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Inland
Labournet gewinnt gegen Bochumer Staatsanwaltschaft
Von der Provinzposse zur Presse-Affäre
Von Hans-Dieter Hey

In Zeiten weitgehend vereinheitlichter, durch Wirtschaft, Politik und Lobbyisten oft genug in Beschlag genommener Berichterstattung in den Medien ist es wie ein freies Durchatmen bei frischer Frühlingsluft, wenn die Pressefreiheit einen kleinen Sieg erringt. Zu diesem Sieg kann man das gesellschafts- und gewerkschaftskritische Medienportal "www.labournet.de" seit Wochenanfang beglückwünschen

Kann denn "links" strafbar sein?

Nachdem der Briefträger Montagmorgen bei Mag Wompel, der verantwortlichen Redakteurin von Labournet, geklingelt hat, übergibt er ihr einen Gerichtsbeschluss der 6. Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 10. Januar. Der Brief von der Justiz ist diesmal positiv, denn Mag Wompel hat inzwischen ganz andere Erfahrungen mit der Staatsgewalt. In dem Beschluss stellt das obere Gericht fest, dass eine Durchsuchung durch die Bochumer Staatsanwaltschaft in den Redaktionsräumen von Labournet und den Privaträumen von Labournet-Journalisten rechtswidrig war. Das Gericht stellt weiter fest, dass die Beschuldigte Mag Wompel "... durch den Beschluss und dessen Vollzug möglicherweise in ihrem Grundrecht aus Artikel 5 GG, mit Sicherheit aber in ihren Grundrechten aus Art. 2, 13 GG verletzt worden ist". Genauer gesagt: Es geht um die Meinungs- und Pressefreiheit für eine linke Internetzeitung.

Überfall auf die Pressefreiheit

Am 5. Juli 2005 hatte es auch bei Mag Wompel geklingelt. Allerdings schon morgens um 6.30 Uhr. Vor der Tür stand ein Staatsanwalt mit seinen polizeilichen Hilfstruppen und begehrte Einlass. Anlass für die Durchsuchung war ein Flugblatt, das aussah wie ein Schreiben der Bundesagentur für Arbeit vom 14.12.2004. Darin konnten sich Erwerbslose selbst als "Ein-Euro-Jobber zur Kinderbetreuung, zum Schneefegen oder für kleinere Reparaturarbeiten" bei der Agentur anbieten. Als Absender des Schreibens gab sich ein "Kommando Paul Lafargue" aus. Paul Lafargue war der Schwiegersohn von Karl Marx. Aus diesem Spaß eines Anonymen wurde für die Labournet-Leute Ernst, denn die Staatsanwaltschaft wollte ihnen den Lafargue-Brief als Urkundenfälschung in die Schuhe schieben.

Große Solidarität für Labournet

Die juristische Auseinandersetzung nach der Hausdurchsuchung dauerte Monate. Während dessen erhielt Labournet täglich Solidaritätsadressen zur moralischen Unterstützung - vom "Komitee für Grundrechte und Demokratie" über Zeitungen und Zeitschriften bis hin zur "Arbeiterfotografie" und zahllosen Privatpersonen. Nur der DGB-Bundesvorstand wollte sich nicht zur Solidarität für ein gewerkschaftskritische Forum hinreißen lassen. In seinem Schreiben vom 18.August 2005 hieß es lapidar: "Allerdings bitten wir um Verständnis dafür, dass der Vorstand des DGB einen solchen Protestbrief aus grundsätzlichen Gründen nicht unterzeichnen kann. Da es uns nicht möglich ist, die genaueren Hintergründe und Beweggründe vollständig zu überprüfen, können wir uns kein Urteil erlauben." Stattdessen hagelte es Protestschreiben Richtung Staatsanwaltschaft und Gericht. Das Fax der Staatsanwaltschaft Bochum war täglich stundenlang besetzt. Mit dem Urteil des Landgerichts wurde die Staatsanwaltschaft Bochum nun endgültig blamiert. Ihr droht auch noch ein Verfahren auf Ersatz des für Labournet entstandenen Schadens.

Wo Recht zum Unrecht wird

Dass Bochum nicht nur eine Provinzposse war, zeigen Vorfälle ähnlicher Art in den vergangenen Jahren, in denen Behörden widerrechtlich Journalisten und Pressebüros durchsuchten. Solche Übergriffe gab es beim VVN-Vorsitzenden Ulrich Sander, bei der anti-atom-aktuell-Redaktion, bei der kurdischen Tageszeitung Özgür Politika, beim Rheinischen Journalistenbüro in Köln und dem Journalisten Nick Brauns. Der BND überwachte den BND-kritischen Journalisten Erich Schmidt-Eenboom und den Focus-Redakteur Josel Hufelschulte. Rausgekommen ist in allen Fällen nichts.

Die "junge welt" berichtete am 13.10.2005: "Laut einer Statistik des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) hat es zwischen 1987 bis 2000 insgesamt 150 Durchsuchungen von Zeitungen und Funkhäusern sowie Privatwohnungen von Journalisten gegeben. Bezeichnend ist übrigens: Keiner dieser 150 Journalisten wurde je wegen der ihm gemachten Vorwürfe verurteilt."

Die Vielzahl der Vorfälle legt den Verdacht nahe, dass staatliche Organe wie der Verfassungsschutz oder der Bundesnachrichtendienst auf diese Weise an Erkenntnisse gelangen wollen, die sie auf legalem Wege nicht erhalten. Durch widerrechtliche Übergriffe dieser Art gerät die Pressefreiheit in Gefahr, weil JournalistInnen ihre Informanten nicht mehr schützen können. Und die Demokratie stirbt ein bisschen mehr.


Online-Flyer Nr. 28  vom 25.01.2006

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