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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Medien
Beim Dalai Lama schwinden den Medien Sinn und Verstand
Deutschland - Dalai-Land
Von Hans-Detlev v. Kirchbach

Eigentlich ist er fast schon so etwas wie ein Ehrenbürger der BRD; jedenfalls ist er hier anscheinend auf zyklisch wiederkehrender Durchreise, häufiger noch als unser deutscher Papst, der Ratzinger-Joseph. Wenn er, erst letztes Jahr und nun schon wieder, regelmäßig in Deutschland einschwebt, ist es wie ein Heimspiel für ihn.  

Quelle: NRhZ-Archiv
Ja, es gibt zwar immer noch Miesmacher, die allerdings der allgemeinen Verdammnis verfallen, wenn sie sich nicht als amtlich anerkannte Satiriker ausweisen können. So empfing etwa die "Titanic" auf der Titelseite ihrer Maiausgabe den Weltbeglücker als "Schmunzelmonster". Solche Ehrfurchtslosigkeit käme allerdings sonst kaum einem Schreibe-oder Sendemedium in den Sinn, ganz im Gegenteil.
 
Plötzlich wird’s ganz weihevoll
 
Wie sie sich alle überschlagen, wenn sie seiner nur ansichtig werden, ja bloß über ihn schreiben oder senden müssen, das ist schon recht pittoresk mit anzusehen. Manche fallen bei solchem Überschlag anscheinend gelinde auf den Kopf. Damit beantwortet sich auch die okkultistische Frage, die der Anthroposoph und rot-grüne Innenmystiker Otto Schily schon anno 2000 bei einem von der SPD organisierten Lama-Gottesdienst in München an das Esoterik-Idol stellte. Der Steinerianer Schily begehrte von seinem Geistführer zu wissen: "Ist Bewußtsein auch ohne Hirn möglich?" („konkret 9/2000, Bericht von Colin Goldner). Wir antworten: Ja.
 
Ein paar Beispiele nur aus der deutschen Lama-Jubelpresse der jüngsten Zeit sollen dieses paranormale Wunder verdeutlichen.
 
Hamburger Häresie: Parlamentarische Religionsstörung
 
Zunächst ein aktueller Blick in die Hamburger Bürgerschaft. Dort fand eine Aktuelle Stunde zu Tibet statt, was in deutschen Parlamenten stets bedeutet: ein Andachtsstündchen mit Gebet zum Dalai Lama. Beantragt hatte das Weiheritual die mit den Christ-Demokraten koalierende Esoterikfraktion "Grün-Alternative Liste" (GAL). Doch in Hamburgs Bürgerschaft sitzt seit kurzem die Linkspartei, und nun aber erst recht im Abseits. Denn eine ihrer Abgeordneten, Christiane Schneider, frevelte wider den nicht nur in diesem Parlament vorgeschriebenen Lama-Kult. Sie störte nämlich durch kritische Anmerkungen und historische Tatsachen die allgemeine Besinnlichkeit. Die mit Denken bekanntlich notorisch nichts zu tun hat. Hoch schlugen die Wogen, von CDU über Michael Naumanns SPD bis, natürlich, GAL, als die Linken-Abgeordnete, wenn auch in historisch unpräziser Formulierung, davon sprach, die "Volksrepublik China" habe sich "durch einen langen Krieg aus der Erniedrigung kolonialer Knechtschaft" befreit. Ganz zu schweigen von ihrem Hinweis auf die Verbrechen des Deutschen Reiches bei der Niederschlagung des "Boxeraufstandes" in China. Da war es mit der hanseatischen Contenance gleich ganz aus, im Plenum und bei der Hamburger Presse erst recht.
 
Hamburger Häresie: Die Pranger-Presse
 

Christiane Schneider – Lama-Sünderin
Foto: Abgeordnetenwatch
Das Hamburger Abendblatt (26. 5. 2008) empört sich: "Die Linke - und Menschenrechte phasenweise". Denn ein Mediendogma lautet: Wer den Dalai Lama kritisiert, ist gegen Menschenrechte. Vor allem, wenn man dem überweltlich Heiligen freche Fragen stellt wie: "Die tibetischen Religionsführer, das tibetische Mönchstum", müßten sich "der Frage stellen, welchen Kurs sie, bei der Modernisierung, der Beseitigung von Armut und nicht zuletzt der Verwirklichung der Menschenrechte" steuerten. Worin zu allem Überfluß die Anspielung auf die Zustände im seligen alten Tibet - religiöser Kindesmißbrauch, Leibeigenschaft - mindestens mitschwingt. Mit sozialen Fragen Seine Heiligkeit behelligen - da können CDU, SPD, GAL und "Hamburger Abendblatt" nur die feine hanseatische Nase rümpfen. Pfui! 

"Skandale um Mitglieder der Linkspartei" listet das "Abendblatt" denn auch gleich auf. Eben: Aus der Geschlossenheit der Ersatzreligion auszubrechen, das ist der eigentliche "Skandal". Da schwindet der Sinn und der Verstand weicht dem Eifer, selbst im kühlen hohen Norden. Zumal die kurzzeitig Aufsässige die Lichtgestalt der deutschen Bourgeoisie indirekt mit einem Dämon der Bürgerpresse verglichen haben soll - Ayatollah Khomeini. Wortlaut: "Die Weltgesellschaft hat in den letzten Jahrzehnten keine guten Erfahrungen mit Religionsführern gemacht, die sich als Repräsentanten gesellschaftlicher Opposition in die Politik gedrängt haben."
 
