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Lokales
Verharmlosungen, Fälschungen und von der Games-Industrie bezahlt
Killerspiele doch gefährlich!
Von Peter Kleinert

Ein wissenschaftlicher und politischer Skandal wirft ein neues Licht auf die  „medienpädagogische“ Verharmlosung der Wirkungen von „Killerspielen“, über die wir in NRhZ 176 berichteten. Electronic Arts (EA), einer der weltweit größten Entwickler und Vertreiber von Computerspielen, und Nintendo Deutschland förderten „Spielraum“, das „Institut zur Förderung von Medienkompetenz“ an der Fachhochschule Köln allein im Jahr 2007 mit 250.000 Euro.


„Computerspiele sind
Kulturprodukte“ –
Prof. Winfred Kaminski
Quelle: FH Köln
Electronic Arts (EA) war, bis zu der 2008 erfolgten Fusion von Vivendi Games und Activision zu Activision Blizzard, der weltweit größte Publisher und Entwickler von Computer- und Videospielen. Bei einem Jahresumsatz von etwa 3 Milliarden Dollar hat das Unternehmen einen Marktanteil von ca. 25 Prozent auf dem nordamerikanischen und europäischen Markt und seit einiger Zeit auch eine Niederlassung im Kölner Rheinauhafen.

Von 1994 bis 1999 entwickelte EA unter der Bezeichnung "Jane’s Series" eine Reihe von militärischen Simulationen und erhielt dafür eine Lizenz der Jane’s Information Group, einem "militärwissenschaftlichen“ Verlag, der u.a. Jane’s Defence Weekly herausgibt.

Rheinauhafen Köln
Electronic Arts (EA) Deutschland im Kölner Rheinauhafen
Quelle: Architekten Bahl+Partner, www.bahl.de


Eine solche „Kooperation“ von Wissenschaftlern und Forschern mit der Industrie, deren Produkte sie beforscht, verstößt eindeutig gegen wissenschaftliches Ethos, denn die Gefahr der Abhängigkeit von den Interessen der Geldgeber ist offensichtlich. Und hierzu passt, dass der Direktor dieses Instituts, Prof. Winfried Kaminski, sowie sein Kollege Prof. Jürgen Fritz seit Jahren durch ihre notorische Leugnung der negativen Wirkung von Gewaltspielen auffallen (s. NRhZ 176 „Kindheitskiller auf dem Gabentisch“). Ihre „akzeptanzorientierte“ Medienpädagogik versucht die Ergebnisse der Wirkungsforschung zu verharmlosen, mit fragwürdigen Argumenten zu umgehen oder positive „Lerneffekte“ zu konstruieren. Die Texte lesen sich oft wie Werbeschriften der Computerindustrie, die die Wissenschaftler eher als Lobbyisten der Games-Industrie erscheinen lassen.


Prof. Jürgen Fritz sorgt für Publicity und die
EA-Pressestelle freut sich
Quelle: presse.electronic-arts.de
Skandalös ist, dass die zu ausgewogener Information der Öffentlichkeit verpflichtete „Bundeszentrale für politische Bildung“ seit langem einseitig solche medienpädagogischen Theorien und Ratgeber verlegt. Vertreter der Bundeszentrale treten zudem auf von Computerspielkonzernen gesponserten Kongressen auf und wurden aus diesem Anlass erst vergangene Woche zusammen mit Prof. Kaminski im öffentlich-rechtlichen Fernsehen den Zuschauern präsentiert.
 
