NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 27. April 2024  

zurück  
Druckversion

Inland
Diehl-Konzern erreichte bei Gericht nettere Sprachregelung für neue Waffe
„Streumunition“ oder was?
Von Hans Georg und Peter Kleinert

Der Rüstungskonzern Diehl hat Kritik an einer umstrittenen Kriegsmunition aus seinem Hause gerichtlich durch eine Einstweilige Verfügung unterbunden. Mittelpunkt eines Prozesses, der am Montag in München stattfand, ist ein neuartiges Geschoss mit dem Seriennamen „SMArt 155". Es soll traditionelle Streumunition ersetzen, die lange Jahre auch von Diehl hergestellt wurde, inzwischen aber wegen ihrer hohen Opferzahl unter der Zivilbevölkerung international geächtet ist.

Karl Diehl – Konzerngründer und
Namensgeber der "Karl-Diehl-Stiftung für    
Menschen in Not"
Quelle: Diehl-Stiftung
Wie Rüstungskritiker erklären, sei "SMArt 155" aus technischer Perspektive ebenfalls Streumunition und nur wegen massiver Interventionen der Bundesregierung von der internationalen Ächtung ausgenommen. Man befürchte auch hier Blindgänger und viele zivile Opfer, erklären Menschenrechtsorganisatio- nen. Diehl behauptet das Gegenteil und will die Bezeichnung "Streumunition" für "SMArt 155" jetzt gerichtlich verbieten lassen. Millionen- geschäfte stehen auf dem Spiel. Der Konzern gehört seit Jahrzehnten zu den tragenden Säulen der transatlantischen Militärindustrie. Eine Grundlage für seinen Erfolg schuf er im Zweiten Weltkrieg.
 
SMArt 155
 
Auslöser des aktuellen Prozesses war eine Kolumne des Regensburger Journalisten Stefan Aigner. Aigner hatte im Sommer 2008 in der Internetzeitung "Regensburg Digital" geschrieben, der Rüstungskonzern Diehl stelle Streumunition her.[1] Das Unternehmen hat diese Munition mit dem freundlichen Namen "SMArt 155" versehen, obwohl sie von Experten in der Tat als Streumunition klassifiziert wird - schon aus rein technischer Perspektive. „Streumunition heißt: ein Behälter mit mehreren Submunitionen", sagt François De Keersmaeker, Geschäftsführer des deutschen Zweigs der Organisation Handicap International [2]; die seit Jahren gegen den Einsatz von Landminen und Streubomben kämpft. "SMArt 155" beinhaltet zwei Explosivsätze, entspreche also der üblichen Definition für Streumunition. Diehl hingegen nennt die Waffe "Punktzielmunition", will die Einstufung des Journalisten Aigner verbieten lassen und damit seine eigene Namensgebung zum verbindlichen Maßstab erheben.
 
Definitionsfragen
 
Hintergrund des Streits ist die internationale Ächtung von Streubomben, die im vergangenen Jahr mit der Unterzeichnung der Streubomben-Konvention durch fast 100 Staaten in Geltung gesetzt worden ist. Seitdem ist die Herstellung von Streumunition in den Unterzeichnerstaaten, darunter Deutschland, verboten. Hier hatten mehrere Rüstungsunternehmen in der Vergangenheit Streumunition hergestellt, darunter Rheinmetall und EADS, aber auch Diehl. Dieses Geschäftsfeld ist mit der Streubomben-Ächtung geschlossen. Allerdings hat die Bundesregierung für die Öffnung eines neuen Marktes gesorgt und durchgesetzt, dass "alternative Streumunition", sogenannte Punktzielmunition, von der Ächtung ausgenommen worden ist. Bei diesem Munitionstypus handelt es sich um Behälter mit mehreren Submunitionen, die mit Suchköpfen bestückt sind und mit einem Sensor nach Zielen, etwa nach gepanzerten Gefechtsfahrzeugen, suchen. Die Definition für Punktzielmunition, die Berlin in den Verhandlungen zur Streubomben-Konvention entschlossen durchgesetzt hat, entspricht den Eigenschaften von "SMArt 155" und einem französischen Konkurrenzprodukt.[3]
 
