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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Globales
Die Kriegsgefahr steigt vor den Wahlen in den USA
Damoklesschwert Iran-Krieg
Von Ali Fathollah-Nejad

Seit einigen Wochen steht es fest: Der afro-amerikanische Senator Barack Obama wird als demokratischer Kandidat dem seit länger schon feststehenden republikanischen Senator John McCain bei den US-Präsidentschaftswahlen Anfang November gegenüberstehen. Während ein Großteil der Welt bei der nun ausklingenden Bush-Präsidentschaft aufatmet, bleibt die Antwort auf die folgenschwerste Frage noch offen: Wird nach Afghanistan und dem Irak nun auch der Iran angegriffen?

Von Eskalation zu Eskalation

Und in der Tat: Die Eskalationsspirale, die die westliche Iranpolitik kennzeichnete, wird allem Anschein nach bis zum bitteren Ende weitergeführt. Wieder einmal stellt die maximalistische Forderung nach der kompletten Einstellung des iranischen Anreicherungsprogramms – welches, ob wir es wollen oder nicht, durch internationales Recht vollkommen gedeckt ist – die conditio sine qua non der diplomatischen Bemühungen der sogenannten Iran-Sechs (die fünf Vetomächte plus Deutschland) dar. Und dies obwohl in allen Hauptstädten berechtige Zweifel an der Erfolgsaussicht dieser Vorbedingung herrschen dürften.

Nichtsdestotrotz stellt diese die Crux des wiederaufgewärmten Angebotspakets der sechs Großmächte vom 14. Juni 2008 dar, welches entgegen offizieller Verlautbarungen weder neu noch verbessert ist. Die Arroganz dieser Länder spiegelt sich auch darin wieder, dass ein am 13. Mai 2008 eingereichtes umfassendes Gesprächsangebot Irans bisher keine angemessene Antwort erhielt und somit wie auch bei früheren Teheraner Avancen ignoriert zu werden droht. Denn insbesondere die westlichen Mächte bestehen auf der „Lösung des Iran-Problems“ nach ihrer Manier.


von der Osten-Sacken
Von der Osten-Sacken auf Berliner   
„Mideast Freedom Forum"
Foto:
© L. Richter
Die vergangenen Wochen waren ebenfalls gekennzeichnet von einem massiven Kriegsgetrommel. Anfang Mai sprach sich die erste nach neokonservativem Vorbild abgehaltene Konferenz des Mideast Freedom Forum Berlin grosso modo für einen Militärschlag – sogar nuklearer und präventiver Natur – aus, um einen angeblich am Horizont aufwartenden und vom Iran ausgehenden „zweiten Holocaust“ abzuwenden. Dabei plädierte der „Anti-Deutsche“ Thomas von der Osten-Sacken in totaler Perversion deutscher Geschichte und deren Opfer von der Aussetzung der Menschenrechte in Ausnahmezuständen wie dieser und erhob dies zur Lehre aus Auschwitz. (Noam Chomskys Kommentar zu meinem Konferenzbericht ist indes nichts hinzuzufügen: „They sound like a collection of raving lunatics (völlige Irre) – not without power and influence, unfortunately.“)

Ähnliche Konstruktionen eines Ausnahmezustandes und Appeasements gegenüber der iranischen „Inkarnation des Bösen“ wurden vom US-Präsidenten zum 60. Gründungsjahr Israels vor dem Knesset gemacht. Während progressive Juden in den USA Bush vorwarfen, die Erinnerung an den Holocaust für seine „desaströse Politik“ zu instrumentalisieren, sprechen seitdem führende israelische Regierungsvertreter von der Unausweichlichkeit der Implementierung der Begin-Doktrin, der israelischen Version eines Präventivschlages. Und so fürchtet man weltweit einen baldigen israelischen Angriff, der jedoch nur mit Unterstützung Washingtons vorstellbar ist. Auch wenn man die Drohungen Israels, mit dem Hinweis, dass Tel Aviv nie vor eigenen Militärschlägen öffentlich warnt, als bloße Rhetorik abzutun vermag, so ist die Gefahr einer der aufgekochten Stimmung entsprechenden Self-Fulfilling Prophecy doch keineswegs zu unterschätzen.

Angriff vor oder nach den Wahlen?

In Washingtoner Think-Tank-Kreisen, von rechtsaußen bis progressiv, wird die Möglichkeit eines Waffengangs sehr ernst genommen, so das Fazit meiner Gespräche kürzlich vor Ort. Zwar sei seit geraumer Zeit klar, dass sowohl Militär- als auch Sicherheitskreise absolute Gegner eines neuen Krieges sind, jedoch hänge die Unberechenbarkeit der Bush/Cheney-Regierung wie ein Damoklesschwert über die letzten Monate der „Administration“.

