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Medien
Reflexe und Reflexionen über Islam in den Medien – Teil II
Kolportierung von Angstszenarien
Von Dr. Sabine Schiffer

Dieser Beitrag könnte dazu geeignet sein, das Feindbild „Islam“ durch das Feindbild „Medien“ zu ersetzen. Denn auf Grund der Auswahl der Beispiele aus dem Mediendiskurs über Islam und Muslime in Deutschland kann man den Eindruck gewinnen, dass „DIE Medien“, die es natürlich ebenso wenig gibt, wie „DEN Islam“, an allem schuld seien. Medien als Teil und Spiegel der öffentlichen Diskussion haben natürlich eine große Verantwortung, weil sie - in der Regel abhängig von den Produktionsbedingungen - die Diskussion auch stark beeinflussen. Auch dieser zweite Beitrag unserer dreiteiligen Serie fokussiert - ganz „medienmäßig“ - bestimmte problematische Aspekte der Darstellung von Islam und Muslimen und lässt bewusst die guten Bemühungen und gelungenen differenzierten Beispiele außen vor. – Die Redaktion


Spiegel 24.07.2006
Spiegel 24.7.2006

Während der Libanoninvasion im Sommer 2006 konnten wir in deutschen Zeitungen vermehrt Abbildungen von betenden israelischen Soldaten vor Militärmaterial sehen. Und obwohl sich natürlich die Soldaten selber mit Kippa und Gebetsschal vor die Panzer stellten, ist doch die Bildauswahl mit genau dieser Motivverknüpfung eine problematische, weil eben die jüdisch-religiöse Symbolik im Zusammenhang mit dem Krieg dann auch wahrgenommen wird. Hier eine erste Antwort auf die Frage, wie man Missstände benennen kann, ohne in eine Verallgemeinerungsfalle zu tappen – indem man derlei Gruppenmarkierungen durch verallgemeinernde Symbole unterlässt.
 
Übernahme der Perspektive von Islamisten
 
Wir müssen aber feststellen, dass es eher solche Konglomerate wie die folgenden beiden Beispiele gibt, die zwar auch eine Verbildlichung gesammelter Fakten darstellen, aber eine derartig reduktionistisch-stereotype Auswahl visualisieren, dass daraus nur Missdeutungen und Missverständnisse entstehen können.

Spiegel und Focus
Focus 1.10.2001                                            SPIEGELspecial Nr. 2/2003

Gerade das SPIEGEL-Titelblatt liefert ein gutes Anschauungsmaterial für einen Trend, den man hier ausmachen kann: die Übernahme der Perspektive von Islamisten. Deren Art der Selbstdarstellung z.B. im Internet wird hier 1:1 kopiert. Mit der Gruppierung aller möglichen Taten um das starke Symbol Kaaba/Mekka wird versucht, alle möglichen (Un-)Taten zu rechtfertigen. Warum aber gibt man bei uns dieser Perspektive Raum und Recht? Warum ermöglicht man es diesen Kräften, das Bild des Islams zu dominieren? Macht man sich hier nicht zum Sprachrohr bestimmter extremistischer Gruppen? Sitzt deren PR-Kampagne auf? Wem glaubt man? Und wem nicht – und warum?
 
An dieser Stelle wäre die selbstkritische Beobachtung eines jedes einzelnen Rezipierenden vonnöten – ob Mediennutzer oder Journalist. Nämlich die Überlegung: Was „weiß“ ich bisher? Was prägt also bereits mein Bild? Und was werde ich darum zuerst wahrnehmen und wieder als Beweis aussuchen? Auch und gerade, wenn mir dieser vermeintliche Beweis ein Schnippchen schlägt und mich die vielen anderen Gegenbeispiele übersehen lässt – einfach weil ich sie nicht erwarte und ich deshalb nicht bewusst nach konterkarierenden Bildern suche. Dies müsste ich aber tun, um diese überhaupt sehen zu können.
 
Falsche Verallgemeinerungen
 
Aus einer einmal eingefahrenen Darstellungstradition sind inzwischen Sehgewohnheiten geworden, die wiederum bestimmen, was man aus dem vielfältigen Angebot der Eindrücke in Zukunft auswählen und eben für wahr halten wird. Ein kohärentes, geschlossenes System, das sich selbst bestätigt – ein Teufelskreis der Wahrnehmung, aus dem aber Überzeugungen erwachsen können. Und obwohl diese hauptsächlich auf Fakten beruhen, können sie doch zu gänzlich falschen Verallgemeinerungen führen. Und auch das gilt wiederum für dieses Thema ebenso wie für Mediendarstellungen überhaupt: auch das Bild, das man sich über „die Medien“ selbst macht, ist auch auf Grund der starken Fragmentierung von vielfältigen Medieneindrücken ein selektives und häufig selbstbestätigendes – entsprechend unseren subjektiven Zuwendungsmechanismen.
 
Es genügt also nicht, sich allein auf das Berichten von Fakten zu berufen, um nicht Vorurteilen zuzuarbeiten. Die Auswahlkriterien müssten ebenso reflektiert werden, wie die Kombination der ausgewählten Ausschnitte. Denn hieraus werden vom Publikum Zusammenhänge gelesen, egal ob es sie gibt oder nicht. Ganz entsprechend dem „guten alten Orientalismus“ erscheint uns heute Islamisches entweder als gefährlich oder allenfalls noch als exotisch – aber äußerst selten bis gar nicht als normal.
 
