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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Aktuelles
Berliner Interessen am prowestlichen Staatengürtel im Südkaukasus
Georgisches Militär in Deutschland trainiert
Von Hans Georg

Mit umfassenden diplomatischen Initiativen und der Entsendung eines Sonderbeauftragten interveniert die Bundesregierung im bewaffneten Konflikt zwischen Georgien und Russland. Man sehe sich dort "in besonderer Verantwortung", umschreibt das Auswärtige Amt den deutschen Anspruch, im Südkaukasus als Mittler aufzutreten. Die drei südkaukasischen Staaten, darunter Georgien, gehören zu den besonderen Interessengebieten der Berliner Außenpolitik: Sie bilden einen prowestlichen Staatengürtel südlich von Russland und eröffnen dem Westen den direkten Zugang zu den Energieressourcen des Kaspischen Beckens.

"In besonderer Verantwortung"
 
Die aktuellen Kriegshandlungen bedrohen nicht nur die deutsche Stellung in dem Gebiet; sie lassen außerdem die Spannungen zwischen Russland und den Vereinigten Staaten eskalieren und gefährden damit das Bemühen Berlins, durch gleichzeitige Zusammenarbeit mit Washington und Moskau die eigene Position zu stärken - nach Art traditioneller Schaukelpolitik. Für eventuelle Verhandlungen um die Zukunft der Sezessionsgebiete Südossetien und Abchasien hat Berlin eine starke Stellung inne: Die Bundesregierung ist in Versuche zur Eindämmung der Abspaltungskonflikte schon seit den 1990er Jahren involviert.

Den Interventionen des deutschen Außenministers in den bewaffneten Konflikt zwischen Georgien und Russland hat sich am Wochenende auch Bundeskanzlerin Merkel angeschlossen. Nach einer "bedingungslosen Waffenruhe" seien sämtliche militärischen Kräfte "auf ihre Stellungen vor Ausbruch der Kampfhandlungen" zurückzuziehen, forderte die Kanzlerin, die die Aktivitäten der französischen EU-Ratspräsidentschaft im Südkaukasus mit den Berliner Konzepten abstimmte.[1] Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist mit allen involvierten Regierungen, Bündnissen und Organisationen in Kontakt und hat den Kaukasus-Beauftragten des Auswärtigen Amtes nach Tbilisi entsandt. Deutschland sehe sich "in besonderer Verantwortung", umschreibt das Außenministerium den Anspruch, an der Südgrenze Russlands als exklusiver Mittler aufzutreten.
 
Prowestlicher Staatengürtel
 
Berlin hat starke Interessen im Südkaukasus, die durch die Kriegshandlungen zwischen Georgien und Russland ernsthaft bedroht werden. Sie kreisen um die Eigenstaatlichkeit Georgiens, die Deutschland nach der Sezession Tbilisis aus der Sowjetunion als erster Staat weltweit anerkannte. Seitdem bildet das Land gemeinsam mit Armenien und Aserbaidschan einen Staatengürtel südlich von Russland, der dem unmittelbaren Zugriff Moskaus entzogen und für westlichen Einfluss offen ist, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Mit dem Amtsantritt des gegenwärtigen georgischen Staatspräsidenten Michail Saakaschwili nach dem von Berlin unterstützten Umsturz Ende 2003 orientierte vor allem Tbilisi bedingungslos auf die EU und die USA. Dies hat nicht nur geostrategische, sondern auch hohe ökonomische Bedeutung, weil die südkaukasischen Staaten einen schmalen Landkorridor zwischen Russland und Iran bilden; über ihn können die äußerst umfangreichen Energieressourcen des Kaspischen Beckens nach Westen abgeführt werden, ohne dass Moskau oder Teheran die Kontrolle darüber bekämen. Die aktuelle Forderung Berlins, Russland solle seine Truppen von georgischem Territorium zurückziehen, hat ihren Ursprung auch in der Sorge um den Fortbestand des prowestlichen Staatengürtels im Südkaukasus.[2]
 
US-Dominanz
 
Dennoch stößt die georgische Militäroffensive der vergangenen Woche, die den Einfluss Russlands auf die Teilrepublik Südossetien entscheidend schwächen sollte, in Berlin auf deutliche Kritik. Hintergrund sind innerwestliche Streitigkeiten um die Kaukasuspolitik. Washington plädiert für ein offensives Vorgehen in Osteuropa und Zentralasien und verlangt die Aufnahme Georgiens in die NATO; damit soll die Einbindung Tbilisis in die westlichen Bündnissysteme unumkehrbar werden. Die Bundesregierung verweigert sich diesem Ansinnen bislang. Zuletzt hat die Bundeskanzlerin beim NATO-Gipfel Anfang April gegen US-amerikanisches Drängen eine weitere Annäherung Georgiens an das Kriegsbündnis verhindert.[3] Ursache ist nicht nur die Befürchtung, die deutsch-russische Zusammenarbeit könne ernsten Schaden nehmen, wenn die NATO sich noch weiter nach Osten ausdehnt. Die USA zielten darauf, "weitere pro-amerikanisch orientierte Länder in das Bündnis zu bringen", um dort die eigene Dominanz auszudehnen, warnte die Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU) schon Ende 2006.[4]
 
