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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Arbeit und Soziales
Hartz IV: Nur Erfolg bei Lohnsenkungen
Die kommende Krise wird tiefer
Von Rainer Roth

Wer sich über die zweifelhaften Erfolge von Hartz IV unabhängig von Regierungsparteien und Jubelmedien informieren will, kommt um die Rede von Prof. Rainer Roth vom 12. September auf der öffentlichen Anhörung zu Hartz-IV in Düsseldorf nicht herum. Hartz IV ist nämlich die Voraussetzung, damit die nächste Krise schlimmer wird. – Die Redaktion.

Zur Vollbeschäftigung mit Hartz IV


Prof. Rainer Roth
Fotos: gesichter zei(ch/g)en
Die nächste Krise braut sich zusammen, die voraussichtlich tiefer sein wird als alle bisherigen Krisen der Nachkriegszeit. Doch die Arbeitgeberverbände und in ihrem Gepäck Steinmeier, Merkel und Scholz fabulieren über die „realistische Möglichkeit" der Vollbeschäftigung.

Die Vollbeschäftigung gilt schon als erreicht, wenn die Arbeitslosenquote auf 4 Prozent gesunken ist. Das bedeutet: 1,5 bis 1,7 Millionen Erwerbslose werden abgeschrieben. Die Zahl der Langzeiterwerbslosen betrug Anfang 2008 1,2 Mio.. (IAB Kurzbericht 3/2008) Soviel zum angeblichen Ziel der Eingliederung aller Langzeiterwerbslosen durch Hartz IV. „Keiner darf zurückgelassen werden," tönen die Regierenden über alle Lautsprecher und wissen doch, dass das Wirtschaftssystem es gar nicht hergibt.

Markanter Beschäftigungsanstieg?

Der oberste Wirtschaftsweise Bert Rürup verkündete stellvertretend für andere Vertreter des Kapitals, dass die „gegenwärtige Regierung die Früchte der rot-grünen Reformen in Form eines deutlichen Rückgangs der Arbeitslosigkeit und eines markanten Beschäftigungsanstiegs geerntet" habe (FAZ 09.09.2008).

Vergleichen wir das Jahr 2000, den Höhepunkt des letzten Wirtschaftszyklus, und das Jahr 2008, dann ist die offizielle Arbeitslosigkeit um rd. 500.000 Personen gegenüber dem Jahr 2000 gesunken. Die Zahl der beschäftigten LohnarbeiterInnen ist um 300.000 gestiegen. Hartz I bis III, also der Ausbau von Armutslöhnen in Leiharbeit und Minijobs und die chaotische neue Arbeitslosenbehörde sowie das Lohnsenkungsprogramm Hartz IV, haben 300.000 Arbeitslose in beschäftigte LohnarbeiterInnen verwandelt. Ein wirklich „markanter" Anstieg.


Eine mögliche Lösung ist wahrscheinlich ...

Im Zyklus 1991 bis 2000 war die Zahl der beschäftigten LohnarbeiterInnen um 130.000 gestiegen, obwohl die Fusion mit der DDR 1,5 Millionen Arbeitsplätze vernichtete. Im Zyklus 1980 bis 1991 waren es – völlig ohne Hartz I-IV - noch 2,3 Millionen Beschäftigte mehr, in den vorangegangenen Zyklen immer über eine Million. Die Nachfrage nach Ware Arbeitskraft ist im Zyklus 2000-2008 gegenüber früheren Zyklen deutlich gesunken. Als es Hartz IV noch nicht gab, lief es besser.

Rückgang der Arbeitslosigkeit – Folge des Aufschwungs

Der leichte Rückgang der Arbeitslosigkeit im jetzigen Zyklus ist keine Leistung einer Regierung oder Partei, sondern erstens eine Folge des Aufschwungs, der in jedem Konjunkturzyklus auf die Krise folgt, und zweitens Folge eines rasanten Wachstums der Weltwirtschaft, angetrieben durch weitverbreitetes Kreditdoping bei Konsum und Investitionen, durch neue Technologien und die Öffnung der Märkte in China und Osteuropa sowie durch die Explosion des Geldmengen. Hartz IV hat mit dem geringfügigen Rückgang der Arbeitslosigkeit nichts zu tun. Zyklen zeigen gerade die Ohnmacht von Regierungen, nicht ihre herkulischen Fähigkeiten, die Wirtschaft zu planen. Weder war der Aufschwung Folge einer hervorragenden Politik, noch ist die nächste Krise Folge einer falschen Politik, die durch einen Politikwechsel verhindert werden könnte.


