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Aktueller Online-Flyer vom 24. April 2024  

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Aktuelles
Walter Herrmann von der Kölner Klagemauer wird 70
Im Kampf für Frieden und Obdachlose
Von Peter Kleinert

Wie Obdachlose aus den Einkaufszentren der Großstädte vertrieben werden, war eigentlich unser Thema für ein Fernsehmagazin auf dem zehn Jahre unabhängig sendenden TV-Fenster KANAL 4. Neben Berlin und Rio de Janeiro sollte auch Köln ein Beispiel sein. Dank der Kölner Polizei wurde aus der geplanten Reportage über Obdachlose unter dem Schutz der Klagemauer von Walter Herrmann am Kölner Dom zunächst ein "Knüller" in den ARD-Tagesthemen. Walter Herrmann wurde am 26. Januar 70 Jahre alt und steht mit seiner Klagemauer immer noch auf der Domplatte.


Für Obdachlose, Frieden und Meinungsfreiheit: Walter Herrmann
Foto: Arbeiterfotografie


„Walter, die Bullen wollen den Jupp vom Wallraffplatz vertreiben", meldete ein Obdachloser aufgeregt auf der Domplatte unserem Gesprächspartner, mit dem wir gerade im Schatten der Klagemauer im Sommer 1994 ein Interview begonnen hatten. Wir begleiteten ihn mit Kamera und Mikrophon zum WDR-Funkhaus und wurden Zeugen eines brutalen Polizeieinsatzes gegen "Rollstuhlfahrer Jupp", der dort schon länger einen "Platzverweis" hatte, und gegen Walter Herrmann, der ihm helfen wollte. Obdachlose sind eben weder in der Kölner noch in der Berliner Innenstadt von Geschäftseigentümern gern gesehen. Sie müssen ihren Lebensunterhalt halt durch Betteln “verdienen“.
 
EXPRESS kritisiert Polizei
 
Am Tag nach der Sendung unserer Reportage in den „Tagesthemen“ meldete sich die Boulevardzeitung EXPRESS mit der Schlagzeile: "Ist Kölns Polizei zu brutal? - Staatsanwalt ermittelt nach Aktion gegen Behinderten“: „Einen Tag vor seinem Abschied stand Kölns Polizeipräsident Jürgen Hosse noch einmal böser Ärger ins Haus. Sind seine Beamten zu brutal? Wie weit darf ein Polizist bei einem Einsatz gehen? Seit gestern ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen mehrere Kölner Polizeibeamte wegen Körperverletzung und Freiheitsberaubung. Der Grund war Sonntagabend bundesweit in den "Tagesthemen" zu sehen und veranlaßte zahlreiche Bürger zu entsetzten Kommentaren. Die Fernsehbilder dokumentierten, wie mindestens acht Beamte den Behinderten unter dem Einsatz körperlicher Gewalt von der Domplatte zerrten, weil er ihren Anweisungen nicht gehorchte..."
 
Einen Tag später wurde der Polizeiübergriff sogar EXPRESS-Aufmacher auf Seite 1: „Köln - Empörung über Einsatz gegen einen Behinderten“: "So kann man doch nicht mit einem Menschen umgehen." Empörte Anrufe bei EXPRESS und WDR. Die Bilder des brutalen Polizeieinsatzes gegen einen Rollstuhlfahrer erschüttern in ganz Deutschland..."
 
EXPRESS-Überschrift noch einen Tag später: "Politiker vertreiben die Armen." – „Gestern 16 Uhr im Rathaus. Die Grünen schieben ein Fernsehgerät vor den Sitzungssaal. Gezeigt wird der Tagesthemen-Bericht über die Polizeiaktion gegen den Rollstuhlfahrer Jupp Riesel. Sie haben das Thema auf die Tagesordnung gesetzt und verlangen, daß sich die anderen Parteien von der Verwaltung distanzieren. Das Gegenteil passiert. Albert Schröder (CDU) dankt Stadtverwaltung und Polizei dafür, "daß Sicherheit und Ordnung wieder hergestellt werden." Heinz Lüttgen (SPD) ist der Antrag der Grünen "billige Polemik", der Vorfall mit dem Rollstuhlfahrer eine "Inszenierung". Detlef Hartmann, Anwalt des Behinderten, kündigt Strafanzeigen gegen die Polizei an...


