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Literatur
Der Fortsetzungsroman in der NRhZ - Folge 11
"Zwielicht"
von Erasmus Schöfer
Das Mannesmann-Werk in Düsseldorf soll dichtgemacht werden. Zur Vorbereitung der Betriebsversammlung sitzen einige Polit-Aktivisten zusammen, u.a. Vertreter einer Schreibwerkstatt des "Werkkreis Literatur der Arbeitswelt" und der Ex-Betriebsratsvorsitzende Manfred Anklam. Debattiert wird auch die Rolle seines Nachfolgers Kemperdiek.
Anklam fiel ein, nach dem Roman der Werkstatt zu fragen, ob sie den nun umschreiben müssten? Die unerwartete Wendung, dass der Oberschurke Kemperdiek persönlich ihn remobilisiert hatte, sei doch literaturfähig. Musch wollte seinen Schnurrbart fressen, wenn der das ernst meinte - die Geschäftsleitung selber könnte ihm die Augen geöffnet haben, wo die Plattmacher sitzen, vermutete Kolenda dazwischen. Anklam wiegte skeptisch das schwarze Haupt: Entschuldigt hater sich mit keinem Wort. Ich schätze, er hat gemerkt, dasser ein Betriebsrat für schönes Wetter ist. Im Sturm brauchter Leute die ihn stützen. Ist kein Arbeiterverräter. Wahrscheinlich glaubter, dass wir die Stillegung nicht verhindern können, will aber Druck machen, um wenigstens bessre Sozialpläne rauszuschinden.
Die Version, grummelte Musch, wird ein paar Leuten in unsrer Werkstatt besser schmecken als die vom Kommunistenfresser Kemperdiek. Möcht bloß wissen, wer uns heut nachmittag die Polizei auf den Hals geschickt hat, als wir am Haupttor die Flugblätter verteilt haben.
Einschüchterungsversuche der Geschäftsleitung Kollege, Nadelstiche.
Immerhin haben sie unsre Personalien in ihrn Kompjutern.
Anklam lachte. Wer weiß denn, ob ihr nicht ne verkappte Vorhut der RAFBanditen seid? Im Ernst glaubich eher, das zielt auf die DKP Betriebsgruppe. Die Botschaft an die Kommunisten im Betrieb heißt: wenn ihr da draußen gegen uns stänkert, seid ihr die ersten die fliegen.
Volker Götz hielt für ausgeschlossen, dass die Polizei Personendaten an private Firmen weiterleitet. Zumindest bisher.
Anklam, grinsend: Genügt ja, dass alle denken, sie tuts. Oder? Und wer fährt mich Lahmarsch jetzt ins Bett? Am Montag krieg ich den verdammten Gips ab.
Volker bot ihm seine Fahrradstange zur Not. Da war Kolendas Lada doch die bessere Alternative.
Eine Pressekonferenz des Betriebsrates nach der Betriebsversammlung ist abgesagt worden, teilte der Pförtner den paar Journalisten am Eingang der Verwaltung mit, da machten die sich an die Gruppen von Arbeitern ran, die in der Henkelstraße ihren Zorn, ihre Enttäuschung, ihre Resignation mit starken Worten an die Luft brachten. Sie hatten keine Scheu, den Reportern zu stecken, was Sache war: Garnichts! Sackhüpfen! Blaue Luft! Die vom Vorstand haben nicht eine echte Zusage gemacht, wie viele Arbeitsplätze bleiben! Sozialpläne? Wer will hier Sozialpläne? Aufträge brauchen wir! Wir müssen auf die Straße - die wolln den Skandal unterm Deckel halten - zwingen uns zum Kampf den keiner will - am wenigsten der Betriebsrat - die Gewerkschaft zögert auch wie unsre Oma am Zebrastreifen.
Kolenda erfuhr, dass den Vorständlern einige harte Schimpfworte um die Köpfe geflogen waren, woraufhin die sensiblen Herrn Arbeitsplatzkiller die Versammlung verlassen hatten. Immer wieder waren Streikforderungen laut geworden, aber auch schlappe Reden, vor allem der Angestellten, die wollten die Landesregierung, die Politiker bei ihren Versprechungen packen. Auch die Überführung der notleidenden Stahlindustrie in Gemeineigentum war als Krisenmedizin vorgeschlagen worden. Konkrete Beschlüsse wurden nicht gefasst, nachdem Kemperdiek die Belegschaft an die Bestimmung des Betriebsverfassungsgesetzes erinnert hatte, dass sie keine den Betriebsrat bindenden Entscheidungen treffen darf.