....nicht mit den altern Tätern zu machen, solange...

Deutlicher Rückgang der Arbeitslosigkeit"?

Ein Teil ist auf Manipulationen der Statistik zurückzuführen (z.B. werden Teilnehmer an Trainingsmaßnahmen nicht mehr als arbeitslos gezählt usw.). Noch wichtiger aber: der Abbau der Arbeitslosigkeit ist ausschließlich auf die Zunahme von Teilzeitarbeit und Minijobs zurückzuführen. Von 2000 bis 2008 wurden 2,1 Millionen VZ-Arbeitsplätzen abgebaut und 2,4 Millionen Teilzeit-Plätze neu eingerichtet. 300.000 Arbeitslose haben also ihre Arbeitslosigkeit mit Minijobs und Teilzeitarbeit beendet, mit Arbeitsverhältnissen, von denen man in der Regel nicht leben kann. Weitere 200.000 sind in die zunehmende Selbstständigkeit abgewandert, häufig eine Form der versteckten Arbeitslosigkeit. Die Bewegungen am Arbeitsmarkt drücken die sinkende Nachfrage des Kapitals nach Arbeitskraft aus. Das Arbeitsvolumen der voll- und teilzeitbeschäftigten LohnarbeiterInnen ist von 2000 bis 2008 um 1,7 Milliarden Arbeitsstunden zurückgegangen, dem Arbeitsvolumen von 1 Mio. Vollzeit-Arbeitsplätzen. Wie kann Hartz IV die Eingliederungschancen verbessern, wenn die Möglichkeiten der Eingliederung so deutlich abnehmen?

Geringe Eingliederungsquoten

Im SGB II heißt es: „Die Grundsicherung für Arbeitssuchende soll ... dazu beitragen, dass sie (die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen) ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können." Die vom Bundesrechnungshof festgestellte Eingliederungsquote durch Arbeitsaufnahme ist 18%. Nach ihrer sogenannten Eingliederung ist die Hälfte der Eingegliederten innerhalb eines Jahres wieder in Hartz IV. (FTD 17.04.2008) Die großkotzig als Eingliederung bezeichnete Arbeitsaufnahme spiegelt im Wesentlichen die normale Fluktuation zwischen Arbeitslosigkeit und Erwerbstätigkeit wieder. Sie ist bei sogenannten Langzeitslosen naturgemäß niedriger ist als bei Kurzzeitarbeitslosen. ABM-Maßnahmen sind zum Abschuss freigegeben worden, weil sie nur Eingliederungsquoten von 30 bis 50 Prozent aufzuweisen hatten. Hartz IV müsste also ebenfalls zum Abschuss freigegeben werden.

Die wichtigste Eingliederungsmaßnahme sind Ein-Euro-Jobs. Hier sind die „Eingliederungsquoten" noch geringer. Die Ein-Euro-Jobs sind im § 16 SGB II unter dem Titel „Leistungen zur Eingliederung" gesetzlich verankert. Obwohl die Praxis dem im SGB II genannten Ziel völlig widerspricht, werden jährlich 750.000 Erwerbslose durch Ein-Euro-Jobs geschleust. Was bedeutet schon ein Gesetz, wenn sich Kommunen und Wohlfahrtsverbände und auch Privatunternehmer an kostenloser Arbeitskraft bedienen können? Die Bundesregierung dichtet den gesetzlichen Zweck einfach um. „Ein-Euro-Jobs sollten ... nur eingesetzt werden, wenn eine Vermittlung in Arbeit oder Ausbildung ... nicht möglich ist." (Deutscher Bundestag, hib-Meldung 140/2008 vom 19.05.2008) Ein-Euro-Jobs als „Leistung zur Eingliederung" also nur dann, wenn eine Eingliederung nicht möglich ist.

Hartz IV hat mit Eingliederung so gut wie nichts zu tun. Die Eingliederungsquote spiegelt das Desinteresse des Kapitals an einer wachsenden Zahl von Erwerbsfähigen wider, die einfach überzählig gemacht wurden. Das Versprechen, mit Hilfe des SGB II Erwerbslose in Arbeit gebracht werden sollen, ist genauso hohl wie das Versprechen der Käufer der Ware Arbeitskraft, nur die Schaffung von Arbeitsplätzen im Auge zu haben, wenn es ausschließlich um ihren Profit geht.

