NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 08. Mai 2024  

zurück  
Druckversion

Literatur
Rezension und Lesung des neuen Romans von Christoph Nix:
„Junge Hunde“
Von Uli Klinger

Auf Einladung der NRhZ liest Christoph Nix am 2. Juni in Köln aus seinem Roman „Junge Hunde“. Der Autor lässt uns in seinen Entwicklungsroman am Leben des Gymnasiasten Menz teilhaben: Fahrschüler, Halbwaise, Provinzleben im hessischen Dillkreis in der Nähe Frankfurts, Jungenfreundschaften, die Suche nach Mädchen, Knatsch mit der Tante und dem Großvater, bei denen er aufwächst. Nichts Besonderes also. Wenn, ja wenn nicht diese magische Zeit mitspielen würde, die Jahreszahl 1968.

NRhZ präsentiert christoph nix autor "junge hunde"
Autor und Intendant am Theater           
Konstanz Christoph Nix
Und so wächst unser Menz in einer Zeit auf, die politisiert ist, in der Regeln in Frage gestellt und einige außer Kraft gesetzt werden – selbst an einem Ort, weit entfernt vom Kristallisationspunkt der studentischen Aktivitäten. Christoph Nix schildert hier so wunderbar packend und echt eine Jugend, die
Gefühle und die damaligen Verhältnisse, dass man sofort in diese Welt eintaucht und atemlos weiter liest.

„Als die großen Schülerstreiks begannen, lag ich mit einer Grippe im Bett“


Und wenn man das Buch für einen Moment aus der Hand legt und damals ungefähr im gleichen Alter war, stellt man verblüfft fest, dass man eine Reise in seine eigene Jugend, seine eigenen Träume, Weltsicht und die damals real existierenden Verhältnisse unternommen hat. Nix präsentiert diese Welt auf eine so ehrliche, unvermittelt klare Art und Weise, dass man sich erstaunt die Augen reibt. Und wenn man Namen und Orte austauscht, kann man feststellen: Ja, genau so (oder nahezu so) war es in der sogenannten Provinz.

Menz wuchs glücklich auf, sein Vater hatte ein Kaufhaus in der Kleinstadt. Alles schien seinen geordneten Weg zu gehen. Politik spielte keine Rolle, allerdings kam er über den Satz seines Vaters „Es ist gut, dass wir ihn verloren haben, diesen Krieg“ ins Grübeln. Das ist die prägende Erinnerung an seinen Alten, der kein (deutscher) Held war; er hatte sich auf die Seite der Verlierer geschlagen. Sein Vater organisierte sein Kaufhaus wie ein einziges Theater, er war der Impresario – nicht unbedingt gut für die kaufmännische Seite des Geschäfts.

Und so erschießt sich Menz’ Vater, als ihm die Situation über den Kopf wächst: Mit zwei Kugeln, zweimal genau ins Herz. Wie das passieren konnte und wie es vor sich gegangen ist, ist der zweite Knackpunkt in Menz’ jungen Leben. Seine Mutter kann das Kaufhaus nicht halten, der finanzielle und gesellschaftliche Abstieg setzt ein, Menz und seine Schwester wachsen nun im Dorf auf. Gespräche über den Krieg, die Verbrechen, die Shoa finden nicht statt. Bundesdeutsche Realität halt, damals Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre.

Gegen das Establishment und umgekehrt

mao bibel
Passte in jede rote Schülerfaust    
Dann kam 1967-68, Bilder von Vietnam, verbrannte Frauen und Kinder, mordende GIs. Che Guevara, Ho Chi Minh, Rosa Luxemburg und Karl Marx ersetzen ohne großen Übergang die Starposterhelden aus alten „Bravo“-Zeiten. Die Dorfjugendlichen treffen sich in einer verlassenen Hütte, die Marschrichtung ist klar: „Wir waren gegen das Establishment, gegen all die satten Schweiger, gegen das unerträgliche Schweigen“.