Spannungen
 
Die jetzt von Russland zurückgeschlagene georgische Militärintervention entspricht dem offensiven Kurs Washingtons, das mehr als 100 Militärberater in Georgien stationiert hat. Sie wird daher von Berlin, das den eigenen Einfluss wahren will, nicht unterstützt. Auch droht der kriegerische Konflikt die Spannungen zwischen Moskau und Washington eskalieren zu lassen; Deutschland geriete dabei in Schwierigkeiten, seine westlichen Beistandspflichten mit der deutsch-russischen Zusammenarbeit in Einklang zu bringen.[5] Die Basis für den Berliner Versuch, in paralleler Kooperation mit Russland und den USA die eigene Stellung auszubauen, würde geschwächt. Daher besteht die Bundesregierung neben dem Rückzug der russischen Truppen auch auf dem Abzug des georgischen Militärs aus Südossetien und damit auf der Herstellung des bisherigen Status Quo.
 
Konflikte eindämmen
 
Gelingt es, dies durchzusetzen, kann sich Berlin Hoffnungen auf größeren Einfluss bei den Verhandlungen um die Zukunft der Sezessionsgebiete Südossetien und Abchasien machen. Die deutschen Aktivitäten in den umstrittenen Regionen reichen bis in die erste Hälfte der 1990er Jahre zurück. Seit 1994 sind Soldaten der Bundeswehr im Rahmen der UN-Beobachtermission UNOMIG (United Nations Observer Mission in Georgia) in Georgien im Einsatz; UNOMIG soll den Waffenstillstand mit den Separatisten überwachen und beitragen, den Konflikt mit der Regierung in Tbilisi zu entschärfen. UNOMIG wurde mehrere Jahre lang von einem Berliner Diplomaten geleitet, der auch Vorschläge zur Eindämmung der Sezessionskonflikte unterbreitete. Auch eine OSZE-Mission in Südossetien stand zeitweise unter deutscher Führung.[6] Ihre Aufwertung ist jetzt erneut im Gespräch. Erst Mitte Juli hat Außenminister Steinmeier die mehr als zehnjährigen deutschen Bemühungen um eine Beilegung der Sezessionskonflikte mit einem Besuch in Abchasien fortgesetzt.
 
Konflikte schüren
 
Dabei hat die Berliner Außenpolitik in den vergangenen Jahren die Sezessionskonflikte zugleich stets geschürt. Als sich im Februar mit maßgeblicher Unterstützung Deutschlands und der Vereinigten Staaten das Kosovo zum eigenen Staat erklärte, nahmen die Abspaltungsbemühungen in Abchasien und Südossetien einen neuen Aufschwung. "Der Präzedenzfall Kosovo hat uns veranlasst, aktiver unsere Rechte einzufordern", teilte Anfang März ein Sprecher der südossetischen Sezessionisten mit.[7] Parallel zur politischen Beförderung des Abspaltungsanliegens hat die Bundesregierung den unmittelbaren Gegner der Separatisten gestärkt - das georgische Militär. So wurden nicht nur im Irak eingesetzte georgische Einheiten, die derzeit in das Kampfgebiet zurückverlegt werden, auf deutschem Territorium trainiert (durch die US Army). Auch die Bundeswehr hat zahlreiche Soldaten der georgischen Armee ausgebildet. Anlass war deren Beteiligung an der Besatzungstätigkeit im Kosovo - einem Gebiet, dessen mit Hilfe Georgiens abgesicherte Sezession jetzt die Abspaltungsbemühungen in Südossetien forciert.[8]
 
[1] Merkel fordert sofortige und bedingungslose Waffenruhe in Georgien; Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 10.08.2008
[2] s. auch Transportkorridor und Transitgebiet
[3] s. auch Veränderte Machtverhältnisse
[4] NATO-Erweiterung nach dem Gipfel von Riga; Analysen und Argumente aus der Konrad-Adenauer-Stiftung Nr. 32/2006, November 2006. S. auch Die NATO in Riga: Dissens
[5] s. auch Die gleiche Nähe, Natürliche Modernisierungspartner und Finanzbrücke sowie unser EXTRA-Dossier Drehkreuz Leipzig
[6] s. dazu Unsicheres Terrain
[7] Süd-Ossetien fordert Anerkennung seiner Unabhängigkeit; Spiegel online 05.03.2008
[8] s. dazu Reformland des Jahres (PK)
 
Dieser Beitrag erschien auf www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57302

Online-Flyer Nr. 159  vom 11.08.2008

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