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Aktueller Online-Flyer vom 23. April 2024  

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Lokales
Löst Mülheim an der Ruhr Köln als Klüngelhauptstadt ab?
EU-Bestimmungen missachtet und verletzt
Von Peter Kleinert

Auch die EU-Wettbewerbskommssion scheint inzwischen davon überzeugt zu sein, dass die Stadt Mülheim an der Ruhr Köln als Klüngelhauptstadt überholt hat. Knapp ein Jahr nach der Beschwerde der Wählergemeinschaft Mülheimer Bürger Initiativen in Brüssel über die nach ihrer Auffassung unzulässige Ausschreibung des „Ruhrbania“-Projektes teilte die Kommission der MBI-Fraktion mit, dass sie deren Bedenken in allen Punkten teile. Offenbar deshalb weigert sich Stadtdirektor und Rechtsdezernent Dr. Frank Steinfort seit dem 10. März, ein entsprechendes Schreiben der EU den Ratsfraktionen zu übergeben.
 
„Mülheim mit Mut an der Ruhr“ betitelte die WAZ im Mai 2004 das aufwändige „Strategieprojekt Ruhrbania“ von SPD-Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld, das nach deren von der lokalen Presse kritiklos gefeierter Darstellung „steigende Lebensqualität in unserer Stadt am Fluss“ verspricht (siehe NRhZ 91 vom 18.4.07). Im Juni 2006 wurde dazu im Stadtrat mehrheitlich die Gründung der Ruhrbania-Projektentwicklungsgesellschaft (RPG) beschlossen, die die Grundstücke im Gebiet der geplanten Ruhrbania-Ruhrpromenade baureif  machen und vermarkten sollte. Die Übertragung von 50% der RPG an Private wurde bereits im März 2006 EU-weit ausgeschrieben. Im März 2007 beschloss der Stadtrat mehrheitlich die Beteiligung der holländischen Firma Reggeborgh des Investors Wessels.



Dr. Steinfort und OB Mühlenfeld – Rote
Karten von der EU-Kommission?
Quelle: www.muelheim-ruhr.de

Begünstigende Ausschreibung
 
Weil die MBI-Fraktion von dem Projekt – wie sich inzwischen zeigt, mit Recht – massive Eingriffe in gewachsene Strukturen – wie die geplante Überbauung einer Landesstraße, die Zerstörung des Mülheimer „Gartendenkmals der Ostruhranlagen“, einen denkmalgeschützten Teil des Rathauses und den Rathausturm, die Bücherei, das Gesundheitshaus und die AOK – sowie gleichzeitig hohe finanzielle Risiken für die Stadt und damit für ihre Bürger befürchtete, und weil sie die die holländische Investmentgesellschaft Reggeborgh ihrer Ansicht nach begünstigende Ausschreibung für eine „Farce“ hielt, die gegen klare EU-Richtlinien verstieß, schaltete sie die Wettbewerbskommission ein. Sie wollte verhindern, dass dort ein ähnlicher Bauskandal zustande käme wie der um die Kölner Messehallen, Unterstützt wurde die MBI dabei 2005 durch einen erfolgreichen Bürgerentscheid, nach dem die Übertragung von kommunalen Gesellschaftsanteilen auf Private im Bereich der Daseinsvorsorge ausdrücklich unterbunden wurde. Darunter fällt auch Infrastruktur.
 
Alles im grünen Bereich?

 Die EU-Antwort auf die Beschwerde liegt nun OB Dagmar Mühlenfeld und ihrem Rechtsdezernenten Steinfort vor, wird von diesen aber nicht an die Fraktionen im Stadtrat weitergegeben, zumindest nicht an die MBI-Fraktion als Beschwerdeführer. Begründung von Dr. Steinfort gegenüber MBI-Fraktionssprecher Lothar Reinhard: „Wir werden das Schreiben der EU-Kommission unverzüglich an die Fraktionen versenden, sobald die Vorbereitungen für unsere Gesamtberichterstattung für den Hauptausschuss am 10.04.2008 abgeschlossen sind. Wir streben an, die Fraktionen „aus einem Guss“ zu informieren und eine Zerfaserung der Berichterstattung über dieses Thema zu vermeiden.“ Reinhards Kommentar: „Das spricht Bände.“ Dem Rechtsdezernenten teilte er schriftlich mit, die MBI werde nun also eine öffentliche Diskussion über die städtische Stellungnahme in Gang bringen „um möglichen


OB Dagmar Muehlenfeld
OB Dagmar Mühlenfeld: „Steigende Lebensqualität in unserer
Stadt am Fluss" | Foto: www.ruhrbania.de


Schaden für unsere Stadt zumindest zu verringern... Aus Ihrer Sicht mag das eine „Zerfaserung“ sein, weil Sie sich nicht hinein reden lassen wollen. Wie Sie in der gestrigen Presseerklärung zum Ausdruck brachten, sehen Sie auch alles im grünen Bereich. Das können wir aber nicht nachvollziehen.“

 EU-Kommission ist gespannt
 
Eine anschließende ausführliche Rücksprache mit der Vergaberechtsabteilung der EU-Kommission bestätigte der MBI-Fraktion, laut Reinhard, dass ihre Beschwerde das Überprüfungsverfahren zur Vergaberechtsproblematik zu Ruhrbania ausgelöst hat. Man entschuldigte sich seitens der Kommission, dass es dabei wegen Umstrukturierungen in Brüssel zu Verzögerungen gekommen sei. Lothar Reinhard: „Die EU-Kommission teilt unsere Bedenken in allen Punkten und sie ist gespannt, wie die Stadt Mülheim die schweren vergaberechtlichen Bedenken ausräumen will!“
 
