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Kultur und Wissen
Rezension eines Buches über Frauen, ihre Gärten und deren Wirkung
„Frauen und Hortikultur“
Von Elisabeth Meyer-Renschhausen

Rosa Luxemburg war nicht nur eine kluge Intellektuelle, der die Radikalisierung und übereilte KPD-Gründung im Januar 1920 völlig zu unrecht in die Schuhe geschoben worden sind, Rosa Luxemburg war vor allem auch eine bescheidene lebenskluge Frau. Als sie während des Ersten Weltkriegs nach der Manier heutiger Terroristenjäger grundlos inhaftiert wurde, tröstete sie sich mittels ihres Herbariums. Sie hatte bereits vorher das Botanisieren, wie man damals gerne sagte, angefangen und auf ihren Spazierwegen Pflanzen gepflückt, anschließend bestimmt und gepresst.

Rosa Luxemburg im garten Graphik: Christian Heinrici
„Rosa im Grünen" | Grafik: Christian Heinrici   
Diese Herbarien nahm sie in ihr Verlies mit und tröstete sich über die einsamen Stunden, indem sie weiter daran arbeitete. Sie ließ sich von ihrer Haushälterin Mathilde und vielen anderen Freundinnen und Freunden Pflanzen schicken und ermunterte alle, stellvertretend für sie in der frischen Natur spazieren zu gehen. Scharf widersprach sie Frau Liebknecht, die es nicht aushalten wollte, dass sie und Karl Liebknecht zu unrecht im Gefängnis steckten und erklärte ihr ihre milde Haltung zum Schicksal – wobei sie nicht verschwieg, dass auch ihr Herz gelegentlich „einen Klaps“ nötig hatte, um das Jammern und Trübsal blasen zu lassen. Getröstet war Rosa Luxemburg, als sie zwischenzeitlich in der Provinz Posen inhaftiert war, wo sie ihr „Schreibtischchen“ zwischen zwei Bäumchen ins Freie stellen und einige weitere Pflänzchen über den Jahresverlauf beobachten konnte.

Heide Inhetveens akribische Zusammenstellung von Briefauszügen macht klar, wie sehr, gerade dem modernen Menschen, die Beschäftigung mit der Natur und den Pflanzen Trost und Labsal sein kann – angesichts unverschuldeter Not und Qual. Naturbeschäftigung und das Gärtnern sind im Zeitalter der Säkularisierung, jene „religiöse Ersatzhandlung“, die den Menschen – indem sie ihn mit seinem Schicksal versöhnen – zurück zu seinen Wurzeln und damit zu sich bringen können.

Israel: Frauen haben den Samen gesät

Frauen und Hortikultur (hrsg. von Heide Inhetveen und Mathilde Schmidt) cover
„Frauen und Hortikultur“     
Hrsg. Heide Inhetveen   
und Mathilde Schmitt,
Hamburger LIT Verlag 2006
In dem hier vorgestellten Bändchen „Frauen und Hortikultur“ finden sich diverse Kleinodien aus der Geschichte der Gartenkultur. Besonders beeindruckend ist vielleicht der Bericht der Landschaftsarchitektin Ruth Enis aus Haifa. Sie stellt in ihrem Aufsatz Palästina- Auswandererinnen und Israel-Gründerinnen vor; also, Frauen jener Generation des frühen, meistenteils linken Zionismus’, der als Resultat der osteuropäischen Pogrome und entsetzt über den westeuropäischen Antisemitismus gemeinsam mit den dort lebenden arabischen Bauern einen neuen Staat gründen wollten.

Dazu gehörte, dass diese Generation, wiewohl vielfach aus gebildeten Häusern und der sozialen Schicht der „Studierten“ stammend, bereit war, zurück aufs Land und in ein einfaches Leben zu gehen. Viele glaubten damals, mittels des Pfluges, sich friedlich eine Heimstatt in Palästina schaffen zu können. Die Russin Hanna Maisel (1883-1972) war als Delegierte auf dem zionistischen Weltkongress in Basel 1905 zu dieser Einsicht gekommen. Sie machte eine Gärtnerlehre in 1906 erst gegründeten Frauen-Gartenschule Niederlenz in der Schweiz um anschließend in Frankreich, in Besançon, Biologie und Naturwissenschaften zu studieren.

