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Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

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Globales
Vier Tage in Gaza – erster und zweiter Tag
Ein Fest der Hoffnung
Von Edith Lutz

Sie waren aufgebrochen, die israelische Blockade des Gazastreifens zu durchbrechen, und es war ihnen gelungen: Mehr als 45 Teilnehmer aus 15 Ländern, ganz verschiedener sozialer Hintergründe und Religionszugehörigkeit, schifften sich auf zwei ehemaligen Fischerbooten von Zypern aus ein und erreichten am 23. August den Hafen von Gaza-Stadt. Edith Lutz war eine von ihnen und berichtet in der NRhZ – in dieser Ausgabe von den ersten beiden Tagen ihres Aufenthalts – die Redaktion.

Feste im Orient unterscheiden sich im Allgemeinen von den westlich geprägten. Man denke an die bekannten Hochzeitsfeste in ihrer intensiv freudigen Art, reicher Gastfreundschaft, auch bei großer Armut, und der mehrtägigen Dauer. Auch unser viertägiger Aufenthalt in Gaza glich einem Fest. Zum ersten Mal seit 1967 fuhren zwei Schiffe, die „SS Liberty“ und die „SS Freegaza“, in den Hafen von Gaza ein. Mit diesen beiden ehemaligen Fischerbooten ist es uns, den Teilnehmern der „Freegaza-Bewegung“, geglückt, die vollständige Abriegelung des Gazastreifens zu durchbrechen. Die darauf ausbrechende Freude, die Tausende von Menschen an Gazas kleinem Hafen jubeln, schreien, trommeln, winken, ins Wasser springen ließ, hat man in den Medien verfolgen können.

Empfang im Hafen von Gaza-Stadt Foto: Edith Lutz/ freegaza.org
Begeisterter Empfang im Hafen von Gaza-Stadt

Geschenke hatten wir aus Platzmangel in den Booten nur wenige mitbringen können. Darum beschränkte sich unsere bescheidene Gabe auf einen Koffer voller Hörgeräte. Viel zu wenig für 900 Kinder, die aufgrund der gehörschädigenden Auswirkungen israelischen Beschusses Hörgeräte benötigen. Wir übergaben sie im Rahmen eines kleinen Empfangs der Schule für hörgeschädigte Kinder, Atfaluna. Daneben brachten wir noch Medikamente und für Kinder Bälle und Luftballons mit.

Auch andere Einrichtungen bereiteten uns Empfänge und ließen uns mit Speisen und Getränken ihre Gastfreundschaft genießen. Nach einer strapaziösen Seereise durften wir uns in einem Hotel gehobenen Standards verwöhnen lassen. Vier Tage verweilten wir aus Sicherheitsgründen in diesem gut bewachten Hotel. Ein- und Ausgänge von Personen wurden kontrolliert. Selbst der Durchgangsverkehr wurde durch Straßensperren beiderseits des Hotels eingeschränkt. Lässt sich in einem solchen luxuriösen, zeitlich stark eingeschränktem Rahmen überhaupt ein reales Bild von Gaza gewinnen? – Ja und nein.

Nein, denn die Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit, das Gefühl der Verlassenheit, unter der die Bevölkerung Gazas leidet, erfuhr durch unsere Ankunft eine Wandlung oder wurde verdeckt unter dem Mantel vorherrschender Freude. Nein, denn unsere Gastgeber vertraten als akademische Angehörige von Menschenrechtsorganisationen, Gesundheits- und kulturellen Ausschüssen nicht die Ärmsten Einwohner Gazas, deren Bevölkerungsanteil ungleich höher ist. Dennoch versucht die nachfolgende Beschreibung einzelner Reiseetappen an die Realität heranzuführen, eine Realität, die von westlichen Medien zu wenig beachtet wird.

24.8. – Besuch des Schifa-Krankenhauses

Das Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt gleicht auf den ersten Blick jedem anderen Krankenhaus. Aber wir kennen die Bilder aus dem Jahr 2006, als während der Operation „Sommerregen“, der Luftangriffe, aus Gaza Krankenwagen in großer Zahl mit Verletzten, Verstümmelten, Toten vorfuhren. Freegaza-Passagier Dr. Bill Dienst zeigte sie uns in einem Seminar: von Granaten oder Bomben aufgerissene Schädel, zerfetzte Bäuche mit hervorquellenden Eingeweiden; schreiende oder bewusstlose Kinder, die ihre abgerissenen Gliedmaßen neben sich liegen hatten.

