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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Globales
Wollen Sie arm und arbeitslos sein?! Unterstützen Sie einen Angriff auf den Iran!
Kann das noch schlimmer werden?
Von Muhammad Sahimi

Der Gas- und Ölpreis haben schwindelerregende Höhen erreicht. Viele Europäer können sich die drastisch gestiegenen Lebensmittelpreise nicht mehr leisten. Die Immobilienkrise in den USA machte nicht nur viele US-Bürger über Nacht zu Obdachlosen, sie zerstört nicht nur unser Wirtschaftswachstum, sondern droht die Welt in eine Rezession zu stürzen. Es ist kein Ende der Irak- und Afghanistan-Kriege in Sicht. Kann das noch schlimmer werden? Selbstverständlich! Das einzige, was noch fehlt, ist ein israelischer oder amerikanischer Angriff auf Iran.

Über die Konsequenzen eines Militärangriffs auf den Iran ist schon ausgiebig geredet worden – allerdings zumeist in Bezug auf die Sicherheit Israels und den Ölpreis – doch die Folgen weit ausgreifender und katastrophaler sein, als uns die Mainstream-Medien glauben lassen wollen.

robert gates Foto: Paul Morse
Robert Gates | Foto: Paul Morse     
Kürzlich sagte der US-Verteidigungs- minister Robert Gates: „Wenn wir den Iran angreifen, werden noch unsere Enkelkinder mit den Dschihadisten hier [in den USA] zu kämpfen haben.“ Also, die Konsequenzen eines Iran-Kriegs würden viel schlimmer ausfallen als jene, die uns vom Irak-Krieg bekannt sind.

Der Iran ist nicht der Irak

Viele sind der Meinung, dass sich der Irak und der Iran sehr ähnlich sind. Bevor wir über die Konsequenzen eines Militärschlags auf den Iran reden, lassen Sie uns einige Unterschiede zwischen den beiden Nationen sowie die Folgen des Irak-Kriegs für die amerikanische Wirtschaft betrachten.

Jeder irakische Führer, von General Abdulkarim Ghassem, der 1958 die Monarchie mit einem Putsch beendete und die Republik ausrief, bis hin zu Saddam Hossein, stellte den Pan-Arabismus über den Nationalismus.

Im Iran-Irak-Krieg der 80er Jahre präsentierte sich Saddam Hussein stets als Verteidiger der Araber, nicht des Iraks. Dazu kommen noch die historischen, ethnischen und religiösen Konflikte zwischen den Schiiten, Sunniten und Kurden. Das alles erklärt, warum der irakische Nationalismus sehr schwach ausgeprägt ist. Angesicht 4.100 toter sowie mehrerer tausend verletzten US-Soldaten im Irak wissen wir nun, was dieser schwache Nationalismus zustande bringen kann.

Ein Angriff auf den Iran würde uns den Irak-Krieg wie ein Kinderspiel erscheinen lassen. Warum? Weil der Iran sich vom Irak in vielerlei Hinsicht unterscheidet. Iranischer Nationalismus blickt stolz auf eine 4000 Jahre alte Geschichte mit ehrbaren Beiträgen für die Menschheit zurück. Zu diesem stolzen Nationalismus kommt noch das 1300 Jahre alte Shiitentum, das bei der Verteidigung der Heimat oder der Religion den Martyrertod als Ehre preist.

Iranischer Soldat mit Gasmaske zum Schutz gegen chemische Waffen | Quelle: www.sajed.Ir
Iranischer Soldat mit Gasmaske zum Schutz gegen chemische Waffen
(Kommentar siehe weiter unten) | Quelle: www.sajed.Ir

Schmiermittel der Weltwirtschaft


Nun, erinnern wir uns an die Zeit vor dem Irak-Krieg: Die Experten waren der Meinung, dass mit dem Sturz Saddam Husseins, der Ölpreis auf ein historisches Tief fallen würde, weil der Irak aus der OPEC austreten und die Welt in Öl schwimmen lassen würde.

Mittlerweile hat der Irak seine Förderkapazitäten auf die Fördermenge von vor dem Krieg angehoben, der Ölpreis aber ist von 35 US-Dollar auf derzeit 140 Dollar pro Barrel angestiegen.

