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Kultur und Wissen
Buchkritik
"Die Suche" von Antje Babendererde
Von Uli Klinger
Indianerliteratur gibt (gab) es reichlich. Wer kennt nicht die Helden von Karl May, Friedrich Gerstäcker oder J. F. Cooper. Wobei der erste reine Phantasiegeschichten schrieb, der zweite die Situation von persönlichen Reisen her kannte (und politisch aktiv war) und der dritte als einziger tatsächlich Amerikaner war. Schon nicht so bekannt (im Westen) sind die Romane von Liselotte Welskopf-Henrich, die in der damaligen DDR realistische historische Romane über dieses Thema schrieb. Fast unbekannt ist uns Louise Erdrich, die 1954 als Tochter eines Deutschen und eines Indianers in North Dakota geboren wurde.
Sind es bei Karl May echte Helden, meist holzschnittartig gezeichnet: hier der gute "Rote" und da die schlechten "Weißen", die manchmal aber auch eine rote Hautfarbe haben und dazwischen die Helden. Meist weiß oder - wenn rot - dann im Grunde ihres Herzens christianisiert. Diese Schmöker wurden von den Älteren von uns verschlungen, doch heutzutage - nach den Verfilmungen - spielen sie auf dem Buchmarkt keine wirkliche Rolle mehr. Die anderen Genannten schreiben schon realistischer, aber auch ihre Romane sind - wenn man von L. Erdrich absieht - historische Romane, treffen die heutige Zeit nicht mehr.
Und dann taucht plötzlich diese 1963 in Thüringen geborene, aufgewachsene und immer noch dort lebende Antje Babendererde 2001 mit ihrem Erstling "Der Pfahlschnitzer" auf dem Buchmarkt auf. Erschienen im kleinen Hannah Verlag, ohne großartige Werbung, vermochte dieser Roman kaum zum Leser durchzudringen. Heute ist er vergriffen. Aber mit diesem Werk wurde der Grundstein für den heutigen Erfolg gelegt. Die folgenden Romane für Erwachsene erscheinen (im ebenfalls kleinen aber bekannteren) Merlin-Verlag: "Der Walfänger" (2002), "Wundes Land" (2003) und "Die Suche" (2005). Die Taschenbuchausgabe von "Wundes Land" (2005) ermöglicht dann den Durchbruch im Erwachsenensektor. Dazwischen liegen drei Jugendbücher "Der Gesang der Orcas" (2003), "Lakota Moon" 2005) und "Talitha Running Horse (2005), die alle im Ensslin Verlag bzw. dem zur gleichen Verlagsgruppe gehörenden Arena Verlag erschienen sind. Seit "Lakota Moon" wurden die Spezialisten der Jugendbuchszene auf diese Autorin aufmerksam, Preise waren die Folge.
Babendererde schildert die Probleme der heutigen Indianer in der bestehenden Gesellschaft der USA. Meistens in der Form einer gut erzählten Liebesgeschichte mit Anleihen beim Kriminalroman. Denn ihre "Helden" geraten oft mit dem Gesetz in Konflikt, weil dieses die ursprüngliche Lebensweise - auch in der heutigen modifizierten Form - der Ureinwohner nicht respektiert. Der Landraub findet immer noch statt, die Ausbeutung der Boden- und Naturschätze schreitet voran. Dies wird relativ leicht gemacht, denn auch in den Reservaten herrschen Neid, Mißgunst und Korruption. Und die Entwurzlung der Bewohner in Verbindung mit Alkoholismus und Drogenmißbrauch zeigt Folgen. In diesem Spannungsfeld spielen die Geschichten, die sie blendend erzählt. Und wer wissen will, wie man eine Pferde- und Pubertätsgeschichte mal abseits der üblich heruntergeleierten Form (oder der sog. Problemliteratur) schreiben kann, dem empfehle ich z. B. "Talitha Running Horse". Ganz normal in die Handlung eingebunden wird der Todesmarsch der Sioux, und die Erinnerung daran erzählt und bildet unversehens den Höhepunkt dieses Romans.