Hamburger Häresie: Reue und Einkehr
 
Da kann sich die 90-prozentige Lama-Fraktion im Hamburger Abgeordnetenhaus nur empören. CDU-Fraktionschef Schira etwa schimpft laut "Abendblatt" gegen die "kommunistische Kadersprache" und beklagt, den Koalitionspartner aus dem New-Age-Milieu im psychologisch-taktischen Blick, im Gutmenschenjargon "eine kalte Rede". Schön gesagt von einer Partei, die u.a. für Hartz IV, Kriegseinsätze einschließlich Uranmunition, Waffenexporte und nicht zuletzt - schönen Gruß an die deutsche und Hamburger Ex- und Importwirtschaft - für den Handelsaustausch mit der VR China mitverantwortlich ist. Aber Logik erlahmt beim auch nur "spirituellen" Auftauchen des Dalai Lama spontan; da empfiehlt es sich, der hochschwappenden Glaubensgewalt zu weichen. Die Hamburger Abgeordnete Christiane Schneider, die das Schicksal ihrer "Panorama"-ramponierten niedersächsischen Genossin Christel Wegner nicht erleiden will, ist denn auch sogleich eingeknickt. Kläglich bereute die Sünderin im Verhör mit dem "Hamburger Abendblatt", sie habe "für den Ort nicht die richtige Rede" gehalten. So wird ihr denn die chinesische Wasserfolter oder gar das Schicksal des Hamburger Rebellen Störtebecker knapp erspart bleiben.


Roland Koch - natürlich rechts - weiß hingegen, was Lama-Medien wünschen
Foto: Hessische Staatskanzlei/Pressedienst (Erhard Blatt)


WDR-Kulturradio als Glaubensfunk
 
Entnervt wenden wir uns einstweilen von der kommerziellen Tagespresse ab und stattdessen vertrauensvoll dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu. Der gehört via Gebühr eigentlich uns allen und soll seinen Programmgrundsätzen zufolge auch die Breite unterschiedlicher Meinungen und Sichtweisen in dieser Gesellschaft wenigstens ansatzweise sicht- und hörbar machen. Doch - parbleu - auch unser öffentlich-rechtliches System kennt hier nur eine Meinung. Und die vertritt es mindestens genau so distanzlos, ja hymnisch, wie ein Größtteil der Privatpresse. Dabei nehmen wir uns Sendeformen vor, die mit einem noch informativen, ja intellektuellen Anspruch auftreten. Das gilt namentlich für die morgendliche Kultursendung „Mosaik“ des WDR 3 Hörfunks. Hier gibt es Nachrichten und Kommentare aus der Kultur, unter anderem Filmbesprechungen.
 
Auch an dem gerade in den Kinos angelaufenen Dokumentarfilm „10 Fragen an den Dalai Lama“ des US-Filmemachers Rick Ray glaubte „Mosaik“ nicht vorbeizukommen. Das hätte eine an der Tradition kritischer Filmrezension bei ARD und ZDF orientierte Annäherung schon gelohnt. Denn Rick Ray ist bekennender Anhänger des Dalai Lama und sucht dem verehrten Meister ein Denkmal zu setzen. So hätte man fragen können, ob Ray neben der weltanschaulich-religiösen Verkündung mit filmischen Mitteln irgendwelche wirklich weiterführenden Erkenntnisse vermittele. Ein Dokumentarfilm braucht nämlich mindestens ein gewisses Maß an Distanz, soll zeigen, nicht (nur) agitieren. Gleichermaßen braucht eine Filmrezension ein Mindestmaß an Distanz zum besprochenen Werk. Nur der Autor dieser Filmbesprechung und, schlimmer, die „Mosaik“-Redaktion, scheinen von solch kritischen Maximen nichts zu halten. So verirrte sich die ansonsten informative Radio-Kultursendung mächtig in eine andere Sendesparte: Kirchenfunk zum Beispiel. Statt nämlich einer sachbezogenen Filmrezension – die ja das besprochene Werk empfehlen kann, wenn es der Autor für richtig hält – lieferte „Mosaik“ glatte religiöse Indoktrination. Hier der Pressetext zur Sendung, der für sich selbst sprechen mag:
 
„WDR 3 Kulturradio 08.05.2008 MOSAIK - Das Kulturmagazin
Redaktion: Corinna Rottschy / Maria Ott
10 Fragen an den Dalai Lama
Ein Beitrag von Andreas Wilink
...Mit seiner hohen, seltsam jungen Stimme sagt der Friedensnobelpreisträger aufrichtig und auf direkte Art schlichte Wahrheiten: dass Politik moralische Standpunkte vertreten kann; dass Freiheit, Demokratie und Unabhängigkeit zusammen gehören; dass Armut oft ein glückliches Gesicht trägt, weil Zufrieden- und Bescheidenheit besser ist als Gier. Die Tugend der Selbstdisziplin betrachtet er als ebenso hohes Ideal wie den Respekt vor der Natur und anderen Lebensformen. Autorität und Aura Seiner Heiligkeit machen den Film zu einem Erlebnis. Er verkündet frohe Botschaft.“ Amen, vor allem für die Armen, Klappe, cut! (PK)

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Teil 2 in der nächsten NRhZ:
ARD-Wissenschaftsfernsehen als Religions-TV
Ehrendoktorat der Chemie für den Okkult-Guru
Zufall oder Suggestion - eine Bilderfolge aus der „Tagesschau“
Hamburger Häresie 2 – Helmut Schmidts kritische Anmerkungen

Online-Flyer Nr. 148  vom 28.05.2008

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