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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Globales
Obszöne Gewinne mit Ernten und der Treibstoff des Hungers
Die FAO, der Hunger und die Biodiversität
Von Wolf Gauer

Unser Brot wird teurer in São Paulo, auch die Nudeln. Präsident Lulas Mannen finden das keineswegs alarmierend. Es sei ja weltweit so, und die FAO-Konferenz in Rom hätte auch nichts gebracht. Und die Teuerung, so orakelt der sozialdemokratische Präsident selber, sei mitnichten Effekt des forcierten Biospritanbaus, sondern der „Treibstoffsubvention in der Ersten Welt“ – was auch immer er damit sagen will.

Ausgerechnet Lula, 2003 mit dem Schlachtruf „Zero Fome“ (Null Hunger) angetreten, aber 2007 mit Bush vertragsgemein geworden, zwecks so einträchtiger wie einträglicher Förderung des Biosprits. In Camp David wurde abgemacht, dass die Lateinamerikaner, technologisch vom darin erfahrenen Brasilien angeleitet, möglichst bald soviel Ethanol für das Imperium produzieren, dass dort weiterhin jeder mit dem Achtzylinder zum „Drive-Through“ von McDonalds findet. Vorteil der USA: Bis 2020 sollen 10 Prozent herkömmlicher Treibstoffe durch Motoralkohol ersetzt werden, ohne dass der hauseigene Mais vergoren werden muss. Vorteil Brasiliens: Verkauf des Know Hows und der nötigen Industrieanlagen überall dort, wo der „linke“ Lula die lateinamerikanischen Kollegen überzeugen kann – und das kann er besser als Bush, mittlerweile sogar in Afrika.

Favela Nova Friburgo Foto: Nate Cull CC
Nichts zu spüren von „Zero Fome“ – Armenviertel in Nova Friburgo
Foto: Nate Cull CC

Nachteil Brasiliens: Die an sich schon problematischen, exportorientierten Monokulturen der Soja-Barone, weichen der neuen Zuckerrohr-Offensive (Brasilien stellt seit etwa 30 Jahren Biotreibstoff aus Zuckerrohr her – rationeller und kostengünstiger als aus Mais). Hatten diese bislang mehr oder weniger legal die diversifizierten Anbauflächen mittlerer und kleiner Landwirte übernommen, roden sie nun unverdrossen die brasilianischen Urwälder, ob da nun eine Umweltministerin das Handtuch wirft oder nicht.

So geschehen im Monat Mai anlässlich der deutsch-brasilianischen Vereinbarungen zur Biospritproduktion. Brasilien musste unterschreiben, dass das Ethanolgeschäft nicht die Lebensmittelproduktion gefährde. Die Ministerin Marina Silva, Kind Amazoniens, bootete sich vorher aus, und Lula war froh, die unbequeme Genossin los zu sein.

„Verbrechen an der Menschheit“

Haben wir die Unterschrift, denken Merkel & Co, geht uns der Rest nichts mehr an. Auch wenn landwirtschaftliche Nutzfläche im Lande der größten Wasser-, Sonnenlicht- und Bodenreserven Streitobjekt und Anlass zu weiterem Kahlschlag wird. Gegen diesen kann man in ja Berlin formell protestieren und abgehakt. Zu bezweifeln ist, ob Bushs Berliner Busenfreundin jemals von einem Jean Ziegler gehört hat, UNO-Berichterstatter für „Recht auf Ernährung“. Er klassifizierte die derzeitige Biokraftstoffherstellung schlicht als „Verbrechen an der Menschheit“.

Brasilia Merkel Lula Foto: Antonio Cruz ABr
Angela Merkel auf Besuch bei Lula in Brasilia
Foto: Antonio Cruz, Agencia Brasil

Lula also kann ich deshalb weit weniger folgen als dem Wirtschaftsfachmann Alejandro Nadal (Colegio de México), wenn dieser an die indischen Hungersnöte von 1942-45 erinnert, an 6 Millionen Tote in den Staaten Bihar, Orissa und Assam, und seine Schlüsse daraus zieht. Die traditionelle bengalische Landwirtschaft produzierte – solange noch unbehelligt – ein breites Angebot, das den eigenen wie auch den Exportmarkt zufrieden stellte. Als dann die japanische Front näher rückte, dekretierte die britische Kolonialverwaltung eine krasse Vereinheitlichung der Produktion und ihrer Verteilung. Der Eingriff scheiterte – mit den genannten Folgen.

Ein Fraß für eine Welt!

Trotz des natürlichen Artenreichtums des Planeten erbringen heute gerade noch 12 Nutzpflanzen und 14 Tierarten 80 Prozent unserer Ernährung. Die Tendenz zur Monokultur und die gewaltsame Ausrottung der landwirtschaftlichen Biodiversität garantieren, so Nadal, zukünftige Katastrophen, insbesondere aber die stillschweigende, doch umfassende Deformation der naturgegebenen biogenetischen Grundlagen. In Amazonien verdrängen globalisierte Teigwaren den herkömmlichen Mandiokaverzehr, und nur noch in abgelegenen Andentälern sind 400 Kartoffelsorten oder bodenständiges Quinua im Angebot.

Zum Zweiten und weltweit ist die organische Einbettung der kleinen, unabhängigen Produzenten im ureigenen, regionalen Konsumbereich bedroht oder schon dahin. Die „Killer-Trinität“ – so Volker Bräutigam über Weltwährungsfond, Weltbank und vor allem die Welthandelsorganisation – hat seit 1982 das Diktat der überregionalen „komparativen Vorgaben“ durchgesetzt, soll heißen den Freihandel oder das Recht des Stärkeren. Kleine regionale Verteilernetze mussten transnationalen Gruppierungen weichen, und es verschwanden – zum Dritten – die spezifischen Mechanismen des inneren Marktausgleichs und der Preisstabilisierung, die eine eigenständige Volkswirtschaft auszeichnen.

Warum zweimal am Tag essen?!

Die erzwungene Globalisierung erreichte ihre „Vorgaben“: die Auslieferung des Ernährungs-Weltmarktes an einige wenige, multinationale Konzerne. Zugleich beschleunigte sie die Verbreitung und Monopolisierung des genmanipulierten Einmal-Saatgutes und der Vermarktung der Ernten – mit „obszönem Gewinn“ (Nadal) – dieser mittels Waren-Termingeschäften, abgesichert am Chicago Board of Trade.

Afrika ist dabei, einen entsprechenden „Upgrade“ zu erhalten. Und noch immer wird die Doha-Runde zelebriert, Schamlätzchen und Billig-Show für die „Dritte Welt“, deren betuliche Akteure zwar von allem wissen, obwohl sie’s gar nicht interessiert. Wäre ja noch schöner, wenn jetzt auch alle Afrikaner zweimal täglich essen wollten...

Lula Wade Goree Carlosar Agencia Brasil
Brasilianischer Präsident Lula und Amtskollege Wade auf ehem. „Sklaveninsel" Goree vor der senegalesischen Küste
Foto: Carlosar, Agencia Brasil

Unter dem traditionellen Markenlogo unserer brasilianischen Nudeln steht ganz klein „Bunge & Born“ – Bunge (oder Bunge & Born) ist einer der großen globalen Getreidemonopolisten und weltgrößter Ölsaatvermarkter. Und auf unseren Fruchtsaftpackungen steht das auch, ganz klein, auch auf dem Speiseöl. Ich werde in Zukunft wohl die Lupe mit in den Supermarkt nehmen... (CH)

Online-Flyer Nr. 151  vom 18.06.2008

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