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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Arbeit und Soziales
Workfare im Kontext gesellschaftlicher Reproduktion
Malochen ohne Vertrag
Von Irina Vellay

Die dauerhaft aus existenzsichernder, sozialversicherter Erwerbsarbeit ausge­grenzten Menschen gelten als nicht hinreichend leistungsfähig, um in Zeiten flexibler Akkumulation und hoher Selbststeuerungsanforderungen an das Individuum mithalten zu können. Das Abschaffen der einfachen Hilfstätigen, die den verbliebenen FacharbeiterInnen bzw. mittleren Angestellten aufgebürdet wurden, führte auf breiter Front zur Abwertung der fachlichen Arbeit und zu Lohnsenkungen. Damit wurde das Terrain für die heute zu beobachtende Dramaturgie der Ausgrenzung zu „überflüssigen Menschen" bereitet.

Workfare im Management von Armut

Die Unterschichtung des Arbeitsmarktes mit Löhnen unterhalb der Armutsschwelle (hier: ALG II) und die Absenkung der Leistungen für Langzeitarbeitslose auf dieses Niveau hat den Anteil der Armen bereits auf fast 20 Prozent anschwellen lassen. Es geht längst nicht mehr um die Bearbeitung von Langzeitarbeitslosigkeit durch die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt und die Senkung der Kosten für Transferleistungen. Vielmehr gewinnt die Notwendigkeit an Bedeutung, Armut in der Gesellschaft lebbarer zu gestalten und als eine normale und existenzsichernde Lebenslage zu integrieren.

Workfare war die politische Antwort auf den Paradigmenwechsel im Umgang mit der Armut und zielte auf die gesellschaftliche Reproduktion insgesamt. Workfare lässt sich nicht denken ohne die Ausprägung einer gesellschaftlichen Armutszone als Parallelgesellschaft mit eigenen Institutionen. Doch dieser Armutssektor wird mithilfe von Workfare strukturell gefestigt. Die Einsatzfelder sind insbesondere das Reinigen und Herrichten des öffentlichen Raums, einfache Reparatur- und Unterhaltungsarbeiten an öffentlichen Gebäuden, Betreuen und Versorgen von Kindern, Alten, Kranken und Behinderten, (ambulante) hauswirtschaftliche und pflegerische Dienstleistungen, niedrigschwellige Repression gegenüber Ordnungswidrigkeiten und Kleinkriminalität im öffentlichen Raum, Recyclingwirtschaft, Second Hand oder auch das Verteilen von nicht mehr verkehrsfähigen Lebensmitteln. Workfare bildet für die Politik einen wesentlichen Baustein, um einerseits Armut zu verwalten und zu kontrollieren, andererseits wird durch die Unterschichtung des Marktes für Reproduktionsleistungen mit unbezahlter Arbeit der Kostendruck im Markt erhöht. Die politisch forcierte Senkung des Niveaus der Reproduktion der ärmeren Gruppen auf das Existenzminimum geht zudem einher mit der Neubestimmung dieses Niveaus. Durch den Aufbau von Versorgungsstrukturen jenseits des Marktes für Transferleistungsberechtigte und die Nutzung von Resten und Abfällen der „Konsumgesellschaft" zum Beispiel aus so genannten „Sozialkaufhäusern“ wie in Köln-Kalk verschiebt sich der Bezugspunkt für das sozio-kulturelle Existenzminimum.

Die Dienstverpflichteten: „Moderne Sklaven"


Die umfassende Deregulierung der Erwerbsarbeitsbeziehungen im Niedriglohnsektor und die Etablierung von Workfare – insbesondere in Feldern öffentlicher Beschäftigung oder der Wohlfahrtspflege – schaffen zudem Verhältnisse, in denen die Löhne nur noch Zuverdienste zu einer öffentlich gesicherten Unterhaltsleistung, dem ALG II als Sozialhilfe, darstellen. Im Niedriglohnsektor werden immer mehr kleine Einkommen bis zum Existenzminimum mit dem ALG II aufge­stockt. Im Jahre 2008 hatten ca. 1.3 Mill. Menschen ergänzende Leistungen nach dem ALG II erhalten. Von Workfare als Ein-Euro-Jobs sind jährlich ca. 270.000 Menschen betroffen. Es zeigen sich jedoch nicht nur finanzielle Folgen, sondern die Arbeitsbeziehungen werden mit der Einführung von Workfare neu gestaltet. Die Bedeutung von Arbeitsverträgen nimmt mit der wortwörtlichen Armseligkeit der Bedingungen, zu denen gearbeitet werden muss, tendenziell ab. Workfare begründet kein Arbeitsverhältnis mehr, sondern eine „Fürsorgebeziehung" ohne vertragliche Grundlage.


Die Jobs der Zukunft - rechtlos
Foto: arbeiterfotografie 


Ein Ausstieg in eine existenzsichernde Beschäftigung gelingt den Betroffenen nur selten. Das IAB konstatiert eine Übergangsquote in den ersten Arbeitsmarkt von lediglich 4 Prozent. Die meisten bleiben gefangen in sich wiederholenden Maßnahmeschleifen und Arbeitslosigkeit. Je sichtbarer der dauernde Ausschluss, umso mehr wird Workfare zu Dauerlösung und Prinzip im gesellschaftlichen Umgang mit Langzeitarbeitslosigkeit. Dieser schleichende Übergang zu einem verallgemeinerten Workfaresystem ist mit weitreichenden Verschiebungen im gesellschaftlichen Rechtssystem verbunden. Die Entrechtung der zu Workfare Dienstverpflichteten geht über die im Niedriglohnsektor längst übliche Verweigerung von sozialen Rechten und Schutzansprüchen weit hinaus. Die Dienstverpflichteten verlieren elementare bürgerliche Rechte, wie zum Beispiel die Vertragsfreiheit, die Koalitionsfreiheit, die Möglichkeit, den Lohn auszuhandeln, die freie Wahl des Berufes, des Arbeitsplatzes und des Wohnortes, und im Prinzip auch die Reisefreiheit. Damit werden Menschen des Grundrechtes der freien Selbstbestimmung beraubt. Eine Interessenvertretung der Betroffenen ist politisch gar nicht erst vorgesehen.

Mit der Einführung von Workfare durch den flächendeckenden Einsatz der Ein-Euro-Jobs wurde ein Gravitationsfeld geschaffen, welches die Bedingungen im Niedriglohnsektor deutlich nach unten verschiebt. Der Staat setzt in dieser Neuausrichtung erneut die Maßstäbe: wurde früher mit den Leistungen und Regelungen des Öffentlichen Dienstes „gute Arbeit" definiert, so kann heute Workfare als Referenzrahmen für das Ausmaß der Entrechtung im Niedriglohnsektor gelten. Hieran erweist sich einmal mehr, dass die Politik der Ausgrenzung in den letzten 30 Jahren eine ausreichende kulturelle Sicherung der Existenz nicht mehr beabsichtigt und bittere Armut bewusst in Kauf nimmt.

1) vgl. S. 21, BA: Analyse der Grundsicherung, Feb. 2009
2) MAE 248.267, Entgeltvariante 21.021 in 2008, vorläufige Zahlen der BA vom 12.03.2009
3) vgl. S. 187, Möller, Joachim, Ulrich Walwei: Handbuch Arbeitsmarkt 2009, 2009

Zusammenfassung aus einem Vortrag von Irina Vellay in der Tagung „Arbeits(un)recht in Deutschland“, Arbeit und Arbeitslosigkeit in der Krise des Neoliberalismus, 14. März 2009, Köln


Online-Flyer Nr. 189  vom 18.03.2009

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