Gaza-Stadt vor dem Shifa-Krankenhaus Foto: Edith Lutz/ freegaza.org
Vor dem Shifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt

Heute sieht das Krankenhaus friedlicher aus. Doch wir werden mit sehr viel Leid konfrontiert, dessen Ursache im Belagerungszustand liegt. Durch die unzureichende Energielieferung können Frühgeborene nicht ausreichend versorgt werden, ist das Leben der Dialysepatienten ständig in Gefahr. Tumorpatienten, denen in anderen Krankenhäusern geholfen werden könnte, sterben, weil Israel sie an der Ausreise hindert oder ihnen notwendige Mittel und Medikamente durch die Blockade vorenthält.

Besuch bei Ismael Hanije im Flüchtlingslager „Beach Camp“

Die Einladung erreichte uns am Morgen. Nicht alle folgten ihr. Aber ein gewählter „Landeschef“ im Viertel der Ärmsten der Armen lässt einen Besuch interessant erscheinen. In Anspielung auf die Olympischen Spiele bekommen wir aus der Hand Ismail Hanijes „Goldmedaillen“ überreicht. „Hier ist ein Beweis“, meint Hanije, als ich die Medaille in Empfang nehme, „dass wir keine Probleme mit Juden haben, sondern mit der Besatzung.“ Der Begleiter Hanijes hätte ihm nicht „she’s jewish“ zuflüstern müssen. Mit dem Davidstern werde ich überall schnell als Jüdin erkannt. Kinder machen sich untereinander auf die „Jahudia“ aufmerksam. In Interviews mit Journalisten entstehen gelegentlich fruchtbare, freundliche Gespräche.

Im "Beach-Camp" Gaza-Stadt Foto: Edith Lutz/ freegaza.org
Besichtigung des „Beach Camps“
Wir folgen Hanije auf einem Rundgang durch das Flüchtlingsviertel mit dem schönen Namen „Beach Camp“, weil es in Strandnähe liegt. In den dicht nebeneinander stehenden primitiven Behausungen leben Menschen auf engstem Raum (über 80.000 auf einem Quadratkilometer) mit primitiven und spärlich fließenden Wasserquellen. Das Leid über getötete oder inhaftierte Angehörige ist groß. Hanije führt uns nicht nur zu ausgewählten linientreuen Familien. Wir betreten auch die Behausung einer Frau, die zwei Söhne durch israelische Kriegshandlungen verloren hat. Wild und lautstark gestikulierend will sie nicht aufhören zu schimpfen – auf Hanije, wie mir sein Begleiter und Übersetzer sagt. Dieser reagiert mit dem ihm typischen Lächeln...

25.8. – die Versammlung der „Frauen der Gefangenen“

Wir fahren mit dem Bus zum Gebäude des Roten Kreuzes. Hier sollen Frauen in der Halle auf uns warten, die Angehörige in israelischen Gefängnissen haben. Zunächst empfängt uns – wie überall wo wir auftauchen – ein Heer von Reportern. Dann werden einige Bildrahmen sichtbar, gehalten von Männern, die vor dem Gebäude warten. Aus dem Gebäude selbst schallen lautstarke Sprechchöre. Und dann sehen wir sie, unzählige Frauen dichtgedrängt auf dem Boden hockend, jede ein großes Porträt eines Angehörigen in Händen haltend. Sie fordern ihre Männer zurück, ihre Söhne, ihre Kinder, und sie fordern ein Ende der Besatzung. Keine Hassparolen. Einige von uns gesellen sich zu ihnen, andere werden umarmt, beküsst, um ein Foto gebeten mit dem Bild des Angehörigen.

Einwohner Gazas zeigen Bilder ihrer gefangenen Angehörigen Fotos: Edith Lutz/ freegaza.org
Edith Lutz links – Einwohner Gazas zeigen Bilder ihrer gefangenen Angehörigen | Alle Fotos: Edith Lutz/ freegaza.org

Besuch des Parlamentsgebäudes, des „Palestinian Legislative Council“

Wir betreten durch ein Spalier der Wache das Parlamentsgebäude. Wir wurden von dem Vorsitzenden, Dr. Ahmed Bahar, und einigen Parlamentariern empfangen. Wir nehmen die Plätze von nicht anwesenden Abgeordneten ein. Eine große Tafel mit den Porträts der Abgeordneten verrät den Grund ihrer Abwesenheit: Sie sitzen in israelischen Gefängnissen. Neben mir sitzt die Abgeordnete Rawya Shawa, westlich gekleidet, parteilos. Gaza ist eben nicht „Hamastan“. (CH)


Lesen Sie in der kommenden Ausgabe der NRhZ die Fortführung des Berichts von Edith Lutz!


Online-Flyer Nr. 163  vom 10.09.2008

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