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Medien
Zur Mediendiskussion über die Mohammed-Karikaturen und ihre Folgen
Biedermänner - Brandstifter
Von Maria Mies

Den (weiter unten) folgenden Artikel schrieb ich vor einem Jahr, als der Mord an Theo van Gogh die Gemüter in Europa erhitzte. Heute sind es die Karikaturen des Propheten Mohammed, veröffentlicht in einer dänischen Zeitschrift, die in der ganzen muslimischen Welt Empörung, eine Eskalation der Gewalt und die Forderung nach öffentlicher Entschuldigung durch die dänische Regierung nach sich zog, was diese ablehnte. Sie begründete diese Ablehnung mit dem Recht auf "Freie Meinungsäußerung". Inzwischen werden die dänischen Karikaturen, die den Propheten als Terroristen darstellen, in vielen liberalen und linken Gazetten Europas abgedruckt, z.B. in Paris Match, mit der selben Begründung, die ich vor einem Jahr schon in bezug auf den Filmemacher Van Gogh gelesen und gehört habe: Solche Darstellungen seien durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Wem das nicht gefalle, der gehöre nicht hierher in unser "aufgeklärtes" Europa.

Ich frage mich, wo leben diese Journalisten eigentlich? Merken sie nicht, was sie mit ihren Darstellungen und Texten anrichten, wie sie das soziale Klima von heute auf morgen so vergiften, dass nicht nur sporadisch Moscheen verbrannt werden, sondern dass wir uns auf einen regelrechten Religions- und Kulturkrieg zu bewegen, der alle Friedensbemühungen weltweit zunichte macht. Heute (3.Februar 2006) lese ich, dass die EU ihre Vertretung im Gazastreifen wegen der Karikaturen geschlossen hat. Wieso erinnern die Medien und die Politiker nicht daran, dass in Deutschland ein Gesetz besteht, das Volksverhetzung verbietet. Solche Karikaturisten und Journalisten sind Volksverhetzer, Brandstifter und müssten bestraft werden. Wenn das "Recht auf freie Meinungsäußerung" die Beleidigung fremder Kulturen und Religionen in Europa erlaubt, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn Europäer in der nicht-westlichen Welt gehasst und getötet werden.

Der Islam als neuer Feind

Der Mord am holländischen Filmemacher van Gogh hat in Europa besorgniserregende Folgen hervorgebracht: Moscheen und Kirchen gehen in Flammen auf. Eine Welle von Gewalt und Gegengewalt bricht los. Dann folgt auch in Deutschland eine populistische Diskussion über europäische Werte, Leitkultur, Patriotismus, Islamismus und das Scheitern der Multikulti-Politik". Wie in den USA gilt nun auch hier der Islam als neuer Feind. Dabei werden alle Türken und Araber pauschal nur als "Muslime" bezeichnet, obwohl ein großer Teil dieser Menschen genau so wenig orthodoxe Muslime sind wie ein großer Prozentsatz der Deutschen gläubige Christen. Dennoch redet man von Westeuropäern nicht als von "Christen". Warum wird ein Teil unserer Mitbürger in eine Religion "eingesperrt"? Man setzt "westliche" gegen "islamische Werte". Warum diese Doppelmoral? Man fordert, "Muslime" müssten sich "unserer Kultur" anpassen Wenn sie das nicht wollten, sollten sie gefälligst verschwinden. Plötzlich ist der "Krieg der Kulturen" nicht nur in den USA sondern auch in Europa ausgebrochen.

Die Provokation van Goghs bestand darin, dass er eine Koransure auf einen nackten Frauenkörper malte und dies filmte. Diese Sure besagt, menstruierende Frauen seien unrein. Diese Aktion verstand er als Beitrag zur Emanzipation muslimischer Frauen. Ich betrachte van Gogh als einen bewussten Brandstifter. Denn er musste wissen, was eine solche Provokation in dem aufgeheizten politischen Klima nach dem 11. September 2001 anrichten würde. Nach dem Mord an van Gogh rechtfertigten fast alle liberalen Medien (Monitor, 3Sat, Spiegel etc) diese Provokation als gedeckt durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Für mich zählen auch solche biedermännischen Medien zu den Brandstiftern.

Dabei stammt besagte Sure nicht ursprünglich aus dem Koran, sondern aus dem alten Testament, einem Buch, das für Juden, Christen und Muslime heilig ist.