Gerd Muschner trieb sich auch in der Henkelstraße rum, verteilte mit einer jungen Frau die neuste Rote Röhre an die Mannesmänner, fast alle griffen anscheinend bereitwillig, neugierig, trotzig nach der Betriebszeitung der DKP, erhofften sich ein paar Hintergrundneuigkeiten, konzernkritische Fakten, deutliche Worte, wie sie weder von der Werkleitung noch vom Betriebsrat zu erlangen waren.
Musch stellte Armin seiner Genossin Irmgard als geistigen Häuptling ihrer WerkkreisWerkstatt und Redakteur der DZ vor, ziemlich stolz, und beide luden ihn zu einem Nescafé in ihre WG in der Buchenstraße ein, gleich um zwei Ecken, keine fünf Minuten, das konnte Armin nicht abschlagen. War auch neugierig.
Die Küche der WG erinnerte Armin heftig an seine Jahre im Kölner SSK - das in der Spüle gestapelte Geschirr, die offensichtlich aus dem Sperrmüll zusammengestoppelten Möbel, sechs verschiedene Stühle um den wackligen Küchentisch, ein paar Grünpflanzen vor dem verstaubten Fenster, der versiffte Gasherd. Mit dem Tauchsieder erhitzte Musch Wasser, das erstaunlich sauber aus der Leitung floss, spülte drei Becher und Löffel, stellte sie nass auf die Tischplatte, den Pulverkaffee dazu, eine Milchdose und ein aufgerissnes Päckchen Würfelzucker, leerte den Aschenbecher in die Mülltüte: bitte sehr, bedient euch.
Sympatisch, euer kleines Kaos, sagte Kolenda. Wie viele braucht ihr dazu?
Och, lachte die Irmgard, Peter würde das auch allein schaffen, aber wir sind noch vier emanzipierte Weiber, die alle Sünden des Patriarchats an den beiden Jungs abarbeiten. Das verschärft die Situation.
Ja Armin, nickte Musch trübsinnig, du kennst meinen tief eingefleischten Ordnungssinn. In diesem Haus wird er systematisch zerrüttet. Wenns nicht eine nette Genossin gäbe -
Ich hoffe, ihr beansprucht diesen wertvollen Menschen nicht über Gebühr. Er ist eine Stütze unsrer Werkstatt und des Romans den wir schreiben. Dass du hier allerdings in einer Art Harem lebst, das hast du uns bisher verschwiegen.
Harem! sagten beide gleichzeitig, Musch empört, die Irmgard belustigt, ich bin kein Eunuch! Wir sind alle anständige höhere Töchter, hier käme kein Pascha ins Haus.
He - da bin ich wohl in ein tiefes Fettnäpfchen gesprungen? Wer hilft mir jetzt wieder raus?
Ich nicht! beteuerte Musch, spielte den Beleidigten. Niemals!
Ist doch wirklich erklärungsbedürftig, unsre Personalkonstellation, sagte Irmgard freundlich. Wir haben uns im Spartakus kennengelernt, da warn Ria und Gussie schon ein Pärchen und Peter und Gerda auch. Nur ich bin solo und Musch ist sowieso ne extra Nummer, als arbeitsloser Bankkaufmann. Haut genau hin mit unsern vier Zimmern. Musch ist ehrlich gesagt so was wie unser zivilisatorisches Rückgrat. Ohne ihn wärn wir aufgeschmissen.
Da muss was dran sein, nickte Kolenda, genauso segensreich wirkter bei uns in der Werkstatt.
Danke für die Blumen, brummte Musch. Leider sinds die Falschen. Ewig hängt mir der verdammte Kaufmann an. Ich will raus aus der Ecke. Deshalb binich in der Schreibwerkstatt.
Du schaffst das auch Musch, lachte Irmgard, du bist auf dem besten Weg. Und küsste ihn auf die Backe.
Da konnte der wieder strahlen.
