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Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

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Arbeit und Soziales
Die Reform der Hartz-IV-Reform
Verfolgungsbetreuung plus - Teil 2/6
Von Prof. Dr. Michael Wolf

Das Manager-Magazin berichtete am 1. Oktober 2004, dass die Mehrheit der deutschen Manager von Hartz IV keine Beschäftigungseffekte erwartet haben, trotzdem waren 91 Prozent dafür. Warum? Für ihre neoliberale Sicht ist Erwerbslosigkeit selbstverschuldet und müsse bestraft werden. Inzwischen bedeutet Hartz IV ein ganzes System von Entrechtung und Enteignung, das für die derzeitige schwarz-rote Politik immer noch nicht ausgereizt scheint: Am 1. August trat das Hartz IV Fortentwicklungsgesetz in Kraft. Prof. Dr. Michael Wolf stellt uns die ganze Entwürdigung dar. Die Redaktion

II - Vermeintliche Selbstregulierung der Wirtschaft

In der Bundesrepublik Deutschland vollzieht sich der workfare-politische Formwandel des Staates auf der Grundlage des "aktivierender Staat" genannten Konzepts 4), das mit dem Kabinettsbeschluß "Moderner Staat - Moderne Verwaltung" (vgl. Bundesregierung 1999) vom 1. Dezember 1999 der neoliberal gewendeten rot-grünen Bundesregierung unter der Ägide des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder erstmals als Politikprogramm formuliert und verabschiedet wurde. Sachlich-inhaltlich weist das politische Leitbild "aktivierender Staat" eine gewisse Nähe auf sowohl zu dem in den USA von den Demokraten unter Bill Clinton mit dem Versprechen "to end welfare as we know it" (Clinton, B.; zit. nach: Lessenich 2003: 215) in den 1990er Jahren initiierten und exekutierten wohlfahrtsstaatlichen Reformprogramm wie auch zu dem britischen Reformprogramm des "Dritten Weges" Reform der Hartz-IV-Reform: Verfolgungsbetreuung plus 5) (Giddens 1999) von New Labour unter Tony Blair mit dem Motto "Keine Rechte ohne Verpflichtungen " (ebenda: 81). Seitens der Bundesregierung reklamierte man damit für sich, eine Alternative zu der von Konservativen und Neoliberalen vorgetragenen Wohlfahrtsstaatskritik etwa einer Margaret Thatcher formuliert zu haben.


Collage: gesichter zei(ch/g)en

Das Programm sei, so jedenfalls die offiziellen Verlautbarungen, insofern eine Alternative, als es eben nicht wie die konservativ-neoliberalen Reformansätze, die sich allesamt der Idee des 'schlanken Staates' 6) verpflichtet sähen, eine Rücknahme politischer Gestaltungsansprüche intendiere, sondern vielmehr eine Konkretisierung und Neubestimmung staatlichen Handelns, mit der der staatliche Verwaltungsapparat, die wohlfahrtsstaatlichen Sicherungs- und Unterstützungssysteme und das Verhältnis zwischen Staat und Bürger neugestaltet werden solle. So heißt es seitens der damaligen rot-grünen Bundesregierung: "Der aktivierende Staat bedeutet eine neue Verantwortungsteilung zwischen Bürger und Staat. Eigeninitiative und Freiraum werden stärker gefördert. Natürlich bleibt der Staat weiter verpflichtet, für individuelle Freiheit und Sicherheit der Bürger zu sorgen. [...] Hier [das heißt in Dienstleistungsbereichen; M. W.] kann sich der Staat darauf beschränken, einen Rahmen festzulegen. Bei Konflikten tritt er als Moderator auf, mit dem Ziel, mehr Freiraum für gesellschaftliches Engagement zu schaffen. So aktiviert der Staat gesellschaftliche Verantwortung." (Bundesregierung; zit. nach: Lindenberg 2002: 1) Worum es den Wortführern des "aktivierenden Staates" mithin nominell geht, ist, die Selbstregulierungskräfte der Gesellschaft zu stärken, die sozialmoralische Orientierung auf das Gemeinwohl 7) zu fördern, des Einzelnen Eigenverantwortung zu steigern und ein neugestaltetes Prinzip der Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft zum Leitbild des Staates zu erheben, bei dem dieser als Moderator und Impulsgeber der gesellschaftlichen Entwicklung fungiert.

Verelendung als sozialpolitisches Regulativ

Begründet wird das Bestreben, Staat und Gesellschaft zu modernisieren, vor allem mit dem Argument, es sei zur Förderung der nationalen Konkurrenzfähigkeit erforderlich, hemmende Rahmenbedingungen der Produktion einheimischer Unternehmen abzubauen. Hierbei gehen die Verfechter der Idee des "aktivierenden Staats" davon aus, dass der Markt als Koordinationsmechanismus anderen sozialen Koordinationsmechanismen grundsätzlich überlegen sei. 8) Der von ihnen diagnostizierten ineffektiven und ineffizienten Politik des Sozialstaats müsse deswegen mittels Markt- und Wettbewerbsinstrumenten entgegengetreten werden. Nur auf diesem Wege sei die verlorengegangene Handlungsfähigkeit des Staates, insbesondere zur Herstellung von Vollbeschäftigung, wieder rückzugewinnen. Ein Ziel, das allerdings ohne gemeinsame Anstrengung nicht zu erreichen sei, weswegen denn auch allen im Interesse des Gemeinwohls Anpassungsleistungen abzuverlangen sind. Erreicht werden solle dies insbesondere durch das Beachten des Handlungsgrundsatzes des "Fördern und Fordern", das als Hauptkennzeichen des "aktivierenden Sozialstaats" gelten darf.

