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Literatur
Der Fortsetzungsroman in der NRhZ – Folge 43
Der Aufsteiger oder Ein Versuch zu leben
Von Wolfgang Bittner

Der Protagonist Erich Wegner arbeitet nach Abschluss der Schule im Tiefbau, aber in ihm reift allmählich der Entschluss, seine Situation zu verändern. Er holt das Abitur nach, beginnt Jura zu studieren und absolviert erfolgreich eine akademische Laufbahn. Eine verheißungsvolle Zukunft scheint vor ihm zu liegen, doch seine Hoffnungen und Erwartungen erfüllen sich nicht; sie werden durchkreuzt von seinen Vorstellungen von einem humanen und selbstbestimmten Leben in einer sozialen Gesellschaft. Er überlegt, fortzugehen, neu anzufangen. Es bleibt die Frage, ob Wegner jemals eine echte Chance hatte.

der aufsteiger wolfgang bittner horlemann-verlag cover
                                                   
Außer bequem als Buch im Horlemann-Verlag können Sie exklusiv in der NRhZ die überarbeitete Neuausgabe von Wolfgang Bittners 1978 erstmals erschienenen Roman „Der Aufsteiger oder Ein Versuch zu leben“ lesen – eine Rezension des Werks finden sie in der NRhZ 139: „Ein Roman über einen ‚Helden’ von unten, aus der Sicht von unten und deshalb wichtig für alle – und sogar mit nicht allzu viel Fantasie lässt sich auch der Roman auf heutige Verhältnisse übertragen.“, schreibt Rezensent und Buchhändler Uli Klinger über „Der Aufsteiger“.



16) Wieder in Salstädt

Der Schankraum war länglich, auf eine Theke hin ausgerichtet.
Gegenüber an der Wand hingen ein paar Spielautomaten, daneben stand ein Flipper, in der Ecke eine Musikbox. Durch die schmutzigen Fensterscheiben drang trübes Tageslicht herein, zu wenig, um ohne elektrische Beleuchtung auskommen zu können.

Erich Wegner saß an einem Tisch am Fenster, vor sich ein großes Bier, und blickte auf die Straße. Ein düsterer Tag, passend zu seiner Stimmung. Es nieselte ein wenig, und die gegenüberliegenden Häuser machten einen noch schäbigeren Eindruck als sonst. Ein paar Frauen mit Einkaufstaschen kamen vorbei. Nur nichts überstürzen, dachte er. Scheiden lassen kannst du dich immer noch.

In der Musikbox kam jetzt das Lied von Hannes Wader, das er gedrückt hatte: Unterwegs nach Süden. Er summte mit. Die Leute am Nebentisch tuschelten miteinander, wahrscheinlich über ihn. Endlich mal wieder Gesprächsstoff. Manche kannten ihn, obwohl er früher nie hier gewesen war. „Und wenn ich erst den Namen kenne, bringt dies Gift mich nicht mehr um“, sang Hannes Wader.

Vormittags hatte er Karin Möller getroffen. Zufällig auf der Straße. Dass er einfach hätte grüßen sollen, freundlich nicken, als kenne er sie nur flüchtig, und vorbeigehen, war ihm erst klar geworden, als dieses alberne Theater schon überstanden war.

Die Befangenheit und dieses dumme Gerede: Wie geht‘s – gut, wie geht‘s selbst – bestens, was macht dein Junge? Ach, der lernt schon laufen! Ja, ja, die Zeit vergeht ... Karin hatte sich kaum verändert. Sie trug ihr langes dunkles Haar immer noch offen, hatte immer noch eine hervorragende Figur, machte immer noch einen sehr fraulichen, zugleich aber kindlichen Eindruck. Eigentlich unterscheidet sie sich nicht sehr von Marianne, dachte er.

Marianne. Er musste andauernd an sie denken. Wenn man fünf Jahre miteinander gelebt hat, gibt es zu viele Gemeinsamkeiten, als dass man von heut auf morgen einen Trennungsstrich ziehen könnte.

„Was macht denn deine Frau?“, hatte ihn seine Mutter als erstes gefragt.
„Ach, der geht‘s gut“, hatte er geantwortet. „Wir haben uns getrennt.“ „Nein, das kann doch nicht wahr sein“, hatte seine Mutter geflüstert und die Hände vor das Gesicht geschlagen, noch genau so wie früher, wenn ihr etwas sehr nahe ging.
„Es hat nicht mehr geklappt mit uns beiden.“ Das war ein wenig zu unbekümmert herausgekommen, um glaubwürdig zu wirken.
„Nein, sowas“, hatte sie geseufzt. „Ich hab es ja immer gesagt, dass es mit euch beiden noch mal in die Brüche geht.“ Sie hatte ja immer schon alles vorausgesehen. „Da sind die beiden Jüngsten nun endlich unter der Haube, und der Älteste kommt wieder.

Überleg es dir lieber noch mit der Scheidung. Wer weiß, was du hinterher kriegst.“ Aber dann waren sie in die Küche gegangen, sie hatte Bratkartoffeln mit Rührei gemacht und die Sache war fürs erste erledigt gewesen. Zunächst hatte er bei ihr gewohnt, aber die Atmosphäre war ihm derart auf den Geist gegangen, dass er schon nach zwei Tagen ins Hotel gezogen war.

Sie wohnte jetzt mit ihrem Freund zusammen, der so um die Fünfzig herum und ebenfalls verwitwet war. Alfred, ein ganz patenter Kerl, nur als Vertreter für Elektroartikel ständig auf Achse.