Ich frage mich, was geschehen wäre, wenn van Gogh diese Sure auf den nackten Körper einer Jüdin oder einer Katholikin gemalt hätte und sie in einer Synagoge oder Kirche gefilmt hätte. Ein Aufschrei wäre durch die Lande gegangen. Van Gogh wäre als Antisemit, Rassist und vor allem als Volksverhetzer verurteilt worden, eben als Brandstifter. In Holland hingegen wird er als Volksheld gefeiert.

Dabei haben diejenigen, die sich jetzt auf die Meinungsfreiheit berufen, meist keine Ahnung von den historischen und religiösen Wurzeln, der "Kultur", weder der eigenen, noch der fremden. Die gesamte öffentliche Diskussion ist gekennzeichnet von kultureller Ignoranz. Wer sich jedoch die Mühe macht, ein wenig tiefer in den Brunnen der Geschichte einzutauchen, merkt bald, dass alle drei Religionen, die sich jetzt hier erneut bekriegen, Judentum, Christentum und Islam den selben patriarchalen Ursprung haben, nämlich den Erzpatriarchen Abraham, der aus Mesopotamien, dem heutigen Irak stammte. Die Ursprungsmythen und die Gesetze dieser Religionen gehen auf babylonische Quellen zurück. Diesen Quellen zufolge werden Frauen den Männern untergeordnet. Die Juden lernten diese Quellen während ihrer Gefangenschaft in Babylonien kennen (6.Jh v. Chr.) und übernahmen sie z.T. im Alten Testament.

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos


Was die "Unreinheit" von menstruierenden Frauen betrifft, die van Gogh allein dem Islam zuschreibt, sind wir daher keineswegs so weit von den Muslimen entfernt, wie viele denken. Denn die "Unreinheit" menstruierender Frauen ist Teil der patriarchalischen und nicht der muslimischen Ideologie. Sie gilt nicht nur für die Juden des Alten Testaments, sondern bis in die Neuzeit hinein auch für Christen und Juden. Während in matriarchalen Frühzeiten das Menstruationsblut als die Quelle des Lebens galt und heilig war, wurde es durch das Patriarchat als unrein und für Männer als gefährlich angesehen. Der Kirchenlehrer Hieronimus schrieb: "Nichts ist so unrein wie eine Frau in ihrer Periode. Was sie berührt, wird durch sie unrein" (zit. in Barbara G. Walker S.707). Im Vers 223 der Sure 2 im Koran heißt es: "Auch über die monatliche Reinigung der Frauen werden sie dich befragen. Sage ihnen: Diese bringt euch Schaden; darum sondert euch während der monatlichen Reinigung von diesen ab, kommt ihnen nicht nahe, bis sie sich gereinigt haben" (Koran, Goldmann Gelbe Taschenbücher).

In Köln befindet sich das "Judenbad" auf dem Rathausplatz. Dort mussten jüdische Frauen sich nach der Menstruation baden, um wieder "rein" zu sein, ehe sie sich erneut einem Mann näherten. In katholischen Gegenden galten Frauen, die gerade ein Kind geboren hatten, ebenfalls als "unrein". Neun Tage nach der Geburt durfte eine solche Frau keine Kirche betreten. Erst musste sie vom Priester "ausgesegnet", d.h. gereinigt werden.

Alle Keuschheits- und Reinheitsregeln für Frauen haben bis heute diesen patriarchalen Hintergrund. Denn jedem Patriarchen geht es darum sicherzustellen, dass die Kinder, die eine Frau gebiert, seine biologisch eigenen Kinder sind und nicht von einem anderen Mann gezeugt wurden. Auch nach der Aufklärung ist diese Ideologie nicht verschwunden. Die Gen- und Reproduktionstechnik macht es heute möglich, diesen patriarchalen Eigentumsgedanken, das Recht am genetisch eigenen Kind neu zu beleben. Gerade jetzt wird uns dies anhand der Versuche von Männern, durch heimliche Gentests ihre biologische Vaterschaft feststellen zu wollen, wieder vorgeführt.

Alle Fundamentalisten, seien sie muslimischer, oder christlicher oder anderer Provenienz machen gerade jene patriarchalen und frauenfeindlichen Werte wieder zum Kernstück ihrer Politik. Dieser patriarchalische Hintergrund tritt noch deutlicher bei dem derzeitigen Kopftuchstreit zutage.

