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Medien
Ein in der Journalistenzeitschrift „M“ nicht veröffentlichter Leserbrief
Textdiebe – zum Beispiel Bertelsmann
Von Werner Rügemer

Die Journalistenzeitschrift „M“ (Menschen machen Medien) brachte in ihrer Ausgabe 6-7/2008 den Beitrag „Attacke gegen Textdiebe“. Darin geht die regelmäßige Hausautorin Gisela Sonnenburg auf den mithilfe des Internet erleichterten Textdiebstahl ein, also auf die ungenehmigte Weiterverwendung von Texten. Sonnenburg lobt dabei ausgerechnet einen „der nationalen Top-Anwälte für Persönlichkeitsrecht“, den Berliner Medienanwalt Dr. Christian Schertz.

Schertz, so die Autorin, hole für seine Mandanten „richtig was raus“. Außerdem lobt Sonnenburg Verlage wie Gruner+Jahr und Axel Springer, weil sie „Urheberrechtsverstöße ahnden“ und „feste wie freie Mitarbeiter vor Raubbau durch Dritte schützen“. Gegenteilige Erfahrungen etwa mit der Kanzlei desselben Dr. Schertz (Schertz Bergmann) und mit Großverlagen blendet die Autorin aus. Werner Rügemer schrieb daraufhin einen Leserbrief an „M“, der jedoch nicht veröffentlicht wurde. Er hat ihn für die NRhZ zum besseren Verständnis leicht überarbeitet. – Die Redaktion

Gisela Sonnenburg entwickelt leider eine einseitige Sicht, und der heute häufige Textdiebstahl hängt nicht nur mit dem Internet zusammen. „Im Internet gilt der fliegende Gerichtsstand“, meint sie. In Wirklichkeit gilt der „fliegende Gerichtsstand“ schon bisher im gesamten Medienrecht, und schon lange vor dem Internet. Weil man z.B. mein Buch „Der Bankier. Ungebetener Nachruf auf Alfred von Oppenheim“ auch in einer Berliner Buchhandlung kaufen kann, konnte die Bank Oppenheim durch die Kanzlei Schertz Bergmann in Berlin vor Gericht gehen, obwohl Autor und Bank ihren Sitz in Köln haben. Auch ist der von Sonnenburg so gelobte „Top-Anwalt“ Schertz keineswegs ein selbstloser Verteidiger des Persönlichkeitsrechts im allgemeinen. Er vertritt die Rechte von Prominenten und von Unternehmen gegen „Kritiker“ ebenso wie gegen harmlose Massenmedien.
 

Schertz-Klient Joschka Fischer
Foto: Stefan Pangritz
Schertz vertritt etwa Joschka Fischer serienweise gegen diverse Medien nicht wegen Text- oder Bilddiebstahl, sondern weil der Ex-Minister keine Person der Zeitgeschichte mehr sei und deshalb auch für völlig harmlose Fotos wegen Eingriffs in seine Privatsphäre Schmerzensgeld beanspruchen könne. Auch Persönlichkeitsrechte der Anwälte selbst werden von der Kanzlei Schertz Bergmann mit großem Aufwand verteidigt. So monierte Anwalt Dominik Höch, damals Mitglied der Kanzlei Schertz Bergmann, in einem Verfahren gegen die Neue Rheinische Zeitung (www.nrhz.de) und mich, dass sein Name in einem Bericht über eine öffentliche Gerichtsverhandlung nicht genannt werden dürfe. Einerseits drängt Schertz sich mit zahlreichen Interviews in die Öffentlichkeit, gleichzeitig will er, wenn es nicht zu seinem und seiner Kanzlei Ruhme ist, für sich den Schutz der gerichtlich abgesicherten Anonymität.
 
Beim Plagiieren geschützt
 
Verlage (wie die von ihr besonders erwähnten Gruner + Jahr und der Axel Springer Verlag) schützen Mitarbeiter vor Raubbau durch Dritte, meint Sonnenburg. Das kann man meinen, und in manchen Fällen wird das schon so sein. Es ist bitter nötig. Nur ist das Gegenteil auch der Fall. So schützte der Bertelsmann Verlag seinen Autor Thomas Leif beim Plagiieren. Der hatte in seinem Buch „Die Berater“ mehrere Seiten von mir geklaut. Er versuchte sich damit herauszureden, dass es sich um „ein technisches Versehen“ handle, das er nicht erklären könne. Das schrieb er dann auch so im Vorwort der 8. Auflage seines Buches. Als ich darauf hinwies, dass es sich um ein Plagiat handle, putzte mich der Bertelsmann-Justitiar Rainer Dresen zunächst herunter: Mein Text weise keinerlei Originalität auf und könne, so die nahegelegte Schlußfolgerung, deshalb auch von anderen frei verwendet werden. Der Bertelsmann-Justitiar nimmt sich aus eigener Machtvollkommenheit das Recht heraus, Texte bestimmter Autoren als minderwertig zu bezeichnen, und deshalb dürfe man sie auch klauen. Was nebenbei auf den Widerspruch hinweist, dass Bertelsmann einen als minderwertig bezeichneten Text klaut, gleichzeitig aber das Buch von Leif als ein hochwertiges journalistisches Produkt anpreist.
 
Die Aussage des Bertelsmann-Justitiars könnte auch so gelesen werden, dass der Verlag solchen Textklau überhaupt für zulässig und rechtlich einwandfrei hält. Als ich mit einem Gerichtsverfahren wegen Plagiats drohte, wurde mir dann als erste Beruhigungspille ein „branchenübliches Nachdruckhonorar“ von 600 Euro angeboten, dann 1.200 Euro, schließlich 6.000 Euro. Bertelsmann wollte eine gerichtliche und öffentliche Auseinandersetzung vermeiden, was auf ein gewisses Unrechtsbewußtsein schließen lässt, das sich zumindest dann bemerkbar macht, wenn man erwischt wird. Offensichtlich wird man bisher kaum erwischt, und Darstellungen wie die von Gisela Sonnenburg tragen dazu bei, diesen Zustand zu erhalten.
 
Dass große Verlage mit und ohne Internet Texte klauen, ist offensichtlich kein Einzelfall. Die vom selben und anderen Verlagen betroffene Autorin Susanne Lücke-David bereitet eine umfangreiche Dokumentation vor, die demnächst erscheinen soll. Wer solche Fälle kennt, melde sich bitte bei mir. (PK)


Online-Flyer Nr. 180  vom 14.01.2009

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