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Aktueller Online-Flyer vom 15. Mai 2024  

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Lokales
Kölner Gedenkfeier für Deserteure und andere vergessene Opfer des NS-Terrors
"Erinnerung - Eine Brücke in die Zukunft."
von Georg Giesing

Am 27. Januar, genau 61 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Soldaten der Roten Armee, wurde im Rahmen einer Feierstunde "Erinnerung - Eine Brücke in die Zukunft." der Deserteure und "Wehrkraftzersetzer" der NS-Zeit gedacht. Ort des Gedenkens war die Antoniterkirche in Köln. Nach der Begrüßung des Pfarrers Berthold Höcker mit den Worten "Willkommen in Gottes Haus" wurde in Form einer szenischen Lesung von den Schauspielern Mariette Bürger, Brigitte Oßling, Marcus Becker und Hendrik Stickan an die Schicksale der Kölner Deserteure Hubert Brass, Anton Igel und Jakob Zorn erinnert. Die "Liederlinge", ein aus der Jugendorganisation "Die Falken" hervorgegangener Chor, setzten mit Liedern von Boris Vian, Hans Langhoff, Berthold Brecht und John Lennon würdige Akzente.

Getragen wurde die Veranstaltung von einem breiten Bündnis Kölner Ratsparteien und Organisationen, die ihre gesellschaftliche Verantwortung außerhalb der Ratsgremien wahrnehmen, wie zum Beispiel der DGB, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten, die Synagogengemeinde Köln, PAX Christi, die DKP Köln, das Centrum Schwule Geschichte, die Brücker Geschichtswerkstatt und die Evangelische Gemeinde Köln.

Friedensdemonstration in Köln - mit Fahne links: Deserteur Anton Igel
Friedensdemonstration in Köln - mit Fahne links: Deserteur Anton Igel
Foto: Hans-Dieter Hey - Arbeiterfotografie



"Der Soldat kann sterben, der Deserteur muss sterben."

Auf Veranlassung Hitlers gab es eine Doktrin für alle Führungsstäbe der Wehrmacht und die Militärgerichte: "Der Soldat kann sterben, der Deserteur muss sterben." Eine Order, die Todesangst verbreiten sollte und dies auch tat. Die Aufrechterhaltung der so genannten Manneszucht war den deutschen Militärs indoktriniert worden. Wie gnadenlos die Militärrichter vorgingen, zeigt das Beispiel des Kölners Hubert Brass.

Am 18. September1944 wurde der frühere Grenadier Hubert Brass, geboren am 2.1.1918 in Köln, in Anwesenheit von Major Maier (als leitender Offizier), Major Rösch (betraut mit den Aufgaben des Heeresjustizbeamten) , Oberarzt Dr. Blerch (als Sanitätsoffizier), Wehrmachtsoberpfarrer Ludäscher (als Geistlicher) von einem Kommando des Pionier Brücken Ersatz und Ausbildung- Bataillons 4, Germersheim, erschossen.
Ein Gnadengesuch des wegen "Zersetzung der Wehrkraft" zum Tode verurteilten Grenadiers Hubert Brass hatte der Generaloberst Fromm, Chef der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres, am 10. Juni 1944 abgelehnt. Fromm ordnete an: "Das Urteil ist zu vollstrecken. Aufgrund der mir erteilten Ermächtigung lehne ich einen Gnadengesuch ab."

Widersprechende oder sich widersetzende Soldaten waren in der Vorstellungswelt der NS-Machthaber zwar vorhanden - die drakonischen Bestrafungskataloge belegen das - doch aus Gründen der "Staatsräson" wurde oppositionelles Verhalten runtergespielt. Von Historikern belegte Zahlen sprechen da eine andere Sprache. In der NS-Zeit hat es circa 2,4 Millionen Verfahren gegen 5 Millionen Soldaten gegeben. In über der Hälfte der Fälle ist es zur Verurteilung der Angeklagten gekommen. Auch die kleinsten Vergehen wurden mit mindestens drei, später dann mit sechs Monaten Haft geahndet.

Beifall für Ludwig Baumann (zweiter von links) - neben ihm Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes
Beifall für Ludwig Baumann (zweiter von links) - neben ihm
Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes
Foto: Hans-Dieter Hey - Arbeiterfotografie



Kriegsgerichte an der Spitze der Blutjustiz

Insgesamt verfügte der NS-Staat über 1.300 Kriegsgerichte, die im Verlaufe des Krieges geschätzte 50.000 Todesurteile gegen deutsche Soldaten, Wehrmachtsverfolgte, Zivilisten und Kriegsgefangene aussprachen, von denen mindestens 26.000 vollstreckt wurden. Davon sprachen der "Volksgerichtshof" an die 5.200 Todesurteile aus, die Sondergerichte etwa 16.000. Der Historiker Günter Fahle kommt zu dem Schluss, dass die "deutschen Kriegsgerichte an der Spitze der Blutjustiz im NS-Staat" standen.