Die Jubelmeldungen sind unseriös

Sie beruhen darauf, dass die Zahlen vom Beginn des Aufschwungs 2005, der zufälligerweise mit dem Inkrafttreten von Hartz IV in etwa identisch war, mit den Zahlen vom Höhepunkt des Aufschwungs 2008 verglichen werden. Die Zunahme hat aber im Wesentlichen nur die Verluste der Krise von 2001 bis 2003 aufgeholt. Seriös ist nur, die Zahlen der im Wirtschaftszyklus vergleichbaren Jahre gegenüberzustellen, also z.B. die Zahlen der Jahre des Höhepunkts eines Zyklus miteinander. Der Rückgang ist auch dadurch überzeichnet, dass ein Teil der Stillen Reserve 2005 mit Hartz IV sich offiziell arbeitslos melden musste (ca. 200.000 Personen) und die Stille Reserve in Maßnahmen um 150.000 Personen sank. Das erklärt den Großteil der 500.000 Personen, um die die Arbeitslosigkeit im Aufschwungjahr 2005 gegenüber 2004 stieg. (vgl. IAB-Kurzbericht 3/2008, 10) Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) rechnet es der Bundesregierung als Verdienst an, dass sie Arbeitslosigkeit sichtbarer gemacht habe.

Wenn es bei Hartz IV also nicht um Eingliederung geht, worum geht es dann?

Hartz IV ist im Wesentlichen ein Programm zur Lohnsenkung, genauso wie Hartz II (Minijobs) und Hartz I (Leiharbeit).

a) Die Reallöhne des unteren Viertels der Lohnabhängigen sind von 1995 bis 2006 um etwa 14 Prozent gesunken. (IAQ, FTD 27.08.2008) Lohnabbau aufgrund sinkender Nachfrage nach Arbeitskraft macht den Ausbau von staatlichen Lohnzuschüssen notwendig. Hier liegen die eigentlichen „Erfolge" von Hartz IV. Im Jahr 2000 gab es etwa 140.000 SozialhilfebezieherInnen zwischen 18 und 64, die erwerbstätig waren, davon etwa 60.000 in Vollzeit und 80.000 in Teilzeit. Im August 2007 waren es 531.000 Vollzeit-Beschäftigte und 700.000 Teilzeit- oder geringfügig Beschäftigte, die Hartz IV bezogen. Jeder vierte Hartz IV-Empfänger arbeitet.

Die Sozialforscherin Dr. Irene Becker hat festgestellt, dass 2005 etwa 1,5 Mio. Vollzeitbeschäftigte Anspruch auf Hartz IV hatten. (Becker 2006, 37). Ende 2005 nahmen aber nur rd. 300.000 Vollzeitbeschäftigte Hartz IV in Anspruch (IAB Nürnberger Gespräche November 2007, 7). Nur jeder fünfte Vollzeitbeschäftigte, der einen Anspruch hatte, nahm ihn also auch wahr. Wenn wir unterstellen, dass dieses Verhältnis auch 2007 gilt, hätten weitere 2 Millionen Vollzeitbeschäftigte Lohnzuschüsse über Hartz IV beantragen können. Das heißt,  jeder neunte Vollzeitbeschäftigte lebt auf oder unter Hartz IV-Niveau.

1,34 Mio. Teilzeit- und geringfügig Beschäftigte hätten 2005 einen Anspruch gehabt (Becker 2006, 37). Aber nur die Hälfte nahm ihn wahr. Wenn Hartz IV – die sogenannte Grundsicherung für Arbeitssuchende – ihr Potential als Lohnsubvention voll ausschöpfen könnte, würde sie sich von einer Grundsicherung für Arbeitssuchende in eine Grundsicherung für Arbeitende verwandeln. Der Lohnzuschuss tarnt sich verrückterweise als Arbeitslosengeld II.

b) Hartz IV ist vor allem durch die sprunghafte Ausweitung des Freibetrags für erwerbstätige Vollzeitbeschäftigte zum Lohnzuschuss geworden. Der Höchstbetrag des Freibetrags ist von ehemals 175 Euro (Hälfte des Eckregelsatzes) auf 280 bzw. 310 Euro angehoben worden. Der Bundesverband der Deutschen Industrie verlangt eine weitere Erhöhung des Freibetrags. Prof. Sinn ist schon bei 500 Euro Grundfreibetrag. Dann kann das Lohnniveau bei Vollzeit noch mehr fallen. Und als Nebenwirkung: wenn das Lohnniveau fällt und der gestiegene Freibetrag den Abstand von Hartz IV zum Lohneinkommen definiert, müssen auch alle Regelsätze drastisch gesenkt werden.
 