Und so wird aus dem fernen China der Rundbrief von „Radio Peking“ abonniert, dem auch gleich die rote „Mao-Bibel“ beiliegt, und Menz ist Teil der großen, weiten Welt: Teil derjenigen Guten, die das Böse bekämpfen. Die ersten Aktionen folgen, dann schließlich die eine Schülerzeitung, „Die rote Schülerfaust“. Sie nennt Ross und Reiter – und das Establishment (in Person des Schuldirektors) wehrt sich.

Staatsanwaltschaft und Polizei ermitteln, die Kriminalisierung beginnt. Eine Reise ins (ferne und wegen des SDS als Zentrum der Weltrevolution angesehene) Frankfurt schafft Kontakt zu einem linken Anwaltskollektiv, das tatsächlich die Verteidigung der Gruppe übernimmt. Ein Schulausflug nach Nürnberg heizt die Situation noch weiter an: Die Schüler nehmen spontan an einer Demo teil und erleben Polizeiwillkür zum ersten Mal persönlich. Es folgt ein Einbruch in die Schule, Parolen werden gesprüht, die Situation droht zu eskalieren. Dann der erste Schülerstreik, das erste Praktikum in der Fabrik, Kontakt zu ausländischen Genossen, und...

enteignet springer pflasterstein
Zwei Symbole der Zeit                                          
Und ganz nebenbei läuft das ebenso reale Leben eines Jugendlichen, ungefähr im Alter zwischen 16 und 17 Jahren. Denn da gibt es noch so vieles, wie beispielsweise Mädchen. Und das von Menz heißt Lisa, Schülerin des altsprachlichen Teils des Gymnasiums, die viel von Menz und wenig von Politik hält, die ihr Abi schaffen will, die trotzdem ein weites Stück des Weges mit ihm geht. Aber es nimmt kein glückliches Ende, denn seine politischen Aktivitäten, seine Freundschaft, seine Solidarität mit den Jungs sind ihr zuviel. Sie fühlt sich verraten und verlassen – und verlässt ihn.


Ehrlich realistisch.

Und so endet das Buch nicht romanhaft, sondern realistisch. Ein Abgesang auf die Ideale der Jugend, auf den Verrat der Hoffnungen und Ziele in einiger Hinsicht, weil die Verhältnisse anders, härter sind. Es gibt einen Ausblick auf die kleinen Fluchten, die das Weiterleben trotzdem ermöglichen, ohne dabei in den bürgerlichen Mief abzugleiten, ohne sein eigenes Leben zu verleugnen. Denn diese Zeit der Demokratisierung war prägend und ermöglichte vielen erst den „aufrechten Gang“, wohin auch immer dieser den Einzelnen auch führte. Den Schluss verrate ich natürlich nicht, man kann sich ihn getrost selbst erlesen!


christoph nix cover junge hunde verlag das neue berlin
Christoph Nix, „Junge Hunde“
Verlag DAS NEUE BERLIN
Roman, geb., 176 Seiten,
16,90 Euro                                             

Aber, was ich gerne verrate und weitergebe, ist meine Begeisterung für diesen Roman, mit dem man und frau in die eigene Jugend eintauchen kann. Nachgeborenen wird ein Verständnis der damaligen Zeit ermöglicht, und solche ehrlichen Romane sind vielleicht für alle Erwachsenen nützlich, um Jugendliche und ihr Aufbegehren besser zu verstehen, besser nachvollziehen zu können. Und es macht unwahrscheinlich viel Spaß, diese manchmal im Rückblick so irrsinnigen und aberwitzigen Episoden zu lesen: Ein Genuss!








