließung
 
Worum es dem Trupp von Angreifern ging, die sich als Verkörperung eines gesunden islamischen Volksempfindens ausgaben, das verdeutlichte wenig später die iranische Staatsgewalt ganz offiziell. Shirin Ebadi:
 
„Am 21. Dezember (2008), während wir den sechzigsten Jahrestag der Menschenrechtserklärung gefeiert haben, brachen die Geheimpolizisten ohne Durchsuchungs-Befehl in das Büro ein. Sie haben das Büro geschlossen und versiegelt. Das ist ganz illegal. Wir haben protestiert und hoffen, dass die Regierung die Gesetze akzeptiert und so bald wie möglich das Siegel entfernt und uns den Zugang zum Büro gewährt.“
 
30 Jahre "Frühling der Freiheit"
 
Die gesteigerte Aggressivität von scheinbar religiöser und insbesondere behördlicher Seite gegen Shirin Ebadi hat aber aktuell nachvollziehbare Gründe.

Die iranische Regierung feiert in diesem Jahr nämlich das 30. Jubiläum der “iranischen Revolution“ unter dem Motto “Frühling der Freiheit“ – ein Slogan, mit dem einst Ayatollah Khomeini die Islamische Republik ausgerufen hatte. Doch die nach wie vor massive Unterdrückung der Menschenrechte – von brachialer Beschneidung der Redefreiheit bis hin zu Hinrichtungsrekorden mit Steinigung und Galgen – spricht dem idyllischen Bild eines 30jährigen iranischen Dauerfrühlings bitteren Hohn. Darauf weist Shirin Ebadi mit störender Unnachgiebigkeit hin – und sie wird international gehört. Wie zur Bestätigung ihrer Sichtweise deutet denn auch gerade die geschilderte zwangsweise Schließung ihres Teheraner Büros eher auf den Stil einer neuen diktatorischen Eiszeit hin als auf die Ankündigung eines liberalen Frühlings.
 
"Störfeuer unterbinden"
 
Hinzu kommt die neue außenpolitische Situation nach der Regierungsübernahme Obamas im Weißen Haus. Vielleicht, obwohl Skepsis beiderseits angebracht scheint, steht eine Neuordnung des Verhältnisses zwischen dem Iran und den USA an. Doch das muss keineswegs auch einen “Frühling“ für die Menschenrechte in der “Islamischen Republik“ bedeuten. Die intern ohnehin zerstrittenen Machthaber scheinen im Gegenteil, wenn schon das Atomthema entschärft werden sollte, jedes Störfeuer von Seiten unbequemer MenschenrechtsaktivistInnen wie Shirin Ebadi mit allen Mitteln unterbinden zu wollen. Die Friedensnobelpreisträgerin lässt sich in ihrem Einsatz gegen Unterdrückung von Frauen und religiösen Minderheiten sowie gegen die im Iran exzessiv angewandte Todesstrafe allerdings auch durch Repression nicht einschüchtern. Dabei ist ihre Sicht differenziert, auch und gerade, wenn sie ausdrücklich vor Vergesslichkeit warnt:
 
„Die Situation der Menschenrechte im Iran ist heute im Vergleich zum Stand vor 27 oder 28 Jahren etwas besser, aber die Verletzung der Menschenrechte ist noch da.“
 
Todesstrafenrekorde – auch bei Minderjährigen
 
Namentlich die exzessive Anwendung der Todesstrafe wirft ein düsteres Licht auf den “Frühling der Freiheit“ in der Islamischen Republik. Diese belegte auch 2008 nach China weltweit den zweiten Platz als Hinrichtungs-Rekordland – bei der Hinrichtung von Minderjährigen erzielte der Iran wahrscheinlich sogar einen makabren Weltrekord. Wie lange ein im Oktober 2008 verkündetes Moratorium bei der Hinrichtung Minderjähriger hält und ob es überall im Lande auch eingehalten wird, wird zu beobachten bleiben.
 
Nach wie vor aber werden Homosexuelle im Iran verfolgt und zum Tode verurteilt. Die schrecklichen Bilder zweier Jugendlicher, die unter dem Vorwurf, schwul zu sein, öffentlich aufgehängt wurden, sind ja international in Erinnerung. Nach wie vor werden auch kriminelle und sexuelle Vorwände konstruiert, um beispielsweise politische Oppositionelle zu diskreditieren und wegzusperren.
 