Hans-Ulrich Jörges, ein Bertelsmann-Kommentator, nannte im Stern das Aufstocken von Löhnen „eine wahre Honigroute zum Kommunismus". (Stern 22/2006, 56) Hartz IV als kommunistisches Machwerk im Auftrag des Kapitals. Das ist nun völlig wirr. Aber in der Tat stellt Hartz IV eine Form staatlicher Preissubvention für die wichtigste Ware dar, die der Kapitalismus kennt, die Arbeitskraft. Nur geht der Zug nicht in Richtung klassenloser Gesellschaft, sondern Beschleunigung der Anhäufung von Kapital. Die Honigroute besteht aber zur Zeit vor allem darin, dass der Staat für das Kapital die Lagerkosten von zeitweise oder dauerhaft nicht benötigten Arbeitskraftwaren übernimmt.

c) Um Hartz IV als Lohnzuschuss auszubauen, wurde einerseits die Unterhaltspflicht gegenüber Erwerbslosen, die nicht im gemeinsamen Haushalt wohnen, abgeschafft, die Vermögensfreigrenzen angehoben und sogar ein bescheidenes Kraftfahrzeug erlaubt. Lohnzuschüsse sollten damit „normaler" werden.

d) Andererseits aber wurde das Leistungsniveau gedrückt, um Arbeit zu Armutslöhnen schmackhaft zu machen und die Lohnzuschüsse möglichst gering zu halten. Die Wirtschaftsweisen der SPD-geführten rot-grünen Regierung bereiteten das vor. „Um den Anreiz zu erhöhen, aus der Sozialhilfe in den ersten Arbeitsmarkt zu wechseln, sollte der Regelsatz für arbeitsfähige Bezieher von Sozialhilfe abgesenkt werden." (SVR 2002/2003, 253)

Aus Furcht vor den Reaktionen wurde der Eckregelsatz nicht direkt, sondern nur indirekt gesenkt. Wenn 2005 alle regelsatzrelevanten Ausgaben der unteren Verbrauchergruppen zu 100 Prozent anerkannt worden wären, wie es noch bei Einführung des Statistik-Modells im Jahre 1990 der Fall war, hätte der Eckregelsatz 390 Euro statt 345 Euro betragen müssen. Direkt gesenkt wurde nur bei Kindern ab dem Schulalter. Ihnen erkannten SPD, die Grünen und die Christenparteien, beflügelt durch ihre Kinderliebe, sowohl den Wachstumsbedarf ab als auch den Schulbedarf. Die Regelsätze von 7 bis 13-Jährigen wurden auf das Niveau von Säuglingen gekürzt. Miet- und Heizkosten werden häufig nicht voll übernommen, ebenfalls eine wirksame Form der Senkung von Regelsätzen.

e) Hartz IV wirkt aber stark auch gegenüber beschäftigten Arbeitern und Angestellten. Aufgrund der Kürzung des Alg I-Bezugs und der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe droht Hartz IV als schneller, massiver Abstieg im Fall der Arbeitslosigkeit. Das führt dazu, dass beschäftigte LohnarbeiterInnen oft „alles versuchen, einem solchen Schicksal zu entgehen." (Peter Bescherer, Karen Schierhorn, Nach Hartz IV: Erwerbsorientierung von Arbeitslosen, Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 33 - 2008) Die Autoren meinen sogar, dass der disziplinierende Effekt von Hartz IV eher bei den Noch-Beschäftigten wirkt als bei Erwerbslosen. Die Drohung mit Hartz IV fördert resignierte Zustimmung zu Lohnsenkungen, unbezahlten Arbeitszeitverlängerungen usw. Befragungen des IAB zeigen auch, dass Arbeitslose sich mehr bewerben und eher zu Zugeständnissen bei Löhnen, Qualifikation und Arbeitsbedingungen bereit sind. (FAZ 09.10.2007)

f) Hartz IV versucht, den LohnarbeiterInnen einzuimpfen, dass Arbeitslosigkeit ausschließlich an ihnen und ihrer Anspruchsmentalität liegt. Unübertroffen klar hat es Hans-Werner Sinn ausgedrückt: „Jeder findet Arbeit, wenn man zulässt, dass der Lohn weit genug fällt." ... „So wie der Apfelpreis umso niedriger sein muss, je größer die Apfelernte ist, ...,  muss auch der Lohn der Arbeitnehmer ... umso niedriger sein, je mehr es von ihnen gibt, damit keine Arbeitslosigkeit entsteht." (Hans Werner Sinn, Ist Deutschland noch zu retten, München 2003, 178)