Sollte sich Reinhards Darstellung der Haltung der EU-Kommission in diesem Gespräch bestätigen, kommen auf die Mühlheimer Oberbürgermeisterin, die Mehrheitsfraktionen und die Stadtverwaltung schwierige Zeiten zu. Die Punkte der Beschwerde, in denen danach die Vergaberechtsabteilung die MBI-Bedenken teilt, haben nämlich (in Auszügen) den folgenden Wortlaut:


MBI-Sprecher Lothar Reinhard
MBI-Sprecher Lothar Reinhard: „Die Ausschreibung war
eine Farce“ | Foto: privat


 Die MBI-Beschwerde 
„...Wir ersuchen Sie hiermit, die mit der Dokumentennummer 49170-2006 vom 17.3.2006 im Amtsblatt der EU (TED) versehene Ausschreibung der Stadt Mülheim zur Vergabe von Anteilen der „Projektentwicklungsgesellschaft Ruhrbania“ dahingehend zu überprüfen, inwieweit wettbewerbs- und vergaberechtliche Bestimmungen missachtet und verletzt wurden.
 
1. Ist ein Vergabeverfahren überhaupt erlaubt, wenn die Beteiligung an einer kommunalen Gesellschaft ausgeschrieben wird, bevor es die Gesellschaft überhaupt gibt? 
 
2. Ist das o.g. sog. „Vergabeverfahren“ überhaupt als solches im Sinne der europäischen Vergabeordnung anzusehen, insbesondere was das sog. „Verhandlungsverfahren“ betrifft?

 
3. Inwieweit war die Ausschreibung vom 17.3.06 im EU-Amtsblatt und das darauf folgende sog. Vergabeverfahren der Stadt Mülheim überhaupt zulässig, da beides dem gültigen Mülheimer Bürgerentscheid gegen weitere Privatisierung der Daseinsvorsorge widersprach?
 
4. Ist es mit dem europäischen Vergaberecht vereinbar, wenn im Verlauf des Vergabeverfahrens die Ausschreibungsmodalitäten und -vorgaben fundamental oder sehr wesentlich geändert werden? 


Umweltdezernentin Helga Sander
Sogar Umweltdezernentin Helga Sander warb für „Ruhrbania“
Quelle: www.ruhrbania.de


Bei dem o.g. EU-weiten Ausschreibungsverfahren vom 17.3.06 wurden nämlich den potenziellen Bietern gänzlich andere Bedingungen vorgegeben, wie sie jetzt mit der Firma Reggeborgh verhandelt und im Rat beschlossen wurden (vgl. Anlage 8). Das aber macht das Ausschreibungsverfahren zur Farce, denn andere potenzielle Investoren konnten nicht wissen, dass eben keine finanzielle Vorleistung mehr von ihnen verlangt wird zur Baureifmachung der Ruhrbania-Grundstücke (vgl. Anlagen 2,3 und 5). Möglicherweise hätten die ein oder andere Firma unter diesen geänderten Bedingungen Interesse gehabt und sie hätten z.B. günstigere Bedingungen anbieten können als Firma Reggeborgh. 
 
…können wir uns nicht vorstellen, dass bei Projekten wie der „Ruhrpromenade“ – mit einem potenziellen Gesamtinvestitionsvolumen von ca. 200 Mio. Euro (vgl. Begründung S. 21 zur Beschlussvorlage V 04/0419-01, Anlage 7) – derart intransparente und unsaubere Abläufe und Verfahren mit dem EU-Vergaberecht vereinbar sein können. Deshalb erwarten wir, dass Sie als Vergaberechtskommission überprüfen, inwieweit das mit dem Vergaberecht vereinbar ist.“


Cartoon
Mühlenfeld-Cartoon auf der MBI-Seite | Cartoon: www.mbi-mh.de


Folgen auch für RP Büssow?
 
Erhebliche Probleme dürfte die bisher von der Stadt verheimlichte Antwort der EU-Kommission und deren Folgen nicht nur der Stadt und der auf Beschluss der Ratsmehrheit gegründeten und schon seit längerem im Stadtbild mit sichtbaren Folgen aktiven Ruhrbania-Projektentwicklungsgesellschaft und dem durch deren Teilprivatisierung begünstigten Investor Reggeborgh bereiten. Auch Regierungspräsident Jürgen Büssow und diversen Ministerien des Landes NRW dürften davon betroffen werden. Die hatten nämlich nicht nur vor Jahren  – ebenfalls von der MBI wegen Verstößen gegen EU-Recht angemahnt – trotzdem als Aufsichtsbehörden einer Teilprivatisierung der geplanten Mülheimer Entsorgungsgesellschaft (MEG) ohne Vergabeverfahren zugestimmt – zugunsten der RWE-Tochter Trienekens, die an der MEG dann 49 Prozent erwarb, was zu erheblichen Preissteigerungen für die Mülheimer BürgerInnen geführt hat. Trienekens beschäftigt bekanntlich noch heute die Gerichte im Zusammenhang mit dem Kölner Müllskandal. Auch bei der Privatisierung der RPG wollten Innenminister Wolf und RP Büssow – anders als die EU – kein vergaberechtliches Fehlverhalten erkennen, obwohl sie fast gleichlautende Beschwerden der MBI erhalten hatten wie die EU. (PK) 
 
Mehr zum Mülheimer Klüngel unter www.mbi-mh.de[[www.mbi-mh.de]]

Online-Flyer Nr. 138  vom 19.03.2008

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