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Literatur
Der Fortsetzungsroman in der NRhZ - Folge 13
"Zwielicht"
Von Erasmus Schöfer
Der Mannesmann-Vorstand hat beschlossen, das Düsseldorfer Röhrenwerk zu schließen. Auf der Sitzung der Vertrauensleute-Leitung geht es heftig her. Der Betriebsratsvorsitzende will die aufgebrachten Arbeiter beschwichtigen. Er warnt vor "wildem" Streiken.
Sag ma, großer Vorsitzender, fragte ein Älterer, biste vielleicht im Nebenberuf Baptistenprediger? Ich hab bald Fümunzwanzichjähriges bei den SRW, will sagen, fümunzwanzich Jahr meine Knochen und den Kopp dazu in diesen Laden geschleppt und was habich jetzt davon? Ne Jacht auf Mallorca? Ne Villa im Bergischen? Gehustet. Ne selbstrenovierte Werkswohnung in Hassels, mit Autobahnanschluss. Die ich vleicht auch noch räumen muss, wenn sie mich abserviern mitn paar tausend Mark Judaslohn! Ich will dir wat sagen Kurt, dat kannste weitergeben nach oben: Wenn der große Gott von Mannesmann, der smarte Herr Overbeck, der laut STERN neunhundertfünzich tausend Mark im Jahr einsackt, der sich als Arbeitsplatzretter durch Investitionen aufspielt, wenn der für jeden stillgelegten Arbeiter im Konzern hundert Mark von seinem Gehalt abdrückt - dann nehm ich meine Abfindung und zieh zurück zu Muttern inne Eifel.
Viele lachten. Willi rief: Umgekehrt Jupp! Für jeden Arbeitsplatz weniger kriegter hundert dazu!
Einer von den Angestellten unterstützte Kemperdiek: Nichts bringt uns solche Polemik! In diesem Land gibts Leute, die haben die Macht und zu denen gehörst du nicht und ich nicht und keiner der hier sitzt, oder? Und keiner von uns kann das ändern. Jetzt sind sie noch bereit einen vernünftigen Sozialplan zu machen, dafür brauchen wir die öffentliche Unterstützung. Wir dürfen die Verhandlungen nicht gefährden lassen durch die Rabatzmacher. Mit ein paar Tausendern auf der Hand muss keiner in die Wüste ziehn, da findet jeder eine neue Arbeitsstelle.
Aber nicht in Düsseldorf, und nicht in Hilden! Haben die Betriebsräte klar mitgeteilt, dass da niemand eingestellt wird. In Remscheid vielleicht oder in Bielefeld. Weißtu wat dat heißt jeden Tag die Fahrzeit? Ich bin klar für ne Demonstration Dienstag vormittag zum Hochhaus.
Einverstanden Kollege, sagte Kemperdiek, Demonstration muss sein. Aber da soll auch jeder Kollege sein echtes Engagement für unser Werk zeigen, indem er aus freien Stücken marschiert, ohne Bezahlung, nämlich am Samstag. Das ist der Vorschlag des Betriebsausschusses. Am Samstagvormittag.
Mir riecht der Vorschlag eher nach ner Idee der Geschäftsleitung Kurt, sagte Anklam, noch vorsichtig, aber Wiedemann hieb voll zurück: Findich überhaupt nicht lustig Kurt, was ihr euch da ausgeheckt habt! Wisst genau worums geht: Streik oder Nichtstreik! Zweidrei Stunden Produktionsausfall, das nehmen die ernst, weils ihnen ins Portmonnee greift. Alles andre ist Kinderfest mit Luftballons. Aus Samstag wird nix und aus Sonntag auch nicht. Dienstag, Kollegen, im Blaumann und mit Helm zum MannesmannHochhaus! Die VKL wird bei der Polizei die Marschroute anmelden. Weiteres Reden bringt nix Neues. Wir stimmen jetzt ab. Wer für den Vorschlag der VKL ist, bitte das Handzeichen. Willi, zähl mal mit, obwohls die Mehrheit der Anwesenden ist. Vierundzwanzig, stimmts? Gut. Die Gegenprobe. Ich sehe fünf Hände. Enthaltungen? Drei. Das ist eindeutig. Kollegen, unser Kampf tritt jetzt in eine entscheidende Fase. Ihr wisst, was ihr zu tun habt. An die Arbeit! Die Sitzung ist geschlossen.
