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Aktueller Online-Flyer vom 11. November 2024  

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Medien
Wie Jugendamt Nürnberg und FH Köln bei Computersucht „helfen“
Fahrlässige Empfehlungen für Eltern
Von Dr. Sabine Schiffer

Wie fahrlässig das Jugendamt Nürnberg mit der Gesundheit und dem Schulerfolg der Kinder umgeht, merkt man bald, wenn man dessen aktuelle „Informationsbroschüre“ Jugendliche und Computersucht liest und dann die dort empfohlenen Internet-Seiten genauer unter die Lupe nimmt. Unser Institut hat das getan – unter dem Gesichtspunkt, besorgte Eltern würden auf die empfohlenen Seiten zurückgreifen. Ihnen würde nicht geholfen. Das Gegenteil ist der Fall.
Computersucht
Quelle: www.philognosie.net

Eines der empfohlenen Internet-Portale ist www.elterntalk.net. Hier werden u. a. Schulungen für Eltern angeboten, angeblich um Medienkompetenz zu erlernen. Die Heranführung der Eltern an Computerspiele scheint jedoch im Mittelpunkt zu stehen. „Sechs Regionen schulen überregional ihre Moderatorinnen zum Thema Computer und Konsolenspiele und legen selbst Hand an auf Tasten und Joystick!“ Werden dadurch Probleme gelöst, wenn die Eltern nun selbst zu Spielern werden? Kritisch muss in diesem Zusammenhang gesehen werden, wer diese Schulungen anbietet. Es ist das SIN-Studio im Netz. Dessen Leiter Hans-Jürgen Palme propagiert in seinen Büchern u. a. die Einführung von Computern im Kindergarten und bietet dementsprechend auf dem Internetauftritt von SIN Computerclubs für 6 – 12-Jährige an.
 
Wichtige Hinweise fehlen
 
In eine ähnliche Richtung geht auch die Seite www.elternimnetz.de wenn zum Beispiel die Frage auftaucht: „Wo finde ich Hilfe bei der Auswahl geeigneter Computerspiele für mein Kind?“ Hier wird suggeriert, dass es ein Naturgesetz sei, dass Kinder nun mal Computerspiele spielen und es die Aufgabe der Eltern sei, geeignete zu finden. Der Hinweis, dass Kinder womöglich gar nicht den Computer als Spielgerät kennen lernen oder auch möglichst spät mit der Computernutzung beginnen sollten und dass es in den Phasen der Hirnentwicklung sinnvoller ist, den Kindern andere Aktivitäten zu ermöglichen, fehlt in diesem Zusammenhang völlig.
 
Mit Softwareangeboten auf CD zum Erlernen von „Medienkompetenz“ wirbt auch der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest www.mpfs.de. Ähnlich wie der Broschürentext selber wird hier von gewissen Selbstverständlichkeiten ausgegangen, die eigentlich zu hinterfragen sind – etwa ganz banal die Frage, womit man seine (Lern-)Zeit verbringt und was davon hängen bleibt.

Computersucht
Quelle: www.jff.de

Das JFF-Institut für Medienpädagogik www.jff.de war auf der GamesConvention 2007 im Bereich GC Family vertreten. In diesem Segment der Computerspielemesse präsentieren sich nun gerade Anbieter aus der Computerspiele-Industrie mit ihren Produkten, um – laut eigener Aussage – in direkten Kontakt mit der Kernzielgruppe zu kommen: den Kindern. Wer meint, man platziere sich genau hier, um die gleiche Zielgruppe mit anderen Botschaften zu erreichen, irrt. Die Tendenz zur Akzeptanz und Verharmlosung der besagten Produkte ist auffällig. Ähnlich verhält es sich auf der Seite www.starke-eltern.de: Hier wird dann auch „stark“ darauf hingewiesen, dass es ja auch pädagogisch wertvolle Computerspiele gibt, welche „…die Geschicklichkeit und Reaktionsvermögen fördern, Fantasie und Kreativität anregen und auch analytisches, komplexes Denken stimulieren.“ Diese fast wundersamen Effekte sind allerdings bisher nirgends systematisch nachgewiesen worden – einmal abgesehen davon, dass sich Kinder und Jugendliche nicht lange bei derlei „Lernspielen“ aufhalten.
 
Initiative des Bundesfamilienministeriums
 
Ein anderes sehr schönes Beispiel wie selbstverständlich es teilweise betrachtet wird, dass Kinder und Jugendliche Bildschirmmedien konsumieren und das diese Entwicklung unaufhaltsam sei, liegt mit der Seite www.schau-hin.info vor. Da werden als Hilfestellung für Eltern Fragen beantwortet, die niemand gestellt hat und die erhellender sind, als die Antworten, die gegeben werden. Nur einige Beispiele: „Wie lange sollten Kinder fernsehen?“ Diese Frage klingt eher wie eine Aufforderung. Eine vergleichbare Frage lautet: „Sollten Kinder auch abends fernsehen?“ Die Fragesteller scheinen davon ausgehen, dass die Kinder ohnehin schon tagsüber fernsehen. Eine weitere Frage ist: „Wie bekundet man echtes Interesse an den Computerspielen der Kinder?“ Mal ganz abgesehen davon, ob Eltern nun den Computerspielen großes Interesse entgegen bringen sollten oder nicht, lädt diese Frage eher zu der Vermutung ein, Eltern sollten Interesse zumindest heucheln. Dass diese Seite eine Initiative des Bundesfamilienministeriums ist, macht sie nicht besser. Besser ins Bild passt dagegen die Unterstützung durch Arcor und TV-Spielfilm.
 