Antje Babendererde kennt die Verhältnisse aus persönlichen Eindrücken, vielen Aufenthalten in den betreffenden Reservaten. Ganz selbstverständlich fügt sie reale Gegebenheiten in ihre Romane ein. So schildert sie z. B. in "Lakota Moon" das kriminelle paramilitärische Vorgehen des FBI gegen einen indianischen Nutzhanfpflanzer, wodurch dessen wirtschaftliche Existenz vernichtet wird. Dies nahm der Schreiber dieser Zeilen z. B. nicht ganz ernst. Umso überraschter war ich bei der Betrachtung des hervorragenden Videos "Die Donnervogelfrau" über die Indianeraktivistin Winona LaDuke, in der LaDuke genau diese Tatsache schilderte.
Ebenso real der juristische Kampf in ihrem letzten Roman für Erwachsene "Die Suche". Die Geschichte spielt im "Dog Lake Reservat". Cree Indianer kämpfen gegen den mächtigen Papierkonzern Shimada, der ihre Wälder abholzen will. Ihr Sprecher, Jem Soonias, hat aber eigentlich ganz andere Probleme: sein neunjähriger Sohn ist verschwunden. Und die Zusammenarbeit mit der Polizei ist von gegenseitigem Mißtrauen und Nichtverstehen geprägt. Die Lösung sei hier nicht verraten, aber dass sich in diesem Buch noch eine herrlich erzählte Liebesgeschichte verbirgt, will ich doch nicht verschweigen.
Oder zum Schluss noch der Kampf der Makah Indianer im Bundesstaat Washington. Sie erhalten Ende der 90-er Jahre das Recht auf Wiederbelebung ihrer uralten Tradition. Die Walfangkomission erlaubt Ihnen die Tötung eines Wals. Diese Jagd droht den Stamm zu entzweien und bringt Tierschützer gegen sie auf. Humanitäre Gründe werden ausgespielt, um die wirtschaftlichen Hintergründe und den latenten Rassismus zu verdecken.
Diese Begebenheit bildet den Hintergrund für die beiden Bücher "Der Walfänger" und "Der Gesang der Orcas". Im letztgenannten Jugendbuch spielen die fünfzehnjährige Sofie, deren Vater und der 16jährige Makah-Junge Javid die Hauptrolle. Sofie und ihr Vater können den Tod der Mutter nur schwer verwinden und jeder trauert auf eigene, einsame Weise. Eine gemeinsame Reise an die Nordwestküste Amerikas soll beide einander wieder näher bringen. Aber Sofie verliebt sich in den sechzehnjährigen Makah-Indianer Javid und verbringt viel Zeit mit ihm, während ihr Vater seinem Beruf nachgeht und fotografiert.
Sofie und Javid haben ein Geheimnis: So oft es geht, sind sie mit einem Schlauchboot auf dem Meer und besuchen eine kleine Orcagruppe, die sich vor der Küste aufhält. Als sie einmal von einem Sturm überrascht werden und eine Nacht in einer Fischerhütte verbringen müssen, kommt es beinahe zum Bruch zwischen Sofie und ihrem Vater. Aber Sofie hält zu Javid und geht ihren eigenen Weg. Und Javid lebt in der Tradition seines Volkes. Ein wundervolles Buch!
Wer sich noch mehr für die Geschichte der Indianer interessiert, dem sei außerdem das ausgezeichnete Sachbuch "Die Sioux" von H.J. Stammel empfohlen. Leider nur noch antiquarisch erhältlich. Aber er legt klar, dass es meistens wirtschaftliche Gründe waren, die zur fast vollständigen Ausrottung führten. Die Verfassung der heutigen USA beruht z. B. zum größten Teil auf der Verfassung der sog. "Zivilisierten Stämme" der Cheyenne. Sie wurden erst erbarmungslos dezimiert, als der Staat Georgia und seine Bevölkerung 1828 so hoch bei den Cheyenne verschuldet waren, dass Staatsbankrott drohte. 40 Jahre später drohte der Zusammenbruch der Aktiengesellschaften, die gegründet worden waren, um die grossen Eisenbahnlinien zu errichten. Nun wurden die Rechte der letzten Reitervölker mit einem Federstrich endgültig beseitigt und die Sioux abgeschlachtet und in die Reservate gezwungen.