Musch kaute an seinem Schnurrbart, abwechselnd am rechten und am linken Zipfel. Er saß vor seinem spinnenbeinigen Schreibtisch, vor sich die Continental, fünf Blätter eingespannt, in Griffweite auf dem Bett die Papiervorräte, auf dem Bretterfußboden an der schrägen Mansardenwand Flugblätter, übriggebliebne Sonderausgaben der Roten Röhre, Unterschriftslisten, noch unausgefüllt, Exemplare des Plakats Reisholz muß erhalten bleiben. Daneben eine Reihe Bücher. Um die schwarze Büromaschine, außer Teekanne, Zuckerdose und Becher, Notizzettel, handbeschrieben, verwirbelt von einer Woche, die seine Ordnung, sein Korsett in bestürzender Weise aus den Fugen gerissen hatte. Wie jetzt Armin und den WerkstattKollegen einen übersichtlichen Bericht geben von den Ereignissen, die ihn und viele Reisholzer aus dem Alltag geworfen hatten? Schriftlich festgehalten wollten sie lesen, Hermann und Martin, was Akteure wie er als reißenden Strom erlebten, in dem es doch galt, nur halbwegs den Kopf über Wasser zu behalten. Hat man schon mal einen Schwimmer gesehn, der mitten im Sturm seine Erlebnisse aufschreibt he?
Musch behauchte die Gläser seiner Brille, putzte sie mit dem Taschentuch, sah aus dem kleinen Mansardenfenster auf die Schatten der wenigen Baumspitzen, die sich im Garten als mattschwarze Silhuetten gegen die Lichter der Industrieanlagen, gegen den blankgeregneten Nachthimmel darüber abhoben. Wieder nahm er Anlauf, sich auf die Abfolge der Vorgänge zu konzentrieren, die vielen einzelnen Bilder der vergangenen Tage in eine kronologische Ordnung zu bringen, die in seinem Hirn herumschwirrten wie die beschriebenen Zettel auf dem Tisch. Hättich die Notizen wenigstens mit dem Tagesdatum versehen! Wer kann sich auch vorstellen, dass die Erinnerung schon nach ein paar Tagen durcheinanderschmeißt, was eben so klar und eindeutig passiert ist! Armin hättich festnageln solln nach der Betriebsversammlung, zusammen hätten wir das eher hingekriegt. Bin einfach kein Schreiber verdammt.
Musch stellte fest, dass er frischen Tee brauchte. Er stieg die enge Treppe runter, fand in der Küche die komplette Belegschaft versammelt, in heißer Diskussion über die Vorgänge bei Mannesmann.
Musch wo steckst du! Der Musch hat privatisiert. Gedichtet hater. Musch, als Dichter droht dir ein schlimmes Ende!
Einen Tee brauchich, kein Kabarett, grollte Musch, ihr habts grad nötig, mir ans Bein zu pinkeln. Solltet lieber mitmachen im Werkkreis - jeder kann schreiben. Solltet mal aufschreiben, was ihr in diesen Tagen erlebt in Reisholz, statt bloß drüber schwätzen. Das ist nämlich ein Trojanischer Krieg.
Und du wirst der Homer? erkundigte sich Ria.
Zu viel der Ehre, Schwester, aber vielleicht unsre Werkstatt.
Erasmus Schöfers "Die Kinder des Sisyfos", Bd.1 "Ein Frühling irrer Hoffnung", Bd.2 "Zwielicht" und Bd. 3 "Sonnenflucht", Dittrich Verlag Köln, ISBN 3-920862-58-9
Externe Links:
www.dittrich-verlag.de
Online-Flyer Nr. 32 vom 21.02.2006
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"Zwielicht"
Von Erasmus Schöfer
Der Mannesmann-Vorstand hat beschlossen, das Düsseldorfer Röhrenwerk zu schließen. Auf der Sitzung der Vertrauensleute-Leitung geht es heftig her. Der Betriebsratsvorsitzende will die aufgebrachten Arbeiter beschwichtigen. Er warnt vor "wildem" Streiken.
Sag ma, großer Vorsitzender, fragte ein Älterer, biste vielleicht im Nebenberuf Baptistenprediger? Ich hab bald Fümunzwanzichjähriges bei den SRW, will sagen, fümunzwanzich Jahr meine Knochen und den Kopp dazu in diesen Laden geschleppt und was habich jetzt davon? Ne Jacht auf Mallorca? Ne Villa im Bergischen? Gehustet. Ne selbstrenovierte Werkswohnung in Hassels, mit Autobahnanschluss. Die ich vleicht auch noch räumen muss, wenn sie mich abserviern mitn paar tausend Mark Judaslohn! Ich will dir wat sagen Kurt, dat kannste weitergeben nach oben: Wenn der große Gott von Mannesmann, der smarte Herr Overbeck, der laut STERN neunhundertfünzich tausend Mark im Jahr einsackt, der sich als Arbeitsplatzretter durch Investitionen aufspielt, wenn der für jeden stillgelegten Arbeiter im Konzern hundert Mark von seinem Gehalt abdrückt - dann nehm ich meine Abfindung und zieh zurück zu Muttern inne Eifel.
Viele lachten. Willi rief: Umgekehrt Jupp! Für jeden Arbeitsplatz weniger kriegter hundert dazu!
