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Aktueller Online-Flyer vom 24. April 2024  

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Arbeit und Soziales
Kritik an Spitzel-Besuchen bei Hartz-IV-Empfängern
Wie Protokoll der Stasi
Von Peter Höfer

Hausbesuche bei Arbeitslosen in Spitzelmanier oder rechtswidrige Video-Überwachungen: Noch viel zu oft verletzten Behörden Persönlichkeitsrechte. Die Blockwarte und Stasi-Mitarbeiter des 21. Jahrhunderts führen junge Frauen in Unterwäsche zu „Gegenüberstellungen" und protokollieren Zigaretten im Aschenbecher – die Redaktion.

Lange Liste von Beschwerden über Spitzelpraktiken


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gegen den Spitzelstaat
Der Behördenbesuch kam am frühen Morgen, unangemeldet. Die junge Hartz-IV-Empfängerin durfte sich nicht einmal etwas überziehen. Sie stand in Slip und Top vor den Kontrolleuren. Der Verdacht: Die junge Frau wohne mit dem Nachbarn zusammen, das sei Leistungsmissbrauch. Den Nachbarn hatte man zur „Gegenüberstellung" gleich mitgebracht. „Entspannt und ausgeruht" habe der Mann anfangs gewirkt, notierte der Herr vom Amt später. „Er erscheint weder verschwitzt noch abgehetzt. Dagegen bildeten sich zum Ende des Gesprächs Schweißperlen auf seiner Oberlippe." Auch dass sich im Aschenbecher in der Küche „sechs Zigaretten" befanden, machte der Späher aktenkundig, und dass in einem Schrank im Flur eine "Plastikdose mit Weihnachtskugeln" abgelegt war.

„Was sich wie ein Protokoll der Stasi der DDR liest, ist in Wahrheit der Prüfbericht des Außendienstes einer Arge", sagt Schleswig-Holsteins Datenschützer Thilo Weichert. Sozialgeheimnis, Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit bei amtlichen Recherchen? Für manch eine Arge (Arbeitsgemeinschaft von Kommune und Arbeitsagentur), die Betrüger aufspüren soll, scheinen das Fremdworte zu sein. „Die Mitarbeiter müssen den Unterschied zwischen Hausbesuchen und Hausdurchsuchungen, einer Befragung und einem Verhör kennen", verlangt Weichert. Das erfordere Schulung, und die komme vielerorts offenbar zu kurz, denn die Liste der Beschwerden über die Spitzelpraktiken von Sozialbehörden sei lang.
 
Ein Einzelfall? Mitnichten!

Auch die Leichtfertigkeit, mit der die Justiz zuweilen ans Werk gehe, beunruhigt Weichert. Wie in jenem Fall, in dem Polizisten einen in einem Strafverfahren beschlagnahmten Rechner an einen Verband übergaben, der Urheberrechtsverletzungen verfolgt. Der anfängliche Tatvorwurf hatte sich zwar nicht bestätigt, doch auf dem Computer hatten die Ermittler geschützte Filmdateien entdeckt. Der Mitarbeiter des Verbandes kümmerte sich jedoch nicht nur um die Urheberrechtsverletzungen, sondern durchforstete den gesamten E-Mail-Verkehr des Betroffenen. Ein Einzelfall? Mitnichten. Weichert hat Hinweise dafür, dass Strafverfolger und Unterhaltungsindustrie „systematisch und nicht nur in Schleswig-Holstein" zusammenarbeiten.



Plakat von einer Demonstration mit den Aktivisten „Die Überflüssigen" vor der Kölner ARGE 2007 | Foto: arbeiterfotografie

Alarmiert haben den Datenschutz daneben Video-Überwachungspraktiken, die immer mehr um sich greifen. Ein Café-Betreiber in Norddeutschland filmte seine Mitarbeiter und Kundschaft lückenlos aus unterschiedlichsten Perspektiven. „Unzulässig" sei solche Vollüberwachung, die häufig auch beim Nachbarn installiert sei. Immer öfter wird der Datenschützer gebeten, vermittelnd in Nachbarschaftsstreitigkeiten einzugreifen, die in Kameraüberwachung ausarte. Die Technik sei kostengünstig in der Anschaffung, leistungsfähig im Betrieb, greife „massenhaft" um sich und gefährde zunehmend Persönlichkeitsrechte. (HDH)

Wir danken dem Schleswig-Holsteiner-Zeitungsverlag für ihren Artikel vom 16.04.2008.

Online-Flyer Nr. 143  vom 23.04.2008

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