Politische Justiz
 
Wie überhaupt politischen Oppositionellen nach 30 Jahren “iranischen Frühlings“ immer noch die Todesstrafe droht. In einem Geheimverfahren zum Tode verurteilt wurde 2008 nach unaufhörlicher Folter beispielsweise Farzad Kamangar, ein Aktivist der kurdischen Lehrergewerkschaft. Vorwurf u.a.: “mohareb“, zu deutsch: „Feindschaft zu Gott“. Kamangar gehörte zu einer Gruppe von zehn iranisch-kurdischen Intellektuellen, deren Hungerstreik in der Todeshaft im letzten Sommer internationales Aufsehen erregte. Auch in Köln fanden aus diesem Anlass Proteste gegen die politische Justiz des Iran statt.
 
Wegen des erwähnten Pauschalvorwurfs “mohareb“ soll die Todesstrafe nach einem im Teheraner Parlament bereits eingebrachten Gesetzesentwurf künftig auch auf Internet-Publikationen stehen, in denen die Moral- und Glaubenswächter “Werbung für Prostitution und Gotteslästerung“ wittern, so der weit gefasste Tatbestand.
 
Frauen- und Minderheitenrechte
 
Doch Menschenrechtsverletzungen im Iran beschränken sich nicht nur auf die Exzesse von Folter und Todesstrafe. Sie bilden weithin ein Fundament gesellschaftlicher Struktur überhaupt. Das treibt Shirin Ebadi gerade vor dem Hintergrund ihres Engagements für Frauenrechte besonders um:
 
„Manche unserer Gesetze basieren auf Geschlechtsdiskriminierung. Z.B. ist das Leben einer Frau halb so viel wert wie das eines Mannes. Wenn ich mit meinem Bruder auf der Strasse überfallen werde, dann ist die Geldstrafe, die der Täter zahlen muss, im Fall meines Bruders doppelt so hoch wie es mir gesetzlich zusteht. Wir haben auch religiöse Diskriminierungsgesetze. So kann ich über die Situation der Bahai-Religionsgemeinschaft im Iran sagen, dass deren Angehörigen seit Beginn der Revolution bis auf den heutigen Tag das Recht auf ein Studium verweigert wird. Auch die Redefreiheit ist im Iran sehr eingeschränkt. Das ist ein Grund dafür, dass unabhängige Zeitungen zunehmend geschlossen werden.“
 
Ablenkung von inneren Verhältnissen
 
Gerade wie es um Meinungsfreiheit im Iran bestellt ist, hat Shirin Ebadi durch die Angriffe auf ihr Menschenrechtsbüro und dessen Schließung selbst nachhaltig erlebt. Dabei instrumentalisiert das Regime natürlich auch den Palästina-Konflikt – einerseits, um sich als Fürsprecher für die Unterdrückten der israelischen Okkupation zu profilieren, andererseits aber auch, um innere Opposition der Komplizenschaft mit Israel oder der Steuerung durch die USA zu verdächtigen und zu diskreditieren. Auch letzteres hat Shirin Ebadi, wie dargestellt, erlebt.
 
Tatsächliche Verletzung internationalen Rechts
 
Noch bleibt abzuwarten, ob es, wenn schon nicht zu Frühlingswetter, so doch zu einer „Tauperiode“ zwischen dem Iran und dem Westen kommen wird. Was die Menschenrechte im Lande angeht, wird der „Frühling der Freiheit“ allerdings, so fürchtet die Friedensnobel-Preisträgerin, voraussichtlich auch weiterhin nur in blumigen Reden, nicht jedoch in der Wirklichkeit des iranischen Alltages stattfinden.
 
Dass der Iran im Hinblick auf sein im Westen partiell hysterisiert aufgeblasenes angebliches Atomprogramm, wenigstens, soweit es sich um zivile Nutzungszwecke handelt, das gleiche Recht auf Urananreicherung hat wie jeder andere Staat nach den Regeln des Völkerrechts und den Vorgaben des Atomwaffen-Sperrvertrages auch, unterstreichen auch iranische Oppositionelle. Es wäre ein Beitrag zu internationaler Friedenssicherung, wenn sich diese Erkenntnis in absehbarer Zeit beispielsweise auch in Washington durchsetzen würde. Gerade deswegen aber sollte man Shirin Ebadis Hinweis auf tatsächliche Verletzungen internationalen Rechts nicht überhören:
 
„Die Situation der Menschenrechte im Iran steht in vielen Bereichen im krassen Widerspruch zu den internationalen Verpflichtungen der iranischen Regierung, beispielsweise aus den von ihr unterzeichneten Menschenrechtsakten der Vereinten Nationen.“ (PK) 

Online-Flyer Nr. 190  vom 25.03.2009

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE