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Lokales
Nachruf eines Bewohners des Severinsviertels
Schiefer Turm ade -  Begradigen tut weh
Von Hans-Detlev von Kirchbach

In einem Jahr ist er mein Kölner Lieblingsbauwerk geworden: der schiefe Turm an der Severinsbrücke. Unvergeßlich jener Morgen, als hunderte, ja tausende Anwohner des Severinsviertels den eigenwilligen Kirchturm bestaunten, der sich über Nacht ein bißchen keck zur Seite geneigt hatte. Was natürlich, wie es zunächst hieß, ganz und garnichts zu tun hatte mit der U-Bahn-Buddelei direkt um ihn herum und selbstredend auch nichts mit Planungsfehlern oder
mangelhafter Fundamentexploration beim Turmbau in den 50er Jahren. Bald sprach sich weltweit die sensationelle Nachricht vom katholischen Dissidententurm herum, der sich spontan zu einer von Planern und Architekten nicht vorgesehenen, gleichermaßen ästhetisch ansprechenden wie kreativ einzigartigen Schräglage entschlossen hatte.

Von überall kamen sie her, aus München und Moskau, aus Tübingen und Tokio und selbst aus Düsseldorf und von der Schäl Sick, um die wundersam von selbst entstandene kölsche Version des Schiefen Turms von Pisa zu bestaunen. Doch nun also wird der schiefe Turm wieder aufgerichtet, der selbst mir als Atheisten, der ich in der Nähe wohne, doch täglich beim Vorbeigehen Spaß gemacht hat. Ist doch für den Verächter so genannter deutscher Ordnung sowieso alles gut, was irgendwie schief steht oder -läuft. Was offensichtlich auch Tausende TouristInnen meinten, die - wenn auch in letzter Zeit mit etwas abflauender Intensität - extra des Schiefen Turmes wegen in diesen ansonsten eher trüben Stadtteil angereist sind.

St.JohannBaptist: Der schiefe Turm von St. Johann Baptist
St.JohannBaptist: Der schiefe Turm von St. Johann Baptist
Foto: wikipedia



Namentlich in Japan dürften mittlerweile schon zehntausende Photos dieses schalkhaften Spontankunstwerks kursieren, was hinsichtlich Kölner Bauwerke wohl nur noch vom Dom übertrumpft wird. Von dem müssen nach meiner parawissenschaftlichen Hochrechnung im Reiche Nippons etwa 4,8 Milliarden Lichtbilder - alles selbstredend Unikate - existieren. In weiteren 800 Jahren aber hätte der Schiefe Turm den so genannten Hohen Dom zu Köln vermutlich noch hinsichtlich photographischer Dokumentation einholen, gar überrunden können. Schon deshalb, weil etliche Dönerbuden und Kioske fußläufig im Umkreis von 50 Metern erreichbar sind, während der Dom nur mit weniger ebenso massenattraktiven wie kulturell anspruchsvollen gastronomischen Anziehungspunkten aufwarten kann: einem unbezahlbaren Nobelhotel, einem überteuerten Cafè, dem Früh-Brauhaus, aus dem man rausgeworfen wird, wenn man ein Alt bestellt, und den gastroenteralen Schrecken des US-amerikanischen Fast Food.

Die Wiederaufrichtung des Schiefen Turms grenzt insofern an verantwortungslose Sabotage der Kölner Fremdenverkehrswirtschaft und insbesondere der Geschäfts- und Gastronomieszene des Severinsviertels. Schon hört der Berichterstatter von Geschäftsinhabern die Befürchtung, die Begradigung des Turms könnte zu Umsatzeinbußen des gastronomischen Betriebes führen. Nicht umsonst sind ja sogar bereits Begleitprodukte wie etwa Tassen und T-Shirts mit dem Bildnis des Kippturms aufgelegt und erfolgreich vermarktet worden.  Zwar dürften die Baumaßnahmen um die "Wiederinstandsetzung" des sympathischen Schrägturms kurzzeitig auch ein paar Arbeitsplätze schaffen. Doch wie viele Arbeitsplätze fallen infolge des Verschwindens dieser einmaligen architektonischen Attraktion fort, ja, werden in den nächsten Jahrhunderten noch nicht einmal geschaffen werden können? Woran soll sich der Bewohner des Severinsviertels in nächster Zeit wenigstens optisch hochziehen können, wenn er ohnehin noch auf unabsehbare Jahre hinaus infolge der U-Bahn-Buddelei auf einer lärmenden und alltagsnervenden Großbaustelle leben muß?

Nun wird der Anblick der Severinsbrücke wieder so langweilig und deprimierend wie eh und je. Und schlich sich bisher jeden Morgen, wenn ich am Schiefen Turm vorbeiging, um Bus oder Bahn für die Fahrt zur Arbeit zu erreichen, Frohsinn in mein Herz, so werde ich hinkünftig nur noch Trübsal empfinden. Hatte ich doch immer den Eindruck, der jecke Turm zwinkert mir heimlich zu. Jetzt aber ist, deutscher Bau-Ordnung entsprechend, alle Lebendigkeit dahin, die doch nur aus einem Mindestmaß an Chaos erwächst. Alles ist wieder gewöhnlich, gerade, normal, ordentlich, kurzum furchtbar deutsch. Alles, was aus der Reihe tanzt, wird zwangsbegradigt, zurück in Reih und Glied genötigt. Und, was mich am meisten ärgert: Bezahlen muß auch der nichtkirchliche Nutzer der Kölner Verkehrsbetriebe, deren U-Bahnbau nun doch als Ursache des lustigen Kirchenkipps ausgemacht wurde, die Wiederherstellung der göttlichen und städtischen Ordnungs-Öde. Denn die Versicherung der KVB soll das gottgefällige Werk finanzieren, mithin also der Fahrgast mit seinen Lohn- und Hartz-Cents. Oder steht etwa die Kirche dafür gerade, daß ihr Turm wieder gerade stehen soll?

Online-Flyer Nr. 15  vom 26.10.2005

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