Schlichtes Plagiat
 
Zudem wurde jetzt in einer neuen, von Prof. Fritz für die Bundeszentrale herausgegeben Publikation, der Beitrag des Kölner Institutsdirektors Prof. Kaminski als schlichtes Plagiat enttarnt: Kaminski hat den größten Teil seines vermeintlich wissenschaftlichen Beitrags schlicht aus Presseartikeln im Internet zusammenkopiert (genauer Textvergleich hier). Für solche Copy-Paste-Plagiate wird heute jeder Student sofort exmatrikuliert. Immerhin sah sich die Bundeszentrale nach einer Intervention des Innenministeriums gezwungen, dieses Buch vom Markt zu nehmen. Fritz hatte darin u.a. ein Spiel, das Krieg um Rohstoffe als Mittel der Politik inszeniert, als „Impuls für die politische Bildung“ angepriesen. Allerdings kann er seine teilweise sozialdarwinistisch tönenden Ansichten weiterhin auf der Homepage der Bundeszentrale verbreiten. So etwa, dass die Erfahrung von Macht und Ohnmacht im Computerspiel doch dem „Spiel des Lebens“ entsprechen würde, in dem das Überleben von der eigenen Machtausübung abhinge, davon ob die eigenen Fähigkeiten und Kräfte ausreichten, „sich ein Verbleiben auf dieser Welt zu sichern.“ (http://www.bpb.de/)
 
Die Kölner FH hat auf den Plagiatsskandal im eigenen Haus bisher nicht öffentlich reagiert. Vielmehr wurde dort die einzige Mitarbeiterin, die die Finanzierung durch „Electronic Arts“ öffentlich kritisierte, von der Fakultätsleitung mit Unterlassungsverfügungen bedacht. Der Rektor drohte in einem Rundschreiben an alle Mitglieder der FH unverhohlen, man habe an Mitarbeitern des „konkurrenzfähigen Gemeinschaftsunternehmens“ Fachhochschule, die sich nicht „auch in den Köpfen“ der „Corporate Identity“ fügten, kein Interesse mehr. Hier wird einmal mehr deutlich, wie die Entstaatlichung der Hochschulen die Freiheit von Forschung und Lehre zugunsten von Konzerngeldern verabschiedet.
 
Per Gesetz demnächst „Kulturgut“?
 
Zugleich laufen derzeit Gesetzesinitiativen mehrerer Parteien im Bundestag, die Computerspiele schützen und zum „Kulturgut“ erklären wollen. Begründet wird dies ganz offen mit der Förderung der heimischen Computerindustrie und neuen Jobs für arbeitlose Designer und Künstler. In der Tat gilt die Computerspielbranche als Zukunftsmarkt mit Milliardenumsätzen, wird politisch hofiert und mit Steuergeldern gefördert.
 
Als Gutachter für staatliche Stellen fungiert nun ausgerechnet wieder Jürgen Fritz, der für das Bundesministerium für Familie und Jugend (BMFSFJ) ein Gutachten über den Jugendmedienschutz vorlegte, in dem er – wie zu erwarten – zu dem Schluss kommt, dass keine weitere Verschärfung von Alterskennzeichnungen oder gar Verbote notwendig seien. Die USK, die herstellereigene (!) Alterskennzeichnung von Computerspielen, funktioniere wunderbar. Fritz’ Gutachten, das als neuester Stand der wissenschaftlichen Forschung gelten möchte, enthält dabei aber Textbausteine, die wortwörtlich aus 15 Jahre alten Publikationen übernommen wurden. Und absurderweise begründet der Autor die Ablehnung von Verboten gerade mit dem gewaltverherrlichenden Charakter der Spiele: „Wie ausführlich dargelegt wurde, gehört es zum Wesen der Computer- und Videospiele gegen einen ‚Widerstand’ die Spielziele durchzusetzen. Das Erreichen des Spielziels ist bei den allermeisten Spielen untrennbar mit den verschiedenen Formen der Gewaltanwendung verbunden (…). Ein Abgabeverbot würde die meisten Computer- und Videospiele betreffen, auch diejenigen, die mit USK 12 gekennzeichnet sind.“ Dies ist – so darf man folgern ‑ selbstverständlich nicht im Sinne der Games-Industrie.
 