Notfalls Exotisieren
 
Ein Beispiel für die Exotisierung von Islam und Muslimen bietet die folgende Titelseite des Stern, der offensichtlich ein Ausweichen auf den Raum jenseits des arabischen notwendig macht. Da inzwischen scheinbar der arabische Raum als zu „belastet“ empfunden wird und zudem die gängigen Symbole für den Islam durch die entsprechenden Protagonisten und unsere Medien in Richtung Extremismus umgedeutet wurden, sucht man als Medienschaffender verzweifelt nach neutralen Symbolen. Das Taj Mahal und weiter östlich gelegene islamische Gebiete sowie verklärende Bilder des klassischen Orientalismus scheinen hier noch unbelasteter.

Stern
Stern 2.12.2004

Bei diesem exotisierenden Titelblatt des Stern erscheint auch das Kopftuch der dunkelhäutigen Trägerin nicht ganz so ablehnenswürdig. Hier wird auch das Potenzial deutlich, dass derlei Symbole wieder umgedeutet werden können, wenn man sie denn mit Bildern und Texten kombiniert, die Angenehmes assoziieren. Hingegen ist die Burqa zur Metapher der „armen, unterdrückten Muslimin“ geworden.
 
Ersatzdiskussion
 
Im Beitrag des französischen Courier International wird einem Bericht über die Frauensituation in Pakistan, das Bild afghanischer Burqaträgerinnen zugeordnet und ein Einschub behandelt noch das Thema „Mädchenbeschneidung“ im Senegal. Alles Fakten und auch nicht gutzuheißen, aber als gemeinsamer Nenner dieser sinn-induktiven Verknüpfung disparatester Themen bleibt irgendwie „Islam“ übrig, was den beschriebenen Sachverhalten in den einzelnen Beiträgen überhaupt nicht gerecht wird. Und vor allem den behandelten Problemen nicht zur Lösung verhilft. Wenn man nämlich bei der Diskussion über „den Islam“ und „islamisches Recht“ kleben bleibt, wird man den Themen nicht gerecht, die auch in nichtmuslimischen Communities eine Rolle spielen. Man läuft Gefahr, eine Art Ersatzdiskussion zu führen, statt die relevanten problematischen Themen anzugehen. Statt also etwa die Anerkennung geschlechtsspezifischer Verfolgung als Asylgrund zu verhandeln, diskutiert man über die verwerflichen Werte der anderen.

Courier
Courier International 6.11.2003

Stattdessen begnügt man sich häufig mit der Kolportierung von Angstszenarien und Überfremdungsängsten und bedient ein System des Wegverweisens, der Projektion. Das heißt die Gefahr besteht, dass man über Kopftuchmoden und Moscheearchitektur diskutiert, während die Conditio etwa von Frauen bei uns und weltweit konstant bleibt und etwa Bürgerrechte nicht nur in den USA, sondern auch bei uns im Windschatten solch aufgeregter Debatten eingeschränkt werden. Hier droht uns gerade der Überblick verloren zu gehen, noch zu erkennen, was wichtig ist und was wirklich passiert und durch wen dieses veranlasst wird. Während also noch vor muslimischer Einflussnahme gewarnt wird – wie das Beispiel aus dem SPIEGELspecial und der BILD-Zeitung verdeutlichen – werden Rechtseinschränkungen von ganz anderer Stelle aus tatsächlich vorgenommen.

Spiegel - Bild
SPIEGELspecial Nr.1/1998                  BILD 28.9.2006

Auch eine Muslimin mit Deutschlandfahne als Kopftuch auf einer Stern-Titelseite kann uns angesichts der Angstdebatte nicht beruhigen. Der misstrauische Blick könnte dies nicht als Loyalitätsbeweis und Patriotismus, sondern gar als Vereinnehmungsversuch uminterpretieren. Hier wird bereits ein Grundmechanismus eines Misstrauensdiskurses deutlich. Wenn Misstrauen herrscht, dann werden alle Zeichen auch dementsprechend interpretiert. Dann könnten muslimische Frauen, die das Kopftuch ablegen, als nur geschicktere Versteller interpretiert werden.

Stern 147
Stern 12.10.2006

Und das Dilemma, in dem sich viele Muslimische Verbände befinden, wird hier ebenso klar: Wer sich nicht zu Attentaten sog. islamistischer Terroristen äußert, dem wird schnell stillschweigendes Einverständnis unterstellt. Nimmt man aber kritisch Stellung dazu, was neuerdings sogar in den Hauptnachrichten der Tagesschau gesendet wurde, dann schwebt immer schnell der Verdacht über den Verlautbarungen, dass man sich ja nur aus strategischen Gründen so äußere. Wie man es macht, es ist falsch und das ermutigt nicht gerade zum Handeln. Angesichts der ungünstigen diskursiven Strukturen in diesem hierarchischen Diskurs, müsste man eigentlich mehr die Kräfte loben, die trotzdem konstruktiv dabei bleiben – und das sind nicht wenige. (PK)
 
Sabine Schiffer

Dr. Sabine Schiffer ist Gründerin und Leiterin des Instituts für Medienverantwortung in Erlangen - www.medienverantwortung.de  
Foto: privat
 
Einen Beitrag zum Umgang der Medien und der Bundeszentrale für politische Bildung mit dem Präsidenten des Iran finden Sie auch in dieser NRhZ-Ausgabe. Teil III  folgt in NRhZ 147.

 
 
 
 
 

Online-Flyer Nr. 146  vom 14.05.2008

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