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Kultur und Wissen
Interview mit Rolly Brings: Ein klarer Appell für Aufklärung
„Ich bin scharf intolerant“
Von Christian Heinrici

Viele kennen den engagierten Musiker nicht erst seit 1986, als er samt Band sein erstes Album herausbrachte – Rolly Brings ist genauso als Schriftsteller, Gewerkschafter, Hauptschullehrer, Vater einiger Rockmusiker und durch sein unermüdliches Engagement gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit bekannt – dabei ist er „furchtbar intolerant“. Wie passt das zusammen? Christian Heinrici führte mit ihm am 20.9. und am Rande des „Arsch-Huh-Konzerts“ ein Interview zur Aufklärung im doppelten Wortsinn – die Redaktion.


Lieber Rolly Brings, schön, dass wir hier am Rande des Konzerts sogar etwas länger Gelegenheit zu einem Gespräch haben: über den wachsenden Rassismus, wie man damit umgeht, vielleicht über Toleranz...

Rolly Brings auf dem Arsch Huh Konzert in Köln 2008 Foto: Christian Heinrici
Rolly Brings auf der Bühne beim „Arsch Huh   
Konzert“ am 20.9., Köln
Foto: Christian Heinrici
Ich bin froh über dieses Interview, jetzt kann ich endlich mal das loswerden, was mir hier in der ganzen Diskussion ein wenig zu kurz kommt:

Erster Satz: Der Rolly ist kein toleranter Mensch, ich bin ganz scharf intolerant! Tolerant zu sein bedeutet, vom Wortsinn her und leider auch in der geschichtlichen Entwicklung, jemanden zu dulden, nach dem Motto: „Ich dulde dich... ich mag dich zwar nicht, du bist mir zuwider, aber ich dulde dich... Doch irgendwann wird die Duldung, die Toleranz aufgekündigt, dann brauch ich dich nicht mehr, dann hast du eine Grenze überschritten, die sehr oft auch ökonomisch ist, also, von mir aus, auch sehr egoistisch ist, und dann kündige ich dir die Toleranz auf... und dann bist du dran!“

Das ist beispielsweise den jüdischen Gemeinden im Rheinland zweitausend Jahre lang passiert: Mal bekamen sie ein „Toleranzedikt“ von einer Stadt, von einem Adeligen, Fürsten, König oder Bischof. Mal wurde das Toleranzedikt ausgesetzt, dann wurden sie abgeschlachtet, wurden vertrieben, wurden zwangsgetauft. Und wenn die Wirtschaft in diesem Gebiet wieder darniederlag, wenn das Geldwesen nicht mehr rotierte, wenn der Handel kaputtging, dann hat man, obwohl man die Gemeinde gerade in einer Nacht vorher abgeschlachtet hatte, sechs Wochen später die Leute wieder „hereingelassen“...

Das ist Toleranz, und Toleranz lehne ich ab!

Ich bin zu einer streitbaren, kritischen und auf Auseinandersetzung angelegten Solidarität erzogen. Solidarisch zu sein bedeutet: „Ich mache deine Sache zu meiner!“ Und was uns daran stört, das werden wir ausdiskutieren, das werden wir ändern, aber immer im Dialog und immer ohne Gewalt. Das heißt, wenn ich mich solidarisch mit dir erkläre, kann ich die Solidarität nicht aufkündigen, denn wenn ich mit dir und deinen Wünschen, deinen Sorgen und deinen Ängsten solidarisch bin, bin ich auch mit mir selbst solidarisch. Ich nehme mich ernst, weil ich mich selbst ernstnehme, und das ist der große Unterschied.

Rolly Brings auf dem Arsch Huh Konzert in Köln 2008 Foto: Christian Heinrici
Brings sang eine sehr schöne neue Version von „Morje, morje“
Foto: Christian Heinrici

Über was sollte denn dieser kritische Dialog stattfinden?

Ich will aus meinem Erfahrungsbereich berichten: In meiner Zeit als Hauptschullehrer habe ich da interveniert, auch wenn mein Kollegium wegguckte (oder mit den Achsel gezuckt hatte, nach dem Motto „Das ist eben bei denen so...“), wenn ich merkte, dass ein Junge oder ein Mädchen mit Migrationshintergrund in meiner Klasse war, das irgendwie traurig wirkte oder blaue Flecken hatte. Dann habe ich interveniert, und hab so lange gefragt, bis ich herausfand, ob es verprügelt worden war. Dann bin ich in die Elternhäuser gegangen, in der ersten Zeit immer mit einem Freund, einem türkischen Lehrer, der für mich übersetzt hatte. Und dann habe ich dort auf den Putz gehauen. Ich habe ihnen zu verstehen gegeben, dass es gemerkt wurde, dass es bemerkt wurde und dass es nicht von mir toleriert wird, egal was man mir für Argumente von Brauchtum, Sitte oder was weiß ich brachte... und hab gesagt: Noch einmal, und ich werde euch anzeigen.

Ein Dialog mit Menschen, die in unser Land kommen, mit anderem Hintergrund, anderen Sitten, anderen Bräuchen, denen muss ich ganz einfach sagen, dass ich ihre Sitten und Gebräuche, wenn sie mit der Menschenrechtserklärung und dem Grundgesetz konform gehen, sehr hochschätze, und dass ich hier mit ihren Kindern eine Zukunft aufbauen will: ohne Gewalt, auch ohne psychologische Gewalt, ohne religiöse Gewalt...

Dass ich gegen die Ideologien von gestern, die Nazi-Ideologien, den Rassismus bin, versteht sich von selbst. Aber es muss klar gesagt werden: Arme auf, für jeden, der in mein Land kommt und mit mir zusammen die Demokratie nach vorne bringt. Für alle anderen bin ich nicht zu haben!

Man kann ja aber auch den Eindruck haben, dass der Fundamentalismus eben auf der Seite derer wächst, die hier schon länger einheimisch sind...


Kardinal Joachim Meisner Foto: arbeiterfotografie.com
Käme gar nicht erst in den Ruf von Toleranz
Foto: arbeiterfotografie.com

Natürlich, wenn wir über Fundamentalismus reden, meine ich natürlich auch ein gewisses Kirchenoberhaupt hier in Köln, der es wagt, die Kunst, die hier produziert wird und die natürlich provokant ist, als „entartete Kunst“ zu bezeichnen, oder der es bei einem Aufenthalt in Ungarn wagt, über Schwule und Lesben herzuziehen, der es wagt in das einzugreifen, nachdem wir uns durch die Aufklärung und in der Geschichte endlich von der Vorherrschaft der römisch- katholischen Kirche befreit haben, uns vorschreiben will, wie wir zu leben haben.

Natürlich, Fundamentalismus, egal aus welcher Ecke er kommt: Weg damit!

Rolly Brings, vielen Dank für dieses Interview!
Zur Webseite des Künstlers.
Lesen Sie auch die anderen Interviews mit den Künstlern beim „Arsch Huh-Konzert“ in dieser Ausgabe der NRhZ. (CH)

Online-Flyer Nr. 165  vom 24.09.2008

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