Einst hat Paul Wolfowitz die Kosten des Irak-Kriegs auf maximal 50 Milliarden US-Dollar geschätzt, bis jetzt aber haben die Amerikaner schon 600 Milliarden Dollar in diesen Krieg gesteckt – Tendenz steigend, da kein Ende in Sicht ist. Dies hat nicht nur fatale Folgen für die amerikanische Wirtschaft, sondern wirkt sich auch indirekt durch den sinkenden Dollarkurs auf den Ölpreis aus. Der algerische Energieminister Chakib Khelil sagte: „Wann immer der Dollar um einen Prozentpunkt fällt, steigt der Ölpreis um vier US-Dollar.“

Vor diesem Hintergrund sehen die Konsequenzen aus dem Irak-Krieg im Vergleich sehr milde aus. Was könnten die Konsequenzen eines Iran-Kriegs für uns sein?

Allein aufgrund der verbalen Attacken von Ehud Olmert und George W. Bush steigt der Ölpreis stetig. Der Iran bringt täglich circa 2,7 Millionen Barrel Öl auf den Markt. Die OPEC hat bereits klar gestellt, dass sie nicht im Stande ist, einen etwaigen Ausfall iranischer Ölexporte zu kompensieren. Nicht zu vergessen, dass Saudi Arabien als der größte Verbündete der USA bereits jetzt seine maximale Förderkapazität erreicht hat. Schon allein aufgrund des Ausfalls von iranischem Öl würde der Preis des schwarzen Golds in die Nähe von 250 Dollar pro Barrel rücken. Die Folgen für die Wirtschaft- und Beschäftigungssituation kann sich jeder selbst ausmalen. Wir würden uns sehnsüchtig an die günstigen Benzin- und Dieselpreise von heute erinnern.

Mögliche Folgen eines Angriffs

Der Stopp des Ölexports ist allerdings nicht die schlimmste Folge eines Krieges gegen den Iran. Die Sperre der Meerenge von Hormus, durch die täglich 20 Prozent des gesamten weltweit geförderten Öls transportiert werden, wird der erste Schritt der Verteidigungsstrategie des Irans darstellen. Viele Experten meinen, dass in solch einem Fall der Ölpreis nahezu 500 Dollar pro Barrel erreichen würde.

Brennende Ölquellen in Kuwait 1991
Brennende Ölquellen in Kuwait 1991

Aber das ist immer noch nicht das Schlimmste, was folgen kann. Der Iran kann sehr leicht die Ölfelder in Saudi-Arabien, Kuwait, Oman und der sonstigen Persischen-Golf-Staaten angreifen und die Ölförderungen dieser Länder beeinträchtigen, denn diese sind alle in Reichweite iranischer Raketen. Darüber hinaus würden die Schiiten, die im Süden des Iraks nahe der Ölfelder leben, als enge Verbündete des Irans, die irakische Ölförderung sowie amerikanische Öltransporte von Kuwait über den Süd-Irak behindern.

Das ist immer noch nicht alles. Die Hisbollah im Libanon, treuer schiitische Verbündeter Irans.., würde Israel attackieren. 10 Prozent der saudischen Bevölkerung sind ebenfalls Schiiten. Diese leben im Osten des Landes, ganz in der Nähe der Ölfelder. 45 Prozent der kuwaitischen und nahezu 70 Prozent der Bevölkerung Bahrains, die derzeitige Basisstation der US-Armee, sind Schiiten. Man kann anmerken, dass die Angriffe nicht zwangsläufig Schaden anrichten müssten. Allein die Tatsache, dass Panik ausbräche, wäre ausreichend, um den Kollaps der Weltwirtschaft zur Folge zu haben.