Scharfe Kritik
 
Die Diehl'sche "Punktzielmunition", deren Verkauf nach der Ächtung traditioneller Streubomben deutlich zunehmen dürfte, wird weithin scharf kritisiert. Menschenrechtsorganisationen wie Handicap International oder das Aktionsbündnis Landmine.de weisen darauf hin, dass bislang kein einziger unabhängiger Test über die Zuverlässigkeit von "SMArt 155" durchgeführt worden ist. Das Bundesverteidigungsministerium musste bereits eingestehen, dass die Auslösemodalitäten der Suchköpfe das Risiko, ein falsches Ziel zu treffen, deutlich erhöhen. „Die Munition kann auch einen zivilen Lastwagen treffen, wenn er eine ähnliche Größe hat wie ein Panzer", erklärt ein Experte des britischen Rüstungsriesen BAE Systems.[4] Wegen zahlreicher Gefahrenquellen für Zivilpersonen hatten sich mehr als 20 Staaten vehement dafür ausgesprochen, auf jede Ausnahme von der Ächtung zu verzichten; Österreich hatte bereits 2007 ein Streumunitions-Verbot erlassen und dabei auch sogenannte Punktzielmunition eingeschlossen. Gegen den Druck aus Berlin ließ sich jedoch der Widerstand nicht aufrechterhalten. Dabei wurde, wie das Aktionsbündnis Landmine.de feststellt, „die Verhandlungsposition der Bundesregierung (...) ausdrücklich von einem deutschen Hersteller alternativer Streumunition unterstützt."[5]
 
Weltweit führend
 
Der Diehl-Konzern, der jetzt die Bezeichnung "Streumunition" für "SMArt 155" verbieten lassen und damit der Kritik an der Waffe ein Ende setzen will, gehört mit einem Jahresumsatz von 2,2 Milliarden Euro zu den größten Rüstungsfirmen der Bundesrepublik. Seit den 1950er Jahren beliefert die Firma aus Nürnberg die Streitkräfte der NATO und anderer westlicher Staaten mit einer breiten Produktpalette von Waffen und Munition, die von Panzerketten bis zu Lenkflugkörpern und Hubschrauberteilen reicht. Mit dem US-Rüstungsgiganten Raytheon unterhält Diehl ein Joint Venture zu Modernisierung und Vertrieb von Sidewinder-Raketen. Von der neuen "SMArt 155"-Munition erhofft sich Diehl die Eröffnung eines weiteren gewinnbringenden Geschäftsfeldes. Zwar wurde die Waffe für die Bundeswehr entwickelt und ist dort seit dem Jahr 2000 eingeführt. Doch hat der Nürnberger Konzern mittlerweile weitere Abnehmer gefunden. Anfang 2008 schloss er Übereinkünfte mit den Streitkräften Großbritanniens und Australiens zur Lieferung von "SMArt 155"-Geschossen ab - im Wert von mehr als 120 Millionen Euro.[6] Seine PR-Abteilung spricht von einer „weltweit führende(n) Position (...) auf dem Feld modernster Artillerie-Munition".[7]
 
Kriegsmusterbetrieb
 
Eine Grundlage für seinen bis heute anhaltenden Erfolg schuf der Konzern mit der Rüstungsproduktion im Zweiten Weltkrieg, die ihm den Titel eines "Kriegsmusterbetriebes" einbrachte. Unter Karl Diehl ließ der Konzern unter anderem in Konzentrationslagern produzieren; überlebende jüdische Zwangsarbeiterinnen berichteten von schlimmen Arbeitsbedingungen und brutaler Selektion. Aufzeichnungen der US-Militärregierung zufolge beschäftigte das Unternehmen auch nach Kriegsende ehemalige Nationalsozialisten in Spitzenpositionen; so wirkte ein einstiger Offizier der SS-Leibstandarte Adolf Hitler sowie Aktivist eines SS-Traditionsverbandes als Lobbyist für Diehl in Bonn - mit Erfolg.[8] Schwierigkeiten mit dem Rüstungsgeschäft gab es erst in den 1990er Jahren, als das Ende der Systemkonfrontation die Waffenproduktion einbrechen ließ, wenn auch nur für kurze Zeit. Mittlerweile haben die neuen Kriege die Auftragslisten von Militärlieferanten wie Diehl längst wieder gut gefüllt. Chancen bietet jetzt auch die Munition "SMArt 155", die allerdings in Gefahr geraten könnte, würde sie mit der schlecht beleumundeten Streumunition identifiziert. Um dies zu verhindern, ging der Diehl-Konzern nun am Montag vor Gericht. (PK)

Presseerklärung zum Prozessausgang:

Ein Vergleich. Das ist das Ergebnis in der Auseinandersetzung Diehl ./. Stefan Aigner am 2. März 2009 vor dem Landgericht München I. Unsere Redaktion hat die vom Landgericht erlassene einstweilige Verfügung zugunsten von Diehl akzeptiert, um die wirtschaftliche Existenz von regensburg-digital.de nicht zu gefährden. Diehl hat daraufhin die Klage zurückgenommen.
 
