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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Inland
Skandal um Deutsche Welle - Demokratieverlust und neue China-Politk
Angriffsziel: Der Öffentlich-rechtliche Rundfunk
Von Volker Bräutigam

Die Deutsche Welle darf man getrost als staatsfromm bezeichnen. Trotz ihres weitgehenden Konformismus’ ist sie seit Monaten Ziel reaktionärer Gesellschaftsveränderer. Hauptaussage in deren demokratiefeindlicher Kampagne: Der Sender verbreite besonders in den Programmen für die VR China kommunistische Propaganda (siehe NRhZ 162 und 169). Mit diesen Vorwürfen beschäftigt sich jetzt sogar der Bundestag.

DW Deutsche Welle Erik Bettermann Christina Weiss
DW-Intendant Erik Bettermann und
Kulturstaatsministerin Christina Weiss            
Quelle: DW
Keiner der bisher mit öffentlichem Gezeter aufgetretenen deutschen Beschwerdeführer hat je etwas über China publiziert. Keiner von ihnen verfügt über sinologische Kenntnisse und Erfahrungen. Keiner hat je in Fernost gelebt, geforscht oder ist einer der chinesischen Sprachen mächtig. Sie alle übernahmen nur die Behauptungen einiger obskurer exilchinesischer Gruppen, publizierten und agitierten auf bloßes Hörensagen hin, ohne eigenständige Prüfung und ohne Belege – und erdreisteten sich schließlich, den Bundestag aufzufordern, alle DW-Mitarbeiter auf eventuelle Mitgliedschaft in kommunistischen Parteien zu überprüfen, gegebenenfalls Entlassungen vorzunehmen und einen externen Zensor zur Programmüberwachung einzusetzen.
 
Parteipolitiker in den Aufsichtsgreminen

Gemäß dem „Gesetz über die Rundfunkanstalt des Bundesrechts, Deutsche Welle“ strahlt der Sender seine Programme nur fürs Ausland aus. In seinen Aufsichtsgremien sitzen mehrheitlich Parteipolitiker aus Bundes- und Landesparlamenten sowie Regierungsvertreter. Man darf sagen: Mit der verfassungsrechtlich gebotenen Staatsferne des Rundfunks ist es bei der Deutschen Welle nicht weit her.
 
Ein solcher hauptsächlich von CDU- und SPD-Mannen (Frauen sind auch hier in der Minderheit) beaufsichtigter Rundfunkbetrieb unter Kommunismusverdacht? Man hätte schon deshalb die in vielen Zeitungen veröffentlichte Kampagne als Aufmerksamkeitsklamauk reaktionärer Polit-Banausen abtun können. Nicht so der Deutsche Bundestag. Dessen „Ausschuss für Kultur und Medien“ veranstaltete vielmehr unter Hinzuziehung der Bundestagsausschüsse für Petitionen, für Auswärtige Angelegenheiten, für Menschenrechte und humanitäre Fragen sowie des Unterausschusses für auswärtige Medienpolitik eine nichtöffentliche Anhörung. Und dies, obwohl bereits der (von den Regierungsparteien personell beherrschte!) Rundfunkrat der Deutschen Welle nach umfassender Prüfung festgestellt hatte: Die Vorwürfe sind haltlos.
 
Ein nichtöffentliches Fachgespräch
 
Der Kulturausschuss des Bundestages wollte sechs „Experten“ hören, darunter nur zwei in der Rolle von Verteidigern. Einer der beiden war ich als ehemaliger Tagesschauredakteur, der einst viele Jahre in Fernost tätig gewesen ist. Die gesamte Veranstaltung war nicht-öffentlich, ich sehe mich aber nicht verpflichtet, die Leitgedanken meines Auftritts vor den Abgeordneten geheim zu halten:
 
„ ...es ist angebracht, die Deutsche Welle (...) in Schutz zu nehmen und die Kampagne des Autorenkreises der BRD und anderer gegen den Sender zurückweisen. Diese Kampagne beschädigt nicht nur einen Sender, sondern verletzt konstitutive Freiheitsrechte. (...) Der Öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eine demokratische Errungenschaft der Nachkriegszeit. Er musste unserem Land als Ersatz für den großdeutschen Nazi-Rundfunk von den Briten regelrecht verordnet werden, denn deutschen Wünschen entsprach er anfänglich nicht. Wenige Jahre später versuchten konservative Kräfte zwar erneut, einen Staatsfunk einzurichten, verschleiert als bundeseigenen Privatsender, das sogenannte Adenauer-Fernsehen. Sie scheiterten aber am Bundesverfassungsgericht.

Gebäude der Deutschen Welle in Bonn Schürmann-Bau Foto: Hans Weingartz
Wieder auferstanden aus den Fluten: Der „Schürmann-Bau“ – Bonner Sitz
der Deutschen Welle | Foto: Hans Weingartz
 
Dieses Gericht hat seither in allen seinen Rundfunk-Urteilen festgestellt: Radio und Fernsehen in Deutschland sind staatsfern zu organisieren, nach dem Öffentlichen Recht – oder, seit 1984, nach privatwirtschaftlichem und nach dem Aktienrecht. Staatliches Einwirken in die Programmtätigkeit ist in jedem Falle unzulässig. Der Staat muss vielmehr die Freiheit des Rundfunks aus der Distanz garantieren.
 
Die Deutsche Welle wird zwar aus Steuermitteln finanziert und sendet fürs Ausland. Aber auch sie darf kein Staatssender, sondern muss ein öffentlich-rechtlicher Betrieb sein. Allein Rundfunkrat und Intendant haben darüber zu wachen, dass der Sender seine Programmrichtlinien einhält. Doch selbst die Rundfunkräte haben kein präventives Kontrollrecht im Sinne einer Zensur, sondern nur Nachprüfungsrechte an bereits ausgestrahlten Sendungen.
 
