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Aktueller Online-Flyer vom 05. Mai 2024  

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Inland
Das gefährliche Doppelspiel der Geheimdienste (3)
Das IJU-Phantom
Von Jürgen Elsässer

Um das verfassungswidrige BKA-Gesetz angesichts der Situation im Bundesrat doch noch durchzusetzen, haben sich Union und SPD nun auf einen „Kompromiß“ geeinigt. Ob sie damit im Länderrat durchkommen werden, ist noch nicht sicher. Vielleicht müssen sich Innenminister Schäuble und die Geheimdienste mal wieder eines drohenden Terrorattentats bedienen. Auf den Gedanken kommt man jedenfalls, wenn man das Buch „Terrorziel Europa – Das gefährliche Doppelspiel der Geheimdienste“ des investigativen Journalisten und Autors Jürgen Elsässer liest. Als Beispiel veröffentlichen wir hier den dritten Teil aus dem Kapitel „Im Delirium eines deutschen 9/11“ über die „Wasserstoffperoxydbomber“ aus Oberschledorn im Sauerland. – Die Redaktion


Will unbedingt das BKA-Gesetz durchkriegen – Innenminister Schäuble
Quelle: NRhZ-Archiv
 

Die Bundesanwaltschaft erhob sehr schnell Anklage gegen die in Oberschledorn Überwältigten. Vorgeworfen wurde dem Trio die „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ sowie die „Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung“, nämlich der Internationalen Dschihad Union (englisch: IJU). O-Ton der Bundesanwaltschaft: „Geprägt von der Ideologie der IJU und unter Verwendung der in terroristischen Ausbildungslagern erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse haben sich die Beschuldigten zumindest seit Ende 2006 in Deutschland zu einer nach außen abgeschotteten, konspirativ arbeitenden Organisationseinheit zusammengeschlossen ...“ (30)


harms
Schnell Anklage erhoben -
Generalbundesanwältin Monika
Harms | Quelle: NRhZ-Archiv
Mit den Festnahmen von Oberschledorn begann der mediale Siegeszug der mysteriösen Organisation IJU. Eine Gruppe mit diesem Kürzel hatte wenige Tage danach im Internet ein Bekennerschreiben veröffentlicht. Darin hieß es: „Wir beten sehr für unsere Brüder und erklären uns zu ihrer Tatplanung und ihren Zielen. Die Islamische Dschihad Union hatte für Ende 2007 Operationen geplant. Am 5. September 2007 wurden im Land Oberschledorn drei unserer Brüder vom deutschen Geheimdienst festgenommen. Sie wollten die amerikanische Militärbasis Ramstein und usbekische und US-Konsulate angreifen.“ (31) Der desinformierten Öffentlichkeit schlotterten ob dieser Erklärung die Knie. Niemand las genauer: Warum hatten die großartigen IJU-Kommandeure das Datum der Festnahme verwechselt – statt dem 4. also den 5. September angegeben? Warum wussten sie nicht, dass Oberschledorn kein „Land“, sondern ein Ort ist? Und überhaupt: Wieso veröffentlichte eine vermeintliche usbekische Terrorgruppe ihr Bekennerschreiben auf Türkisch?
 
Der Name IJU war erstmals 2004 aufgetaucht. Damals rühmte sich die vordem völlig unbekannte Gruppe mehrerer Selbstmordanschläge und Schießereien in den usbekischen Städten Taschkent und Buchara sowie, etwas später, Angriffen auf die Botschaften der USA und Israels. In diesem Zusammenhang berichteten die US-Geheimdienste, dass sich die IJU im Jahr 2002 als Abspaltung der größeren Islamischen Bewegung Usbekistans (englisch: IMU) gebildet habe. (32)
 
Craig Murray, von 2002 bis 2004 britischer Botschafter in Taschkent, schildert in seinem Buch Murder in Samarkand seine Beobachtungen nach den gerade erwähnten Terrorakten vom Frühjahr 2004. Unter anderem beschreibt er, dass er an Stellen, wo angeblich kurz zuvor schwere Sprengstoffanschläge stattgefunden hatten, keine entsprechenden Bombenschäden vor fand. In einem Fall seien alle Fensterscheiben in der nächsten Umgebung der angeblichen Explosion intakt gewesen. (33) „Diese Angriffe waren tatsächlich zum großen Teil vorgetäuscht und fast sicher das Werk usbekischer Sicherheitskräfte, so meine Untersuchungen vor Ort zu jener Zeit.“ (34) Sein Urteil ist kategorisch: „Ich traf keinen in Usbekistan, auch keinen von islamischen Gruppen, der von der IJU gehört hatte. Ich erkundigte mich intensiv. Die IMU, von der sich die Gruppe angeblich abgespalten hat, hat sie niemals irgendwo erwähnt. Keiner in Islamistenkreisen in Großbritannien oder in usbekischen Exilkreisen auf der ganzen Welt hat je von der IJU gehört. Keiner kann ein Mitglied, geschweige denn eine Führungsfigur beim Namen nennen.“ Und weiter: „Die Sicherheitsdienste haben eine erstaunliche Menge an elektronischer Kommunikation zwischen Extremisten und verdächtigen Terroristen abgefangen. Die IJU wurde in diesem Zusammenhang nie erwähnt.“ (35)
 
Die Frage, ob diese IJU wirklich existiert, wurde nach den Oberschledorner Festnahmen auch von einem Vertreter des deutschen Inlandgeheimdienstes negativ beantwortet. „Die Islamische Dschihad Union, so wie sie sich uns darstellt, ist erst mal eine Erfindung im Internet und hat nur eine Präsenz im Internet“, sagte Benno Köpfer, Islamexperte des baden-württembergischen Verfassungsschutzes, Anfang Oktober 2007 gegenüber dem ARD-Magazin „Monitor“. Köpfer machte stutzig, dass in dem Bekennerschreiben konkrete Anschlagsziele wie die US-Basis Ramstein genannt wurden. Seines Wissens seien aber die Verhafteten bis zuletzt unsicher gewesen, welches Objekt sie überhaupt angreifen sollten. Nach seiner Einschätzung wurde in der nachträglichen Kommandoerklärung nur die Medienberichterstattung aufgenommen. „Das lässt mich an der Authentizität zweifeln.“ (36)  

Der falsche Mastermind
 
Nach diesem Einspruch aus berufenem Munde gab es erstmals Zweifel in Teilen der Öffentlichkeit an der offiziellen Version des Oberschledorn-Plots. Doch diese wurden durch eine Medienkampagne rund um den ZDF-Fernsehfilm „Angriffsziel Deutschland“ vom 23. Oktober 2007 zerstreut. (37) Darin wurde erstmals einer der mutmaßlichen Auftraggeber des festgenommenen Trios identifiziert, und zwar ein Usbeke namens Gofir Salimov. Der steuere von der iranischen Grenzstadt Zaidan/Zahedan Trainingslager der IJU im nahe gelegenen Grenzgebiet zu Pakistan. Die Behauptungen, die im Film mit Verweis auf Ermittler vorgetragen wurden, waren zuvor niemals von irgendwelchen Polizei-, Justiz- oder Geheimdienstkreisen gemacht worden, noch nicht einmal von dem ansonsten sehr erfindungsreichen Bundesinnenminister Schäuble. 
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Bericht von stern.de über die ZDF-Sendung:

Anschlagspläne in Deutschland

Mutmaßlicher Drahtzieher identifiziert


© Wolfgang Rattay/Reuters
Spezialeinheiten führen den Terrorverdächtigen 
Fritz G. im September 2007 ab
Ein Usbeke ist angeblich der Drahtzieher der geplanten Anschläge in Deutschland. Das ZDF berichtet, Gofir Salimov habe die beiden Hauptverdächtigen, Fritz G. und Daniel S., zu den Terrorplänen angestiftet. Auch der Aufenthaltsort des Mannes sei bekannt.

Einer der mutmaßlichen Drahtzieher der geplanten Terroranschläge in Deutschland ist nach ZDF-Informationen identifiziert. Ein Usbeke namens Gofir Salimov soll die Anschläge in Auftrag gegeben haben, berichtet das ZDF unter Berufung auf deutsche Sicherheitsbehörden in seiner "Frontal21"-Dokumentation "Terrorziel Deutschland".
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Ausbildungslager der IJU waren vordem im Grenzgebiet Afghanistan/Pakistan lokalisiert worden, etwa 2000 Kilometer von dem im Film genannten Zaidan/Zahedan entfernt. Auch Gofir Salimov war niemals erwähnt worden. Der Investigativjournalist Knut Mellenthin, der die Widersprüche und die Wirkung des ZDF-Beitrages untersucht hat, schreibt: „Am 26. Oktober (2007) abends, drei Tage nach der ZDF-Sendung, ergab die Google-Suche nach ´Gofir Salimov´ 855 Treffer. Alle, wirklich ausnahmslos alle, bezogen sich auf die DPA-Meldung (Vorab-Meldung zum Film) vom 23. Oktober und deren Klone in den Mainstream-Medien.“ (38)
 
Besonders brisant ist, dass die IJU durch diese Fernsehproduktion mit dem Iran in Verbindung gebracht wurde. Eine ähnliche Verbindung hatte kurz zuvor die „Los Angeles Times“ erkannt und behauptet, die Oberschledorner Terroristen seien über den Iran in Ausbildungslager nach Pakistan gereist. „Ich denke, das setzt Unterstützung durch iranische Behörden voraus“, zitierte das Blatt einen anonymen italienischen Ermittler. (39) Mellenthin weist im Unterschied dazu darauf hin, dass die iranischen Behörden die Grenze zu Pakistan nur schlecht kontrollieren und seit 1979 über 3300 Grenzer von Schmugglern und Separatisten getötet worden seien. Seit vier Jahren treibt in der unwegsamen Bergregion die Sezessionsbewegung „Jundallah“ ihr Unwesen, die – just in der als IJU-Zentrale erwähnten Stadt Zaidan/Zahedan – im Frühjahr 2007 einen Anschlag mit mindestens 13 Toten verübt hat. „Jundallah“, so Mellenthin mit Verweis auf eine Ausstrahlung des US-Senders ABC vom 3. April 2007, werde „seit 2005 von amerikanischen Beamten insgeheim ermutigt und angeleitet“. Wenn also über Zaidan/Zahedan deutsche Terroristen überhaupt nach Pakistan gelotst wurden, dann waren wohl eher die Separatisten die kundigen Führer. Die erfundene Verbindung von IJU zum Regime im Teheran bietet aber den Vorteil, bei jedem echten oder vermeintlichen Anschlag der Gruppe in Deutschland und anderswo den Iran mitverantwortlich machen zu können. Die geo- und militärpolitischen Implikationen liegen auf der Hand. (PK)
 

Quellenhinweise:
(30) Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Festnahme dreier mutmaßlicher Mitglieder der „Islamischen Jihad Union“ (IJU), Pressemitteilung 5.9.2007.
(31) z. n. Annete Ramelsberger (FN 9), S. 38.
(32) vgl. Who are the Islamic Jihad Group? Reuters, 5.9.2007 ; U.S. Department of State, Country Reports on Terrorism, 2006., Washington April 2007.
(33) Craig Murray, Murder in Samarkand, A British Ambassador's Controversial Defiance of Tyranny in the War on Terror, London 2006, S. 325 – 339.
(34) Craig Murray, The Mysterious Islamic Jihad Union, craigmurray.com 8.9.2007
(35) Craig Murray, German Bomb Plot: Islamic Jihad Union, craigmurray.com 12.9.2007 (http://www.craigmurray.org.uk/archives/2007/09/islamic_jihad_u.html).

(36) N. N., Verfassungsschutz zweifelt an Bekennerschreiben, ARD-Tagesschau 4.10.2007.
(37) Elmar Theveßen/u. a., Terrorziel Deutschland, ZDF 23.10.2007.
(38) Knut Mellenthin, „Deutsche Terrorzelle“ aus dem Iran gesteuert?, www.hintergrund.de.
(39) Knut Mellenthin (FN 38).
 
Terrorziel Europa














Kapitel 15 aus Jürgen Elsässer „Terrorziel Europa. Das gefährliche Doppelspiel der Geheimdienste“, Residenz Verlag, 344 Seiten, 21.90 Euro, inzwischen in der zweiten Auflage


Online-Flyer Nr. 176  vom 10.12.2008

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