Der Grundgedanke der Maxime des "Fördern und Fordern" ist vielleicht am ehesten im Sinne einer staatlich herzustellenden Ausbalancierung von individuellen Rechten und Pflichten zu verstehen, bei der die Komponente des 'Fördern' darauf zielt, Hemmnisse für die Entwicklung individueller Verantwortung und gesellschaftlichen Engagements abzubauen, während hingegen mit der Komponente des 'Fordern' das Ansinnen des Staates deutlich gemacht wird, von jedem als Gegenwert zur staatlichen Förderung einen Beitrag zur Gestaltung seines eigenen und des gesellschaftlichen Lebens einzufordern. Mit anderen Worten: Der Staat ist zur Förderung seiner Bürger nur bereit, wenn auch diese ihrerseits bereit sind, für ihre Förderung eine entsprechende Vor- oder zumindest Gegenleistung zu erbringen. Dahinter verbirgt sich die Vorstellung, auf seiten des hilfebedürftigen Bürgers bestünde eine Pflicht, die staatlich gewährte Existenzsicherung als Gegenleistung 'abzuarbeiten'. Wenn man dieser Leistung-Gegenleistung-Konzeption anhängt, dann ist es nur konsequent, wie es Politik und Verwaltung in der Bundesrepublik Deutschland tun, die erwerbsfähigen hilfebedürftigen Arbeitslosen mit der "Hungerpeitsche" (Weber 1991: 240) zur Arbeit zu zwingen, sei diese nun regulär oder prekär, bezahlt oder unbezahlt, indem Verelendung als ein arbeits- und sozialpolitisches Regulativ inthronisiert wird. 9)

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4) Zum Konzept des "aktivierenden Staates" vgl. allgemein Lamping et al. (2002), zu dessen Bedeutung als Ansatz zur Umgestaltung des Sozialstaats im besonderen die Beiträge in Dahme et al. (2003) sowie Mezger/West (2000).
5) Als geistiger Wegbereiter des "[j]enseits von Links und Rechts" (Giddens 1997) verstandenen britischen Reformprogramms des "Dritten Weges" - in der Bundesrepublik Deutschland auch etwas mehrdeutig als "Politik der Neuen Mitte" (Hombach 1998) adaptiert - kann Giddens (1999; 2001) gelten, der vorschlägt, "auf der Grundlage des Prinzips 'keine Rechte ohne Verpflichtungen' einen neuen Gesellschaftsvertrag zu schließen" und eine "umfassend angebotsorientierte Wirtschaftspolitik zu entwickeln, die marktwirtschaftliche Wachstumsfaktoren mit einer strukturellen Reform des Wohlfahrtstaats erlaubt ", der "sich zu einem 'Sozialinvestor' entwickeln muss" (Giddens 2001: 62).
6) Zu dem aus den Diskussionen um lean management und lean production in der Privatwirtschaft entlehnten und auf eine Begrenzung der Staatsaufgaben und ausgaben zielenden, den Bereich der Inneren Sicherheit aber selbstredend aussparenden Begriff des schlanken Staates vgl. Lamping et al. (2002: 13 ff.).
7) Wessen Wohl auch immer das Gemeinwohl sein mag, so wäre ideologiekritisch zu fragen, zumal der Topos des Gemeinwohls eher der rechten denn der linken politischen Kritik geläufig ist; vgl. hierzu neuerdings Offe (2002).
8) Bei aller berechtigten Kritik an der Wirksamkeit von Staatstätigkeit wird hierbei allerdings nicht gesehen, dass in gleicher Weise auch von einem Marktversagen gesprochen werden muss, weil reale Märkte nicht so funktionieren, wie es die Axiomatik des neoklassischen "Modell-Platonismus " (Albert) fordert. Als eine empirisch-praktische Kritik am Staats- wie Marktversagen ließe sich etwa das erneute Erstarken der sozial(politisch)en Selbsthilfebewegung Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre interpretieren.
9) Wider die Versuche, Weber für die neoliberalen Apologeten des Marktes vereinnahmen zu wollen, gilt festzuhalten, dass nicht nur mit Marx (vgl. 1977: 183, 742), sondern auch mit Weber die "freie Arbeit" eine der zentralen Voraussetzungen für die Existenz und das Funktionieren des Kapitalismus ist, das heißt, "dass Personen vorhanden sind, die nicht nur rechtlich in der Lage, sondern auch wirtschaftlich genötigt sind, ihre Arbeitskraft frei auf dem Arbeitsmarkt zu verkaufen." Mit der anderen Worten: dass Personen vorhanden sind, die ihre Arbeitskraft zwar "formal freiwillig, tatsächlich [aber; M. W.] durch die Hungerpeitsche getrieben" (Weber 1991: 240) auf dem Arbeitsmarkt anbieten.

Online-Flyer Nr. 158  vom 06.08.2008

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