Wenn sich Arbeitslose dagegen wehren, für Armutslöhne zu arbeiten, gelten sie als Faulenzer. Hartz IV gilt den Käufer der Arbeitskraftwaren als Fehlanreiz, weil die Leistungen zu hoch sind. Das erzeuge angeblich das Interesse, in der Hängematte zu liegen und kein Bock auf Lohnarbeit zu haben. Hartz IV spaltet Erwerbstätige und Erwerbslose, da den Arbeitenden eingeredet wird, sie müssten mit ihren hart erarbeiteten Steuern die faulenzenden Arbeitslose durchfüttern. Das hat Wirkung. Hartz IV schwächt die Kraft der LohnarbeiterInnen, sich gemeinsam gegen das Kapital zu wehren. Je mehr Arbeitslose niedergedrückt werden, desto größer wird auch der Druck auf die Noch-Beschäftigten. Beschäftigte, die gegen Hartz IV hetzen, schneiden sich so ins eigene Fleisch.


...viele noch Opfer und Täter verwechseln.

Erwerbslose selbst schuld?

Hartz IV schiebt den Erwerbslosen und ihrer Passivität die Schuld für ihre Arbeitslosigkeit in die Schuhe. Schuld ist aber auf keinen Fall, dass die Käufer der Ware Arbeitskraft immer weniger Arbeitskraft für ihre beschränkten Profitzwecke brauchen und in wachsendem Maße Überflüssige produzieren, die abgeschrieben werden müssen. Hartz IV fördert Orientierungslosigkeit.

Hartz IV als Motor für Lohnsenkungen hat erheblich dazu beigetragen, dass die Gesamtsumme der Nettolöhne und -gehälter 2007 nach Abzug der Inflation um 2,8 Prozent unter dem Niveau von 2000 lag. Der Widerspruch zwischen der Konsumtionsfähigkeit der breiten Masse und dem Umfang der Produktion von Waren hat erheblich zugenommen. Die Produktion der Industrie ist nämlich im selben Zeitraum um über ein Fünftel gestiegen. (DB 08/2008, 62) Hartz IV ist in diesem Sinne massiv dabei beteiligt, die nächste Überproduktionskrise vorzubereiten und damit neue Arbeitslosigkeit zu produzieren.

Wie dem Druck durch Hartz IV entgegenwirken?

Die Interessen der LohnarbeiterInnen und des Kapitals sind entgegengesetzt.

- LohnarbeiterInnen haben im Gegensatz zum BDI und Franz Müntefering das Interesse, möglichst für die gesamte Dauer der Arbeitslosigkeit Alg I zu bekommen, nicht nur für 12 oder für 6 Monate.

- Sie haben das Interesse, unabhängig von Hartz IV zu leben und nicht von Privatunternehmern zum Betteln beim Staat geschickt zu werden. Ein gesetzlicher Mindestlohn ist notwendig. Aber mit 7,50 Euro oder 8 Euro liegt man unter dem Hartz IV Niveau eines alleinstehenden Erwerbstätigen. Wir können keinen Kombilohn fordern.

- Mit zehn Euro gesetzlichem Mindestlohn kommt man über das Hartz IV-Niveau, kann aber immer noch keine Kinder davon unterhalten. Das Kindergeld in Höhe von 154 Euro reicht auch nicht. Löhne müssten eigentlich auch die durchschnittlichen Unterhaltungskosten des Nachwuchses der Arbeitskräfte enthalten, wenn sie das soziale Existenzminimum abdecken sollen. Das tun sie aber vielfach nicht. Kindergeld ist 1936 als Lohnsubvention eingeführt worden – und es erfüllt diese Funktion bis heute. Da das Lohnniveau in Zukunft aufgrund der steigenden Produktivität eher noch weiter fällt, halte ich es für notwendig, mindestens die Verdopplung des Kindergelds zu verlangen. Aber: Da Kindergeld eine Lohnsubvention ist, muss von der Gesamtheit der Käufer der Ware Arbeitskraft finanziert werden, nicht von den Lohnabhängigen selbst.