Das Kopftuch ist kein islamisches sondern ein patriarchalisches Symbol

Auch das Kopftuch, das häufig angeführt wird, um die Unterwerfung islamischer Frauen zu illustrieren, hat ursprünglich nichts mit dem Islam sondern mit patriarchalen Traditionen zu tun. Sein Kern ist auch hier das patriarchale Eigentumsrecht der Männer an Frauen. Die siegreichen Könige der Babylonier -Plünderer und Räuber insgesamt - waren die ersten, die für ihre Frauen Harems einrichteten. Nach den Haremsedikten des Königs Tiglatpilesar (1117 - 1077 v. Chr.) musste ein Mann bei der Eheschließung unter Zeugen seiner Neuvermählten einen Schleier überwerfen. Damit wurde demonstriert, dass sie nun sein Eigentum war. Sklavinnen und Prostituierten war der Schleier verboten. Wenn sie sich dennoch verschleierten, wurden sie hart bestraft. Unverschleierte Frauen galten als Prostituierte, die Verschleierte hingegen galt als ehrbare Frau. Die Adelsklasse ahmte die Könige nach und fing an, die "eigenen Frauen" ebenfalls zu verschleiern. (Dieckvoss, S.200) Sie waren ihr Eigentum.

Auch im Alten Testament gelten die Frauen der besiegten Feinde als "bewegliches Eigentum", das an die siegreichen Männer verteilt wurde, zusammen mit Schafen, Ziegen, Eseln, und Kamelen. Der Frauenraub ist wesentlicher Teil aller patriarchalen Kriege bis heute. Auch hier besteht eine Klassenspaltung zwischen den "freien", zur Monogamie gezwungenen, eigenen Frauen und den Sklavinnen und den Frauen der unteren Klassen. Diese standen den "Herren zwar auch zur Verfügung, die "eigenen Frauen" aber nicht den Männern der unteren Klassen.

Mohammed lernte die Verschleierung von Frauen als junger Handlungsreisender im Auftrag seiner späteren Frau, der Händlerin Khadija, an den Höfen der Sassaniden kennen, wo sie von den Adeligen praktiziert wurde. Nach FatemaMernissi, der marokkanischen Soziologin, muss die Sure 33, Vers 53 des Koran über die "Herabkunft des Schleiers", des Hijab, im historischen Kontext des Krieges des Propheten und seiner Anhänger gegen seine Feinde aus Mekka gesehen werden.

Auch die Christen kennen dieses Verschleierungsgebot. Bei der Eheschließung trägt die Braut bis heute einen weißen Schleier. Von einer Frau, die geheiratet hat, heißt es, sie sei "unter die Haube gekommen". In den katholischen Kirchen mussten bis vor kurzem die Frauen auch bei uns den Kopf bedeckt haben. In südeuropäischen Ländern gilt diese Sitte bis heute. Sie ist nicht etwa Ausdruck von Keuschheit und Ehrfurcht vor Gott, sondern bedeutet, dass die Frau Eigentum Gottes und eines Mannes ist. Monotheismus und Monogamie für Frauen gehören zusammen. Für die Männer hat das Monogamiegebot faktisch nie gegolten. Im übrigen gibt es ein ähnliches Verschleierungsgebot für Frauen auch in den patriarchalischen Gebieten Nordindiens. Es ist auch dort letztlich eine Projektion eifersüchtiger, patriarchalischer Kriegerstämme auf mögliche Angriffe von außen.

Das Verschleierungsgebot für muslimische Frauen hat übrigens keineswegs zu allen Zeiten und in allen vom Islam eroberten Ländern gegolten. Es gilt auch heute nicht in allen muslimischen Ländern. Weder in Bangladesh noch in Pakistan, ja, nicht einmal in der Türkei tragen die Frauen einen Schleier. In der Türkei ist er seit Atatürk sogar verboten. Das Kopftuchgebot unter Migrantinnen ist auch hierzulande eine sehr neue Erscheinung und hat mehr mit fundamentalistischer Politik als mit Religion zu tun. Da aber unsere politisch Verantwortlichen so wenig über ihre eigenen kulturellen Wurzeln wie über die der MigrantInnen wissen, machen sie oft absurde, rein populistische Gesetze, die im Endeffekt die Tendenzen, die sie bekämpfen wollen, verstärken. So beginnen z.B. junge, fortschrittliche Türkinnen, das Kopftuch zu tragen, nicht weil sie religiös oder von ihren Familien gezwungen worden wären, sondern weil sie das Kopftuchverbot als Diskriminierung empfinden.

