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Aktueller Online-Flyer vom 08. Mai 2024  

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Inland
Mit dem Führungswechsel rückt die SPD noch weiter nach rechts
Noskes Urenkel
Von Hans-Detlev v. Kirchbach

„Beck ist weg“ reimte eine in Köln erscheinende bunte Tageszeitung zur Palastrevolte im SPD-Vorstand. Der Li-La-Launebär aus Mainz mußte sich also die Ambition abschminken, als zweiter gewichtiger Pfälzer aus der Staatskanzlei von Rheinland-Pfalz ins Kanzleramt zu wechseln. Doch was jetzt, verkörpert durch Figuren wie Walter Steinmeier, die Sozialdemokratie repräsentiert, läutet nur einen weiteren Akt in der Abstiegsgeschichte der Partei ein. Meint jedenfalls unser Autor, der 1988 nach 16jähriger Mitgliedschaft noch rechtzeitig aus der SPD austrat. Hier der erste Teil seiner kleinen SPD-Bilanz. - Die Redaktion.


Gustav Noske – SPD-Innenminister
der Weimarer Republik: „Einer muß
der Bluthund sein."
Quelle: www.preussen-chronik.de
Wir hätten es ja wissen können
 
Man hätte auf ihn hören sollen. Vor allem er selbst. Auf ihn, den Diagnostiker – beschrieb er doch vor 31 Jahren schon eine der wesentlichen Ursachen für das Desaster, das heute auf den Namen SPD hört. Und stellte damit beiläufig zugleich eine prophetische Selbstdiagnose. Auf ihn, den Warner, der die politische und moralische Katastrophe heraufziehen sah, die sich heute auf die Insignien SPD reimt. Und damit beiläufig zugleich vor sich selber warnte.

So nämlich las sich damals sein „Profiling" des von links unten nach rechts oben aufsteigenden SPD-Karrieristen: „Sein materielles Wertgefüge gerät aus den Fugen... Sein Interesse richtet sich darauf, noch weitere Einnahmequellen zu erschließen. Darüber hinaus ist die Umorientierung mit einer Abkehr von früheren gesellschaftlichen Zusammenhängen verbunden. In aller Regel lösen sich die persönlichen und emotionalen Bindungen zur Arbeiterbewegung; nicht nur der Habitus, sondern auch Umgang und Werteordnug werden oberschichts-spezifisch..."
 
Selbsterkenntnis ohne Besserung
 
Ja, dramatisch malte der Vorsitzende der Jungsozialisten in der SPD anno 1977 das Schreckbild der Jeckyll-Hyde-Wandlung eines hypothetischen SPD-Linken aus, der vor lauter Karrieregeilheit seine sozialistischen Zielsetzungen vergißt und die Arbeiterklasse ans Kapital verrät. Der Autor dieses Beitrages fand damals den Vorsitzenden der Jungsozialisten – er gesteht beschämt ob dieser Jugendsünde: seinen Vorsitzenden – in juvenilem Unverstande richtig klasse; nach persönlichem Genuß einer seiner Reden erwartete er stündlich den Ausbruch des Sozialismus plus freie Liebe.  
 

Vom Juso-Vorsitzenden zum Gasprom -
Lobbyisten – Gerhard Schröder
Quelle: www.pro-regenwald.de
Doch so weit kam es natürlich nie. Dafür kam der brillante Revoltenredner, der oben zitierte Warner vor den Gefahren des Karrierismus und Opportunismus, selber umso weiter. Zum Lohne nämlich, daß er seine guten Vorsätze und sich selbst vergaß. Seine Stationen in aufsteigender Linie: Ministerpräsident von Niedersachsen, Bundeskanzler, Gasprom-Lobbyist. Sein Habitus: Oberschichtspezifisch mit Unternehmerzigarre. Sein Umgang: Oberschicht mit Nadelstreifen, bei der der Mensch erst ab fünf Millionen auf dem Konto anfängt. Seine Wertordnung: Schließlich so oberschichtig, daß ostelbische Gutsherren von anno 1900 dagegen als Radikaldemokraten erscheinen. Ach ja, sein Parteibuch: SPD, was denn auch sonst – bei solch einem politischen Profil? Und wer jetzt noch nicht erraten hat, auf welchen Namen – wenn er nicht mittlerweile geadelt worden ist – der einstige Sozialist und spätere Chefetagen-Ideologe hört, der könnte bei Günther Jauch nicht mal die 50-Euro-Frage bestehen.

