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Der Fortsetzungsroman in der NRhZ - Folge 12
"Zwielicht"
von Erasmus Schöfer
Das Mannesmann-Werk in Düsseldorf soll geschlossen werden. In der Belegschaft brodelt´s. Betriebsrat Anklam, nach einem Fahrradunfall leicht lädiert, nimmt an einer Sitzung der Vertrauenskörperleitung teil - das sind Delegierte der von den Beschäftigten gewählten Vertreter.
Am Morgen nach der Betriebsversammlung wurden die Freigestellten erneut zur Geschäftsleitung gebeten. Klar, die wollten eine Demonstration während der Arbeitszeit um jeden Preis wegwiegeln. Was andres war davon nicht zu erwarten. Auch die Leitung der Vertrauensleute war einberufen zu einer weiteren Sitzung. Manfred Anklam, im Krückgang vom Betriebsratbüro zum Kasino, kam zu spät. Hans Wiedemann winkte ihn auf den freien Platz neben sich. Ein Kollege aus der Verwaltung war am Reden, der schien ein Pfund Valium aus der Hausapoteke von Mannesmann geschluckt zu haben, machte sich einen Kopf über den Produktionsausfall durch die verloren gehenden Arbeitsstunden bei der angespannten Auftragslage, die möglichen Bilanzverluste der AG, die sich unweigerlich in schmäleren Sozialplänen niederschlagen müssten.
Wieviele MannesmannAktien hastn du in deinem Por-te-föije, he? fragte einer, spitz, und Hans Wiedemann, empört, klatschte seine flache Hand auf den Tisch: Ich glaube Kollege, du bist hier beim falschen Verein! Solltest bei der Heilsarmee anheuern. Bilanzverluste, Mann! In ihre Bilanzen tricksen die rein, was sie grad brauchen! Der Laden hier brummt doch wie Overbecks Fünfhunderter, wir kochen den besten Stahl in der Bundesrepublik und unsre Röhren werden gekauft wie warme Semmeln, vom Russen und vom Schah und den Ölscheichs. Produzieren solln wir bis zum Umfalln und dann schicken sie uns aufs Altenteil und den Entlassungschein könnwe uns an die Wand hängen, zwischen Hochzeitsfoto und Belegschaftsaktie!
Beifall. Willi berichtete von der Absicht des Betriebsrates, ein unabhängiges Gutachten zur wirtschaftlichen Situation des Werks erstellen zu lassen. Den roten Zahlen mal auf den Zahn fühlen, die der Konzern in den letzten Jahren rausgelassen hat. Wozu hat unsre Gewerkschaft entsprechend ausgebildete Kollegen. Aber das läuft nicht von heut auf morgen. Inzwischen müsst ihr vom Vertrauenskörper den Kessel unter Dampf halten.
Kurt Kemperdiek war dazugekommen, hatte sich wortlos zu denen in der zweiten Reihe gesetzt. Anklam sprach ihn gleich an: Hallo Kurt - gut dass du da bist. Du kennst den Schmiedebericht, der liegt schon ein paar Wochen vor. Da ist klipp und klar zu lesen: Unsre Produktionskosten in dem Bereich liegen nicht höher als bei andern. Eine Tonne Schmiedestahl aus der neusten Anlage in Huckingen ist sogar siebzig Mark teurer als bei uns. Der eigentliche Grund, warum sie unser Werk abserviern wolln, ist Rationalisierung. Thyssen und Mannesmann wolln das Stahl und das Röhrengeschäft so aufteilen, dass sie sich nicht in die Quere kommen im Kampf um ihre Marktanteile in Europa. In dieser Konzernlogik geht es nur um die Sicherung des Gewinns für die Aktionäre, nicht um die Arbeitsplätze. Auch wenn Betriebsangehörige in den vergangenen Jahren mit einer Handvoll Aktien sich an das Werk gebunden haben, dann solln sie doch nicht glauben, dass diese Logik jetzt auch für sie gilt. Mit ihren paar Aktien können sie sich keine vierzehn Tage Urlaub auf Amrum bezahln, wenn sie auf der Straße sitzen.
Kurt Kemperdiek hatte mehrmals zu Manfreds Worten genickt, stand jetzt auf, fast feierlich. Kollegen, sagte er mit seiner bedächtigen Stimme, ich hab dem Manfred gut zugehört und kann nur bestätigen, was er hier vorgebracht hat. Weil die geplante Schließung unsres Werks ein soziales Unrecht ist und wir nicht allein die Macht haben, sie zu verhindern, deshalb ist der Betriebsrat seit einer Woche praktisch ununterbrochen im Einsatz. Ich will die bisherigen Ergebnisse unsrer Arbeit noch einmal zusammenfassen, für diejenigen, die gestern nicht an der Betriebsversammlung teilnehmen konnten. Wir sind an das Bundeswirtschaftsministerium herangetreten, ebenso an unsre Düsseldorfer Abgeordneten im Bundestag und im Landtag. Wir verstärken den Druck auf den Aufsichtsrat über den IGMetallVorstand, den Kollegen Loderer.