Ein Grund zum Jammern? Nein! Den Verlauf des Verfahrens wollen wir nicht kommentieren (Wir verweisen auf den Pressespiegel unter www.waffen-diehler.de). Den Ausgang werten Stefan Aigner und Rechtsanwältin Dr. Britta Schön – wenn auch mit einem weinenden Auge – als Erfolg für eine engagierte und wehrhafte Zivilgesellschaft.
 
„Mordwerkzeuge“

Diehl dürfte klar geworden sein: Um die erwünschten euphemistischen Bezeichnungen für seine „Mordwerkzeuge“ (taz) zur allgemeingültigen Regelung zu erheben und die Sprache von geschäfts- und imageschädigenden Begriffen zu säubern, reicht es nicht, ein kleines lokales Online-Magazin mit Drohgebärden einzuschüchtern. Dafür müsste der Rüstungskonzern dem Grundrecht auf Meinungs- und Pressefreiheit den totalen Krieg zu erklären.
 
NGOs wie Handicap International oder das Bündnis Landmine.de, die sich seit Jahrzehnten für die Opfer jener Produkte engagieren, werden diesen Kampf auch weiterhin ohne sprachliche Einschränkungen führen. Ebenso Munitionsexperten, die sich nicht der Definitionshoheit von Diehl unterwerfen. Sie haben sich, ebenso wie engagierte Journalistinnen und Journalisten, Blogger und Menschen jeden Alters vor und hinter uns gestellt. Mit diesem Bewusstsein haben wir das Verfahren bestritten und konnten einen Vergleich akzeptieren, der für uns persönlich einen Maulkorb bedeuten mag, uns unsere Meinung aber nicht nehmen kann.
 
Das Thema einer engen Verquickung zwischen Bundesregierung und Waffenindustrie, die humanitäre Interessen den wirtschaftlichen unterordnen, erreicht zunehmend den Durchschnittsleser. Dazu haben wir einen Beitrag geleistet. Was will Journalismus mehr? Es bleibt abzuwarten, ob Diehl weitere Medien, NGOs und Experten verklagt. Wir alle werden uns zu wehren wissen.
 
Stefan Aigner,
Herausgeber von www.regensburg-digital.de
Kontakt: tel 0941/ 44 80 69 80, mobil 0179/ 130 88 47, fax 0941/ 44 80 69 82, e-mail: info@regensburg-digital.de                                     
 
[1] Verdienstorden und Streubomben; www.regensburg-digital.de 25.07.2008
[2] Wortgefecht um "Streumunition"; br-online.de 16.02.2009
[3] David gegen Diehl: Der Rüstungsbetrieb will keine Streumunition herstellen; Presseerklärung von Handicap International Deutschland 23.02.2009
[4], [5] Alternative Streumunition - Problem oder Lösung? Aktionsbündnis Landmine.de, August 2008
[6], [7] Tochtergesellschaft von Diehl und Rheinmetall schließt Beschaffungsverträge für SMArt-Munition mit den britischen und australische Streitkräften; www.diehl.de 08.01.2008. "SMArt 155" ist inzwischen auch in Griechenland und der Schweiz eingeführt. Diehl produziert die Waffe gemeinsam mit Rheinmetall; das Joint Venture läuft unter dem Namen "Gesellschaft für Intelligente Wirksysteme mbH" (GIWS).
[8] Ehrenbürgers Spenden; Antifaschistische Nachrichten 14/1998. S. auch Zwei Wege - ein Ziel


Mehr unter www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57480 und in NRhZ 168 „Den Tod bringen Waffen aus Deutschland – Teil II“ von Jürgen Grässlin

Online-Flyer Nr. 187  vom 04.03.2009

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE