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Aktueller Online-Flyer vom 24. April 2024  

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Kultur und Wissen
Eine Antithese zu Hans Detlef von Kirchbachs “Schwule Anstandswauwaus“
Mutig nur an warmen Wochenenden
Von Tanja Krienen

In der NRhZ-Ausgabe 186 hatte sich H.D.v. Kirchbach mit der am 19. Januar vom „Kölner Lesben- und Schwulentag“ beschlossenen und von der Kölner Konzernpresse begrüßten „CSD-Charta“ ironisch auseinandergesetzt. Gegen bürgerverschreckende Provokationen sollen danach Kölns Schwule und Lesben selbst vorgehen, Toleranz, die Schwulen und Lesben von der Gesellschaft entgegengebracht wird, nicht durch "maßlose Provokation" überstrapazieren und gegen Unanständiges die Polizei alarmieren - so das Ergebnis seiner Analyse. Hier die Reaktion der transsexuellen Autorin und Journalistin Tanja Krienen. – Die Redaktion

„Endlich darf ich meinen Mann küssen!“ 
– CSD Köln 2002
Quelle: www.galerie-arbeiterfotografie.de
„Was würde Marx dazu sagen? Dürfte er noch seine Meinung äußern, oder wäre er als „heterosexueller Reaktionär“ abgestempelt und zum Schweigen verurteilt? Wer dies befürwortet und sich paradoxerweise doch für links hält, hat sich wahrscheinlich in der elitären Minderheitenecke eingerichtet. Aus dieser lässt sich gut schimpfen, aber nicht aktiv Politik gestalten. Und wer neue „Wallfahrten zum Big Zeppelin“ befürwortet, wie sie Franz Josef Degenhardt einst als Paradebeispiel für bunte unpolitische Spektakel beschrieb, der scheint vor dem Dauerbeschuss der Medien zu kapitulieren.
 
Es ist schon richtig: Die Erinnerung an dunkelste Zeiten, in denen sexuelle Minderheiten offnen drangsaliert oder wegen nichts als ihrer Neigung ins Gefängnis gesteckt werden konnten, sollte wachgehalten werden. Doch werden eigene Erfolge negiert, wenn das Klagen über die die aktuelle Situation von Schwulen und Lesben zur Realitätsverdrängung führt. So wäre jener ein an alten Feindbildern Festhaltender zu nennen, der unterschlägt, dass sich immens viel im Bereich der sexuellen Freiheiten veränderte. Einige der Betroffenen meinen sogar, dass es inzwischen genug sei und das Pendel längst allzu stark in eine Richtung, die wieder neue Zwänge beinhaltet, ausgeschlagen ist.
 
Dieser Zwang sieht zum Beispiel in den vergangenen Jahren so aus, dass jeder, der zu den „sexuellen Minderheiten“ gehört, den Karnevalsumzug mit anderen Mitteln, kurz CSD genannt, im Sinne der Masse „bunt, lustig und schrill“ mitzumachen hat. Wer unterscheidet noch zwischen Loveparade, Karneval oder CSD? Fast versteht es sich von selbst, dass damit eine Entpolitisierung erfolgte und das Niveau privatfernsehgemäßer Aufbereitung erreicht ward. Schwul sein, „trans sein“ als „Livestyle. Mit gesellschaftlicher Akzeptanz hat das nichts zu tun. Ist die eingeforderte „Toleranz“ nicht auch ein sehr ambivalentes Etwas?
 
Wie aber nun sollen Menschen aus dem bösen Spiel heraus kommen, die sich ihren Lebensernst nicht verbieten lassen möchten und es als höchst unangenehm empfinden, wenn von ihnen gleiches und nur dieses Verhalten erwartet wird? Glaubt man wirklich, durch eine Verniedlichung - oder auf der anderen Seite . durch eine kommerziell verwertbare Provokation, verbessere sich die Situation im Alltag, nachdem die Kamera abgeschaltet wurde? Mitnichten ist es so.

Transsexuelle kein "drittes Geschlecht“
 
Nehmen wir doch nur einmal die Transsexualität als Beispiel dafür, wie eine über das Maß herausgehende „Liberalisierung“, in ihr Gegenteil umschlug. Nach der Einführung des Transsexuellengesetzes Anfang der 80er Jahre, konnten die Betroffenen beinahe wunschlos glücklich sein, sieht man einmal von den alltäglichen Diskriminierungen ab. Doch wurde dieser Bereich zunehmend von nicht wirklich transsexuellen Menschen adaptiert, die daraus eine sexualpolitische Spielwiese fabrizierten. Aus der eingeräumten und angemessenen Freiheit für Menschen, ihr angeborenes Geschlecht ändern und rechtliche und medizinische Standards einrichten zu können, wurde ein Projekt „Alles geht“ gezimmert, das die „Relativierung der Geschlechterrollen“ postulierte. Dabei vergaß man, dass Transsexuelle nicht relativieren, sondern vor allem vollständig im „Wahlgeschlecht“ leben möchten.
 