Der Ungehorsam war also auch in diesem totalitären NS-Staat keine Seltenheit, doch waren die Motive für militärische Verweigerung, Ungehorsam und Widerstand sehr unterschiedlich. Es gab Personen, die sich aus politischen und/oder ethischen Gründen weigerten, an den barbarischen Kriegsaktionen der NS-Wehrmacht teilzunehmen. Andere hatten Todesangst, wollten einfach nur leben, hatten Sehnsucht nach ihren Familien, Freunden, Geliebten oder der Heimat.

Das legitime Recht auf ein eigenes Leben wurde und wird in Kriegen ausgesetzt. Nur schwer ist für manche Menschen zu verstehen, warum die beiden großen christlichen Kirchen während der NS-Diktatur ihr Personal den Kriegstreibern nicht verweigerten.

"Wehrkraftzersetzer" konnte man schnell werden. Schon die offene Frage nach dem Sinn des Mordens galt als "Wehrkraftzersetzung". Zu den Ungehorsamen gehörte auch Ludwig Baumann aus Bremen. Baumann engagiert sich seit vielen Jahren für die Rehabilitierung der Deserteure. Dass der 85jährige Wehrmachtsdeserteur noch lebt, grenzt an ein Wunder. 1941, als die NS-Wehrmacht die Sowjetunion überfiel, stellte er sich die Frage: "Was wird aus den überfallenen Russen?" Die Folge dieser Gedanken war die Flucht vor dem mörderischen Soldatenauftrag. Mit seinem Freund Kurt Oldenburg setzte er sich vom Militär ab und floh ins unbesetzte Vichy-Frankreich. Von dort wollten sie über Marokko und dann irgendwie nach Amerika. Auf seiner Flucht wurde Baumann verhaftet. Er verbrachte zehn Monate, gefesselt an Händen und Füßen, in einer Todeszelle und wurde dann zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt. Kurt Oldenburg überlebte nicht. Es folgten für Ludwig Baumann Qualen im KZ - Emsland und im Fort Zinna/Torgau. Häufig musste er bei Erschießungen von Gefangenen zusehen, dann wurde er in das Strafbataillon 500 verfrachtet und kam an die Ostfront. Verwundet überlebte Baumann den Krieg. Die Erfahrungen in den Folterhöllen der NS-Schergen und in den Kampfzonen des mörderischen Feldzugs der Wehrmacht bestimmen sein ganzes Leben. Noch heute verfolgen ihn Träume, Ängste und Erinnerungen.

Schauspieler vor Bild von Gerhard Zwerenz
Schauspieler vor Bild von Gerhard Zwerenz
Foto: Hans-Dieter Hey - Arbeiterfotografie



"Werden auch die heutigen Soldaten missbraucht?"

Kurt Baumann war der Einzige, der die "Brücke betrat" und die Schrecken des Krieges in die Gegenwart und die Zukunft transportierte. Seit Jahren auch in der Friedensbewegung engagiert, leitet die "Bundesvereinigung Opfer der NS-Justiz" und hat in dieser Funktion erheblich mit dazu beigetragen, dass die NS-Unrechtsurteile für Wehrmachtsdeserteure ab dem 17. 05. 2002 durch ein Bundesgesetz aufgehoben wurden. Nicht verstehen kann Baumann, dass die Rot-Grüne Bundesregierung, die dieses Gesetz einbrachte, sich fast zeitgleich am völkerrechtswidrigen Krieg der Nato auf dem Balkan beteiligte. Und er beklagt, dass trotz dieses Gesetzes die NS-Urteile wegen "Kriegsverrats", die das "Überlaufen zum Feind" ahndeten, nach wie vor gültig sind. Wörtlich sagte er dazu in der Veranstaltung: "Was kann man besseres tun als den Krieg zu verraten. Soldaten sind immer missbraucht worden und haben sich missbrauchen lassen. Bei der NS-Wehrmacht gab es auch einen Krieg hinter der Front. Es bleibt die Frage, ob auch die heutigen Soldaten missbraucht werden?"

Der engagierte 85jährige machte auch auf den Zusammenhang zwischen dem Reichtum der westlichen Gesellschaften und der Armut der 3. Welt aufmerksam und verurteilte, dass der Wohlstand der reichen Länder mit militärischen Interventionen gesichert wird. Er beendete seinen überzeugenden Beitrag, der viel Zustimmung fand, mit den Worten: "Ein Nein zum Krieg ist heute eine Hoffnung für den Frieden in der Welt!"