Die Vertreter der Staatsanwaltschaft in der
Pressekonferenz  | Quelle: www.kaos-archiv.de
Zwei Monate nach dem Polizeiübergriff auf „Rollstuhlfahrer Jupp“ und Walter Herrmann veranstaltete aufgrund unserer Tagesthemen-Reportage und einiger Anzeigen von Kölner Bürgern die Staatsanwaltschaft eine Pressekonferenz. Ergebnis: Die Staatsanwälte sahen keinen Grund, die Polizisten anzuklagen. Darauf machten die Lokalzeitungen des Verlags M.DuMont Schauberg, die tagelang Schlagzeilen gegen die Brutalität der Polizei produziert hatten, einen  Schwenk von 180 Grad. Überschrift im Kölner Stadt-Anzeiger: „Aus dem Rollstuhl gefallen“ (Natürlich ohne Anführungszeichen!) EXPRESS-Schlagzeilen diesmal: „Polizei gegen Rollstuhlfahrer: Verfahren eingestellt." Und: „Domplatte: Polizei handelte korrekt". Na klar! Dass Walter Herrmann von der Staatsanwaltschaft nicht mal als Zeuge gehört, sondern aus dem Saal verwiesen wurde, war den braven Journalisten anscheinend kein Wort wert.
 
So fing es an
 
Schon in den 80er Jahren entstand auf Initiative des ehemaligen Lehrers, Sozialarbeiters und engagierten “68ers“ Walter Herrmann, der nach einem Streit mit seinem Vermieter aus seiner Wohnung zwangsgeräumt wurde, in der Kölner Einkaufsstraße Schildergasse am sogenannten Pimmel-Brunnen eine „Klagemauer zur Wohnungsnot“. 16mal wurde diese Installation durch Aufgebote von Ordnungsamt und Polizei geräumt, weil hier auf an Fäden hängenden Papptäfelchen mit Filzstiften Obdachlosigkeit und Wohnungsnot in Köln aber auch andere Probleme durch Passanten unzensiert öffentlich gemacht werden konnten.
 

Klagemauer vor dem Kölner Dom 2001 | Foto: Arbeiterfotografie

Im Januar 1991 wurde sie auf der Domplatte als „Klagemauer für Frieden“ und Mahnwache gegen den Golfkrieg aufgestellt. Auf Drängen des Kölner Kardinals räumten Ordnungsamt und Polizei sie eine Woche vor Fronleichnam wieder ab. Nachdem sie wenige Wochen später auf Initiative von Al Gorman in die USA eingeladen worden war, gab die Stadt die beschlagnahmten Klagekarten und Papptäfelchen mit persönlichen Texten von Passanten zurück und duldete die inzwischen neu entstandene Klagemauer erstmal wieder für eine Weile, weil das Projekt von Walter Herrmann und seinen UnterstützerInnen allmählich weltweit Anerkennung fand. Sie wurde von August bis Oktober 1991 Kernstück der Ausstellung "New German Art" in Louisville, der Hauptstadt von Kentucky. Teile dieser Ausstellung wurden von  Friedensaktivisten in New Haven, New York und London installiert und auf einen internationalen Friedensmarsch nach Jerusalem mitgenommen.
 
Vorbild bis nach Japan
 
Im Frühsommer 1992 initiierte Kazuo Soda, ein Überlebender der Atombombe von Nagasaki, nach einem Besuch der Klagemauer in Köln in der japanischen Stadt Fukuoka eine Klagemauer nach diesem Vorbild. Bei seinem zweiten Besuch im August 1992 wurde der zentrale, zwischen zwei Fahnenmasten und einer Laterne gespannte Teil der Klagemauer geöffnet und der Innenraum Hiroshima und Nagasaki gewidmet. Auch Abbé Pierre, Gründer der Emmausbewegung in Frankreich, kam zu Besuch. Seine Botschaft: „Überall zuerst den Schwächsten dienen, ist die Quelle jedes lebendigen Friedens!".
 

Die „neue" Klagemauer 2007 | Fotos: arbeiterfotografie.com
 
Danach blieben Klagemauer und Walter Herrmann von Stadtoberen, Polizei und Domkapitel weitgehend verschont, vor allem weil ihm das Bundesverwaltungsgericht bei einer Friedensmission in Berlin zum Irak-Krieg nach jahrelangem Prozessieren 2007 Recht gegeben hatte (s.NRhZ-Flyer 115  vom 3.10.2007). Er wird nur noch gelegentlich von Neonazi-Cliquen angegriffen. Doch Obdachlose von der Domplatte und andere Unterstützer versuchen, ihn auch davor zu schützen. Vor zwei Jahren warf ihm die Kölner Synagogen-Gemeinde wegen einer "Palästina-Wand" und der dort gezeigten Bilder und Textbeiträge vor, er gebe „die politische Situation verzerrt und ideologisch verlogen wieder" und sprach von unerträglichen „Hetzparolen gegen Israel". Der Überfall auf Gaza hat Walter Herrmann leider Recht gegeben, und so trafen sich einen Tag vor seinem 70sten Geburtstag wieder einmal Friedensaktivisten an seiner Klagemauer auf der Domplatte. (PK)

Die hier erwähnte TV-Reportage über das Verhalten der Kölner Polizei gegenüber "Rollstuhlfahrer Jupp" und Walter Herrmann finden Sie in der nächsten NRhZ, dazu auch eine Fotogalerie zum 70sten Geburtstag. . 

Online-Flyer Nr. 181  vom 22.01.2009

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