Wissenswertes zum Autor:


Dass provinzielles nicht allein in Hessen zu finden, beweist folgende Episode, die für die Kölner „Kulturgeschichte“ schon quasi sprichwörtlich geworden ist. Christoph Peck beschreibt im
Tagesspiegel(Ausgabe vom  28.7. 2004) die Vorgänge auf der Suche nach einem neuen Kölner Kulturdezernenten wie folgt:

Fritz Schramma Foto: Elke Wetzig GNU
Fritz Schramma                                 
Foto: Elke Wetzig, Quelle
„Nach dem Tod der Vorgängerin Marie Hüllenkremer versichert Schramma den kulturpolitischen Sprechern der Fraktionen noch auf der Trauerfeier, bei der Neubesetzung eng mit ihnen zusammenzuarbeiten. Die Stadt schreibt die Stelle aus: 110 Bewerbungen gehen ein. Christoph Nix, dessen Vertrag in Kassel nicht verlängert wird, ruft Barbara Moritz an, die Fraktionsvorsitzende der Grünen. Die SPD beantragt, eine Findungskommission einzusetzen, die Koalition lehnt ab. Schramma drängt, er will ‚endlich Namen’ sehen. Die beiden Fraktionsvorsitzenden, Moritz und Jürgen Klipper von der CDU, nehmen die Sache in Hand.

Für den 7. Juli laden sie zu einer Kandidatenanhörung ein. Die Kulturpolitiker wurden zur Vorauswahl nicht gefragt. Viel ist auch nicht mehr auszuwählen, denn nur noch zwei Bewerber treten an. Der erste Bewerber enttäuscht, Nix dagegen ist gut in Form. Um halb fünf – er will gerade wieder nach Kassel fahren, erfährt er, dass er der Kandidat ist und gleich mitkommen muss, damit er den Fraktionen vorgestellt werden kann. Sein Lebenslauf kursiert noch, da wird schon abgestimmt: sieben Enthaltungen, keine Gegenstimme. Am Abend wird die Presse informiert.

Einen Tag später beginnt man in der CDU-Fraktion nachzudenken. Die ersten Breitseiten gegen Nix werden abgefeuert. In einer Krisensitzung verständigen sich die Schramma-Leute darauf, die Sache durchzustehen. Dann eskaliert die Situation. Ob nun gesteuert von Richard Blömer, dem früheren CDU-Parteichef, der wegen Spendenverwicklungen zurücktreten musste, aber immer noch mächtig ist, oder angestachelt durch den Baudezernenten Bernd Streitberger, der Nix als Prozesshansel abqualifiziert – jedenfalls geht es hoch her. Kultursprecher Blömer gibt sein Amt auf. Und dann ist Nix, der gerade Inthronisierte, wieder weg vom Fenster. Dumm gelaufen für den Juristen, der das Amt des Rektors der Fachhochschule Neubrandenburg für den Kölner Job abgesagt hatte. Am nächsten Tag zieht Schramma die Ratsvorlage zurück.“

christoph nix theater konstanz
Quelle: Theater Konstanz    
„Dumm gelaufen“ ist es eigentlich im Rückblick nicht für Christoph Nix. Er ist heute vielgelobter Intendant des Theaters Konstanz. Ganz im Gegensatz für die Kölner CDU, denn von diesem geistig kulturellen Offenbarungseid hat sich die Partei bis heute nicht erholt. Kritiker bewerten diesen Vorgang als den erstmals sichtbaren Niedergang der einstigen Volkspartei in der Domstadt.

Soweit also zu einem Stück Unkultur ganz besonderer Art, ob nun Drama oder Posse. Umso erfreulicher ist es, nun „Junge Hunde“ lesen zu dürfen – ob Christoph Nix als Kulturdezernent des Millionendorfs noch der Sinn danach gestanden hätte, darf in der Tat bezweifelt werden. (CH)

Die NRhZ präsentiert:   

Christoph Nix
liest aus „Junge Hunde“.
    am 02. Juni. 2008 um 20 Uhr
    in der Buchhandlung für ausgesuchte Literatur
    Rochusstr. 93
    (Haltestelle U-Bahnen 3, 4 „Äußere Kanalstraße“)
    Köln-Bickendorf

Online-Flyer Nr. 148  vom 24.05.2008

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE