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Kultur und Wissen
Kultur-Tipp, Staatstheater Kassel: „Frühlings Erwachen“ von Frank Wedekind
Bad in Blut und Schlamm
Von Tanja Krienen

So wird ein Stiefel draus: Peter Elter als
Moritz Stiefel | Foto: © Dominik Ketz
Wir schreiben das Jahr 1891. Wendla Bergmann ist soeben 14 Jahre alt geworden und kämpft in der Eingangszene mit ihrer Mutter um die Rocklänge. Sie will ihn kürzer, die Mutter – wir ahnen es – nicht. Der 15jährige Moritz Stiefel (ein „sehr gut“ für Peter Elter) dagegen kämpft gegen schlechte Noten und seine beginnende Männlichkeit. Sein Schulkamerad Melchior Gabor klärt ihn auf. Beide philosophieren über die Liebe und das Leben.
Das Drama, das nach Frank Wedekind bewusst heiter gespielt sehen sollte, zeigt die Nöte pubertierender Jugendlicher im Wilhelminischen Reich, und – auch das verwundert den Leser sicher nicht – manches stellt sich heute nicht viel anders dar. Mit wenig Requisite auskommend, spielen die Darsteller (Agnes Mann würde gut in einem Brecht-Stück zur Geltung kommen) munter und gekonnt. Manche Regie-Einfälle überzeugen nicht, es geht mitunter zu plakativ zu. Die nasse Schlammorgie im letzten Drittel ist nicht nur für die Schauspieler eine Strapaze.

Birte Leest als Frau Bergmann, dahinter
Agnes Mann | Foto: © Dominik Ketz
Hier und da scheint ein feministischer Blickwinkel durchzuschimmern. Ob die Darstellerin der Mutter Bergmann sich unbedingt rote Farbe (Blut) über den Unterleib gießen muss, während sie ihrer Tochter verschämt umständlich die Liebe zu einem Mann erklärt? Die bühnengerechte Onanie und Geschlechtsakte versetzen den Zuschauer ebenfalls in eine Rolle des Betrachters, aus der er so schnell als möglich heraus möchte.
Alles in allem aber klingt die „gute alte Zeit“ plausibel an, taucht man ein in die Welt vor der großen Explosion. Doch auch hier explodiert vieles. Man spürt die neue Zeit, die sich mit einem beginnenden Selbstbewusstsein zeigt. Die Existenz des Stückes ist schon ein Beweis dafür, dass die Zeit „reif“ ist.
Frank Wedekind schrieb rückblickend, zwanzig Jahre nach dem Erscheinen des Stückes: „Als Modell für den aus dem Grab gestiegenen Moritz Stiefel, die Verkörperung des Todes, wählte ich die Philosophie Nietzsches.“ Das hört die Rezensentin natürlich gern und nickt ob des Bildes zustimmend. Wedekind schrieb auch, er glaube „dass das Stück, wenn die Tragik und Leidenschaftlichkeit betont wird, leicht abstoßend wirken kann.“ Das trifft. Dort, wo es leidenschaftlich zugeht, zeigt die Aufführung Schwächen. Aber man sollte sich, sofern die Möglichkeit besteht, das Stück ansehen.
„Spring Awakening“ oder auf Deutsch „Frühlings Erwachen – Das Rock-Musical“ heißt die Musical-Fassung, die am 29. März 2009 in Düsseldorf Premiere hat und am Broadway so erfolgreich war, dass sie acht Tony Awards erhielt. Der Inhalt und der Gegenstand sind wohl unkaputtbar. Ob dieser Fakt „unsere Zeit“ adelt? (CH)
Online-Flyer Nr. 172 vom 12.11.2008
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Kultur-Tipp, Staatstheater Kassel: „Frühlings Erwachen“ von Frank Wedekind
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Von Tanja Krienen

So wird ein Stiefel draus: Peter Elter als
Moritz Stiefel | Foto: © Dominik Ketz
Das Drama, das nach Frank Wedekind bewusst heiter gespielt sehen sollte, zeigt die Nöte pubertierender Jugendlicher im Wilhelminischen Reich, und – auch das verwundert den Leser sicher nicht – manches stellt sich heute nicht viel anders dar. Mit wenig Requisite auskommend, spielen die Darsteller (Agnes Mann würde gut in einem Brecht-Stück zur Geltung kommen) munter und gekonnt. Manche Regie-Einfälle überzeugen nicht, es geht mitunter zu plakativ zu. Die nasse Schlammorgie im letzten Drittel ist nicht nur für die Schauspieler eine Strapaze.

Birte Leest als Frau Bergmann, dahinter
Agnes Mann | Foto: © Dominik Ketz
Alles in allem aber klingt die „gute alte Zeit“ plausibel an, taucht man ein in die Welt vor der großen Explosion. Doch auch hier explodiert vieles. Man spürt die neue Zeit, die sich mit einem beginnenden Selbstbewusstsein zeigt. Die Existenz des Stückes ist schon ein Beweis dafür, dass die Zeit „reif“ ist.
Frank Wedekind schrieb rückblickend, zwanzig Jahre nach dem Erscheinen des Stückes: „Als Modell für den aus dem Grab gestiegenen Moritz Stiefel, die Verkörperung des Todes, wählte ich die Philosophie Nietzsches.“ Das hört die Rezensentin natürlich gern und nickt ob des Bildes zustimmend. Wedekind schrieb auch, er glaube „dass das Stück, wenn die Tragik und Leidenschaftlichkeit betont wird, leicht abstoßend wirken kann.“ Das trifft. Dort, wo es leidenschaftlich zugeht, zeigt die Aufführung Schwächen. Aber man sollte sich, sofern die Möglichkeit besteht, das Stück ansehen.
„Spring Awakening“ oder auf Deutsch „Frühlings Erwachen – Das Rock-Musical“ heißt die Musical-Fassung, die am 29. März 2009 in Düsseldorf Premiere hat und am Broadway so erfolgreich war, dass sie acht Tony Awards erhielt. Der Inhalt und der Gegenstand sind wohl unkaputtbar. Ob dieser Fakt „unsere Zeit“ adelt? (CH)
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