Neben dem Verschleierungsgebot wird oft auf die Koransure verwiesen, die es einem Mann erlaubt, seine ungehorsame Frau zu schlagen. Was mich als Feministin empört, ist die Tatsache, dass deutsche Männer sich über die Gewalt "muslimischer Männer" aufregen, während sie nicht einmal die Gewalt registrieren, die deutsche Männer in und außerhalb ihrer Wohnungen Frauen zufügen. Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung. Dabei steht in unseren Gesetzen, dass Gewalt gegen Frauen und Vergewaltigung selbst in der Ehe ausdrücklich verboten sind.

Bis heute jedoch gilt das Prügeln von Frauen als Kavaliersdelikt. Die Frauenhäuser in Deutschland sind permanent überfüllt. Welche Männer regen sich über diesen Skandal auf? Wir sehen, Gesetze und Gebote, ob sie im deutschen Strafgesetzbuch oder im Koran stehen, geben noch keinen Aufschluss über das tatsächliche Verhalten. Patriarchalische Strukturen können nicht allein durch Gesetze verändert werden.

Fazit:

Die Vorstellung, dass menstruierende Frauen "unrein" seien, ist nicht muslimisches sondern patriarchalisches Gedankengut, das sich im Hinduismus, im Judentum, dem Christentum und Islam bis heute erhalten hat. Es basiert auf dem Monogamiegebot und dem Eigentumsrecht des Mannes an seiner Frau und vor allem auf seinem Interesse, von dieser Frau genetisch "eigene" Kinder zu bekommen. Der neue religiöse Fundamentalismus hat diese patriarchalischen Tendenzen global verstärkt. Auch die Verschleierung der Frauen ist kein muslimisches, sondern ein patriarchalisches Symbol. In allen patriarchalen Religionen ist sie eine Folge von Krieg, Eroberung, Unterwerfung, Versklavung.

Dieses Gebot ist außerdem eine Klassenfrage. Es drückt den höheren Klassenstatus einer "anständigen" Frau aus. Es ist eine Illusion zu glauben, dass diese patriarchalen Strukturen und Praktiken durch die Aufklärung und Gesetze zur Gleichberechtigung und zum"Gendermainstreaming" aus unserer modernen, westlichen Industriegesellschaft verschwunden wären. Anstatt die unter uns lebenden Muslime aufzufordern, sich an unsere patriarchalische, kapitalistische, zutiefst gewaltsame und kriegerische "Leitkultur" anzupassen, wäre es richtiger, gemeinsam die tieferen frauenfeindlichen Grundstrukturen unserer Kulturen auf beiden Seiten zu untersuchen, zu kritisieren und nach ihrer Überwindung zu suchen.

Erstveröffentlichung in "INFOBRIEF GEGEN KONZERNHERRSCHAFT UND NEOLIBERALE POLITIK, Nr.18; "GOTT UND DIE GLOBALISIERUNG"

Literatur:
Dieckvoß, Gerd (2002) Wie kam Krieg in die Welt? Konkret Literatur Verlag, Hamburg.
Mernissi, Fatema (1992) Der politische Harem: Mohammed und die Frauen. Herder Verlag, Freiburg.
Walker, G. Barbara (1993) Das geheime Wissen der Frauen. Ein Lexikon, Verlag Zweitausendundeins, Offenbach.

Maria Mies
Maria Mies ist Professorin (i.R.) für Soziologie an der Fachhochschule Köln. Sie ist seit vielen Jahren aktiv in der Frauen-, Ökologie- und Dritte-Welt-Bewegung und hat zahlreiche Artikel und mehrere Bücher zu diesen Themenkomplexen veröffentlicht.




Die Karikaturen der Jyllands-Posten finden Sie unter:
http://www.perlentaucher.de/artikel/2888.html


Foto: Maria Mies - NRhZ-Archiv

Online-Flyer Nr. 30  vom 07.02.2006

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