In der Folge konnten sich extreme Transvestiten, Fetischisten und allerlei „Experimentierer“ auf neue Gesetzesinitiativen berufen, sodass zuletzt ein Zustand erreicht wurde, der im Grunde jeden subjektiv entscheiden lässt, wie er oder sie sich einordnen will. Objektive Kriterien für die Geschlechtszugehörigkeit gibt es demnach nicht mehr wirklich. Das führt dazu, dass zuhauf Menschen, die über keinerlei Geschlechtsmerkmale ihres gewählten Namens (mehr ist es oft nicht) verfügen, als „Angehörige des anderen Geschlechtes“ auftreten. Auftreten ist hier oft wörtlich zu nehmen - sie tun als ob, sind also nichts weiter als Rollenspieler mit dem im Wesentlichen unveränderten Körper.
 
Selbstredend ist so der Status von wirklich transsexuellen Menschen geschwächt oder sogar aufgehoben. Der Transvestit kann, wenn er sich traut, ebenso einen „weiblichen Status“ reklamieren, auch wenn er diesen nur äußerst temporär lebt und de facto gar nicht auszufüllen weiß. Dem nicht selten schrillen, expressiven und exhibitionistischen Bereich also nur vorübergehend entkommen, finden sich Transsexuelle, nachdem die extremen Kräfte des „Alles geht“-Prinzips ihre Ziele verwirklichen konnten, dort wieder, wo sie in den 70er Jahren standen: auf einer Höhe mit Drag-Queens, Transvestiten und Crossdressern. Kurios erscheint die Korrespondenz des „progressiven“ Lagers, mit den tatsächlichen Ignoranten in der Gesellschaft. Beide unterscheiden nicht. Für die einen, sowie wie für die anderen, erscheint ein Mensch, der sich entgegen seines ursprünglichen Geschlechtes darbietet, gleich allen anderen Abweichenden und derselbe Gruppe zugehörend - unabhängig in welcher Qualität (Körper, Charakter, Zeit, Psyche) er sich präsentiert. Wer aber Transsexuelle zum 3. Geschlecht erklärt, nimmt ihnen ihr zweites. Und wo dies geschieht, wird sich keine wirkliche Transsexuelle zeigen, weshalb davon auszugehen ist, dass sich keine konsequent leben Transsexuellen zwischen anderen Menschen, die ihren Status relativieren und zum Jux erklären, sehen lassen.
 
Anpassung oder Daueropposition? Und: wogegen?
 

Warum auch bitte, sollte man sämtliche Neurosen und Perversionen (ja, auch so etwas gibt es noch), so penetrant nach außen tragen, auf dass es provoziere? Will man wirklich in dieser Weise das Adoptionsrecht erlangen? Glaubt man dadurch einen seriösen Beruf ausüben zu können? Zunehmend spüren sexuelle Minderheiten, dass weitere Provokationen kontraproduktiv sind und eine Radikalisierung vom eigentlich wichtigen Weg der gesellschaftlichen Anpassung entfernt. Aber wogegen rebelliert man denn ständig, da doch alles, vielleicht sogar zuviel, schon jetzt möglich ist? Vielleicht gegen sich selbst, weil man mit sich nicht im Reinen ist? Da aber kann der „bürgerliche Staat“ auch nichts ändern, der jedenfalls hält dem offiziellen schwulen Lager so die Stange, dass man partiell schon von einer Diskriminierung der Heterosexuellen reden kann. Auch beim gescholtenen Dieter Bohlen hat der die besten Karten, dessen Verwertbarkeit ins Schwule tendiert. Wer also korrespondiert hier mit wem?
 
Doch gibt es wirklich die anstrebte Normalität für Schwule? Warum bitte, sehen wir eigentlich (fast) niemanden der, ach so großen, starken, stolzen, schwulen Szene, ganz ,,normal“ eine Hand in die andere Hand des anderen gelegt, durch die Stadt gehen?

