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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Kultur und Wissen
Häutungen der Philosophin, Feministin und Künstlerin Ingrid Straube
Dem Ruf von Befreiung und Lust folgen
Von Anneliese Fikentscher

„Das Zaumzeug reißt ihr den Mund blutig. Der Schmerz macht willig, aber nicht willenlos. Sie scheut, bäumt sich auf und tritt jeden, der ihr zu nahe kommt...“ Die ausgebildete Fotografin Ingrid Straube verfolgte in ihren Arbeiten gleichermaßen literarische und bildnerische Darstellung. In ihrer Ausstellung „Evas Häutungen“, im Jahre 2004 in der Galerie Arbeiterfotografie in Köln, verknüpfte sie Fotografie und Poesie, die einen feministisch kämpferischen Hintergrund auch nicht ansatzweise verstecken kann und will.

„In einem Ziel sind sich die Philosophen und Historiker aller Couleur einig: die patriarchale Grundansicht über die Entstehung der Menschheit zu zementieren. Der Nachwelt wird eine kontinuierliche Sicht der Dinge und eine Ordnung der Welt suggeriert, die von Anfang an durch den Mann besteht und von ihm beherrscht wird.“ In ihrem Standardwerk „Die Quellen der Philosophie sind weiblich“ zieht die promovierte Philosophin gegen eine Geschichte der Philosophie zu Felde, die – beginnend in der griechischen Antike – alle Spuren leugnet, die weit ins Matriarchat zurückführen, um derartige Gedankengänge „endgültig zu vernichten“.

portrait Ingrid Straube
Ingrid Straube | Foto: arbeiterfotografie.com     
Als langjährige Redakteurin der „beiträge zur feministischen theorie und praxis“ zeichnet Ingrid Straube in der Ausgabe 55/2000 für ein Themenheft „kreativ/dekorativ – Reflexionen über Kunst und Ästhetik“ verantwortlich. In das Heft fließen zahlreiche Kunstwerke ein von Malerinnen, Fotografinnen, Performance- Künstlerinnen, zu denen Ingrid Straube im persönlichen Kontakt steht, darunter Karin Schlechter (auf der Suche nach einem eigenen Bild), Jane Dunker, Karin Meinel und viele andere. Die Kunst in Form der sinnlichen Wahrnehmung bewirke „Reize und Impulse, die auf die Sinnesorgane wirken“, die als Gefühlsauslöser „die unterschiedlichen Wirkungen haben können, die sowohl zu körperlichen Reaktionen als auch zu Handlungen führen.“

In einem eigenen Beitrag vollzieht die Philosophin Straube den seit der Antike währenden Prozess nach, die Sinnlichkeit zur „Logik des Schönen“ zu transformieren, um die Sinneswahrnehmungen (nach Platon) zu entemotionalisieren und zu „reinigen“. Die Feministin Straube kommt zu dem Schluss, dass hauptsächlich „Kunst und Literatur von Frauen sich von ästhetischen Vorgaben und Meinungen der Autoritäten und Kritiker befreien“ sollten, und dass die eigene Erkenntnis in den Mittelpunkt zu stellen sei.

Dr. phil. Ingrid Straube wurde1945 in Jena geboren, studierte Philosophie und Germanistik in Berlin und Aachen, war langjährige wissenschaftliche Mitarbeiterin am Philosophischen Institut der RWTH Aachen und Redakteurin bei der Zeitschrift „beiträge zur feministischen theorie und praxis“ sowie Dozentin an der Melanchton-Akademie Köln, mit dem Schwerpunkt feministische Philosophiekritik. Sie war Mitglied im Schriftstellerverband Köln und (ab 2003) in der Arbeiterfotografie. Ingrid Straube lebte zuletzt in Köln, wo sie im Herbst 2004 völlig unerwartet verstarb.

In einem Nachruf (unter Verwendung eines Textes der Künstlerin selbst) verabschiedeten sich von der „unerschrockenen Verfechterin der Frauen- und Menschenrechte“ viele WeggefährtInnen aus dem Deutschen Akademikerinnenbund, dem Int. Frauen-Friedensarchiv in Oberhausen, Frauentheater Piccolo, KünsterlInnen, AkademikerInnen, FreundInnen:

    „Vergessen kann ich nicht, was wir gewollt,
    dem Ruf von Befreiung und Lust zu folgen,
    den Traum von einem Zimmer für mich allein
    und von gleichem Lohn für gleiche Arbeit einzulösen.
    Vergessen will ich nicht, was wir nicht gesollt.
    Adieu, vergiß mich nicht, liebe Freundin.“

(Ingrid Straube, aus dem Roman „Der gespiegelte Widerspruch“)

(CH)


Bücher von Ingrid Straube:

„Verordnete Unmündigkeit“
Essays zur Philosophiekritik aus feministischer Sicht
ein-Fach-Verlag Aachen, ISBN 3-928089-35-8

„Der gespiegelte Widerspruch“
Roman (mit Fotos)
Literatur Atelier Frauen Museum Bonn 2002, ISBN 3-928239-89-X

„Die Quellen der Philosophie sind weiblich“
ein-Fach-Verlag Aachen, ISBN 3-928089-29-3

„Schwäne kreuzen die Fahrbahn“
Multiple Erzählungen
BOD, Books on Demand, ISBN 3-8334-1187-2

Gedichte zu den Bildern:



Der Schwindel (Auszug)

(...)
die Geschichte war nicht,
wie geschrieben steht,
die Historiker legten falsch Zeugnis ab,
die Wahrheit von oben ist eine andere
als die von unten,
die Gelehrten 
sind obrigkeitshörig engagiert,

die Amtierenden versprechen 
Brot und Honig
nur für sich und ihresgleichen,
der große Rest kriegt heiße Luft
(...)