Diesbezüglich kann man sich weitere Schreckensszenarien ausmalen. Beide Seiten würden sich nichts schuldig bleiben, und wir alle würden darunter leiden. Vergessen wir aber nicht, dass ein Militärangriff gegen den Iran derzeit vollkommen ungerechtfertigt ist. Trotz aller Propaganda, hat das Land bisher keinen anderen Staat angegriffen. Die Internationale Atom- Energiebehörde (IAEO) hat wiederholt bescheinigt, dass es keine Anzeichen dafür gäbe, dass der Iran ein Atomwaffenprogramm betreibe. IAEO-Direktor Mohammad El-Baradei hat für den Fall eines Angriffs auf den Iran seinen Rücktritt angekündigt.

IAEO El Baradei
El-Baradei (2. v.l.) bei IAEO-Sitzung in Wien

In diesem Zusammenhang wird viel über die iranische Bedrohung für die Existenz Israels spekuliert. Tatsache ist, dass ein iranischer Angriff auf Israel – auch ohne Atomwaffen – jederzeit möglich ist. Der Iran macht kein Geheimnis daraus, dass er über ein Arsenal an chemischen Waffen verfügt. Diese wurden während des Irak-Iran-Kriegs als Reaktion auf den irakischen Einsatz chemischer Waffen – der zu keinem Zeitpunkt vom Westen verurteilt wurde – entwickelt. Könnte der Iran nicht die Hisbollah mit chemischen Waffen ausrüsten und gegen Israel in den Krieg schicken, wenn er eine wirkliche Bedrohung für Israel darstellen wollte?

Im Iran leben seit eh und je Muslime und Juden zusammen in Frieden. Die jüdische Bevölkerung des Iran – die größte im Nahen Osten außerhalb Israels – hat bisher keine Veranlassung gefunden, nach Israel zu emigrieren.

Ja, der Iran hat einen demagogischen Präsidenten, einen Meister heillos belangloser Rhetorik, aber er ist nicht der Oberbefehlshaber der Streitkräfte und hat nicht die Entscheidungsgewalt über die Nationale-Sicherheits- und Außenpolitik des Landes. Angesichts der katastrophalen Folgen seiner Wirtschaftspolitik für das Land, wird er wohl nächstes Jahr – nach den nächsten Präsidentschaftswahlen im Iran – von der Bildfläche verschwinden.

Bush Ahmadinedschad
Zwei Demagogen und ein „Oberster Kriegsherr“
Fotos: Eric Draper und Daniella Zalcman

Ja, die iranische Regierung verletzt die Menscherechte und schränkt die politischen und sozialen Rechte seiner Bürgerinnen und Bürger ein. Das ist aber eine Angelegenheit der Iraner, und immer wenn der Westen hineingepfuscht hatte, waren die Folgen für die Bevölkerung noch fataler.

So, das nächste Mal, wenn Sie über Angriffspläne Israels und der USA auf den Iran hören, denken Sie einen Moment über die Konsequenzen nach – wenn auch über nichts anderes als die für Ihre Brieftasche: Angriffe auf den Iran werden viele von uns auf die Straße setzen – arbeitslos und hungrig. Sollten wir uns nicht lieber um unser eigenes Wohlergehen scheren, anstatt die Kriegstreiberei der Neokonservativen, ihrer Verbündeten und letztendlich deren Interessen zu unterstützen, einen weiteren ungerechtfertigten Krieg im Nahen Osten vom Zaun zu brechen?! (CH)


Der ursprünglich für eine US-amerikanische Leserschaft geschriebene Artikel Prof. Dr. Muhammad Sahimis erschien im Original unter dem Titel Wish To Be Poor and Unemployed? Support Military Attacks on Iran, am 22. Juli 2008 in der „Huffington Post“.
Übersetzung: Zohreh Ali-Pahlavani, (Wien), Christian Heinrici

muhammad sahimi
                                  
Prof. Dr. Muhammad Sahimi lehrt an der University of Southern California in Los Angeles Petrochemie, Ingenieurwesen und Materialkunde. Neben zahlreichen wissenschaftlichen Werken veröffentlichte er auch zur politischen Entwicklung und über das Atomprogramm des Iran. Sahimi ist Mitglied der Union of Concerned Scientists, die sich unter anderem um Öffentlichkeit über Massenvernichtungswaffen und Umweltverschmutzung bemüht.






Online-Flyer Nr. 159  vom 13.08.2008

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