Hansen flog, Clement bleibt

 
Dieses wunderbare Zitat, mit dem der erfolgreichste opportunistische Karrierist der bundesdeutschen Politikgeschichte einst von seinesgleichen abriet, neu ausgegraben und genüßlich präsentiert zu haben, danken wir dem ehemaligen Düsseldorfer SPD-Bundestagsabgeordneten Karl-Heinz Hansen. Der erinnert sich in einem Interview in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „konkret", wie er 1981 aus der SPD geworfen, um nicht zu sagen: gemobbt, geschmissen, getreten wurde. Denn er trat, wie auch seine Genossen Coppik und Thüsing, unbeirrbar gegen den „Nachrüstungsbeschluß", gegen Berufsverbote und bereits damals gegen SPD-Sozialdemontage auf.
 
Heute nun, so registriert Hansen, drohte zeitweise zwar wieder einem prominenten Sozi der Rausschmiß. Nämlich dem grundsympathischen Wolfgang Clement, der die NS-Begrifflichkeit von „Schmarotzern" und „Parasiten" im Hinblick auf Arbeitslose neu entdeckte und zugunsten der Atomlobby von der Wahl seiner eigenen Partei abriet. Einen Unterschied seines Falles zu dem Clements sieht Hansen allerdings: Damals stand die Parteibasis auf seiner, Hansens, Seite, die Parteispitze drückte aber gleichwohl autoritär seinen Rauswurf durch; heute dagegen eilt die Parteispitze schon unter Beck dem nadelstreifigen Herrn Clement zu Hilfe, den die Basis in einem Restanfall von Selbstachtung nicht mehr ertragen kann.
 
Und nun dürfte die Chose endgültig zugunsten Clements gelaufen sein. Nicht nur, was seine Parteimitgliedschaft betrifft, sondern wohl auch im Sinne seiner politischen Anschauungen. Denn was nach dem hilf- und standpunktlos herumeiernden Beck an die Spitze gespült ward, gehört samt und sonders ins rechte Milieu des Kapitalsachwalters und RWE-Lobbyisten Clement. Das trifft auch auf den volkstümlich tuenden Müntefering zu, der sich mit 67 noch einmal aus der Rente holen ließ. Er hat die millionenfachen Hartz-IV-Schikanen mitverantwortet und die institutionalisierte Altersverelendung als politisches Konzept hoffähig gemacht. Darüber täuscht auch sein roter Schal nicht weg, das einzig Rote, das in der SPD neben der falschfarbenen Parteifahne noch geblieben ist.
 
Kleiner Witz am Rande: „Linke in der SPD“
 
Was sich heutzutage in der Partei Bebels noch links nennt, ist überwiegend – letztlich einschließlich der Frau Ypsilanti – bestenfalls aus Kalkül geduldete Minderheit. Dann gibt es noch eine Sorte von Pseudo-QuerdenkerInnen wie die vor Selbstfälligkeit geradezu berstende Frau Nahles. Dieselbe heftet sich, nach schon notorischer sozialdemokratischer Methode, je nach Windrichtung hin und wieder mal ein linkes Etikettchen an, was aber nur dem Hauptziel dient, ansonsten flugs auf jeden Karrieristenzug zu springen. – Auch sie hat Schröders Monitum bislang wohl nicht gelesen, und nun ist es zu spät dafür, denn sie sitzt schon längst an den Fleischtöpfen, in die sie gewiß keinen systemwidrigen Brocken mehr spucken kann.
 
Am gedeckten Tisch der besseren Herrschaften mag man wohl noch Scherze mit ungehörigen Ausdrücken treiben, wie zum Beispiel „Sozialismus" – schließlich gibt’s ja zum Spaßvergnügen der Führungsetagen auch Kurse wie „Marxismus für Manager“. Wer´s aber ernst meint, wird von der noblen Tafelrunde ausgeschlossen. Das haben sozialdemokratische Arbeitervertreter wie der DGB-Vorsitzende Sommer längst begriffen – und so liebedienerte Sommer im Sommer 2005 bei den elitären „Schönhauser Gesprächen" geradezu in Richtung Kapitalvertreter: „Wir Gewerkschaften sind ebenso wie Sie Kinder des Kapitalismus.“ Herzerwärmend für den veranstaltenden Bankenverband beteuerte Arbeiterführer Sommer, daß ein braver sozialdemokratischer Gewerkschafter sich eine andere Ordnung als die herrschende überhaupt nicht vorstellen könne und nicht im Traum daran denke, den Kapitalismus in Frage zu stellen. Es gehe nur darum, eine „bestimmte Rolle zu spielen“, nämlich „sehr bewußt als Gewerkschaften, die sich dazu bekennen, daß es eine Soziale Marktwirtschaft gibt und geben sollte.“ – Verteilte Rollen – ein System – eben: Sozialdemokratie.  
 
