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Filmclips
„Die Eiserne Mauer“
Von Tilman Evers



Seit 2005 durchzieht eine Trennungsmauer das Westjordanland. Sie trennt Palästinenser von Israelis, vor allem aber Palästinenser von Palästinensern. In Deutschland wird sie kaum wahrgenommen; dabei sollten wir ein Gespür dafür haben, was eine solche Mauer bedeutet. Wir sind auf das Existenzrecht Israels verpflichtet. Dürfen wir in Deutschland das Leid nicht wahrnehmen, das diese Mauer den Palästinensern antut?

mohammed alatar
Filmemacher Mohamed Alatar
Quelle: sydneyarabfilmfestival.com
„Die beste Darstellung der Trennungsmauer, ihres Verlaufs und ihrer Auswirkungen“, so nennt der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter diesen 2006 entstandenen Film, der 2008 ins Deutsche übersetzt wurde. Der Regisseur Mohammed Alatar lebt als kommerzieller Filmemacher in den USA und ist Mitbegründer der Organisation Palestinians for Peace and Democracy. Bei seinen Reisen nach Palästina hat er sich zu diesem persönlichen Beitrag entschlossen und zunächst mit eigenen Mitteln gefilmt. Unterstützung fand er bei den halboffiziellen Palestinian Agricultural Relief CommitteesPARC. Schweizer und Deutsche haben jetzt in privater Initiative eine deutsche Fassung erstellt. Bislang hat sich in Deutschland weder ein Verleih, noch eine Fernsehanstalt gefunden, trotz Anerkennung und Betroffenheit: „Das Gelände ist vermint.“
 
Steingewordene Wirklichkeit
 
Der Film schmerzt – gerade weil er auf kollektive Anklagen, auf schrille Töne verzichtet. Stattdessen zeigt er die steingewordene Wirklichkeit, interviewt Palästinenser und Israelis, auch ehemalige Armeeangehörige, verwendet Dokumentarszenen. Zweihundert Siedlungen mit 450.000 Siedlern gibt es derzeit in der besetzten Westbank – wo es nach internationalem Recht keine einzige geben dürfte. Kilometerweit zieht die Kamera über die Beton-Neubauten auf Hügelrücken. Gezeigt wird das Netz der Schnellstraßen, das diese Außenstädte untereinander wie mit Israel verbindet und zugleich das Land der Palästinenser zerteilt: Sie dürfen diese Straßen weder benutzen noch überqueren. Die Siedler verbrauchen pro Kopf fünfmal soviel Wasser wie die Bewohner der umliegenden palästinensischen Dörfer – die aber für Wasser das Vierfache bezahlen. Man sieht das Schmutzwasser der Siedlungen ungeklärt durch die Täler der Palästinenser fließen.
 
Nur noch ein Teil der Siedler ist ideologisch motiviert; dokumentarische Szenen zeigen die ungezügelte Aggression dieser Radikalen. Die Armee schützt sie; hat sie Angst vor ihnen? Die Mehrzahl der Siedler aber vermeidet den Kontakt und verdrängt jeden Gedanken an die Palästinenser. Sie folgen den wirtschaftlichen Anreizen, mit denen israelische Regierungen den Siedlungsbau fördern. Seit 1948 haben alle Regierungen dieselbe Politik verfolgt, so viel Land wie möglich zu nehmen und Fakten „on the ground“ zu schaffen. Das Abkommen von Oslo 1993 hat daran nichts geändert, im Gegenteil: Die Mehrzahl der Siedlungen entstand danach.
 
Die Araber sollen verschwinden
 
Der Auslöser für den Bau der Mauer war Sicherheit, das Ziel ist Landnahme. Wenn sie fertig gestellt ist, werden 42 % des Westjordanlands nicht mehr den Palästinensern gehören. Zu den quälendsten Sequenzen in dem Film gehören die tonlosen Schaubilder, auf denen sich die rote Linie des Bau-Verlaufs in abenteuerlichen Windungen durch die Landkarte schlängelt. Die Dokumentarszenen und Interviews zeigen, was das bedeutet: Dorfbewohner werden gewaltsam von ihren Olivenplantagen vertrieben, das Land enteignet, die Bäume gefällt. Schulen und Krankenhäuser werden für sie unerreichbar, Besuche untereinander fast unmöglich. Erfundene Rechtstitel und verweigerte Genehmigungen ergänzen diese Vertreibung.
 
Wie soll aus diesen Ghettos ein palästinensischer Staat entstehen? Hinter der Politik der Siedlungen steht: Die Araber sollen verschwinden. Irgendwann, Schritt für Schritt, irgendwohin. Die Mauer macht palästinensisches Leben schier unmöglich, und soll dies wohl auch.
 
Natürlich „ein-seitig“
 
Einen „ausgewogenen“ Film über diese Mauer kann es nicht geben. Er muss “ein-seitig“ sein, um Wirklichkeit zu vermitteln. Nur einmal wird für Sekunden ein von einem Selbstmordanschlag zerfetzter israelischer Bus gezeigt – sonst geht alle Gewalt in diesem Film von Israelis aus. Das ist nicht die ganze Wahrheit. Aber Wahrheit gibt es in diesem Konflikt auch nur in der Entgegensetzung, nicht als Gemeinsamkeit. Ein israelischer Film zu dem Thema würde andere Geschichten, anderes Leid erzählen. Er würde die Suche nach Sicherheit im geraubten Land vor dem Trauma der Shoa fühlbar machen – eine Wunde, die fast täglich von palästinensischen Anschlägen und Raketen offen gehalten wird. Vermutlich würde er den Konflikt in den größeren regionalen Rahmen stellen, in dem Macht und Ohnmacht nicht so krass ungleich sind. – Die Frage ist: Wie kann eine unverzerrte Darstellung der israelischen Sicht aussehen, wenn die Fakten den Worten widersprechen? Können Waffen und Geld auf Dauer eben jene Menschen- und Völkerrechte für die Palästinenser außer Kraft setzen, die „der Westen“ überall sonst einklagt?
 
Hoffnungskeime
 
Friedensgewillte Gruppen sind auf beiden Seiten eine Minderheit. Auch sie kommen in diesem Film zu Wort – als Hoffnungskeime, deren Zeit noch nicht gekommen ist. Es gibt keinen Frieden im unheiligen Land. Die Zahl der Siedlungen wird unter Netanjahu weiter wachsen. Und damit die alltägliche Gewalt mit höchst ungleichen Waffen. Eine dieser Waffen ist die Mauer. (PK)

Dr. Tilman Evers, Kassel, Privatdozent für Politikwissenschaft, ist freier entwicklungs- und friedenspolitischer Gutachter

Die eiserne Mauer



DVD:
„Die Eiserne Mauer (The Iron Wall).“
Israel/Palästina 2006,
Regie Mohamed Alatar,
Produktion: Palestinian Agricultural Relief Committees PARC/Palestinians for Peace and Democracy, 53 min.
Deutsche Fassung 2008,
Preis: 25,- Euro,
Bezug über info@KAOS-archiv.de



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