Erasmus Schöfers "Die Kinder des Sisyfos", Bd.1 "Ein Frühling irrer Hoffnung", Bd.2 "Zwielicht" und Bd. 3 "Sonnenflucht", Dittrich Verlag Köln, ISBN 3-920862-58-9
Externe Links:
www.dittrich-verlag.de
Online-Flyer Nr. 30 vom 07.02.2006
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von Erasmus Schöfer
Das Mannesmann-Werk in Düsseldorf soll dichtgemacht werden. Zur Vorbereitung der Betriebsversammlung sitzen einige Polit-Aktivisten zusammen, u.a. Vertreter einer Schreibwerkstatt des "Werkkreis Literatur der Arbeitswelt" und der Ex-Betriebsratsvorsitzende Manfred Anklam. Debattiert wird auch die Rolle seines Nachfolgers Kemperdiek.
Anklam fiel ein, nach dem Roman der Werkstatt zu fragen, ob sie den nun umschreiben müssten? Die unerwartete Wendung, dass der Oberschurke Kemperdiek persönlich ihn remobilisiert hatte, sei doch literaturfähig. Musch wollte seinen Schnurrbart fressen, wenn der das ernst meinte - die Geschäftsleitung selber könnte ihm die Augen geöffnet haben, wo die Plattmacher sitzen, vermutete Kolenda dazwischen. Anklam wiegte skeptisch das schwarze Haupt: Entschuldigt hater sich mit keinem Wort. Ich schätze, er hat gemerkt, dasser ein Betriebsrat für schönes Wetter ist. Im Sturm brauchter Leute die ihn stützen. Ist kein Arbeiterverräter. Wahrscheinlich glaubter, dass wir die Stillegung nicht verhindern können, will aber Druck machen, um wenigstens bessre Sozialpläne rauszuschinden.
Die Version, grummelte Musch, wird ein paar Leuten in unsrer Werkstatt besser schmecken als die vom Kommunistenfresser Kemperdiek. Möcht bloß wissen, wer uns heut nachmittag die Polizei auf den Hals geschickt hat, als wir am Haupttor die Flugblätter verteilt haben.
Einschüchterungsversuche der Geschäftsleitung Kollege, Nadelstiche.
Immerhin haben sie unsre Personalien in ihrn Kompjutern.
Anklam lachte. Wer weiß denn, ob ihr nicht ne verkappte Vorhut der RAFBanditen seid? Im Ernst glaubich eher, das zielt auf die DKP Betriebsgruppe. Die Botschaft an die Kommunisten im Betrieb heißt: wenn ihr da draußen gegen uns stänkert, seid ihr die ersten die fliegen.
Volker Götz hielt für ausgeschlossen, dass die Polizei Personendaten an private Firmen weiterleitet. Zumindest bisher.
Anklam, grinsend: Genügt ja, dass alle denken, sie tuts. Oder? Und wer fährt mich Lahmarsch jetzt ins Bett? Am Montag krieg ich den verdammten Gips ab.
Volker bot ihm seine Fahrradstange zur Not. Da war Kolendas Lada doch die bessere Alternative.
Eine Pressekonferenz des Betriebsrates nach der Betriebsversammlung ist abgesagt worden, teilte der Pförtner den paar Journalisten am Eingang der Verwaltung mit, da machten die sich an die Gruppen von Arbeitern ran, die in der Henkelstraße ihren Zorn, ihre Enttäuschung, ihre Resignation mit starken Worten an die Luft brachten. Sie hatten keine Scheu, den Reportern zu stecken, was Sache war: Garnichts! Sackhüpfen! Blaue Luft! Die vom Vorstand haben nicht eine echte Zusage gemacht, wie viele Arbeitsplätze bleiben! Sozialpläne? Wer will hier Sozialpläne? Aufträge brauchen wir! Wir müssen auf die Straße - die wolln den Skandal unterm Deckel halten - zwingen uns zum Kampf den keiner will - am wenigsten der Betriebsrat - die Gewerkschaft zögert auch wie unsre Oma am Zebrastreifen.
Kolenda erfuhr, dass den Vorständlern einige harte Schimpfworte um die Köpfe geflogen waren, woraufhin die sensiblen Herrn Arbeitsplatzkiller die Versammlung verlassen hatten. Immer wieder waren Streikforderungen laut geworden, aber auch schlappe Reden, vor allem der Angestellten, die wollten die Landesregierung, die Politiker bei ihren Versprechungen packen. Auch die Überführung der notleidenden Stahlindustrie in Gemeineigentum war als Krisenmedizin vorgeschlagen worden. Konkrete Beschlüsse wurden nicht gefasst, nachdem Kemperdiek die Belegschaft an die Bestimmung des Betriebsverfassungsgesetzes erinnert hatte, dass sie keine den Betriebsrat bindenden Entscheidungen treffen darf.