Jetzt hatten sie alle elektrischen Geräte neu in der Küche. Aber heiraten wollten sie nicht, wegen der Rente. Obwohl Tobias ständig nörgelte. Er sagte, dass er auf seinen guten Ruf achten müsse.
Seit er bei der Bank arbeitete, war er von Jahr zu Jahr trotteliger geworden, dabei aber so außerordentlich erhaben und großtuerisch.
In einigen Jahren würde er wahrscheinlich Abteilungsleiter werden und damit sein Lebensziel erreicht haben.

Das Lokal nannte sich „Zum Bahnhof“ und bestand aus der Kneipe und einem heruntergekommenen Hotelbetrieb. Früher war hier eine Kleinbahnlinie vorbeigegangen, die man aber schon vor mehr als einem Jahrzehnt stillgelegt hatte. Jetzt erfolgte der Personenverkehr mit Privatautos und der Güterverkehr per Lkw.

Die Wirtin hieß Hannelore. Sie war Ende Dreißig und geschieden.
Ihrem Gesicht waren die Sorgen um das tägliche Leben und die Belastungen ihres Berufs abzulesen. Ohne Zweifel hatte sie eine schwere Zeit hinter sich. Dennoch machte sie einen verhältnismäßig ausgeglichenen Eindruck und wäre sicherlich sogar hübsch gewesen, hätte sie mehr Zeit auf ihr Äußeres verwendet.

Er duzte sich mit ihr, nachdem sie sich bereits in den ersten Tagen seines Aufenthalts nähergekommen waren. Dafür hatte sie ihm ihr bestes Gästezimmer gegeben, und – was noch viel wichtiger war – er hatte unbeschränkten Kredit bei ihr. Im Grunde war sie nicht verkehrt, nur etwas abgewirtschaftet, genau wie der Laden, den sie führte. Aber eine Seele von einem Menschen. Bloß, dass ihr ehemaliger Mann sie so fertiggemacht hatte.

Er trank sein Bier aus, nickte ihr zu und ging hinaus. Die Blicke der Anwesenden folgten ihm bis auf die Straße. Vor der Tür schlug er den Weg in die Innenstadt ein, die er bereits nach wenigen Minuten erreichte. Langsam schlenderte er die Hauptstraße entlang, vorbei am Kaufhof, der mittlerweile um das Doppelte größer geworden war, und bog dann in die Straße zum Marktplatz ein. Für halb fünf hatte er telefonisch eine Unterredung mit Mönkeberg vereinbart. Der würde Augen machen.

Zuerst aber machte er selber Augen; als er nämlich mit dem Fahrstuhl die Etage in dem neuen Bürogebäude am Marktplatz erreichte, in der die Firma Mönkeberg ihren Sitz hatte. Er gelangte unmittelbar in eine Art Vorhalle mit geschmackvollen großen Ölgemälden und kunstvollen Plastiken aus Metall und Holz. Wenn nicht alles täuschte, hatte sich Mönkeberg zu einem Kunstmäzen entwickelt.

Ein adrett gekleidetes Lehrmädchen hinter einem Stahlrohrschreibtisch zeigte ihm den Weg. Er war etwas zu spät dran. „Ah, da sind Sie ja“, flötete die Sekretärin im Vorzimmer. „Der Chef erwartet Sie schon.“ Sie hielt ihm gleich die Polstertür zu Mönkebergs Arbeitszimmer auf. „Bitte schön, Herr Doktor.“    189 Er betrat einen pompös eingerichteten Raum von der Größe zweier Sozialwohnungen, der von einem riesigen Teakholzschreibtisch beherrscht wurde. Die Wände waren dunkel getäfelt, im Hintergrund befanden sich Bücherablagen und Einbauschränke.

Den Fußboden bedeckte ein riesig großer dicker Orientteppich.
In einer Ecke befand sich eine schwarzlederne Sitzgarnitur, bestehend aus mehreren Sesseln und einem Sofa; daneben ein paar Zimmerpflanzen. Gegenüber dem Panoramafenster, das auf den Marktplatz hinausging, hing eine eindrucksvolle Worpsweder Landschaft. Der Innenarchitekt hatte ganze Arbeit geleistet. Verdammt, dachte Wegner, so lässt es sich während der Arbeit aushalten.

Mönkeberg war in der Zwischenzeit noch fetter geworden. Seinen klobigen Schädel zierte nur noch ein spärlicher Haarkranz.

Lesen Sie in der kommenden Ausgabe mit dem Kapitel „Wieder in Salstädt“ die Fortsetzung von Wolfgang Bittners Roman .
(CH)

© 2008 Horlemann
Alle Rechte vorbehalten
Überarbeitete Neuausgabe – Erstveröffentlichung 1978
Büchergilde Gutenberg, Satz und Umschlaggestaltung Verlag.
Bitte fordern Sie das Verlagsverzeichnis an, unter:
Horlemann Verlag, Postfach 1307, 53583 Bad Honnef,
Telefax 02224 5429, E-Mail: info (at) horlemann-verlag.de
www.horlemann.info


 
Wolfgang Bittner Foto: Andreas Neumann arbeiterfotografie
Foto: Andreas Neumann              
Wolfgang Bittner, Jahrgang 1941, lebt als freier Schriftsteller in Köln. Der promovierte Jurist schreibt für Erwachsene, Jugendliche und Kinder. Er erhielt mehrere Literaturpreise, ist Mitglied im PEN und Mitarbeiter bei Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk und Fernsehen. Er hat mehr als 50 Bücher veröffentlicht, u.a. die Romane „Der Aufsteiger oder Ein Versuch zu leben“, „Niemandsland“ und „Flucht nach Kanada “, den Erzählband „Das andere Leben“ sowie das Sachbuch „Beruf: Schriftsteller“.



Online-Flyer Nr. 182  vom 28.01.2009

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