Nächste Woche, unterbrach ihn Willi Kruse, fliegt der Eugen mit dem ganzen Aufsichtsrat nach Belo Horizonte!
Hab ich nicht vergessen Willi. Da wird er eine hervorragende Gelegenheit haben, in Ruhe mit den Aufsichtsräten der Arbeitgeberseite über unser Werk zu sprechen. (Anklam riss die Augen auf, Wiedemann fasste sich an den Kopf). Die Düsseldorfer SPD wird eine große Protestversammlung abhalten, wo steht noch nicht fest, ein Raum wird gesucht. Wir haben das Westdeutsche Fernsehn eingeladen, eine Reportage über unsern Betrieb auszustrahlen, das hängt noch am Okay vom Hochhaus. Außerdem schreiben alle Betriebsräte aufklärende Leserbriefe an die Lokalzeitungen. Ihr seht, dass wir auch an der Medienfront nicht untätig sind. So Kollegen, so schaffen wir uns Bundesgenossen und Sympatie in der Öffentlichkeit. Die allerdings, das will ich hier ganz offen sagen, wird gefährdet, wird verschreckt, wenn wir Unrecht mit illegalen Handlungen beantworten. Mit einem wilden Streik würden wir die Unterstützung die wir brauchen verspieln. Leider ist im Zusammenhang mit der geplanten Werkschließung auch eine verstärkte Aktivität kommunistischer Gruppen vor unsern Werkstoren zu beobachten. Kollegen, mancher in unsrer Belegschaft mag mit diesen Leuten sympatisieren, weil sie so herrlich radikal die Unternehmer verteufeln. Ich sag euch: die kochen ihr eignes Süppchen an unsrer Notlage, indem sie einen Keil zu treiben versuchen zwischen uns und unsre Gewerkschaft. Ich appelliere an euch, weist diese Leute in die Schranken, wo immer ihr Gelegenheit dazu habt, macht euch nicht mit ihnen gemein!
Den meisten Vertrauensleuten verschlug der Sermon die Spucke. Anklam war zwiespältig zumut - einerseits konnte Kemperdiek seine kompromisslerische Haltung nicht deutlicher veranschaulichen, andrerseits war er doch frisch erschüttert über diese Blauäugigkeit eines gestandenen Arbeiterführers. Kemperdiek war nicht bösartig, sicher nicht eingekauft, er hatte nur seinen Frieden gemacht mit den Verhältnissen und den verteidigte er.
Erasmus Schöfers "Die Kinder des Sisyfos", Bd.1 "Ein Frühling irrer Hoffnung", Bd.2 "Zwielicht" und Bd. 3 "Sonnenflucht", Dittrich Verlag Köln, ISBN 3-920862-58-9
Externe Links:
www.dittrich-verlag.de
Online-Flyer Nr. 31 vom 14.02.2006
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Der Fortsetzungsroman in der NRhZ - Folge 12
"Zwielicht"
von Erasmus Schöfer
Das Mannesmann-Werk in Düsseldorf soll geschlossen werden. In der Belegschaft brodelt´s. Betriebsrat Anklam, nach einem Fahrradunfall leicht lädiert, nimmt an einer Sitzung der Vertrauenskörperleitung teil - das sind Delegierte der von den Beschäftigten gewählten Vertreter.
Am Morgen nach der Betriebsversammlung wurden die Freigestellten erneut zur Geschäftsleitung gebeten. Klar, die wollten eine Demonstration während der Arbeitszeit um jeden Preis wegwiegeln. Was andres war davon nicht zu erwarten. Auch die Leitung der Vertrauensleute war einberufen zu einer weiteren Sitzung. Manfred Anklam, im Krückgang vom Betriebsratbüro zum Kasino, kam zu spät. Hans Wiedemann winkte ihn auf den freien Platz neben sich. Ein Kollege aus der Verwaltung war am Reden, der schien ein Pfund Valium aus der Hausapoteke von Mannesmann geschluckt zu haben, machte sich einen Kopf über den Produktionsausfall durch die verloren gehenden Arbeitsstunden bei der angespannten Auftragslage, die möglichen Bilanzverluste der AG, die sich unweigerlich in schmäleren Sozialplänen niederschlagen müssten.