John McCain George W. Bush Cake
„Surprise, surprise!" – ist von McCain und
Bush noch eine Überraschung zu erwarten?  
Zwei Szenarien für den Zeitpunkt eines Angriffs kursieren: Einerseits könnte ein Angriff in der Zeit bis zu den Novemberwahlen den gegenüber Obama etwas zurückliegenden John McCain als stählerneren Patrioten und „Kriegspräsidenten“ zum Wahlsieg verhelfen. Die miserablen Umfragewerte für Bush und seine republikanische Regierungspartei aufgrund der zwei Faktoren Wirtschaftskrise und Irak-Besatzung könnten einen Angriff gegen den Iran als einzigen Ausweg – einer Art Flucht nach vorn – „notwendig“ machen. So wird die Möglichkeit eines „October Surprise“ in Washington nicht von der Hand gewiesen.

Andererseits, falls Obama die Wahlen für sich entscheidet – wofür Einiges spricht –, dann mutmaßen Beobachter von Israel bis in die USA, werde Bush einen Angriff auf den Iran anordnen, zumal man dies nicht seinem demokratischen Nachfolger überlassen könne.

Was für Schlüsse die politische Kaffeesatzleserei auch zulässt, eines ist sicher: Die Gefahr eines Krieges gegen den Iran ist real und keineswegs Ausdruck von Alarmismus. Und mit ihr ein heutige Tragödien in den Schatten stellender Flächenbrand mit erheblichen Auswirkungen auf Israel/Palästina, den Irak und Afghanistan, aber auch, und insbesondere, die gesamte Weltwirtschaft. Während allein die Iran-Krise nicht unerheblichen Anteil an der Rekordmarke von 140 US-Dollar für ein Fass Rohöl hat, würde ein Krieg gegen den zweitgrößten Erdöl- und -gasproduzenten der Welt galoppierende historische Höchstwerte nach sich ziehen – und somit sicherlich nicht nur den ölexportierenden Staaten zugute kommen, sondern allen voran die Profite multinationaler Energiekonzerne des Westens weiterhin rekordverdächtig anschwellen lassen.

Tückische Missdeutungen

Leider gibt es auch innerhalb engagierter Kreise in der Iran-Frage Meinungen, die zur Passivität führen können. Das US-Militär sei bereits zu „overstretched“: Zwar stimmt es, dass das US-Militär insbesondere im Irak an den Rand seiner Kapazitäten gestoßen ist, jedoch wird es die Air Force sein, die die geplanten und bereits vorprogrammierten Ziele von der Luft in Beschuss nimmt.

TaskForce One im anmarsch
„Task-Force One" im Anmarsch – mit zynischem Gruß an Albert Einstein

Entsprechend des Duktus eines „chirurgischen“ Angriffs würden iranische Nuklear- und Militäreinrichtungen anvisiert werden: Wie in Militärkreisen in Washington und Brüssel seit langem bekannt, sind mindestens 4.000 Ziele ausgemacht, darunter neben den bereits genannten, die Infrastruktur des Landes (Elektrizitätswerke, Kläranlagen, Brücken, etc.) und Know-How-Einrichtungen (unter anderem Universitätslabore). Aufgrund der Lage all dieser Ziele nahe oder in urbanen Zentren wird innerhalb der ersten Stunden eines „Blitzkrieges“ mit Hunderttausenden von Toten gerechnet.

Das Thema Menschenrechte müsse auf die Agenda gesetzt werden und nicht etwa die Gefahr eines Krieges, was nur den Interessen des Regimes diene: Ein Angriffskrieg würde der Aspiration für mehr Menschen- und Demokratierechte einen erheblichen Schaden zufügen. Einen Krieg zu verhindern helfen bedeutet gleichsam, dass die fortlaufenden Demokratiebemühungen im Iran nicht der Verteidigung des Landes unter radikaler Federführung geopfert werden.

Tehran street-crossing Foto: Fesenjoon
Sanktionen treffen als erstes die
Bevölkerung | Foto: Fesenjoon                            
Das Thema Sanktionen muss indes im Gleichschritt mit der Kriegsgefahr thematisiert werden, denn diese bleiben nicht folgenlos für die einfache Bevölkerung des Iran und taugen kaum als Mittel, um „iranisches Einlenken“ zu erwirken, sondern dienen eher dazu, die Kriegsoption als letztes Mittel heraufzubeschwören. Nur vorbedingungslose Verhandlungen können einen Erfolg der friedlichen Beilegung des Konflikts zeitigen.