Spielrauminstitut der FH Köln unseriös
 
Computersucht Mögen alle bisher behandelten Internetseiten ihre mehr oder weniger gravierenden Mängel besitzen, so ist völlig unverständlich, wieso die Seite des Spielrauminstituts der FH Köln www.fh-koeln.de/spielraum in die Broschüre aufgenommen wurde. Dass dieses Institut kein seriöses wissenschaftliches Institut ist, da es durch Electronic Arts, Nintendo & Co. finanziert wird und sich dadurch die sehr positive Bewertung von Computerspielen seitens des Instituts erklärt, haben wir erst vor kurzem in einem ausführlichen Artikel deutlich gemacht. (2)  Gerade die Verantwortlichen für das Spielraum-Institut, Jürgen Fritz und Winfred Kaminski, stehen wegen unwissenschaftlicher Arbeitsweise erheblich in der Kritik. Mit diesem Institut zusammen arbeitet auch das bereits eingangs erwähnte SIN-Studio im Netz von Hans-Jürgen Palme zusammen. Kaminski wurde zudem des Plagiats überführt und die Bundeszentrale für politische Bildung musste „sein“ Buch aus dem Programm nehmen.
 
Computersucht
Quelle: www.fh-koeln.de/spielraum

Manche dieser Seiten – mit Ausnahme des Spielraum-Instituts! – können durchaus auch hilfreich sein. Sie bieten einige Informationen und wenige Hilfestellungen für Eltern. Nur leider wird zu oft davon ausgegangen, dass das häufige Nutzen von Bildschirmmedien ganz grundsätzlich nicht nur in Ordnung, sondern das Normalste von der Welt sei – ja, man müsse sogar die Kinder so früh wie möglich an sie heranführen. So würde Medienkompetenz spielerisch erlernt und die Kinder würden davon profitieren, indem ihnen zu pädagogisch wertvollen Sendungen, Spielen oder Internetseiten der Weg gewiesen würde. Gleichzeitig würden die Kinder den Umgang mit Computer und Internet erlernen: Schlüsselqualifikationen für den Arbeitsmarkt der Zukunft. Mehrere Fliegen mit einer Klappe also, effektiv. Für diese Behauptungen fehlt jedoch jeglicher empirische Beweis. Bisher wurde nur das Gegenteil bewiesen, nämlich, dass das frühe Heranführen an derlei Medienangebote nicht die Medienkompetenz sondern den Medienkonsum befördert – und das ist im Sinne des Erfinders.
 
Erfolgreiche Werbestrategie der Industrie
 
Warum aber ist die Werbestrategie der Computer-Industrie so erfolgreich, wo sie doch noch jeden zuverlässigen Nachweis für die behaupteten Erfolge schuldig geblieben ist? Warum fallen immer wieder gutmeinende Eltern und Pädagogen auf die leeren Versprechungen herein? Gute Werbung knüpft an allgemein wirksame Mechanismen kollektiven Denkens an: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr! Zum Beispiel – dies ist nicht nur ein geflügelter Satz, sondern versinnbildlicht tief verwurzelte Weisheiten, die als „Wahrheit“ kaum hinterfragt werden. Zwar legt die aktuelle neurobiologische Forschung andere Schlüsse nahe, aber das wären nicht die einzigen wissenschaftlichen Ergebnisse, die nicht die breite Öffentlichkeit erreichen. Würde man jedoch die beruhigende Botschaft verbreiten, dass diese Dinge später und dann viel schneller erlernt werden, dann wäre nicht nur der Medienindustrie viel Verve entzogen, auf den Absatz ihrer kurzlebigen Produkte jetzt, sofort und am besten gestern zu drängen. Man stelle sich vor, die Angst verschwände, den Bildungszug zu verpassen. Tragisch ist, dass genau die Ängstlichen mit dem Aufspringen auf den vermeintlichen Bildungszug die Bildung ihrer Kinder gefährden. Diese Informationen werden sowohl in der Broschüre als auch auf den empfohlenen Internetseiten verschwiegen, aber gerade davon sollten Eltern erfahren. (PK)
 
(1) Die Informationsbroschüre finden Sie unter
www.jugendamt.nuernberg.de
(2) Weiterführende Informationen unter „Bildung - Computer & Co. Halten ihre Versprechen nicht“ (http://z-zukunft.eu/?2008-06,gesellschaft,011).
 
Dr. Sabine Schiffer ist Gründerin und Leiterin des Instituts für Medienverantwortung, Goethestraße 6, 91054 Erlangen. Fon +49 9131 933 277-8, Fax +49 9131 933 277-9
www.medienverantwortung.de, info@medienverantwortung.de

Online-Flyer Nr. 158  vom 06.08.2008

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