Stigmatisierung wirkt bis heute

Zu den drakonischen Bestrafungen gegen "Wehrkraftzersetzer" kam noch die Stigmatisierung als Vaterlandsverräter oder Feiglinge, die auch nach der Befreiung vom Faschismus anhielt und bis heute wirkt. Während die Opfer der Blutjustiz bis heute um Anerkennung und Entschädigung ringen, hatte das Milieu der braunen Gesinnungsfreunde Kontinuität und ragte in die Denk- und Machtstrukturen der Bundesrepublik hinein. Erinnert sei hier nur an den NS-Richter Filbinger, die Tradition der Bundeswehr, ihre Kasernen mit Namen von NS-Wehrmachtsgeneralen zu schmücken, das Versammeln von Kriegervereinen unter einem Bild des Kriegsverbrechers Dönitz, die Ehrenbezeugung des Alfred Dregger für die Soldaten "des deutschen Ostheeres" oder die Aussage von Bundeswehr-Oberstleutnant Leyherr: "Für mich sind Deserteure ganz klare Gesetzesbrecher, Männer, die ihre Pflicht gegenüber dem Staat und - das möchte ich besonders hervorheben - ihren Kameraden missachtet und verletzt haben." Um welchen Staat es sich dabei handelte, der Soldaten zur Teilnahme an verbrecherischen Handlungen genötigt hatte, spielte für den Bundeswehr-Oberstleutnant keine Rolle.

Auf dem Weg zum Hinrichtungsort 'Klingelpütz'
Auf dem Weg zum Hinrichtungsort 'Klingelpütz'
Foto: Hans-Dieter Hey - Arbeiterfotografie



Die letzten Kriegswochen 1945 in Köln:

Der Krieg war faktisch längst "verloren". Die linksrheinischen Stadtteile waren befreit. Da versuchte Wehrmachtsverbände und zur "Vaterlandsverteidigung" rekrutierte Kindersoldaten, Flakhelfer und Volkssturmmänner, die rechte Rheinseite gegen die alliierten Truppen zu verteidigen. Dies geschah unter Zwang. SS-Gruppen gingen mit blutiger Hand gegen "schlappe Kampfmoral" vor. In dieser Situation desertierten zwei junge Kölner Soldaten und versteckten sich. Die jungen Männer wurden gefasst und von einem "fliegenden Standgericht" in Köln-Höhenhaus hingerichtet. Der Hinrichtungsort war eine verlassene Deponie von Felten & Guilleaume am Thuleweg.

Den Abschluss der Veranstaltung bildete ein Gang zum Gelände des ehemaligen Kölner Gefängnisses "Klingelpütz". Dort wurde in Erinnerung an die zahlreichen Opfer der NS-Justiz ein Kranz niedergelegt. "Klingelpütz" war der Ort im Rheinland, an dem während der NS-Diktatur die meisten Hinrichtungen stattfanden. Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes schloss die Gedenkfeier nach der Kranzniederlegung mit einer Schweigeminute für die NS-Opfer. Zuvor hatte sie in einer kurzen Rede gesagt: "Wir wissen noch wenig. Die Verunglimpfung gegenüber Wehrmachts-Deserteuren ist etwas gemildert, seitdem es Risse im Bild der "sauberen Wehrmacht" gibt. Doch es gibt für diese spezielle Opfergruppe der Wehrmachts-Deserteure in Köln noch keine eigene Erinnerungsstätte!"

Eine Erinnerungsstätte für Wehrmachts-Deserteure ließe sich in Köln sicher in absehbarer Zeit einrichten, wenn den Worten Taten folgen würden. Unausgesprochen blieb bei dieser Veranstaltung der Gedanke daran, was geschieht, wenn deutsche Soldaten bei ihren weltweiten Einsätzen den Kriegsdienst verweigern? Aber wahrscheinlich gibt es zu diesem Problem entsprechende Vorschriften und Gesetze in den Schreibtischen des deutschen Verteidigungs- und Justizministeriums. Gerhard Zwerenz hat dazu in seinem Buch "Soldaten sind Mörder" geschrieben: "Die Fahnenflucht ist, neben dem bewaffneten Widerstand, radikale Verweigerung. Sie ist der Widerstand des kleinen Mannes und einfachen Soldaten, der keine Gruppe befehligt und in seiner Einsamkeit noch nicht einmal andere zur solidarischen Aktion anstiften kann..."


Online-Flyer Nr. 29  vom 31.01.2006

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