Antje Babendererde
Foto: privat
"Die Suche" von Antje Babendererde, Leinen, Roman. 350 S., 2005 Merlin-Verlag, Euro 19,50
Antje Babendererde liest am 1. und 2. März in der Buchhandlung für ausgesuchte Literatur Ulrich Klinger Rochusstr. 93 (Bitte beachten Sie unsere neue Anschrift !) 50827 Köln, Tel.: 0221 / 530 46 58, Fax: 0221 / 346 19 14, u.klinger@ndh.net, www.klinger.online.de
Online-Flyer Nr. 32 vom 21.02.2006
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"Die Suche" von Antje Babendererde
Von Uli Klinger

Sind es bei Karl May echte Helden, meist holzschnittartig gezeichnet: hier der gute "Rote" und da die schlechten "Weißen", die manchmal aber auch eine rote Hautfarbe haben und dazwischen die Helden. Meist weiß oder - wenn rot - dann im Grunde ihres Herzens christianisiert. Diese Schmöker wurden von den Älteren von uns verschlungen, doch heutzutage - nach den Verfilmungen - spielen sie auf dem Buchmarkt keine wirkliche Rolle mehr. Die anderen Genannten schreiben schon realistischer, aber auch ihre Romane sind - wenn man von L. Erdrich absieht - historische Romane, treffen die heutige Zeit nicht mehr.
Und dann taucht plötzlich diese 1963 in Thüringen geborene, aufgewachsene und immer noch dort lebende Antje Babendererde 2001 mit ihrem Erstling "Der Pfahlschnitzer" auf dem Buchmarkt auf. Erschienen im kleinen Hannah Verlag, ohne großartige Werbung, vermochte dieser Roman kaum zum Leser durchzudringen. Heute ist er vergriffen. Aber mit diesem Werk wurde der Grundstein für den heutigen Erfolg gelegt. Die folgenden Romane für Erwachsene erscheinen (im ebenfalls kleinen aber bekannteren) Merlin-Verlag: "Der Walfänger" (2002), "Wundes Land" (2003) und "Die Suche" (2005). Die Taschenbuchausgabe von "Wundes Land" (2005) ermöglicht dann den Durchbruch im Erwachsenensektor. Dazwischen liegen drei Jugendbücher "Der Gesang der Orcas" (2003), "Lakota Moon" 2005) und "Talitha Running Horse (2005), die alle im Ensslin Verlag bzw. dem zur gleichen Verlagsgruppe gehörenden Arena Verlag erschienen sind. Seit "Lakota Moon" wurden die Spezialisten der Jugendbuchszene auf diese Autorin aufmerksam, Preise waren die Folge.
Babendererde schildert die Probleme der heutigen Indianer in der bestehenden Gesellschaft der USA. Meistens in der Form einer gut erzählten Liebesgeschichte mit Anleihen beim Kriminalroman. Denn ihre "Helden" geraten oft mit dem Gesetz in Konflikt, weil dieses die ursprüngliche Lebensweise - auch in der heutigen modifizierten Form - der Ureinwohner nicht respektiert. Der Landraub findet immer noch statt, die Ausbeutung der Boden- und Naturschätze schreitet voran. Dies wird relativ leicht gemacht, denn auch in den Reservaten herrschen Neid, Mißgunst und Korruption. Und die Entwurzlung der Bewohner in Verbindung mit Alkoholismus und Drogenmißbrauch zeigt Folgen. In diesem Spannungsfeld spielen die Geschichten, die sie blendend erzählt. Und wer wissen will, wie man eine Pferde- und Pubertätsgeschichte mal abseits der üblich heruntergeleierten Form (oder der sog. Problemliteratur) schreiben kann, dem empfehle ich z. B. "Talitha Running Horse". Ganz normal in die Handlung eingebunden wird der Todesmarsch der Sioux, und die Erinnerung daran erzählt und bildet unversehens den Höhepunkt dieses Romans.
Antje Babendererde kennt die Verhältnisse aus persönlichen Eindrücken, vielen Aufenthalten in den betreffenden Reservaten. Ganz selbstverständlich fügt sie reale Gegebenheiten in ihre Romane ein. So schildert sie z. B. in "Lakota Moon" das kriminelle paramilitärische Vorgehen des FBI gegen einen indianischen Nutzhanfpflanzer, wodurch dessen wirtschaftliche Existenz vernichtet wird. Dies nahm der Schreiber dieser Zeilen z. B. nicht ganz ernst. Umso überraschter war ich bei der Betrachtung des hervorragenden Videos "Die Donnervogelfrau" über die Indianeraktivistin Winona LaDuke, in der LaDuke genau diese Tatsache schilderte.