1909 schloss sie ihr Studium mit „cum laude“ ab und ging nach Palästina in eine der ersten zionistischen landwirtschaftlichen „Kolonien“ nach Sejera, wo sie begann, jungen Mädchen systematisch das Gärtnerinnenhandwerk beizubringen. Bereits 1911 konnte sie mit Hilfe der „Women’s Association for Cultural Activity in Palestine“ sowie Professor Warburg und anderen eine eigene Mädchen-Lehr-Farm im Rahmen der Kinneret Worker’s Farm (Arbeitersiedlung am See Genezareth) gründen...

Erste Siedlungen in Palästina (Foto um 1870)
Palästina: erste jüdische Siedlungen der Neuzeit um 1870

Viele andere Frauen unternahmen ähnliches, bildeten systematisch Gärtnerinnen aus, die später die Pioniergärtnerinnen ihrer jeweiligen Moschawim und Kibbuzim wurden, darunter auch systematische Baumschulenthusiastinnen. Und so waren die Schülerinnen dieser gartenbegeisterten Gründerinnengeneration erheblich daran beteiligt, aus dem um 1910 durch Entwaldung vielfach verwüsteten Palästina (damals eine Kolonie des Osmanischen Reichs) einen Garten Eden zu machen.

Eine andere Welt ist pflanzbar!

Im einleitenden Aufsatz zu dem Bändchen erzählt die Landschaftsarchitektin Inge Meta Hülbusch aus ihrer Kindheit bei Bremen, als die Familie noch wie selbstverständlich sehr beengt lebte und das doch gar nicht so empfand, da sich im Sommer alle im Nutzgarten tummelten. So, wie sie es erzählt, wird deutlich, dass, obwohl die Kinder damals das regelmäßige Mit-helfen-müssen als Fronarbeit empfanden, es nicht unbedingt eine solche war...

Duchess Marie Frederike Amalie of Oldenburg gemälde von Joseph Karl Stieler
Amalie von Oldenburg               
Gemälde von Joseph Karl Stieler
Unorthodox erzählt Meta Hülbusch dann weiter von den Entwürfen des Landschaftsarchitekten Leberecht Migge – von manchen Zeitgenossen böse als Kleineleutegärten empfunden. Migge begann seine Versuche während des Ersten Weltkrieg im Zusammenhang mit Heinrich Vogelers Gartenarbeitschule in Worpswede bei Bremen. Und die Autorin erinnert schließlich an fürstliche Gärtnerinnen, wie etwa die nach Athen verheiratete Amalie von Oldenburg, die 1836 den König von Griechenland Otto von Wittelsbach heiratete. Neben ihrem Vater hatte ihr Lehrer Ramsauer, ein Schüler Pestalozzis, schon die junge Prinzessin dazu angeregt, sich auch mit praktischen Dingen und darunter insbesondere dem Gärtnern zu beschäftigen.

So bunt wie Meta Hülbusch erzählt, wird auch im weiteren Verlauf des Bandes höchst anregend von den Gärten des Nahen Ostens oder den interkulturellen Gärten Göttingens, von Gärtnerinnen im Werk Adalbert Stifters oder gärtnerisch aktiven Bewohnerinnen von grünen Innenstadtwohnprojekten berichtet – ein informativer und vorzüglich geschriebener Band, dem die Rezensentin viele Leserinnen wünscht.

So wie Prinzessinnen sich einst mittels des Gärtnerns vom Heimweh zu befreien suchten und der Nachwelt Schattenplätze unter Bäumen hinterließen, die etwa den Athenern heute noch in heißen Sommern Labsal verschaffen, helfen in der Gegenwart interkulturelle Gärten Flüchtlingen, Frieden nach traumatischen Erlebnissen zu finden. Vielleicht wären heute – an den bescheidenen Mut der Gründerinnen und an Erfahrungen wie der Internationalen Gärten in Göttingen anknüpfend – ähnliche Projekte in den Bürgerkriegsregionen wie Palästina/Israel eine mögliche Hilfestellung zum ersehnten Frieden. (CH)


„Frauen und Hortikultur“
Hrsg. Heide Inhetveen, Mathilde Schmitt,
LIT Verlag Hamburg 2006
(Reihe Rurale Geschlechterforschung Band 8 – Beiträge der 4. Arbeitstagung des Netzwerks „Frauen in der Geschichte der Gartenkultur“ 2003)
14, 90 €


Online-Flyer Nr. 152  vom 25.06.2008

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