- 351 Euro Eckregelsatz sind zu wenig. 420 bzw. 435 Euro schließt die Anerkennung der Mangelernährung durch Hartz IV ein. Mindestens 500 Euro muss die Forderung gegenwärtig lauten. Das würde auch die Lage der Kinder erheblich verbessern.

- Während CDU und SPD von Bildung für alle und der Bildungsrepublik Deutschland schwätzen, halten sie daran fest, rund 1,5 Millionen Kindern aus Armutsfamilien den Wachstumsbedarf abzuerkennen, nämlich den Kindern von 7 bis 17 Jahren. Ihre Regelsätze sind nämlich gekürzt worden. Die Förderung von Schulkindern aus Armutsfamilien besteht darin, dass sie ab 2005 für den Schulbedarf weitgehend in Eigenverantwortung aufkommen müssen. Die Senkung der Regelsätze für Kinder ab dem Schulalter muss sofort zurückgenommen werden. Einmalige Beihilfen für Schulmaterialien müssen wieder möglich sein.

- EinEuroJobs müssen durch unbefristete, tariflich bezahlte Arbeitsverhältnisse ersetzt werden.

Ein Wort zu den Kosten

Bei jeder dieser Forderungen jammern die Vertreter des Kapitals über die Milliarden, die das kosten würde. Das Eigenartige ist nur: Die Kapitalverwertung produziert nicht nur einen Überschuss an Arbeitskräften, über deren Kosten die dafür Verantwortlichen jammern, sondern auch einen Überschuss an Kapital.

Milliarden Euro in windigen Finanzanlagen zu verbrennen, gehört zum Alltagsgeschäft der Banken. Und der Staat greift bereitwillig mit Milliarden ein, um Bank Verluste aus Spekulationen aufzufangen. Dutzende Milliarden Euro haben Konzerne wie Siemens, Daimler, Eon usw. aufgewandt, um eigene Aktien aufzukaufen. Sie wussten nichts Besseres mit ihren Gewinnen anzufangen. Die Kassen der Private Equity-Fonds füllen sich mit Milliarden überschüssigem Kapital, das nach Anlagen sucht. Und so weiter und so fort.

Während Grundbedürfnisse von Millionen Menschen unbefriedigt bleiben, wirft das Kapital Milliarden zum Fenster hinaus und verlagert sich mehr und mehr darauf, mit den gewissermaßen arbeitslosen Milliarden Wetten auf Finanzprodukte abzuschließen.

Irgendeine übergroße Rücksichtnahme, wenn LohnarbeiterInnen und Erwerbslose Forderungen stellen, ist daher nicht angebracht. Das Kapital bürdet der Gesellschaft immer höhere Kosten auf. Dann soll es also auch für sie zahlen, statt sich mit gesellschaftlichen Mitteln aushalten zu lassen.

Diese Wirtschaftsform nicht das Ende der Geschichte

Motor der sinkenden Nachfrage nach Arbeitskraft ist die steigende Produktivität der LohnarbeiterInnen, sind neue Technologien, ist die wachsende Konzentration des Kapitals, die Parallelstrukturen  auflöst, ist zusätzlich der Renditedruck durch Finanzinvestoren. Motor ist die Konkurrenz der Privateigentümer untereinander.

Die Ware Arbeitskraft wird also umso billiger, je mehr Waren sie erzeugt und ihre Existenz umso prekärer, und je größer der Reichtum in Form riesiger Kapitalmassen ist, den sie produziert. Hanns-Werner Sinn als einer der Chefideologen des Kapitals erklärte: „So wie der Apfelpreis umso niedriger sein muss, je größer die Apfelernte ist, ..., muss auch der Lohn der Arbeitnehmer ... umso niedriger sein, je mehr es von ihnen gibt, ... ". Und er fügt hinzu: „Das Gesetz der Nachfrage ... ist eine bloße Beschreibung der Funktionsweise der Marktwirtschaft, die man akzeptieren muss, wenn man diese Wirtschaftsform überhaupt will."

Genau das ist die Frage. Eine Wirtschaftsform, die mit wachsendem Reichtum immer mehr Menschen in Armut stürzen muss, stellt nicht das Ende der geschichtlichen Entwicklung dar. (HDH)

Online-Flyer Nr. 164  vom 17.09.2008

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