Inszenierung von Lobbykreisen
 
Diese Vorgänge machen einen korrupten Filz von Industrie, Politik und Pseudo-Wissenschaft greifbar, den man oft nur vermuten kann. Er enthüllt den angeblichen „Wissenschaftsstreit“ um die Wirkung von Gewaltspielen als Inszenierung von Lobbykreisen: Die verheerenden Auswirkungen sind längst klar belegt und in der Praxis offensichtlich. Killerspiele sind den Trainingssimulatoren der US-Armee nachempfunden, mit denen die Soldaten emotional desensibilisiert und auf reflexartiges Töten konditioniert werden – warum sollte dies bei Kindern nicht genauso wirken? Lehrer und Eltern werden in ihrem pädagogischen Handeln durch diesen „Wissenschaftsstreit“ seit langer Zeit verunsichert, weil immer wieder von „Wissenschaftlern“ wie Kaminski und Fritz behauptet und in den von Werbung abhängigen Medien verbreitet wird, solche Ergebnisse gründeten auf mangelndem Verständnis der Spiele und „monokausalen“ Schlussfolgerungen.
 
Eltern und Lehrer sollten deshalb ihrer Wahrnehmung und alltäglichen Erfahrung mit zunehmend unkonzentrierten, gewalttätigen und emotional abgestumpften Kindern und Jugendlichen trauen und entsprechend handeln. Und es scheint an der Zeit, dass verantwortungsbewusste Pädagogen, aber auch alle anderen Bürger dagegen öffentlich Stellung nehmen: Killerspiele sind „Landminen für die Seele“, die die Köpfe und Herzen der Jugendlichen und unsere ganze Kultur militarisieren und auf den Krieg vorbereiten – den Krieg, der in der Realität genauso unmenschlich funktioniert wie im Computerspiel. (PK)
 
Kölner Aufruf gegen Computergewalt
 
Wir lassen nicht zu,
○ dass die Köpfe und Herzen unserer Kinder weiterhin durch Killerspiele mit Krieg und Gewalt vergiftet werden;
○ dass Kinder und Jugendliche zu Tötungsmaschinen auf den virtuellen und realen Schlachtfeldern dieser Welt abgerichtet werden;
○ dass neue Feindbilder geschaffen und Fremdenfeindlichkeit verbreitet wird;
○ dass die humanen und zum Frieden verpflichtenden Grundlagen unserer Gesellschaft zugrundegerichtet werden und Krieg zur Normalität wird;
○ dass Menschenrechte, Grundgesetz und Völkerrecht durch Gewaltspiele unterminiert werden.
 
Wir fordern,
○ dass die Herstellung und Verbreitung von kriegsverherrlichenden und gewaltfördernden Computerspielen für Kinder und Erwachsene verboten werden   denn Krieg ist nicht nur schlecht für Kinder, sondern auch für Erwachsene;
○ dass die „Bundeszentrale für politische Bildung“ verharmlosende Schriften zurückzieht und gemäß ihrem Auftrag über den tatsächlichen Stand der Forschung informiert;
○ dass Wissenschaftler ihre Finanzierung durch die Games-Industrie offenlegen;
○ dass alle Parteien ihre Beschlussanträge, die Computerspiele zum „Kulturgut“ erklären wollen, zurückziehen;
○ dass die Games-Industrie keine staatliche Förderung und politische Unterstützung erhält;
○ dass Medienbildung über die tatsächliche Wirkung von Gewaltdarstellungen aufklärt und zum Frieden erzieht;
○ dass Politiker, Wissenschaftler und Medienvertreter ihrem Auftrag gerecht werden, dem Frieden zu dienen, wie es Grundgesetz, Menschenrechte und Völkerrecht verlangen – sonst müssen sie abtreten.

 
Den kompletten Aufruf finden Sie hier.  
Weitere Unterzeichner oder Unterstützer können sich wenden an: Prof. Dr. Maria Mies, Blumenstraße 9, 50670 Köln (V.i.S.d.P.), koelner.aufruf@gmx.de.

Eine Unterschriftenliste kann hier heruntergeladen werden!

 
Weitere Informationen:
Ostbomk-Fischer, Elke: Menschenbild und Medienbildung. Killerspiele im Diskurs zwischen Wissenschaft und Praxis (http://www.gwg-ev.org)
Pfeiffer, Christian: Ein schlechtes Buch und ein massiver Plagiatsvorwurf (http://www.kfn.de)
Spiegel Online: http://www.spiegel.de/; http://www.spiegel.de/

Online-Flyer Nr. 177  vom 17.12.2008

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