Gerd Muschner trieb sich auch in der Henkelstraße rum, verteilte mit einer jungen Frau die neuste Rote Röhre an die Mannesmänner, fast alle griffen anscheinend bereitwillig, neugierig, trotzig nach der Betriebszeitung der DKP, erhofften sich ein paar Hintergrundneuigkeiten, konzernkritische Fakten, deutliche Worte, wie sie weder von der Werkleitung noch vom Betriebsrat zu erlangen waren.
Musch stellte Armin seiner Genossin Irmgard als geistigen Häuptling ihrer WerkkreisWerkstatt und Redakteur der DZ vor, ziemlich stolz, und beide luden ihn zu einem Nescafé in ihre WG in der Buchenstraße ein, gleich um zwei Ecken, keine fünf Minuten, das konnte Armin nicht abschlagen. War auch neugierig.
Die Küche der WG erinnerte Armin heftig an seine Jahre im Kölner SSK - das in der Spüle gestapelte Geschirr, die offensichtlich aus dem Sperrmüll zusammengestoppelten Möbel, sechs verschiedene Stühle um den wackligen Küchentisch, ein paar Grünpflanzen vor dem verstaubten Fenster, der versiffte Gasherd. Mit dem Tauchsieder erhitzte Musch Wasser, das erstaunlich sauber aus der Leitung floss, spülte drei Becher und Löffel, stellte sie nass auf die Tischplatte, den Pulverkaffee dazu, eine Milchdose und ein aufgerissnes Päckchen Würfelzucker, leerte den Aschenbecher in die Mülltüte: bitte sehr, bedient euch.
Sympatisch, euer kleines Kaos, sagte Kolenda. Wie viele braucht ihr dazu?
Och, lachte die Irmgard, Peter würde das auch allein schaffen, aber wir sind noch vier emanzipierte Weiber, die alle Sünden des Patriarchats an den beiden Jungs abarbeiten. Das verschärft die Situation.

Ich hoffe, ihr beansprucht diesen wertvollen Menschen nicht über Gebühr. Er ist eine Stütze unsrer Werkstatt und des Romans den wir schreiben. Dass du hier allerdings in einer Art Harem lebst, das hast du uns bisher verschwiegen.
Harem! sagten beide gleichzeitig, Musch empört, die Irmgard belustigt, ich bin kein Eunuch! Wir sind alle anständige höhere Töchter, hier käme kein Pascha ins Haus.
He - da bin ich wohl in ein tiefes Fettnäpfchen gesprungen? Wer hilft mir jetzt wieder raus?
Ich nicht! beteuerte Musch, spielte den Beleidigten. Niemals!
Ist doch wirklich erklärungsbedürftig, unsre Personalkonstellation, sagte Irmgard freundlich. Wir haben uns im Spartakus kennengelernt, da warn Ria und Gussie schon ein Pärchen und Peter und Gerda auch. Nur ich bin solo und Musch ist sowieso ne extra Nummer, als arbeitsloser Bankkaufmann. Haut genau hin mit unsern vier Zimmern. Musch ist ehrlich gesagt so was wie unser zivilisatorisches Rückgrat. Ohne ihn wärn wir aufgeschmissen.
Da muss was dran sein, nickte Kolenda, genauso segensreich wirkter bei uns in der Werkstatt.
Danke für die Blumen, brummte Musch. Leider sinds die Falschen. Ewig hängt mir der verdammte Kaufmann an. Ich will raus aus der Ecke. Deshalb binich in der Schreibwerkstatt.
Du schaffst das auch Musch, lachte Irmgard, du bist auf dem besten Weg. Und küsste ihn auf die Backe.
Da konnte der wieder strahlen.
Erasmus Schöfers "Die Kinder des Sisyfos", Bd.1 "Ein Frühling irrer Hoffnung", Bd.2 "Zwielicht" und Bd. 3 "Sonnenflucht", Dittrich Verlag Köln, ISBN 3-920862-58-9
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www.dittrich-verlag.de
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