Wieviele MannesmannAktien hastn du in deinem Por-te-föije, he? fragte einer, spitz, und Hans Wiedemann, empört, klatschte seine flache Hand auf den Tisch: Ich glaube Kollege, du bist hier beim falschen Verein! Solltest bei der Heilsarmee anheuern. Bilanzverluste, Mann! In ihre Bilanzen tricksen die rein, was sie grad brauchen! Der Laden hier brummt doch wie Overbecks Fünfhunderter, wir kochen den besten Stahl in der Bundesrepublik und unsre Röhren werden gekauft wie warme Semmeln, vom Russen und vom Schah und den Ölscheichs. Produzieren solln wir bis zum Umfalln und dann schicken sie uns aufs Altenteil und den Entlassungschein könnwe uns an die Wand hängen, zwischen Hochzeitsfoto und Belegschaftsaktie!
Beifall. Willi berichtete von der Absicht des Betriebsrates, ein unabhängiges Gutachten zur wirtschaftlichen Situation des Werks erstellen zu lassen. Den roten Zahlen mal auf den Zahn fühlen, die der Konzern in den letzten Jahren rausgelassen hat. Wozu hat unsre Gewerkschaft entsprechend ausgebildete Kollegen. Aber das läuft nicht von heut auf morgen. Inzwischen müsst ihr vom Vertrauenskörper den Kessel unter Dampf halten.

Kurt Kemperdiek hatte mehrmals zu Manfreds Worten genickt, stand jetzt auf, fast feierlich. Kollegen, sagte er mit seiner bedächtigen Stimme, ich hab dem Manfred gut zugehört und kann nur bestätigen, was er hier vorgebracht hat. Weil die geplante Schließung unsres Werks ein soziales Unrecht ist und wir nicht allein die Macht haben, sie zu verhindern, deshalb ist der Betriebsrat seit einer Woche praktisch ununterbrochen im Einsatz. Ich will die bisherigen Ergebnisse unsrer Arbeit noch einmal zusammenfassen, für diejenigen, die gestern nicht an der Betriebsversammlung teilnehmen konnten. Wir sind an das Bundeswirtschaftsministerium herangetreten, ebenso an unsre Düsseldorfer Abgeordneten im Bundestag und im Landtag. Wir verstärken den Druck auf den Aufsichtsrat über den IGMetallVorstand, den Kollegen Loderer.
Nächste Woche, unterbrach ihn Willi Kruse, fliegt der Eugen mit dem ganzen Aufsichtsrat nach Belo Horizonte!
Hab ich nicht vergessen Willi. Da wird er eine hervorragende Gelegenheit haben, in Ruhe mit den Aufsichtsräten der Arbeitgeberseite über unser Werk zu sprechen. (Anklam riss die Augen auf, Wiedemann fasste sich an den Kopf). Die Düsseldorfer SPD wird eine große Protestversammlung abhalten, wo steht noch nicht fest, ein Raum wird gesucht. Wir haben das Westdeutsche Fernsehn eingeladen, eine Reportage über unsern Betrieb auszustrahlen, das hängt noch am Okay vom Hochhaus. Außerdem schreiben alle Betriebsräte aufklärende Leserbriefe an die Lokalzeitungen. Ihr seht, dass wir auch an der Medienfront nicht untätig sind. So Kollegen, so schaffen wir uns Bundesgenossen und Sympatie in der Öffentlichkeit. Die allerdings, das will ich hier ganz offen sagen, wird gefährdet, wird verschreckt, wenn wir Unrecht mit illegalen Handlungen beantworten. Mit einem wilden Streik würden wir die Unterstützung die wir brauchen verspieln. Leider ist im Zusammenhang mit der geplanten Werkschließung auch eine verstärkte Aktivität kommunistischer Gruppen vor unsern Werkstoren zu beobachten. Kollegen, mancher in unsrer Belegschaft mag mit diesen Leuten sympatisieren, weil sie so herrlich radikal die Unternehmer verteufeln. Ich sag euch: die kochen ihr eignes Süppchen an unsrer Notlage, indem sie einen Keil zu treiben versuchen zwischen uns und unsre Gewerkschaft. Ich appelliere an euch, weist diese Leute in die Schranken, wo immer ihr Gelegenheit dazu habt, macht euch nicht mit ihnen gemein!
Den meisten Vertrauensleuten verschlug der Sermon die Spucke. Anklam war zwiespältig zumut - einerseits konnte Kemperdiek seine kompromisslerische Haltung nicht deutlicher veranschaulichen, andrerseits war er doch frisch erschüttert über diese Blauäugigkeit eines gestandenen Arbeiterführers. Kemperdiek war nicht bösartig, sicher nicht eingekauft, er hatte nur seinen Frieden gemacht mit den Verhältnissen und den verteidigte er.
Erasmus Schöfers "Die Kinder des Sisyfos", Bd.1 "Ein Frühling irrer Hoffnung", Bd.2 "Zwielicht" und Bd. 3 "Sonnenflucht", Dittrich Verlag Köln, ISBN 3-920862-58-9
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www.dittrich-verlag.de
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