US-Antikriegsbewegung blockiert Kriegsresolution

Am 22. Mai wurde ein von der neokonservativen Israel-Lobbyorganisation AIPAC (American Israel Public Affairs Committee) maßgeblich unterstützter Gesetzentwurf (H. Con. Res. 362) in den US-Kongress eingeführt, in dem der Präsident aufgefordert wird, alle Schiffsladungen mit raffinierten Ölprodukten nach Iran zu stoppen sowie „strenge Inspektionsauflagen gegenüber allen Personen, Fahrzeugen, Schiffen, Flugzeugen, Zügen und Fracht, die den Iran erreichen oder von dort ausgehen“ zu erteilen. All dies würde nur durch eine Seeblockade an der Meerenge von Hormus zu erreichen sein. Nach völkerrechtlicher Norm wird solch eine Blockade jedoch als Kriegshandlung eingestuft und würde so Washingtons Kriegsabsichten untermalen. Bereits einen Monat später versammelten sich über 200 Unterstützer im Repräsentantenhaus hinter dieses Gesetzesvorhaben, und eine Konfrontation mit iranischen Einheiten im Persischen Golf schien vorprogrammiert zu sein.

Iranische Marine im Golf von Persien
Konfrontation vorprogrammiert: Iranische Marine im Golf von Persien
Foto: Mani1

In dieser höchst brisanten Phase sprangen Organisationen, die gegen einen Iran-Krieg agieren, ein und veranlassten, dass führende Gesetzesbefürworter ihre Meinung revidierten. Diese konzertierte Aktion der US-Antikriegsbewegung ist umso beachtlicher, als dass man sich sogar gegen die wahrlich mächtige AIPAC durchzusetzen vermochte. Nun erscheint es, als ob die „Blockade-Resolution“ nun nicht mehr sang- und klanglos durch den Kongress marschiert, sondern in ihrer ursprünglichen Form untragbar geworden ist.

Hinzu hielten in der ersten Juni-Woche über hundert israelische Kampfjets ein Manöver im östlichen Mittelmeer und um Griechenland herum ab. Dies wurde allgemein als Übung für einen unilateralen Luftschlag gegen iranische Anlagen gedeutet. Währenddessen kündigten diverse israelische Minister bis hin zum Premier drastische Maßnahmen an, um das iranische Atomprogramm zu stoppen, falls Verhandlungen scheiterten. Um jedoch einen Krieg gegen Iran anzuzetteln, bedarf es dem seit Herbst wiedererstarkten Cheney-Lager eines Ereignisses wie den Vietnam-Krieg auslösenden Golf-von-Tonkin-Vorfall, der den Iranern dann zur Last gelegt werden könnte. Vor allem gelte es dann diesen mit Terrorismus in Verbindung zu bringen, was ein gewisses Mobilisierungspotential in der US-Bevölkerung nach sich zöge.


Cheney im Irak März 2008 Foto: Julianne Showalter Quelle: www.Army.mil
„Overstresster" Cheney bei „overstretchten“ US-Truppen im Irak
Foto: Julianne Showalter, Quelle: www.army.mil

Vor dem Hintergrund der erfolgreichen Aktion der Kriegsgegner, schreibt das Aushängeschild des Internetportals AntiWar.com, Justin Raimondo, treffend: „Ich muss zugeben, dass keiner wissen kann, was passieren wird. Was wir jedoch wissen, ist dies: Es gibt einen entschiedenen Druck, uns in einen Krieg mit dem Iran zu führen, eine koordinierte und finanziell gut ausgestattete Kampagne, die von denselben geführt wird, die schon letztes Mal so erfolgreich waren. Ob sie Erfolg haben werden oder aber scheitern, es hängt zumindest ein gewisser Anteil an der Fähigkeit der Antikriegs-Opposition ab, einen Aufschrei zu machen und die allgemein gegen den Krieg eingestellte amerikanische Öffentlichkeit gegen diese Aussicht zu mobilisieren.“ Man mag anmerken, dass dies ebenfalls für den deutschen und europäischen Rahmen Geltung hat. (CH)

Lesen Sie auch dazu in dieser Ausgabe der NRhZ „Spekulationen über Militärschlag halten an“ von Klaus von Raussendorff!


Der Artikel des Politikwissenschaftlers Ali Fathollah-Nejad erschien im Original im FriedensJournal, Nr. 4, Juli 2008, S. 3-5 (herausgegeben vom Bundesausschuss Friedensratschlag) – hier in aktualisierter und leicht geänderter Fassung.


Online-Flyer Nr. 157  vom 30.07.2008

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