Wer an Seilschaften hängt...
 
Insgesamt können und dürften unsere angeblichen Linken in der SPD – nicht erst heute ein unauflöslicher Widerspruch – mindestens soweit sie „Karriere" machen wollen – denn auch kaum besser sein als die Seilschaft der Schröder-Clement-Steinbrück-Steinmeier – nicht zu vergessen: Schily & Co. An die hat sich die SPD mindestens zehn Jahre lang gehängt und sich dabei das ohnehin ramponierte moralische Genick endgültig gebrochen. Spätestens mit weltweiter Kriegspolitik, mit Schilys Obrigkeitsstaat, mit Sozialramponage und Hartz.


Hat durch seinen Abgang den großen
„Linksruck“ gestoppt – Kurt Beck
Quelle: NRhZ-Archiv
In diesem Defilee der Verdammten ist es insofern auch keine große Leistung mehr, den Engel der Enterbten vorzutäuschen. So toppte zeitweise auf seine tappsige Art der Herr Genosse Beck die Negativ-Schlagzeilen für die SPD allein durch schwammige Ankündigungen „vorsichtiger Korrekturen“ an der Agenda 2010. Da sahen manche hysterisierte Mainstream-Kommentarabsonderlinge schon den großen „Linksruck“ dräuen. Doch nun ist ja wieder, wenigstens auf der Personalseite, weitgehend jede pseudosoziale Anwandlung ausgeschlossen. Die „Seilschaft" hat die Partei – sieht man von Sonderzonen wie Hessen ab – nach wie vor fest im Griff, am gebrochenen moralischen Genick.
 
Ob die erschütternd leidensfähige SPD-Basis einschließlich WählerInnenschaft das auch durchschaut? Wird sich dann auch bei den nächsten Wahlen die Falltür zum verdienten tiefen Sturz in Richtung 20-Prozent-Keller öffnen? Das mögen wir nicht prognostizieren, da wir, anders als weiland der jugendliche Gerhard Schröder, nicht mit prophetischer Gabe gesegnet sind.
 
SPD „Perspektive“: Steinmeiersche Machttechnokratie
 
Freilich müßte man schon an Verstand und nebenbei auch Geschmack der WählerInnenschaft zweifeln, wenn sie für eine wandelnde Charaktermaske des angewandten Macchiavellismus wie den eisern verkniffenen Herrn Steinmeier auch nur eine einzige Stimme spendieren würde. Dessen Rolle bei einem der übelsten Skandale der BRD-Geschichte – dem CIA-Folterflugskandal – ist überdies bislang noch immer nicht in einer Weise geklärt, die dem gegen ihn fortbestehenden schwerwiegenden Verdacht mindestens mitwisserischer Verwicklung in verbrecherischen Menschenraub auch nur halbwegs angemessen wäre.


Cartoon: Kostas Koufogiorgos
 
Kein Wunder allerdings, daß allen Untersuchungsausschuß-Verrenkungen zum Trotz die Affäre weiterhin im Halbdunkel wabert – eine Sphäre, der Steinmeier ohnehin geradezu natürlich anzugehören scheint. Denn soweit wie möglich zielen alle staatlichen und ermittlerischen Bemühungen darauf ab, nichts ans Tageslicht zu lassen, was man nur irgendwie in der Kiste halten kann. Auch das, was bislang ans Licht gekommen ist, offenbart allerdings ein fundamental demokratie- und, grundrechtsfernes, letzthin menschenverachtendes Staats- und Politikverständnis, das der gens Steinmeier konstitutionell eignet. Allein dieser Umstand müßte Herrn Steinmeier als Kanzlerkandidaten eigentlich bis in die Steinzeit disqualifizieren.
 
Doch darf bei realistischer Einschätzung der hierzulande herrschenden Systemgegebenheiten getrost – oder trostlos – davon ausgegangen werden, daß sich jemand mit solchen Eigenschaften als Sachwalter der eigentlich maßgeblichen Konzern-und Kapitalinteressen gerade ausgezeichnet eignet. Denn: „Einer muß der Bluthund sein" – fürs Kapital. Noske würde sich über seine Urenkel freuen, den „demokratischen Sozialisten" Karl-Heinz Hansen aber schauderts – und gleich ihm viele Tausende, die in den letzten Jahren aus der SPD ausgetreten, ausgewandert, geflüchtet sind. (PK)

Teil 2 der SPD-Bilanz in der nächsten NRhZ
Wir empfehlen die Homepage von Karl-Heinz Hansen („Fünfte Kolumne“): http://www.karlheinz-hansen.de


Online-Flyer Nr. 164  vom 17.09.2008

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