Einer von den Angestellten unterstützte Kemperdiek: Nichts bringt uns solche Polemik! In diesem Land gibts Leute, die haben die Macht und zu denen gehörst du nicht und ich nicht und keiner der hier sitzt, oder? Und keiner von uns kann das ändern. Jetzt sind sie noch bereit einen vernünftigen Sozialplan zu machen, dafür brauchen wir die öffentliche Unterstützung. Wir dürfen die Verhandlungen nicht gefährden lassen durch die Rabatzmacher. Mit ein paar Tausendern auf der Hand muss keiner in die Wüste ziehn, da findet jeder eine neue Arbeitsstelle.
Aber nicht in Düsseldorf, und nicht in Hilden! Haben die Betriebsräte klar mitgeteilt, dass da niemand eingestellt wird. In Remscheid vielleicht oder in Bielefeld. Weißtu wat dat heißt jeden Tag die Fahrzeit? Ich bin klar für ne Demonstration Dienstag vormittag zum Hochhaus.
Einverstanden Kollege, sagte Kemperdiek, Demonstration muss sein. Aber da soll auch jeder Kollege sein echtes Engagement für unser Werk zeigen, indem er aus freien Stücken marschiert, ohne Bezahlung, nämlich am Samstag. Das ist der Vorschlag des Betriebsausschusses. Am Samstagvormittag.
Mir riecht der Vorschlag eher nach ner Idee der Geschäftsleitung Kurt, sagte Anklam, noch vorsichtig, aber Wiedemann hieb voll zurück: Findich überhaupt nicht lustig Kurt, was ihr euch da ausgeheckt habt! Wisst genau worums geht: Streik oder Nichtstreik! Zweidrei Stunden Produktionsausfall, das nehmen die ernst, weils ihnen ins Portmonnee greift. Alles andre ist Kinderfest mit Luftballons. Aus Samstag wird nix und aus Sonntag auch nicht. Dienstag, Kollegen, im Blaumann und mit Helm zum MannesmannHochhaus! Die VKL wird bei der Polizei die Marschroute anmelden. Weiteres Reden bringt nix Neues. Wir stimmen jetzt ab. Wer für den Vorschlag der VKL ist, bitte das Handzeichen. Willi, zähl mal mit, obwohls die Mehrheit der Anwesenden ist. Vierundzwanzig, stimmts? Gut. Die Gegenprobe. Ich sehe fünf Hände. Enthaltungen? Drei. Das ist eindeutig. Kollegen, unser Kampf tritt jetzt in eine entscheidende Fase. Ihr wisst, was ihr zu tun habt. An die Arbeit! Die Sitzung ist geschlossen.

Musch behauchte die Gläser seiner Brille, putzte sie mit dem Taschentuch, sah aus dem kleinen Mansardenfenster auf die Schatten der wenigen Baumspitzen, die sich im Garten als mattschwarze Silhuetten gegen die Lichter der Industrieanlagen, gegen den blankgeregneten Nachthimmel darüber abhoben. Wieder nahm er Anlauf, sich auf die Abfolge der Vorgänge zu konzentrieren, die vielen einzelnen Bilder der vergangenen Tage in eine kronologische Ordnung zu bringen, die in seinem Hirn herumschwirrten wie die beschriebenen Zettel auf dem Tisch. Hättich die Notizen wenigstens mit dem Tagesdatum versehen! Wer kann sich auch vorstellen, dass die Erinnerung schon nach ein paar Tagen durcheinanderschmeißt, was eben so klar und eindeutig passiert ist! Armin hättich festnageln solln nach der Betriebsversammlung, zusammen hätten wir das eher hingekriegt. Bin einfach kein Schreiber verdammt.
Musch stellte fest, dass er frischen Tee brauchte. Er stieg die enge Treppe runter, fand in der Küche die komplette Belegschaft versammelt, in heißer Diskussion über die Vorgänge bei Mannesmann.
Musch wo steckst du! Der Musch hat privatisiert. Gedichtet hater. Musch, als Dichter droht dir ein schlimmes Ende!
Einen Tee brauchich, kein Kabarett, grollte Musch, ihr habts grad nötig, mir ans Bein zu pinkeln. Solltet lieber mitmachen im Werkkreis - jeder kann schreiben. Solltet mal aufschreiben, was ihr in diesen Tagen erlebt in Reisholz, statt bloß drüber schwätzen. Das ist nämlich ein Trojanischer Krieg.
Und du wirst der Homer? erkundigte sich Ria.
Zu viel der Ehre, Schwester, aber vielleicht unsre Werkstatt.
Erasmus Schöfers "Die Kinder des Sisyfos", Bd.1 "Ein Frühling irrer Hoffnung", Bd.2 "Zwielicht" und Bd. 3 "Sonnenflucht", Dittrich Verlag Köln, ISBN 3-920862-58-9
Externe Links:
www.dittrich-verlag.de
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