Das Deutsche Welle-Gesetz verbürgt in Paragraph 61: ‚Die Deutsche Welle unterliegt keiner staatlichen Fachaufsicht.’ (...) Wozu dann eine solche Veranstaltung im Bundestag? Rechtlich und richtig besehen hat sie nicht mehr Relevanz als ein Urlaubsgeplauder übers Wetter.

Presse-, Rundfunk- und Meinungsfreiheit sind konstitutiv für unsere Demokratie. Man kann der Meinung Dritter widersprechen, sie unangemessen oder falsch nennen. Doch zu verlangen, Meinungsäußerungen zu unterbinden, und seien die auch noch so kontrovers, das ist mit unserem Recht und unserem Freiheitsverständnis absolut unvereinbar. (...) Für gute Programme unabdingbar ist es, die Freiheit der Sender zu hüten, sie auch vor Pressionsversuchen von Interessengruppen zu schützen. (...)“
 
Neigung zur Selbstzensur
 
Zhang Danhong DW
Zhang Danhong – suspendierte
stellvertretende Redaktionsleiterin
der China-Redaktion | Quelle: DW
Das Ergebnis der Anhörung wird nun in den Ausschüssen beraten. Was auch immer dabei herauskommt und selbst wenn die Kampagne im Sande verläuft: Folgenlos ist sie für den Sender nicht. Der Leiter der China-Redaktion wurde bereits seines Postens enthoben, ebenso seine Stellvertreterin. Ein rigides Kontrollsystem in der Redaktion soll anscheinend nun alles ausfiltern, was nicht von vornherein rund und stromlinienförmig war. Intendant und Programmdirektor waren zu schwach, dem politischen Gewitter zu widerstehen und haben es in die Redaktionen durchhageln lassen. Das steigert die Neigung zur Selbstzensur, wie uns die Lebenserfahrung lehrt.
 
Die Ereignisse um die Deutsche Welle zeigen nicht nur medienpolitische Machtansprüche reaktionärer Gruppen. Die DW-Programme spiegeln einen Kurswechsel der deutschen China-Politik. Berlin setzt auf die gleiche Karte wie Washington: zunehmend mehr auf Konfrontation als auf Kooperation. Besonders, seit sich erweist, dass China von der weltweiten Finanzkrise mindestens ebenso schwer in Mitleidenschaft gezogen ist wie Europa und deshalb nicht die Bundesrepublik aus aller wirtschaftlichen Not erlösen kann.
 
Die VR China kann nicht den zahlungskräftigen Hauptabnehmer bundesdeutscher Massengüter geben. In diese Rolle war sie von deutschen Konzernmedien zu Anfang der Finanz-Systemkrise hineinphantasiert worden. Es ging den Krämerseelen dabei um den „Standort Deutschland“, will heißen: um Profitmehrungsinteressen unseres Geldadels und unserer Wirtschaftselite. Chinesische Interessen wurden kaum diskutiert.
 
Steinmeier
Neue China-Politik? –
Außenminister Steinmeier               
NRhZ-Archiv
Der neue Berliner Konfrontationskurs mag dem Junior-Koalitionär SPD und dem für die Außenpolitik zuständigen Vizekanzler Steinmeier nicht in den Kram passen (notabene: Die Deutsche Welle wird aus dem Etat des Außenministeriums finanziert). Aber die Richtlinien der Politik werden von CDU-Kanzlerin Merkel bestimmt. Sie hält es lieber mit Washington und stellt sogar dem Dalai Lama, dem Erzfeind Pekings, weitere Treffen in Aussicht.
 
Ein grundsätzlicher Streit
 
Die Pressionen auf die Deutsche Welle entstammen übrigens einem Problemkreis, dem alle Öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland ausgesetzt sind. Das Konzept des staatsfernen und unabhängigen, weil gebührenfinanzierten und gesellschaftlich kontrollierten Rundfunks ist ins Visier neokonservativer, reaktionärer Systemfeinde geraten.
 
25 Jahre lang, seit 1984, haben die Öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Konkurrenz kommerzieller Anbieter widerstanden. Allerdings eher schlecht als recht, nämlich unter fortschreitender Preisgabe qualitativer Standards. In den Staatsverträgen über die Öffentlich-rechtlichen Sender heißt es zum Programmauftrag zwar: „Information, Bildung und Unterhaltung“ – Unterhaltung zuletzt genannt. Doch in der Praxis genießt sie Vorrang.

Deshalb wird inzwischen bereits ganz unverblümt die Frage gestellt, ob die gebührenfinanzierten Öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten überhaupt noch erforderlich sind – und Antworten werden gesucht, indem man „Marktanteile“ misst. Was da zählt, sind nicht mehr die Demokratie-sichernden Funktionen und Aufgaben eines gesellschaftlich kontrollierten Rundfunks, sondern die Einschaltquoten.
 
In Zeiten wachsender wirtschaftlicher Schwierigkeiten kann eine Debatte über die Rundfunkgebühren für ARD und ZDF existenzgefährdend werden – gefährlich für ein Rundfunkwesen, das einst als ein Grundstein der Demokratie gedacht war. (PK)

 
Volker Bräutigam schreibt auch für die Zeitschrift OSSIETZKY, Nachfolgerin der "Weltbühne", die dem deutschen Journalismus zu Beginn des vorigen Jahrhunderts zur Ehre gereichte. OSSIETZKY orientiert sich strikt an diesem Vorbild.


Online-Flyer Nr. 180  vom 14.01.2009

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