Keine Mär (Auszug)

Es war einmal ein Mann,
der liebte mich sehr,
küsste meine Tränen fort.

Doch als ich nicht aufgab,
hartnäckig
salzige Tropfen zu produzieren,
lief er zum Kadi
(...)





Die multiple Hausfrau (Auszug)

(...)
Die modere Hausfrau macht alles auf einmal,
sie ist ein All-round Genie:
Sie wäscht, putzt, spült und kocht synchron.

Während die Waschmaschine läuft,
putzt sie die Fenster, die Treppe und das Bad,
während die Spülmaschine schnurrt,
kommt die Wäsche in den Trockner,
und sie saugt den Teppich inzwischen.
(...)

Sie kontrolliert die Schulaufgaben der Kinder,
unterdessen sie die Hemden bügelt,
die Spülmaschine läuft nebenher zum zweiten Mal,
und während der Nachwuchs fernsehen darf,
prüft sie Rechnungen, füllt Formulare aus,
geht in den Supermarkt, zur Post und zur Bank.

Gegen Abend schnell,
kämmt sie sich übers Haar, 
schminkt die Lippen und
begrüßt ihren Gatten charmant, ausgeruht,
sie tat alles nur „währenddessen“.





Die weise Alte (Auszug)

Schau mich an,
Königin der Schatten, Göttin der Unterwelt,
Herrin der Nacht, die dritte der Triade
der Großen Göttin,
die Schöpferin, Bewahrerin und Zerstörerin ist,
die, die allen das Leben gab im Fleisch,
zerstört es auch im Fleisch.
(...)

Sieh hin,
hässlich, abstoßend eigenwillig,
die wölfische Alte als grimmige Göttin
konfrontier ich euch mit der Realität von
Krankheit, Niedergang und der Endlichkeit,
die natürliche Todesart:
Tod aus Alterschwäche, 
Tod durch verzehrende Leiden, 
Tod durch den langsamen Abbau
und der Schwächung von Körper und Geist
und nehme euch die Furcht,
die quälende Furcht,
indem ich euch auffordere,
den Gegenstand eurer Angst ins Gesicht zu sehen.
(...)





Das flexible Weib (Auszug)

Frauen sind einfühlsamer als Männer,
behaupten sie.
Beweisen muss ich es –
und wühle und forsche und bohre und nage
in den Gefühlen von Männern
und fühle und füge mich ein.
(...)

Ich wühle und fühle und taste,
eine willige Wühlmaus,
die sich dreht und windet und schlängelt,
die Radarfühler sensibel ausstreckt
und mit inniger Hingabe jedes Gefühl aufspürt,
verstärke ich mitfühlend jedes Mannes Laune. –

Danke nein, ich bin nicht in Stimmung.





Arbeitslos – respektlos

Ich hab nichts mehr zu verlieren,
weil alles schon verloren.
Illusionen, Liebe und das Girokonto.

Die Miete, die zahlt mir der soziale Friede
und die feuchten Wände auch.

Ich liege auf dem Bauch,
weil Manager für mich schuften,
Sklaven der Industrie und Wirtschaft.

Die Badekarte, die zahlt mir der soziale Friede
und die Filzläuse im Haar auch.

Ich geb' mich mit dem Nichts zufrieden,
weil, Arbeit schändet bloß.
Kein Grieche, kein Römer hat je Geld verdient.

Die Suppe, die zahlt mir der soziale Friede
und die Wiedergeburt als Aristoteles auch.





Muss ich?

Es gibt Stunden, sagt er,
da will ich nicht allein sein,
dann musst Du da sein,
hier, jetzt, sofort,
musst Du verstehen.

Woher Du es weißt? Egal.
Wie ein Seismograph
an jedem Ort,
musst Du spüren,
dass ich nach Dir verlange,
musst Du verstehen.

Muss ich, sagt sie,
muss ich wirklich?
Und wer versteht mich?

Das ist natürlich, sagt er,
will ihren Busen leer trinken
und ihre Anmut verzehren,
musst Du verstehen.

Muss ich nicht.
Das ist natürlich, sagt er,
will ihren Busen leer trinken
und ihre Anmut verzehren,
musst Du verstehen.

Muss ich nicht.

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Ingrid Straube:
Die Quellen der Philosophie sind weiblich – vom Einfluss weiser Frauen auf die Anfänge der Philosophie

Ein-Fach-Verlag, Aachen
17,80 €, 30,40 SFr, 244 Seiten, mit Illustrationen, ISBN 978-3-928089-29-6






Online-Flyer Nr. 137  vom 12.03.2008

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