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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Medien
Walter van Rossums Analyse der Medienwirklichkeit am Beispiel ARD
Das Tagesschau-Spektakel
Von Wolfgang Bittner

Dass in den meisten „unserer“ Leitmedien ständig nach Strich und Faden verschleiert und gelogen wird, weiß inzwischen fast jeder. Walter van Rossum liefert die Beweise. Er konstatiert: „Die große Mehrheit der Journalisten sieht ihre Aufgabe darin, die Gesellschaft vor den finsteren und komplexen Realitäten zu beschützen … ‚Humanitär’ ist die zentrale Kriegsbegründung des beginnenden 21. Jahrhunderts und seit der ‚Befreiung’ des Kosovo zum Paradigma geworden.“ Selbst die täglich von Millionen gesehene Tagesschau ergeht sich zumeist in 15 Minuten Schwafelei und Nebensächlichkeiten. Literatur, Philosophie und Reflexion liegen „normalerweise außerhalb ihres Sendegebietes“.

Der Autor hat in der ARD-aktuell-Redaktion in Hamburg ein paar Tage beim Verfertigen von Nachrichtensendungen zugeschaut und mit einigen der Verantwortlichen Gespräche geführt, u.a. mit dem Chefredakteur Kai Gniffke und der „Welterklärerin der ARD“ Anne Will. Er kann also vieles aus unmittelbar eigener Anschauung berichten. Am Beispiel des türkischen Schriftstellers Orhan Pamuk, der eine Lesereise nach Deutschland abgesagt hatte, stellt van Rossum fest: „Die Tagesschau irrt sich nicht bloß, sondern sie erfindet Informationen, damit Vorgänge in ein bestimmtes bereitliegendes politisches Deutungsschema passen.“


Kai Gniffke
– verantwortlich für 15 Minuten Schwafelei
Quelle: www.mediengedanken.de
 
Zum Staatsbesuch der Bundeskanzlerin in China, wo Frau Merkel die Achtung der Menschenrechte einklagte, schreibt van Rossum: „Man stelle sich einmal vor, der chinesische Staatspräsident verlangte bei seinem nächsten Staatsbesuch in Deutschland als offiziellen Programmpunkt einen Besuch bei Funktionären der verbotenen KPD, von denen womöglich ein paar Genossen wegen des Verbots jahrelang im Gefängnis gesessen haben, um ihnen bei dieser Gelegenheit das Wohlwollen und die Unterstützung der Volksrepublik China zu versichern. Beim anschließenden Staatsbankett brächte er das Problem der deutschen Kinderficker in Asien zur Sprache und – zwischendurch ein Toast auf die deutsch-chinesische Partnerschaft – jetzt müsse er leider auch noch sein Missfallen an der sexistischen deutschen Kultur zum Ausdruck bringen, denn diese Kultur scheine ja dazu zu führen, dass es etwa eine Million an Bulimie erkrankte Menschen in Deutschland gäbe, von denen viele mit dem Tod ringen. Und dies alles wäre mit dem chinesischen Menschenbild nicht vereinbar, und man müsse sich Schritte vorbehalten, wenn hier nicht etwas unternommen würde.“
 
An anderer Stelle wird der amerikanische Politiker Lee Hamilton, Mitglied der sogenannten Baker-Kommission zitiert: „Wenn die irakische Regierung keine wesentlichen Fortschritte in Richtung der entscheidenden Ziele macht, dann müssen die USA ihre politische, militärische und wirtschaftliche Hilfe zurückfahren.“ Dazu van Rossum: „Man muss sich noch einmal in Erinnerung rufen, was weder Tagesschau noch Tagesthemen je sagen: Die Vereinigten Staaten haben ein Land militärisch überfallen, eines der stabilsten Länder der Region in einen Bürgerkrieg geführt, die Infrastruktur des Landes total ruiniert, eine von niemandem wirklich anerkannte Regierung installiert, ein prosperierendes Land zu einem der ärmsten der Erde gebombt, und jetzt wagt es ein amerikanischer Politiker, von ‚politischer, militärischer und wirtschaftlicher Hilfe’ zu phantasieren – ohne dass bei den Tagesthemen es jemand für nötig hielte, die offensichtlichste Demagogie … als solche zu entlarven.“


Walter von Rossum
Quelle
: www.siwikultur.de
Spannend ist auch, wie der Autor die tendenziösen Kommentare der ARD zerpflückt. Da wird schwadroniert und „Moral souffliert, wo Vernunft den Dienst versagt“. Kommentare, Berichte und Fernsehnachrichten „funktionieren reibungslos als die Vollzugsbeamten jener ‚Realität’, über die sie angeblich nur berichten wollen“ oder die sie zu kommentieren vorgeben; die „Spielräume des Pluralen schwinden zusehends.“ Van Rossum deckt auf, er durchleuchtet und analysiert, er nimmt Stellung, manchmal bissig und geradezu erbost, dann wieder abgeklärt und humorvoll. Das Buch steckt voller Informationen und es macht trotz der Ernsthaftigkeit des Themas Spaß, es zu lesen. Ausschnitte aus seinem Buch finden Sie in NRhZ 123 bis 127. (PK)



Walter van Rossum:
„Die Tagesshow – Wie man in 15 Minuten die Welt unbegreiflich macht“

Köln – Kiepenheuer und Witsch – 2007,
KiWI 1016, 200 S., 8, 95 Euro,
ISBN: 978-3-462-03951-1





Online-Flyer Nr. 145  vom 07.05.2008

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