Ebenso real der juristische Kampf in ihrem letzten Roman für Erwachsene "Die Suche". Die Geschichte spielt im "Dog Lake Reservat". Cree Indianer kämpfen gegen den mächtigen Papierkonzern Shimada, der ihre Wälder abholzen will. Ihr Sprecher, Jem Soonias, hat aber eigentlich ganz andere Probleme: sein neunjähriger Sohn ist verschwunden. Und die Zusammenarbeit mit der Polizei ist von gegenseitigem Mißtrauen und Nichtverstehen geprägt. Die Lösung sei hier nicht verraten, aber dass sich in diesem Buch noch eine herrlich erzählte Liebesgeschichte verbirgt, will ich doch nicht verschweigen.
Oder zum Schluss noch der Kampf der Makah Indianer im Bundesstaat Washington. Sie erhalten Ende der 90-er Jahre das Recht auf Wiederbelebung ihrer uralten Tradition. Die Walfangkomission erlaubt Ihnen die Tötung eines Wals. Diese Jagd droht den Stamm zu entzweien und bringt Tierschützer gegen sie auf. Humanitäre Gründe werden ausgespielt, um die wirtschaftlichen Hintergründe und den latenten Rassismus zu verdecken.
Diese Begebenheit bildet den Hintergrund für die beiden Bücher "Der Walfänger" und "Der Gesang der Orcas". Im letztgenannten Jugendbuch spielen die fünfzehnjährige Sofie, deren Vater und der 16jährige Makah-Junge Javid die Hauptrolle. Sofie und ihr Vater können den Tod der Mutter nur schwer verwinden und jeder trauert auf eigene, einsame Weise. Eine gemeinsame Reise an die Nordwestküste Amerikas soll beide einander wieder näher bringen. Aber Sofie verliebt sich in den sechzehnjährigen Makah-Indianer Javid und verbringt viel Zeit mit ihm, während ihr Vater seinem Beruf nachgeht und fotografiert.
Sofie und Javid haben ein Geheimnis: So oft es geht, sind sie mit einem Schlauchboot auf dem Meer und besuchen eine kleine Orcagruppe, die sich vor der Küste aufhält. Als sie einmal von einem Sturm überrascht werden und eine Nacht in einer Fischerhütte verbringen müssen, kommt es beinahe zum Bruch zwischen Sofie und ihrem Vater. Aber Sofie hält zu Javid und geht ihren eigenen Weg. Und Javid lebt in der Tradition seines Volkes. Ein wundervolles Buch!
Wer sich noch mehr für die Geschichte der Indianer interessiert, dem sei außerdem das ausgezeichnete Sachbuch "Die Sioux" von H.J. Stammel empfohlen. Leider nur noch antiquarisch erhältlich. Aber er legt klar, dass es meistens wirtschaftliche Gründe waren, die zur fast vollständigen Ausrottung führten. Die Verfassung der heutigen USA beruht z. B. zum größten Teil auf der Verfassung der sog. "Zivilisierten Stämme" der Cheyenne. Sie wurden erst erbarmungslos dezimiert, als der Staat Georgia und seine Bevölkerung 1828 so hoch bei den Cheyenne verschuldet waren, dass Staatsbankrott drohte. 40 Jahre später drohte der Zusammenbruch der Aktiengesellschaften, die gegründet worden waren, um die grossen Eisenbahnlinien zu errichten. Nun wurden die Rechte der letzten Reitervölker mit einem Federstrich endgültig beseitigt und die Sioux abgeschlachtet und in die Reservate gezwungen.

Antje Babendererde
Foto: privat
"Die Suche" von Antje Babendererde, Leinen, Roman. 350 S., 2005 Merlin-Verlag, Euro 19,50
Antje Babendererde liest am 1. und 2. März in der Buchhandlung für ausgesuchte Literatur Ulrich Klinger Rochusstr. 93 (Bitte beachten Sie unsere neue Anschrift !) 50827 Köln, Tel.: 0221 / 530 46 58, Fax: 0221 / 346 19 14, u.klinger@ndh.net, www.klinger.online.de
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