Es empfiehlt uns die jüngere Berichterstattung der Regenbogenpresse - also die Presse im Allgemeinen - statt der vormalig geäußerten Vorurteile, die den notwendigen Urteilen vorangestellt wurden, nun sei die Zielgruppe partiell zu heroisieren. Deutlich wird jedoch allenfalls hinter der bühnenbildnerischen Glanzfassade, wie entfernt schwul/lesbische Lebensäußerungen für den „normalen“ Bürger noch immer erscheinen. Dieser Fakt wird gerne ausgeklammert, ist doch seine Verleugnung die Vorbedingung für eine Akzeptanz durch gemäßigte Anpassung. Eine Anpassung wiederum, die ihren kleinen Sonderplatz einfordert und nichts weiter will als diesen, mag er auch damit unumkehrbar den eigenen exotischen Status fest zementieren.
 
Einmal im Jahr Revolution spielen
 
Es ist also schon so ein Kreuz mit den naiven, braven Homosexuellen, die ihre zunehmende Medienpräsenz als Zeichen für gestiegene Akzeptanz deuten und im Hochgefühl ihres Teilchenerfolges übersehen, wie sehr sie noch immer in lediglich kleinen, mehr oder weniger abseitigen Bezügen vorgeführt werden. Ihre medialen Streicheleinheiten erhalten sie in und außerhalb der Regel nur, wenn sie entweder der Rolle als Narr oder als Betroffenheitsmacher entsprechen.
Einmal im Jahr kommen sie an einem warmen Sommerwochenende im Juli heraus und spielen Revolution. Sie wollen dabei offiziell an Diskriminierungen erinnern, die 1969 in einem Lokal in der Christopher-Street in New York stattfanden und zu einer Schlacht mit der Polizei führten. Sie halten sich an jenen Tagen für besonders mutig, an denen sie - mit bestäubten Brusthaaren, lilafarbenen Perücken und Stringtangas kostümiert, bemüht und enthemmt - ihr leidlich sehenswertes Spektakel inszenieren.
 
Wäre es aber nicht wichtiger, Zivilcourage in eigener Sache zu demonstrieren, d.h. den Mut zu entwickeln, „Normalität“ im Alltag zu leben? Sich offen zeigende Pärchen sind sehr rar, und falls diese Selbstverständlichkeit nicht erkämpft wird, bleibt wohl nur ein Leben als sich selbst verleugnende Randfigur, inklusive der geringeren Bürgerrechte! Mit etwas Glück wird man so geduldet, ein klein bisschen akzeptiert und lebt bestenfalls als mäßig zufriedene Halbexistenz am Rande des täglich drohenden Pogroms. Weil man das weiß, zieht man das Ghetto vor. Das ist die Konsequenz aus einem Verhalten, dass in der Tat so nicht durchgängig gelebt werden kann und auch nicht gelebt werden sollte.
 
Die Spießerin, die sich nichts traut, flippt beim Männerstrip, der sie den normalerweise nicht zu Erreichenden nahe kommen lässt, völlig und unangenehm aus; der biedere Büroknecht feiert sich einmal im Jahr beim Schützenfest peinlich unter den Tisch; der hölzerne Betriebsrat tanzt auf selbigem, und eine allzu große Menge Homosexueller, die sonst verdruckst durchs Leben rennt, zeigen einmal im Jahr, was sie sonst entbehren. Der Jecke aus Nippes, der aus alter Tradition volltrunken am Straßenrand mitgrölt, wird zum Gay ehrenhalber ernannt, obwohl dieser wahrscheinlich niemals einen schwulen Sohn in seiner Familie dulden würde. „Jeder Jeck ist anders“ wird als Toleranzspruch so strapaziert, sodass man in der Tat folgern darf, Vernunft sei eine Tugend, die hier durch Abwesenheit glänzt.

Überlebte Aktionsform

Kann ein Umzug der vorgestellten Art, der vor allem den Medien stets Anlass liefert, über einen überbordenden Exhibitionismus zu berichten, dem Teil der Anliegen, die als berechtigt gelten können, Ausdruck verleihen? Sicher nicht und so wäre endlich die Zeit gekommen, die exaltierten und unpolitischen Ausdrucksformen zu überwinden und den CSD in ein Straßenfest mit Infoständen, Diskussionsbühnen und Veranstaltungen umzuwandeln und fragwürdige Formen der Darstellung in den geschlossenen und privaten Bereich zu verweisen, wo sie auch hingehören. Alles andere belässt sexuelle Minderheiten in ihrer Rolle als Narren am Rande der Gesellschaft und verhindert ihre unspektakuläre Teilhabe an der Gesellschaft. (PK)

 
Die „Kölner CSD-Charta“ gibt es unter
http://www.csd-cologne.de/download/csd_charta.pdf 

Online-Flyer Nr. 187  vom 04.03.2009

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